Far Away - 3. Kapitel

Oct 23, 2008 16:42


Es hat sehr, seeehr lange gedauert. Dieses kleine Kapitelchen hat mir aus irgendeinem Grund furchtbare Schwierigkeiten bereitet und ich finde es auch immer noch etwas fragwürdig, vom Inhaltlichen her. Wichtig ist es aber trotzdem.
Also viel Spaß!

Warning: S.Kuttner mentioned ;)

III. - Was ist nur los?

Die nächsten Tage waren seltsam still. Sobald Bela die Bühne betrat, gab es eine heile Welt. Kindisch, eigentlich. Aber vor und nach den Konzerten, der Show, holten ihn immer wieder stechende Kopfschmerzen ein und erlaubten ihm keine gedankenlose, freie Minute. Irgendetwas hatte sich verändert, ganz plötzlich.

Oder war es Bela nur so ganz plötzlich aufgefallen?

Farin war wieder da, in Deutschland, in seinem kleinen weißen Häuschen, was mit seinem mediterranem Flair gar nicht in den feuchten, kalten Norden Niedersachsens passen wollte, dessen Türbogen aber auch viel zu hoch für den Baustil waren. An den Rahmen, wie sie im Mittelmeerraum oder auch in Norddeutschland für die strohgedeckten Flachbauten verwendet wurden, hätte er sich irgendwann zweifellos so viele Beulen gestoßen, dass sein Kopf auf doppelte Größe angeschwollen wäre.

Bela lächelte kurz, setzte sich in seiner angewärmten Schlafkoje kurz auf. Doch da traf ihn erneut ein fieser Stich im Hinterkopf und er lies sich seufzend wieder in die Daunen fallen.

Farin war also zurück.

Schön.

Er war sogar bei seinem Konzert gewesen.

SEINEM.

Er hatte ihm zugesehen, aus dem Publikum heraus.

Eigentlich war das doch alles, was er sich bis vor ein paar Tagen noch gewünscht hatte.

Oder nicht?

...

Doch. Schon.

Und irgendwie auch nicht. Es war enttäuschend gewesen. Bela verzog das Gesicht. Autsch. Er tastete in dem angeschraubten Regal neben ihm nach Aspirin.

Eine Packung. Aber kein Wasser...

Er stöhnte genervt in sein Kissen. Es war mitten in der Nacht, sie fuhren und fuhren, seine Bandkollegen schnarchten und schnarchten und wenn er jetzt einen von ihnen aufwecken würde, wäre wieder einmal die Hölle los. Da er allerdings nach wie vor keinen Sklaven besaß, der immer wach in einer Ecke angekettet saß und auf seine Befehle wartete, musste er den Weg bis zu der kleinen Küchenzeile selbst auf sich nehmen. Ausgerechnet heute Abend hatte sich niemand eine Flasche Wasser mit zu seinem Schlafplatz genommen.

Sich schließlich doch dem Schicksal und seinem Durst beugend, stieg er barfuss die eiskalten Stiegen hinab, die silbrigen Stangen verschwammen vor seinen Augen. Als er am Boden angekommen war, musste er sich minutenlang am Bett seines Gitarristen abstützen. Weiße Punkte tanzten vor seinen Augen einen fröhlichen, aber wirren Reigen und er taumelte fast schon benommen bis zu der kleinen Sitzgruppe weiter vorn im Bus. Er hatte gar nicht bemerkt, dass sie stehen geblieben waren. Raucherpause wahrscheinlich.

Es war sein Glück, denn bei voller Fahrt wäre er mit Sicherheit aus dem Gleichgewicht und unsanft zu Boden gebracht worden. So sank er noch rechtzeitig auf der gepolsterten Bank nieder und trank einen Schluck (noch nie war ihm ein Schraubverschluss als ein so großes Hindernis vorgekommen, wie in diesem Moment) aus einer Flasche abgestandenen Mineralwassers. Seine Sicht wurde klarer, er atmete tief durch, fuhr sich durch die verschwitzten Haare.

Sekunden später waren die Schmerzen nur noch größer geworden und hatten - so ganz ohne den Taumel der nahenden Ohnmacht - noch schärfere Umrisse bekommen. Er registrierte kaum, dass der Bus wieder anfuhr, bis ein Hinweisschild hinter der rettenden kalten Fensterglasscheibe vorbei flitzte.

FrankFUrt.

Hastig trank er noch einen Schluck, wobei ihm ein Schwapp Wasser über Kinn und Hals spritze. Dieser Kerl machte ihn krank.

Schneller als es Bela lieb war schritt das Jahr fort und somit auch seine erste ganz eigene Solotour. Was beständig anhielt waren seine schweren, schmerzhaften Gedanken an Farin Urlaub und ihre letzte zweifelhafte Begegnung auf dem Bahnhof. Natürlich hatte er schon vorher oft an den blonden Riesen gedacht, seit diesem Morgen auf dem kölschen Gleis allerdings, hatte sich ein unangenehm flaues Gefühl in seinen Magen gelegt, welches ihn stets daran erinnerte, dass er seinen ehemals besten Freund bald wiedersehen würde und dass er nicht die leiseste Ahnung hatte, wie er ihm gegenüber treten sollte.

Dieser Ideenlosigkeit zum Trotz holten ihn die Kopfschmerzen immer wieder ein und es fühlte sich an, als würde sein Schädel zum zerbersten gefüllt sein. Er war es eigentlich auch. Ständig wurde Bela konfrontiert mit Fragen, die zu klären, Fakten, die zu entscheiden, Terminen, die festzulegen waren. Er fühlte sich gerade so, als sei er zu genau dem geworden, was er nie hatte werden wollen.

Eine gehetzte, von einem Geschäft zum nächsten rasende Businessmaschine.

Die Flut an Interviewinteressenten, Senderbesuchen und Bandorganisatorischen Dingen rauschte an ihm entlang und bis auf den unheilvollen blonden Störfaktor in seinem Kopf fand Bela nur eine einzige Konstante, einen Stein im Fluss, an den er sich klammern konnte:

Sarah.

Kaum hatte der Tourbus ihn vor ihrer Haustür abgesetzt, lies er kaum noch von seiner Freundin ab. Sie freute sich zunächst, wie ein Haushund, mit dem monatelang niemand Gassi gegangen war. Jeden Abend führte er sie aus, besuchte mit ihr Kinos, Restaurants, Bars, einmal sogar das Theater und verwöhnte sie und sich selbst nach Strich und Faden, ohne dabei auf seine Ausgaben zu achten. Das lag allerdings auch an seiner inneren Euphorie. Die erste Bingo-Auflage war ausverkauft. Wirtschaftlich ging es für ihn weiter steil bergauf. Bela wurde übel, als er eines Abends im Zug auf der Schnellstrecke Hamburg - Berlin saß, und diesen Sastz, dieses Wort dachte.

Wirtschaftlich.

Ein Brechreiz überkam ihn und er starrte einen Moment lang mit leerem Blick auf den Bildschirm seines Laptops. Ihre Managerin hatte eine Rundmail geschickt. Das Meeting stand in ein paar Tagen an. Darunter eine Liste mit den abzuarbeitenden Punkten.

Ich steig aus.
Es war einen Augenaufschlag lang sein fester Entschluss, danach brachen sogleich die mittlerweile unzähligen lauten Stimmen seines Gewissens in haltloses entsetztes Gebrüll aus. Nein. Er konnte nicht. Er war gefangen im ach-so-wunderbaren Kosmos, der sich Die Ärzte nannte. Nur kurz war ihm ein Ausflug, ein Freigang in die unbedarfte, künstlerisch-kreative, ihm eigene Natur gegönnt gewesen, mit diesem Solo-Ding. Mit Bingo. Mit Bela B. y Los Helmstedt. Jetzt würde er bald wieder ein Drittel der besten Band der Welt sein. Er wollte es nicht. Erneut durchzuckte seinen (natürlich) längst wieder schmerzenden Kopf ein Gedanke. Konnte er es überhaupt noch sein? War er noch der Schlagzeuger, den andere von ihm erwarteten? War er noch der Konterpart zum blonden, stetig grinsenden Gitarristen? Eine ihm fremde Panik überkam Bela. Er spann sich eine hastige Lüge, eine furchtbar unglaubwürdige Ausrede, warum er nicht zum Bandmeeting erscheinen konnte, zusammen, schrieb sie jedoch wie in Zeitlupe nieder. Als er sie abschickte, zitterte er und fuhr sich mit eiskalten Fingern über sein sachte verschwitztes Gesicht. Er hatte doch tatsächlich Angst vor ihm.

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