Beta:
josl,
jolliGenre: ein Hauch von Humor, Romanze, h/c, Angst, Drama
Pairing: Boerne/Alberich
Wortanzahl: ~35.000
Warnungen: ooc, cd. Loser Bezug zur Episode Eine Leiche zuviel, es ist von Vorteil, die Folge zu kennen!
Rating: Ab 12
Bingo-Prompt: in Ohnmacht fallen/ohnmächtig
Zusammenfassung: Gedankenverloren sah sie ihm nach, als er den Raum verließ. In den letzten Wochen hatte sich ihre Beziehung irgendwie verändert... doch sie konnte nicht einmal genau sagen, wie, warum und vor allem, in welche Richtung.
Wenige Stunden später allerdings war das ihre geringste Sorge.
Für zwei Sekunden stand ihre Welt vollkommen still. Für zwei Sekunden starrte sie einfach nur fassungslos in Boernes gebrochene Augen; und dann rollte das Entsetzen wie eine riesige Woge über sie hinweg.
Silke warf den Kopf in den Nacken und schrie, wie sie noch nie in ihrem Leben geschrien hatte.
Im gleichen Moment fuhr sie heftig auf, geschockt von ihrem eigenen Aufschrei und der schmerzhaften Wucht, mit der ihr Schädel gegen die Wand in ihrem Rücken geschlagen war.
Der heftige Aufprall brachte sie aus dem Gleichgewicht, fast wäre sie zur Seite gekippt. Sie musste hektisch ihren Griff justieren, damit Boerne ihr nicht wegrutschen konnte. Boerne, dessen Augen geschlossen waren, nicht offen, wie sie jetzt verwirrt realisierte; dessen glühender Kopf an ihrer Schulter ruhte und der bei ihrem Gebrüll schwach zusammengezuckt war und nun leise stöhnte.
Sie war so durcheinander, so gefangen im Horror der letzten Sekunden, sie konnte im ersten Moment gar nicht verstehen, wie das möglich war - bis ihr schließlich, nach einigen panischen Atemzügen, klar wurde, dass sie eingeschlafen war; dass es nur ein fürchterlicher Traum gewesen war. So real, so echt, wie sie es noch nie erlebt hatte.
Und in diesem Augenblick begann sie, wie von Sinnen zu schluchzen.
Minutenlang konnte sie nichts anderes tun, als sich an Boernes Körper festzukrallen und hysterisch zu weinen. Zuerst aus Erleichterung, weil er noch lebte, aber schon bald darauf, weil ihr klar wurde, dass sie dieses fürchterliche Szenario wahrscheinlich schon in kurzer Zeit ein zweites Mal durchleben musste.
Und sie wusste nicht, wie sie das durchstehen sollte.
Sie weinte, bis sie irgendwann keine Tränen mehr hatte. Ausgebrannt, leer wie nie zuvor, saß sie auf dem Boden, fühlte sich nur noch taub. Ihre Arme waren mittlerweile bleischwer, sie hatte keine Kraft mehr darin. Nur gerade noch so konnte sie Boerne halten; ihre Hand gegen seine Wunde zu pressen, gelang ihr nicht mehr.
Als Boernes Kopf einmal mehr von ihrer Schulter rutschte und in ihrer Ellenbeuge zu liegen kam, war es ihr beim besten Willen nicht mehr möglich, ihn wieder hochzuheben.
Erschöpft ließ sie sich zurück gegen die Wand sinken, hatte das Gefühl, sie sei kurz davor, den Verstand zu verlieren.
Sie konnte nicht mehr.
Für einen Moment verschwamm die Welt vor ihren Augen. Erschöpfung und Verzweiflung ließen ihr Blickfeld an den Rändern langsam grau werden; um Boernes Willen versuchte sie, sich zu wehren, als ihre Übermüdung sie langsam in einem dunklen Strudel versinken ließ, doch sie konnte die Augen kaum noch offen halten.
Es war das Geräusch der sich plötzlich öffnenden Schiebetür, das mächtig genug war, sie wieder voll in die Realität zurückschnappen zu lassen.
In der Sekunde, in der sie ungläubig aufblickte, trat Hauptkommissar Thiel in den Raum, dicht gefolgt von seinem Vater und Nadeshda.
Im ersten Moment wollte Silke ihren Augen nicht trauen. Das war nicht möglich, die drei konnten nicht hier sein. Das war Wunschdenken, ihr Verstand machte sich gerade endgültig davon und gaukelte ihr Trugbilder vor.
Aber während sie noch an ihrer Geisteskraft zweifelte, war Thiel, dessen Blick gleich beim Eintreten auf sie gefallen war, zu einem abrupten Halt gekommen und riss sichtbar entsetzt die Augen auf. „Frau Haller…?“
Nadeshda und Herbert Thiel fuhren nun ebenfalls herum und erstarrten förmlich.
Und Silke war ebenfalls wie erstarrt.
Sie waren gefunden worden. Sie waren tatsächlich gefunden worden.
„Er braucht einen Notarzt. Schnell.“ Zu schreien oder zu rufen war ihr nicht möglich, aber ihr tonloses Krächzen reichte, um die beiden Polizisten aus ihrer Schockstarre zu lösen.
Hastig zerrte Nadeshda ihr Mobiltelefon aus der Jackentasche und wählte den Notruf, Thiel dagegen rannte zu ihr und fiel neben ihr auf die Knie. Sein Körper an ihrer Seite war solide und warm, seine Fassungslosigkeit, als er eine zitternde Hand auf Boernes Schulter legte, fast greifbar. Es war keine Halluzination; er war wirklich hier bei ihr. Sie konnte es immer noch nicht recht glauben.
Und Thiel konnte offensichtlich nicht glauben, was er sah. Hilflos starrte er für einen Moment in Boernes eingefallenes Gesicht, bevor er zu ihr aufblickte. "Seit wann liegt er hier so?" So erschüttert hatte sie ihn noch nie gesehen.
„Die ganze Nacht.“ Ihre Kehle war derart trocken, für einen Moment dachte sie, Thiel hätte sie gar nicht verstanden; doch er flüsterte nur nahezu lautlos „Großer Gott“, blickte dabei zurück auf Boerne und drückte sacht seine Schulter.
Doch dann riss er sich zusammen. "Können Sie ihn noch halten oder sollen wir ihn hinlegen?"
Während er seine drängende Frage hervorpresste, begann er, fieberhaft seine Taschen zu durchsuchen.
Silke schüttelte den Kopf. „Ich halte es noch ein paar Minuten aus. Er muss so aufrecht bleiben, er bekommt sonst keine Luft.“
Thiel nickte energisch. „Ok, aber sagen Sie, wenn wir Ihnen helfen müssen!“
Er hatte mittlerweile einen Schlüsselbund hervorgezogen und versuchte nun, die Handschellen an ihrem Fuß zu öffnen. Doch sein Schlüssel passte nicht.
Nadeshda, die sie keine Sekunde aus den Augen gelassen hatte, reichte noch während ihres Telefonats mit dem Rettungsdienst ihren Schlüssel hinüber. Aber wie zu erwarten war, konnte Thiel die Fesseln auch damit nicht öffnen.
Mit einem unterdrückten Fluch blickte er auf. „Vaddern, hast du einen Werkzeugkoffer im Auto?“
Herbert Thiel, der ebenfalls näher herangekommen war und sich zu ihnen gehockt hatte, nickte nun. „Klar doch Junge, du kennst doch die Karre!“
„Hol ihn! Wir müssen die Handschellen aufbekommen!“
Ohne ein Wort richtete der Angesprochene sich auf und hastete aus dem Raum.
Nadeshda dagegen kehrte gerade zurück. Sie war kurz in der Küche verschwunden und warf Thiel nun ein Handtuch zu. Kaum hatte er es geschnappt, ballte er es zusammen, löste sacht Silkes erlahmte Finger von Boernes Seite und presste es dann mit Kraft gegen die Stichverletzung. Dabei legte er wiederum eine Hand auf seine Schulter, als wollte er ihm zeigen, dass Hilfe da war; dass er nicht mehr allein war.
Sichtbar aufgewühlt bohrten sich seine blauen Augen danach erneut in die ihren. "Was ist mit ihm passiert?"
"Er wurde niedergestochen." Eine Welle von Übelkeit stieg in Silke auf, als die schrecklichen Bilder sich einmal mehr vor ihren Augen abspielten. Schluckend kniff sie die Lider zu und presste die Lippen zusammen.
Thiel schien ihre Verzweiflung zu spüren, er ließ Boernes Schulter los und drückte nun ihre Hand.
„Von wem? Wer hat Ihnen das angetan?“ Seine leise Stimme hatte einen Unterton, wie sie ihn noch nie gehört hatte; die vorherige Fassungslosigkeit darin wich langsam kaltem Zorn.
In Silkes Kopf drehte sich alles; die Hoffnung, dass nun alles gut werden würde und die unbeschreibliche Angst, dass für Boerne trotzdem jede Hilfe zu spät sein könnte, fochten einen dramatischen Kampf aus.
Doch sie riss sich einmal mehr zusammen, so gut es ging, nannte die Namen der drei Eindringlinge und beschrieb in wenigen Worten den Überfall und die erzwungene OP. Sie schloss damit, dass die drei Männer gegen sechs Uhr am Morgen gefahren waren und ein Flugzeug erreichen wollten.
Thiels Augenbrauen waren bis unter seinen Haaransatz geklettert, als sie Gregor Nowaks Namen als den des Anführers genannt hatte. Nadeshda hatte einen ungläubigen Fluch ausgestoßen und erneut zu ihrem Handy gegriffen.
In dem Moment, in dem Herbert Thiel mit seinem Werkzeugkoffer in den Raum zurückkehrte, hatte die junge Frau bereits eine Fahndung nach den Flüchtigen herausgegeben.
Kaum hatte Thiels Vater den Koffer neben Silkes Füßen auf den Boden abgestellt, durchsuchte der Kommissar den Metallkasten nach passendem Werkzeug. Mit gerunzelter Stirn zog er eine große Zange heraus und reichte sie seinem Vater, bedeutete ihm, damit die Kettenglieder zwischen den Handschellen zu zerkneifen.
"Vergiss es, Frankie, dafür braucht man einen Bolzenschneider“, murrte der ältere Thiel, versuchte aber trotzdem sein Glück. Doch er hatte recht, die Anstrengungen waren vergeblich. Schulterzuckend warf er das nutzlose Werkzeug in den Koffer zurück.
"Die Säge, Vaddern", brummte Thiel ungeduldig. "Oder drück du hier drauf, dann übernehm‘ ich das!"
"Nee nee, lass‘ mal! Kümmer‘ du dich um den Professor!“ Thiel Senior zerrte nun eine verrostete Eisensäge hervor. Nach kurzer Überlegung setzte er sie ebenfalls an die Kettenglieder, murmelte dann: "Halten Sie still, Frau Haller, ich will Sie nicht verletzen."
Silke blickte auf die Worte hin nur flüchtig auf und nickte matt. Sie hatte diese ganzen Aktionen nur mit einem Auge beobachtet, denn sie war vielmehr damit beschäftigt, Boerne wieder und wieder ins Ohr zu wispern, dass Hilfe da war; dass nun alles gut werden würde und dass er in Gottes Namen kämpfen sollte.
Es war davon auszugehen, dass er sie nicht hörte - aber sie konzentrierte sich auf nichts anderes, nur um sich abzulenken, um sich nicht voll vergegenwärtigen zu müssen, dass er ihr buchstäblich jede Sekunde unter den Händen wegsterben konnte.
Sie unterbrach sich in dem Moment, in dem polternde Schritte und Stimmen im Treppenhaus ertönten. Sekunden darauf stürmte Nadeshda, die von ihr unbemerkt den Raum verlassen hatte, in Begleitung des Notarztes durch die Schiebetür. Und zu Silkes unglaublicher Erleichterung war es einer der besten, den die Uniklinik zu bieten hatte: Professor Jaschke.
Als seine Augen auf seinen blutüberströmten Freund fielen, weiteten sie sich. Doch er kam nicht ins Stocken, Nadeshdas Informationen hatten ihn wohl schon vorgewarnt. Mit ein paar schnellen Schritten war er bei ihnen und kniete sich zu ihr.
„Legen wir ihn hin!“, wies er die zwei schwerbepackten Rettungsassistenten an, die ihm auf den Fersen gefolgt waren. Doch Silke stoppte ihn. „Seien Sie vorsichtig, es kann sein, dass sein Nacken verletzt ist!“
Sogleich holte einer der Sanitäter einen steifen Plastikkragen hervor, den sie Boerne zum Schutz um den Hals legten, bevor sie ihn nach Jaschkes leisem Kommando behutsam aus Silkes Armen hoben.
„Was genau ist mit ihm passiert?“, drängte der Notarzt, noch während er mit Hilfe seiner beiden Kollegen den schlaff in ihren Armen hängenden Mann auf der Trage ablegte. Sofort begann er damit, ihn zu untersuchen.
Silke bemühte sich nach Kräften, ihre Antwort knapp und emotionslos zu halten, doch ihre Stimme zitterte so sehr, dass man sie kaum verstehen konnte.
Jaschke, der hochkonzentriert arbeitete und seinen Helfern immer wieder in kurzen Worten Anweisungen erteilte, verlor sichtbar an Farbe, als sie von Kerns brutalem Schlag und Tritt, der Messerattacke und dem schrecklichen Verlauf der Nacht berichtete.
Während sie sprach, zerschnitt einer der Sanitäter den blutdurchtränkten Verband und klebte einen Stapel Kompressen auf die Wunde. Sein Kollege stülpte Boerne unterdessen eine Sauerstoffmaske über, schloss EKG-Kabel und Überwachungsgeräte an und hängte zusätzliche Infusionen auf.
Es zeigte sich schnell, dass eine reine Sauerstoffgabe nicht mehr ausreichte; in Anbetracht seines kritischen Zustandes entschied Jaschke sich innerhalb kürzester Zeit, den Verletzten zu intubieren.
Nach hektischen Vorbereitungen führte der Notarzt mit schnellen, gekonnten Griffen einen Tubus in Boernes Luftröhre ein. Kaum, dass der Schlauch fixiert war, steckte einer der Sanitäter einen Ambubeutel auf, über den er den tief bewusstlosen Boerne in regelmäßigen Stößen beatmete.
Silke beobachtete sie wie betäubt, spürte die Tränen der Verzweiflung nicht, die ihr einmal mehr lautlos über das Gesicht rannen.
Sie hatte gar nicht bemerkt, dass Thiel, der den Medizinern bei ihrem Eintreffen hastig Platz gemacht hatte, inzwischen neben ihr hockte. Als er nun eine Hand auf ihren Arm legte, zuckte sie zusammen und schaute zu ihm auf. Er seufzte leise, als er ihr tränennasses Gesicht sah und zog sie dann an sich. Erschöpft ließ sie sich in den Arm nehmen, krallte sich so sehr an ihm fest, dass ihre Knöchel weiß hervortraten.
Nachdem Boernes Sauerstoffversorgung gesichert war, wandte sich nun auch Jaschke der Verletzung zu. Er bedeutete dem Sanitäter, die Kompressen wegzunehmen und beugte sich tief nach unten, um einen Blick auf die Wunde zu werfen. Nachdem er dann noch behutsam Boernes Bauch abgetastet hatte, schloss er für eine Sekunde die Augen.
Dann blickte er auf. „Seit wann hat er so hohes Fieber?“
Silke zuckte schwach mit den Schultern. Ihre Augen füllten sich schon wieder mit Tränen, doch unwillig wischte sie sie weg. „Ich kann es nicht ganz genau sagen. Auf jeden Fall schon seit mehreren Stunden.“
Jaschke sagte nichts dazu, aber sein grimmiger Gesichtsausdruck sprach Bände. Dann drehte er sich in einer energischen Bewegung seinen Helfern zu.
„Funkt zur Notaufnahme durch, wir kommen in fünf Minuten zur explorativen Lap. Die Anästhesisten sollen sich auf alle erdenklichen Komplikationen einer Peritonitis einstellen und Blutkonserven bereithalten. Außerdem brauchen wir einen Neurologen, der sich Karls Kopf und Nacken ansieht!“
Noch während er seine Anweisungen herausfeuerte, half er seinem Kollegen, den Professor festzuschnallen, die Trage anzuheben und die Rollbeine auszuklappen. Dann steuerten die Sanitäter den unter einem Wust von medizinischen Geräten halb verborgenen Boerne Richtung Schiebetür. Jaschke dagegen eilte zu ihr. „Was ist mit Ihnen, sind Sie auch verletzt?“
Silke schüttelte erschöpft den Kopf. „Nein, mir ist nichts passiert.“
Er ließ seinen Blick einmal skeptisch an ihr auf und ab schweifen, nickte dann aber nur und drückte kurz ihre Hand. „Ich tue, was ich kann, aber Sie wissen wohl selbst am besten, dass sein Zustand lebensbedrohlich ist“, murmelte er dabei.
Wieder konnte Silke nur nicken; zu sprechen war ihr nicht möglich, denn dann wäre sie erneut in Tränen ausgebrochen.
Jaschke drückte nochmals ihre Hand, bevor er aufsprang und den Sanitätern nachfolgte, die den Professor gerade in den Flur schoben.
Thiels ruhige Stimme neben ihrem Ohr ließ sie ein wenig zusammenzucken: „Nadeshda, Sie gehen mit! Ich komme mit Frau Haller nach, sobald wir sie befreit haben.“
Nadeshda bestätigte mit einem knappen: „Alles klar!“ und war innerhalb von Sekunden aus dem Raum geeilt. Aber Silke beachtete das kaum.
Sie starrte lediglich wie gelähmt auf die Schiebetür, durch die Boerne gerade verschwunden war, und fragte sich, wie er die OP überstehen würde. Ob er die OP überstehen würde; ob sie ihn noch einmal lebend wiedersehen würde.
Sie hatte sich nicht einmal von ihm verabschieden können.
< ---------- Kapitel 15>>