(no subject)

Mar 24, 2010 14:28




Vollendung
Erster Teil

„Zum hundersten Mal, Boerne, ich werde nicht für Sie herausfinden, wo der Mann wohnt! Und übrigens fahren Sie viel zu schnell.“

„Das heißt, Sie wollen diesen… diesen Parkplatzdieb einfach so schalten und walten lassen? Sie sind von uns beiden doch derjenige, dem als aufrichtiger Polizist das Allgemeinwohl am Herzen liegen müsste. Ausgleichende Gerechtigkeit, das sagt Ihnen doch was, oder?“

„Kommen Sie mir nicht mit ausgleichender Gerechtigkeit, nur weil jemand sein Auto auf diesem Parkplatz -“

„- meinem Parkplatz!“

„Der Ihnen nicht mal rechtmäßig gehört. Oder zahlen Sie seit neuestem Miete für alle Parkplätze in ganz Münster?“

„Mein Auto hat immer auf diesem Parkplatz gestanden, Thiel! Jeden Samstag von halb acht bis acht, Frau Haake kann es Ihnen bezeugen. Wir sind gewissermaßen alte Bekannte, dieser Parkplatz und ich. Wieso stellt dieser unverschämte Mensch seine Rostlaube nicht zwei Meter weiter ab, anstatt meinen mir zustehenden Stellplatz zu blockieren?“

„Ja, und was soll ich da machen? Ist ja wohl nicht strafbar, sein Auto dort zu parken, oder hab ich was verpasst? Sonst dürfte ich Ihnen selbst auch Handschellen umlegen… verlockender Gedanke.“

„Wenn ich wüsste, wo der Mann wohnt…“

„Vergessen Sie’s, Boerne. Wenn Sie’s so interessiert, warum fragen Sie dann nicht einfach Frau Haake nach dem Kerl? Die wird ihre Kunden ja wohl kennen.“

„Thiel, ich bitte Sie! Was soll die arme Frau denn von mir denken?“

„Dasselbe wie ich: dass Sie ein kleinlicher Kindskopf sind. Parken Sie doch einfach einen Stellplatz weiter, Mensch. Und jetzt treten Sie endlich mal auf die Bremse, hier ist nur achtzig erlaubt!“

„Ich kann sie unmöglich nach Details über ihre Kunden fragen. Wie sieht das denn aus? Als ob ich fremden Männern hinterher spionieren würde... Nein, nein, das geht nicht, auf gar keinen Fall. Am Ende zieht sie noch falsche Rückschlüsse daraus.“

„Mal was anderes, seit wann kaufen Sie übrigens bei der Haake ein? Ich wusste nicht mal, dass Sie auf diesen Bio-Kram stehen.“

„Es gibt eine Menge, was Sie über mich nicht wissen, mein lieber Thiel.“

„Tjaha, stimmt wohl. Ich hätte schwören können, Sie bestellen sich Ihr Essen übers Internet ins Haus. Passt doch viel besser zu Ihnen.“

„Ich kauf doch nicht die Katze im Sack! Da bekomme ich Gott weiß was ins Haus geliefert und am Ende lande ich auf meinem eigenen Tisch und Alberich diagnostiziert eine Vergiftung durch unerlaubte chemische Zusatzstoffe. Nein, beim besten Willen nicht! Haben Sie heute Morgen die Zeitung gelesen? Der Tomatenskandal hat es bis auf die Titelseite geschafft - Ihr Drogentoter ist Schnee von gestern. Da sehen Sie mal, was so ein bisschen Gemüse anrichten kann.“

„Tomaten, Kokain - an irgendwas muss man ja sterben.“

„Stimmt, bei Ihrem Speiseplan macht das vermutlich auch keinen so großen Unterschied mehr. - Ach, jetzt seien Sie nicht beleidigt, das war ein Scherz, Thiel! Ich mach’s wieder gut, versprochen. Sorgen Sie nur dafür, dass ich heute um halb Acht auf meinem rechtmäßigen Parkplatz halten kann, dann können wir gemeinsam einkaufen gehen. Was möchten Sie denn zum Abendessen?“

„Verschonen Sie mich bloß mit Ihrem Biofraß!“

„Ich habe Sie gerade nett zum Essen eingeladen. Sie sind nicht gerade höflich, das wissen Sie.“

„Sollten Sie doch gewöhnt sein. - Bremsen, bremsen, da kommt einer!“

„Jaja, den hab ich doch gesehen.“

„Haben Sie nicht, Sie haben zu mir rübergeschaut!“

„Nun machen Sie sich mal nicht lächerlich. Beim Autofahren schaut man für gewöhnlich auf die Straße. Nicht mal so ein anspruchsvoller Beifahrer wie Sie würde mich dazu bringen, meine Verantwortung zu vergessen, die ich als -“

„Ah, ham Sie den Blitz grad auch gesehen?“

„Was für einen Blitz?“

„Sie sind geblitzt worden.“

„Unsinn, das war bloß eine Lichtspiegelung in einer Fensterscheibe.“

„Das war ein Blitzer.“

„Das war kein Blitzer.“

„Ich hab’s doch gesehen.“

„Und warum haben Sie dann nichts gesagt? Thiel, ich verlass mich doch auf Sie!“

„Ich hab Sie schon dreimal drauf hingewiesen, dass Sie zu schnell fahren -“

„Sie haben mich abgelenkt!“

„Nein, Sie haben sich ablenken lassen!“

„Das nächste Mal dürfen Sie zu Fuß zum Tatort laufen, das garantiere ich Ihnen, Thiel.“

„Ist doch nicht meine Schuld, wenn Sie nicht fahren können.“

„Sagt mir ein Fahrradfahrer? Sie haben doch gesagt, wir müssten uns beeilen!“

„Ich sagte, schnell und sicher! Wenn wir tot im Graben liegen, hat Münster gleich zwei neue Leichen zu verzeichnen. Das nächste Mal nehm ich echt den Bus.“

„So, Thiel! - jetzt reicht’s!“

„Sind Sie jetzt beleidigt, oder was?“

„Nein, mir reicht es.“

„Ja, und was soll das jetzt? Warum halten Sie? Ich muss zum Tatort - fahren Sie weiter! Mann, Boerne! Was machen Sie denn jetzt? Ich ess meinetwegen auch mit Ihnen den Biofraß heute Abend, aber fahren Sie jetzt weiter, ja?“

„Ich denk gar nicht dran. Sie fahren. Hier, bitte.“

„Ich fahre?“

„Wenn Sie immer meinen, alles besser zu wissen…“

„Sie spinnen ja, Boerne.“

„Danke, danke, das Kompliment kann ich zurückgeben. Was ist? Fahren wir?“

Es war nicht das erste Mal, dass Boerne freiwillig die Schlüssel zu seinem geliebten Auto an Thiel weitergab. In der Regel tat er das unter allerlei sarkastischen Bemerkungen und Ausflüchten, aber er tat es von sich aus. Thiel nahm das Angebot meistens an, seit er verstanden hatte, dass Boerne damit nicht etwa seine Großzügigkeit zur Schau stellen, sondern ihm tatsächlich eine kleine Freude machen wollte. Dass er selbst gar kein so begeisterter Autofahrer war und sich auf dem Beifahrersitz normalerweise recht wohl fühlte, verschwieg er lieber. Warum auch diesen kleinen, heimlichen Moment zerstören?

Und das war nur eine der vielen Situationen, an denen man sah, dass ihre Beziehung sich verändert hatte.

Thiel und Boerne flirteten seit ungefähr vier Wochen miteinander und niemand hatte es bemerkt.

(Fortsetzung im Zweiten Teil)

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