Titel: Spurensuche
Team: Weiß (Titanic)
Challenge: Krimi/Thriller/Horror: Gesang in der Ferne - Für mich
Fandom: Tatort Stuttgart (UrbanFantasyAU)
Rating: PG-13
Genre: Gen, Crime/Thriller, UrbanFantasyAU
Warnungen: Tote Kinder
Zusammenfassung: Thorsten begibt sich auf die Suche nach einem Tatort…
Wörter: ~1650
Anmerkungen: Und weil einige meiner Teammitglieder so wild darauf sind, hier noch ein bisschen stranges Tatort-Stuttgart-UrbanFantasyAU. Ich habe noch keine Ahnung von Chronologie und Sinn des Ganzen, aber er sprang mich halt irgendwie an. Irgendwann sortiere ich das dann mal und mache einen netten MasterPost.
Spurensuche
Thorsten stand am Ufer des Neckar und schaute auf den träge dahinfließenden Fluss hinaus. Das Wasser war kalt und klar, die Oberfläche fast spiegelglatt. Wenn es nicht schon tiefe Nacht gewesen wäre, hätte er vermutlich bis auf den Grund sehen können. So aber spiegelten sich nur die Sterne im stillen Wasser. Vor drei Tagen hatten sie gar nicht weit von hier, unter der Brücke, die Leiche eines kleinen Mädchens gefunden. Der Fall ließ ihm keine Ruhe. Ein Kind, ohne Namen, ohne Angehörige, die es vermissten, tot am Ufer eines Flusses. Todesursache unklar, möglicherweise ein hohes Fieber. Das trug so offensichtlich alle Anzeichen eines Menschenopfers, dass Thorsten fast schlecht wurde. Dennoch, irgendetwas störte ihn an diesem Bild - und nicht nur die Tatsache, dass er schon die bloße Idee von Menschenopfern einfach widerlich fand. Da war etwas, was nicht passte, eine Kleinigkeit, ein Detail, irgendetwas, das dieses Bild schief aussehen ließ. Er wusste nur nicht was, konnte dieses Gefühl einfach nicht identifizieren. Seit drei Tagen und Nächten nagte es an ihm. Deswegen war er hier. Vielleicht konnte der Fluss ihm Auskunft geben.
Er atmete noch einmal tief durch und überprüfte den Sitz seiner Kutte. Es war schon so lange her, dass er sowas das letzte Mal gemacht hatte. Mit der Elbe war er schon seit Jahrzehnten tief vertraut gewesen. Da hatte es schon lange keiner Rituale mehr bedurft. Sie hatte ihn empfangen und in ihrem Bett geborgen, wann immer er zu ihr gekommen war. Mehr als einmal hatte sie ihm das das Leben gerettet. Der Neckar aber war ihm fremd. Nicht feindselig, das hatte er schon vor drei Tagen gespürt, aber fremd. Er musste erst Zugang finden zum Strom seiner Magie. Deswegen stand er jetzt hier, im vollen Ornat eines Druiden, barfuß, mit weißer Kutte und Stab und war im Begriff, in das eisige Wasser zu steigen.
‚Dann geh’ jetzt auch endlich, bevor ich dich schubse.‘
Thorsten zuckte zusammen, ließ fast seinen Stab aus der Hand fallen. Cougar! Natürlich.
‚Wie schön, dass du mich auch schon beehrst. Hättest du nicht ein bisschen eher aufwachen können?‘
Cougar gab sich völlig unbeeindruckt und streckte sich erst mal ausgiebig. Thorsten seufzte leise. Er war unfair, das wusste er. Das Ritual heute Vormittag hatte ihm magisch alles abverlangt und Cougar hatte einen guten Teil davon auf sich genommen, sonst würde er vermutlich morgen noch schlafen. Die neue Umgebung, die Magie, die sich so merkwürdig verhielt, der Fall, das verlangte ihm alles ab, zehrte an seinen Reserven. Er hatte sich viel zu viel auf Cougar verlassen, in den letzten Wochen.
‚Ich bin genau im richtigen Moment wach geworden‘, erklärte Cougar trocken. ‚Ich weiß doch, dass du ohne mich aufgeschmissen wärst.‘
Thorsten schnaubte nur, erwiderte aber nichts weiter. Wozu auch? Cougar verstand ohnehin jeden seiner Gedanken - und würde schon kommentieren, wenn sie meinte, etwas dazu sagen zu müssen.
‚Sehr richtig. Und jetzt sieh zu, dass du ins Wasser kommst!‘
‚Jawohl, Madam!‘
Diese Mal schnaubte Cougar. Thorsten schloss die Augen, ließ sich von der Magie leiten. Glühende, grün-goldene Linien füllten seinen Geist. Flossen um ihn herum, durch ihn hindurch, schlangen sich um seine Handgelenke, zogen ihn vorwärts. Er zögerte kurz, doch Cougar stupste ihn vorwärts. Er vertraute ihr, ließ sich von der Magie leiten. Mitten hinein in den wilden Strom aus blausilbrigen Magiefäden. Irgendwo ganz entfernt registrierte er noch die physische Sensation von kühlem Wasser auf seiner Haut, wie sie langsam höher kroch, über die Hüften, über den Bauch, die Schultern, über seinen Kopf. Er tauchte tief ein in den Strom der Magie, ließ sich treiben, gab die Kontrolle auf.
Lange Zeit passierte gar nichts. Er trieb einfach dahin, verloren für Zeit und Raum. Oben und unten, gestern und heute, es hatte keine Bedeutung mehr, wurde alles eins. Blausilbrige Linien trieben heran, umschlangen ihn, wirbelten ihn herum, gaben ihn wieder frei. Sie trugen Bilder und Geräusche heran, dunkle Wälder, sonnenbeschienene Wiesen, Felder auf denen gerade die Ernte eingefahren wurde, Dörfer und Städte, eine Handelsstraße, Markttage, Menschen, Männer, Frauen, Kinder, immer wieder Kinder, Vögel zwitscherten, Wölfe heulten, ein Hirsch röhrte, Glocken läuteten, Stimmengewirr, dumpfes Brüllen und Donnern, Schreie und Musik. Gesänge rollten heran, dunkel, von rhythmischen Trommeln unterlegt, schwollen an, verstummten fast, schwollen wieder an. Eine einzelne Stimme löste sich heraus, hell und klar. Eine Kinderstimme.
Thorsten konzentrierte sich, lauschte den Worten, versuchte sie zu verstehen. Es war eine fremde Sprache, eine alte Sprache. Slawisch möglicherweise, vielleicht auch koptisch, er verstand nur einzelne Wörter. Von Opfern war da die Rede, von Blut und Tod und Macht. Kein Lied, das ein Kind singen sollte. Der Chor im Hintergrund schwoll wieder an, die Trommeln waren wieder da. Dumpf und rhythmisch, wie ein Herzschlag. Erst langsam, dann immer schneller und schneller. Der Chor wurde lauter und drängender, das Kind sang nur noch einen einzigen Ton, hoch und schrill. Die Geräusche schwollen zu einer schier unerträglichen Kakophonie, hektisch wechselnde Bilder tanzten einen wilden Reigen durch seinen Sinn. Es gab einen dumpfen Donnerschlag - und dann war alles still.
Die Bilder und Geräusche waren verschwunden. Nur noch das Wasser rauschte leise in seinen Ohren, strich sanft über ihn hinweg. Die wirbelnden blausilbrigen Linien hatten sich um ihn zu einem dicken Knoten verwunden, betteten ihn, hielten ihn an Ort und Stelle. Der Fluss hatte ihn aufgenommen - und er wollte ihm etwas zeigen.
‚Sie!‘
Cougar räkelte sich in seinem Hinterkopf, schnurrte ganz und gar zufrieden. Offensichtlich hatte der Neckar nicht nur ihn erfrischt und belebt.
‚Was meinst du?‘
‚Sie. Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Seele der Neckar weiblich ist.‘
Wie zur Bestätigung plätscherte das seichte Wasser fröhlich um ihn herum. Erst jetzt fiel ihm auf, dass es nicht nur die Magie war, die ihn an der Wasseroberfläche hielt. Der Fluss hatte ihn in einer kleinen, flachen Bucht abgelegt. Sand und kleine Steinchen kratzten an seiner Schulter entlang und ein paar Wasserpflanzen kitzelten ihn an der Hüfte. Mit einem Ruck setzte er sich auf. Wo waren seine Sachen geblieben?
‚Ich glaube, die Neckar ist nicht nur weiblich, sie ist auch sehr traditionell.‘
Na wunderbar, jetzt hatte er nicht nur einen sehr divenhaften Puma zur Vertrauten, sondern auch noch einen genauso divenhaften Fluss, der anscheinend einen Narren an ihm gefressen hatte. Eine Ladung Wasser spritzte ihm ins Gesicht. Er hustete und prustete. Cougar lachte.
‚Ich mag sie.‘
‚Warum wundert mich das jetzt gar nicht?‘
Cougar gab keine Antwort mehr, aber ihr Lachen resonierte in seiner Brust. Verdammte Katze! Er erhob sich grummelnd und trat aus dem Wasser. Die Mühe, seine Kleider zu suchen konnte er sich wohl sparen. Wenn Neckar so traditionell war, wie Cougar implizierte - und da konnte er sich auf ihr Urteilsvermögen eigentlich immer verlassen - dann würde er keine Spuren davon finden. Sie hatte ihm seinen Stab gelassen, das musste reichen. Um alles andere konnte er sich später kümmern. Zunächst einmal sollte er sich anschauen, warum sie ihn ausgerechnet hier an Land gebracht hatte. Der Platz pulsierte vor Magie, so grell und hektisch, dass er kaum die physische Welt darunter erkennen konnte. Er griff nach dem nächstbesten Magiestrang, ließ ihn durch seinen Körper in seinen Stab fließen, bis der kleine Kristall in der knorrigen Spitze hell erstrahlte.
Die wilde Magie verblasste ein wenig, die physische Welt wurde wieder sichtbar. Er stand auf einer kleinen, fast kreisrunden Lichtung am Flussufer. Alte, knorrige Bäume umgaben sie zu drei Seiten, an der vierten floss Neckar vorbei. Ein Hain, aber ein alter, selten genutzter. Die Magie war wild hier wo Erde und Wasser, Leben und Bewegung aufeinandertrafen. Nicht viele konnten diese Macht kontrollieren. Aber jemand hatte es versucht.
Da waren Kreidezeichen auf dem Boden. Ein Pentagramm in einem Kreis. Das universelle Schutzzeichen in den modernen, westlichen Magieschulen. Es zeugte nicht selten von jungen, überheblichen Zauberern, die glaubten, die alten Magietraditionen engten sie nur ein, aber solange die Praktizierenden an den Effekt glaubten und die Zeichnung richtig ausführten, waren Pentagramme - und Hexagramme und Heptagramme - genauso wirkungsvoll wie jeder andere Schutzkreis. Und dieses Pentagramm war perfekt. Jede Linie stimmte. Das innere Pentagon war exakt gleichwinklig, alle fünf Stahlen gleich groß und der Kreis, der das ganze umgab war absolut rund. Nicht eine Abweichung, eine Unsicherheit. Selbst jetzt, mindestens vier Nächte nach dem eigentlichen Ritual schimmerten die Kreidelinien noch von der Magie, die darin gefangen war. Wer auch immer diesen Beschwörungskreis angelegt hatte, er hatte unendlich viel Sorgfalt und Energie hineingesteckt. Sorgfalt und Energie für eine finstere Sache: In der Mitte des Pentagons drehte sich noch immer ein Wirbel düsterer, dämonischer Magie. Eingeschlossen von der residualen Energie des Schutzkreises konnte sie nicht entkommen - bisher jedenfalls. Thorsten trat ein wenig näher heran, versucht zu erspüren, was mächtiger war, die Restenergie des Zirkels oder die des beschworenen Dämons.
Ein schwerer, süßlich metallischer Geruch stieg ihm in die Nase, legte sich wie ein abartiger Pelz über seine Zunge. Blut und Verwesung. Der Geruch des Todes. Des unzeitgemäßen Todes vor allem. Der Beschwörungszirkel hatte Blutopfer gebracht, um ihrem Dämon Gestalt zu geben. Fein säuberlich zurechtgemacht lagen sie in den fünf Zacken des Pentagramms: eine Kröte, eine Schlange, ein Rabe, eine Eule und eine Katze. Cougar fauchte zornig. Thorsten ignorierte sie. Ihn interessierte etwas anderes. Alle fünf Opfertiere waren Tiere, die man eigentlich typischerweise mit Hexen assoziierte. Zufall? Oder steckte doch mehr dahinter?
Der Magiewirbel im Inneren des Pentagon drehte sich hektischer, bewegte sich hin und her, wie ein aufgeregter kleiner Hund, der sein Herrchen suchte. Als ob er die Anwesenheit einer eingeweihten Person erspüren könnte. Seine Bewegungen ließen sichtbar werden, was den Wirbel noch immer nährte: Eingebrannt in den Boden, nur mehr eine schwarz verkohlte Silhouette, aber doch unverkennbar zeichneten sich dort die Umrisse eines Menschen ab. Eines sehr kleinen Menschen. Eines Kindes. Die Erkenntnis legte sich wie ein eisernes Band um seine Brust, machte ihm das Atmen plötzlich unendlich schwer. Er schluckte trocken und sank auf die Knie. Sie hatten tatsächlich ein Kinderopfer erbracht um einem Dämon Form zu geben.
Er hatte ihren Tatort gefunden.