Team: Weiß (Titanic)
Fandom: The Umbrella Academy
Charaktere/Pairings: Klaus Hargreeves (so viel Klaus), Diego Hargreeves, Eudora Patch
Wörter: ~1700
Prompt: Krimi/Thriller: Gesang in der Ferne
Vorwort:
Klaus und Diego haben mir in der Serie einfach mal das Herz gebrochen. Warnungen: Vor allem Klaus-spezifische Warnungen. Drogen, Wahnvorstellungen, PTSD, Angst und unabashed gayness.
Direkte Fortsetzung von
hier.
Es passierte später noch einmal. Und noch ein weiteres Mal.
Sie finden einen toten Junkie - männlich, weiß, Mitte zwanzig, schwarze Haare, tot, immer die gleiche Beschreibung - und Diego taucht auf, prompt und ungebeten, mit schmalen Lippen und nacktem, bleichen Gesicht.
Es ist ihr ein Rätsel.
Seine Intensität. Seine Angst. Und die Erleichterung, die ihn überrollt wie eine Welle, die ihn fast in die Knie zu zwingen scheint, wenn er sieht, dass es nicht… dass es nicht…
Eudora kennt das Ende dieses Satzes nicht.
Sie weiß nicht, wen er befürchtet dort zu finden, und er sagt kein Wort.
Es hat etwas unendlich Trauriges an sich, denkt sie, ausgerechnet Diego in Verbindung zu bringen mit abgezehrten Leichen und verlorenen Existenzen, und vielleicht ist das der Grund, wieso sie nicht viel mehr bohrt und gräbt und nachforscht. Es ist wie eine offene Wunde. Sie kann beinah den Schmerz spüren, der direkt unter der Oberfläche lauert.
-
„Ma’am…. Ma’am! Shhhht… nun lass mich doch! … Was heißt hier, nicht höflich? Ich bin immer höflich! Ich habe Ma’am gesagt!“
Der Junkie, den sie grade in ihrer Ausnüchterungszelle haben, ist lebendig.
Sehr lebendig.
Er ist dünn wie ein Streichholz, mit hohlen Wangen und tiefliegenden Augen. Dunkle Haare und Glitter kleben auf seiner Stirn und er läuft in der kleinen Zelle hin und her wie ein Tier im Käfig.
Seine langen Beine stecken in engen, schwarzen Jeans und er trägt ein bauchfreies, pinkes T-Shirt, das sogar einem 12jährigen zu klein wäre.
Und er redet. Er redet ununterbrochen. Eudora sieht ihn nur aus den Augenwinkeln, und nur wenn sie sich in ihrem Schreibtischstuhl ganz nach hinten lehnt. Aber sie hört ihn die ganze Zeit.
„Okay“, flüstert er. „Okay, okay … wir können das friedlich klären wirklich … kein Grund so wütend zu werden … ich bin ja …. Ich will nur … FUCK FUCK!“ Er presst die Hände auf die Ohren und krümmt sich zusammen. „Hör auf zu schreien! Hör auf! Wieso zeigst du mir sowas…?“
Eudora und Beaman tauschen einen Blick. „Und deswegen hasse ich Nachtdienst“, sagt Beaman finster.
„Ma’am…“ ruft er heiser. „Detective Ma’am Sir? Irgendjemand?“
Eudora seufzt und lehnt sich nach hinten. „Was ist?“
Er reibt sich mit beiden Händen über das Gesicht. „Ich sterbe vor Hunger. Gibt es… habt ihr kein Protokoll, dass ihr Gefangene nicht verhungern lassen dürft? Das dürfen sie nicht, oder? … Nein, ich weiß nicht wie lange es her ist, woher soll ich denn wissen … Ma’am…. Ma’am… wir hätten gerne eine Pizza. Oder ein Sandwich. Ein Donut ginge auch. … Du hast recht. … Essen … essen nicht alle Polizisten Donuts? Zumindest im Fernsehen …. Gott verdammt nochmal, kann sie nicht damit aufhören?“
Stöhnend presst er die Hände auf die Ohren. Mit geschlossenen Augen drückt er sein Gesicht an die Gitterstäbe. „Ma’am …“, flüstert er. „Im Gegenzug dazu verrate ich ihnen wo sie einen ganzen Haufen Drogen finden. Das machen Sie doch beruflich, nicht wahr? Drogen finden. Falls sie schon welche gefunden haben, geben sie mir welche! Bitte. Bitte…“
Er reibt sich über die bloßen Arme.
„Mach mir jetzt keine Vorwürfe. Bist du meine Mutter? …. Entschuldige, ich hab es nicht so gemeint… Ben… Benny… komm schon. Erzähl mir was, irgendwas. Sie macht mich wahnsinnig…“ Er faucht wie eine Katze.
Eudora kippt ihren Stuhl wieder nach vorne.
Kurz darauf ertönt manisches Gelächter.
Beaman, auf der anderen Seite des Schreibtisches, hebt die Augenbauen. Er macht ein Vogelzeichen.
Eudora wirft ihm einen mahnenden Blick zu. „Vielleicht sollten wir einen Arzt holen“, sagt sie.
„Quatsch. So sind die doch immer, wenn sie runterkommen“, erwidert Beaman. „Und der kracht grade runter wie ein Stein.“
„Die Halluzinationen sind doch nicht normal.“ Sie senkt die Stimme. „Was ist, wenn er schlechten Stoff hatte und uns hier gleich zusammenklappt?“
„Bloß nicht. Der ganze Papierkram…“
„Das wäre nicht das erste Mal.“
„Eudora.“
Sie verstummen beide gleichzeitig.
Es ist Diego. Schwarz, Leder, finsterer Blick.
Er steht unmittelbar vor ihrem Schreibtisch, aber sein Blick gleitet suchend an ihr vorbei. „Wo ist er?“
„Wer?“
„Der Junkie.“
Eudora und Beaman tauschen einen Blick.
„Ist das dein Ernst?“ platzt es aus Beaman heraus.
„Ich dachte, du beehrst uns nur wegen toter Junkies“, fügt Eudora hinzu. „Ich wusste nicht, dass du plötzlich auch Interesse an den lebenden hast.“
Sie ist bissiger als er verdient hat und das tut ihr leid. Aber sie ist bissig, weil sie frustriert ist, weil da dieses riesige Geheimnis ist, das schon immer zwischen ihr und Diego stand, wie eine Wand, wie eine Mauer. Es war damals schon so, als sie zusammen waren.
„Wo ist er?“ wiederholt er ruhig. „Ist er…?“
Er kommt nicht dazu diesen Satz zu beenden, denn in diesem Moment ertönt kehliges Gelächter aus der Zelle. Der Junkie summt leise etwas vor sich hin. Es ist ein 90er Jahre Popsong, der Eudora vage bekannt vorkommt. „Running just as fast we can… Ich singe nicht schief… du singst schief… nein, gib dir ein bisschen Mühe, damit ich das Gelaber nicht mehr ertragen muss … komm schon… komm schon! …Holding on to one anothers hand…!“
Sie ist nur eine Sekunde abgelenkt, aber genau diese Sekunde nutzt Diego, um sich rücksichtslos an ihr vorbei zu schieben.
„Hey!“ ruft Eudora. Gleichzeitig mit Beaman springt sie auf und eilt ihm nach. „Du kannst nicht einfach …!“
Wenige Schritte vor der Zelle bleibt Diego stehen, so abrupt, dass Eudora beinah in ihn hineinrennt.
Der Junkie tanzt. Er hat die Augen geschlossen und die Arme um einen imaginären Tanzpartner gelegt und kreiselt in weiten, losen Bewegungen durch die Zelle. Er hat Schüttelfrost und seine Zähne klappern, aber seine Bewegungen sind fließend und von beinah schwereloser Eleganz. „… doesn’t seem to be anyone around… I think we’re alone now…! The beating of our hearts…”
Männlich, weiß, Mitte zwanzig. Schwarze Haare. Etwa 1,80m.
Und jetzt kann Eudora auch endlich einen Blick auf die Tätowierung an seinem Handgelenk erhaschen. Ein kleiner, runder Kreis mit einem Symbol.
Sie sieht zuerst ihn an und dann Diego. Diegos Gesicht. Dort bleibt sie hängen.
Ein halbes Dutzend toter Junkies hat er sich angesehen in den letzten Monaten. Sein Gesicht war immer leer, vollkommen ausdruckslos.
Jetzt ist es alles andere als das.
Ihr Herzschlag beschleunigt sich und statt ihn hier und jetzt zu verhaften, gibt sie Beaman ein Signal still zu halten.
Endlich.
Sie will endlich verstehen, was…
„Klaus“, sagt Diego. Nur dieses eine Wort.
Klaus.
Der Effekt ist augenblicklich.
Wie eine Gliederpuppe, deren Fäden man durchschneidet, sacken seine Arme nach unten und der Junkie bleibt abrupt stehen. Unendlich langsam dreht er sich um die eigene Achse und öffnet die Augen. Seine Pupillen sind riesengroß und schwarz in seinem weißen Gesicht.
„Oh nein…“, haucht er.
Alles Leben weicht aus seinem Gesicht, als sein Blick auf Diego landet. Er macht eine einzelne, hoffnungslose Handbewegung in Richtung der Gitterstäbe, bevor er die Hand wieder sinken lässt, und an seine Brust drückt wie einen verletzten Flügel. „Oh nein, nein …“, flüstert er. „Nicht du… nicht du…“
Sekundenlang ist Diego wie erstarrt. Was immer er erwartet hat, es ist offenbar nicht das.
Fairerweise - Eudora hat es auch nicht erwartet.
Sie weiß nicht genau, was sie erwartet hat, wenn Diego seinen mysteriösen Junkie endlich findet, aber nicht das.
„Oh Gott…“ Der Junkie - Klaus? - presst die Handballen auf die Augen, gibt einen langgezogenen, qualvollen Laut von sich und krümmt sich zusammen, als haben man ihn in den Bauch geboxt. „Oh nein… bitte nicht…“, schluchzt er. „Bitte nicht… nicht du…“
Ein Ausdruck der Erkenntnis, dicht gefolgt von wortlosem Entsetzen flackert über Diegos Gesicht. „Shit.“ Mit einem einzigen Schritt ist er an den Gitterstäben und packt danach. „Mach die Tür auf!“ herrscht er Eudora an.
„Ich kann doch nicht einfach…“
„Mach sie auf!
Da ist etwas in seinem Tonfall, was sie noch nie gehört hat. Zumindest nicht an sie gerichtet. Seine Stimme ist aus Stahl, hart und kalt und unnachgiebig, als ob nichts überleben wird, was sich in diesem Moment zwischen ihn und diese Zelle stellt. Noch bevor sie weiß, was sie tut, gehorchen ihre Finger von ganz allein und reichen ihm den Schlüssel.
In zwei kurzen Handbewegungen hat er aufgesperrt und dann ist er schon im Inneren der Zelle.
„Neinneinnein…!“ Klaus geht in die Knie. Wild presst er die Hände auf die Ohren und schüttelt den Kopf. Sein atemloses Flehen geht unter in hemmungslosem Schluchzen. „Bitte nicht…“
„Klaus!“ Diego greift nach ihm. Seine Handgelenke sind so dünn, dass Diego sie locker mit einer Hand umspannen kann. „Ich bin hier! Ich bin nicht tot! Klaus! Sieh mich an! Los, sieh mich an!“
„Sei vorsichtig“, sagt Beaman, der sich schneller wieder gefangen hat als Eudora. „Du weißt nicht, wie die drauf sind, wenn sie runterkommen! Sie können… echt aggressiv werden und…“ Er verstummt abrupt.
Klaus erstarrt.
Unendlich langsam hebt er den Kopf. Aus tränennassen Augen starrt er Diego an, fassungslos und hoffnungsvoll zugleich. Er starrt auf die Finger, die seine Handgelenke umschließen und wieder zurück auf Diegos Gesicht.
Es ist nicht die Stimme, begreift Eudora abrupt, sondern die Berührung, die es für ihn real macht.
Sie fühlt sich wie ein Voyeur, dass sie dabei zusieht, aber sie kann auch nicht wegsehen.
„Ich bin nicht tot“, wiederholt Diego heiser. „Ich bin hier, um dich rauszuholen, du Scheißkerl. Ich bin nicht tot!“
„Diego…?“ Seine Stimme klingt hohl und zerbrechlich wie die eines Kindes. Und dann: „Sie sind tot… sie sind alle tot… und sie gehen nicht weg…“
„Fühlst du das?“ Diego schüttelt seine Handgelenke. „Ich bin hier. Ich bin real. Fühlst du das?“
Mit den Fingerspitzen tastet Klaus nach seinem Mantel. Er verkrallt die Hände in dem Stoff, wie um einen Rettungsanker. Etwas in seinem Gesicht zerbricht und dann sackt Klaus ihm unzeremoniell entgegen. Diego fängt ihn auf.
„Diego…“ Klaus vergräbt das Gesicht an seiner Schulter.
„Ist okay“, sagt Diego leise und zieht ihn fest in seine Arme. „Ist okay, Kleiner.“
„Mein Gott…“, sagt Beaman neben ihr leise.
Eudora sagt gar nichts. Sie kann nicht.
Sie sieht, wie Diego ihn festhält, wie er ihn ansieht… und sie denkt an all die Leichen, männlich, weiß, Mitte zwanzig, schwarze Haare, die er sich wortlos angetan hat in den letzten Monaten, immer auf der Suche nach dem einen - und ihr Herz fühlt sich an als ob es zwischen zwei Fäusten zerquetscht wird.