21: Zehn neue Freizeitideen...

Dec 28, 2010 13:36

Title: Zehn neue Freizeitideen für Sie und Ihre willenlose menschliche Marionette (Teil I)

Fandom: Harry Potter

Language: German

Rating: T (Thematik, Sprache)

Disclaimer: Everything belongs to JK Rowling

Warnungen: In Gesprächen werden u.a. Schwangerschaftsabbruch, Character Death, Homophobie und Traumatherapie thematisiert.

Charaktere: Emmeline Vance, Lily Evans, Marlene McKinnon, Bellatrix Lestrange, ein OC namens Polly

Zusammenfassung: London im Frühjahr 1980, das Leben ist schon lange nicht mehr lustig. Emmeline und Lily wollten eigentlich nur einen Regenschauer mit Kaffeetrinken überbrücken und auf einmal wird das Gespräch todernst. Später passieren noch schrecklichere Dinge. Introducing Marlene McKinnon als supernerdige Chefarithmantikerin des Phönixordens. Emmeline/OC, Lily/James, Femslash, voraussichtlich vier Teile.


Zehn neue Freizeitideen für Sie und Ihre willenlose menschliche Marionette (Teil I)

Wenige Dinge, denkt Emmeline, können einen Menschen nachhaltiger fertigmachen, als wenn die Realität einen ausgeprägten Enthusiasmus abrupt ausbremst. Sie muss darüber jetzt ein Gespräch anfangen, sie muss! Zwar hat sie Lily ein gefühltes Jahrhundert lang nicht gesehen, das ist aber, findet Emmeline, noch lange kein Grund, sie nicht gründlich über das Wetter zuzuschwallen.

"Das war ja so klar," sagt sie. "So klar. Man kommt morgens im Dunklen an, was heißt das überhaupt, morgens, das ist ja wohl eher nachts, wenn es noch dunkel ist, und verbringt den ganzen Tag unterirdisch und plant Strategien, und wenn die Strategien dann irgendwann mal fertig geplant ist, erwartet man ja eigentlich, dass ja jetzt draußen die Sonne scheinen könnte, ist ja beinahe Frühling und alles, und was ist -"

Sie schaut Lily von der Seite an. Die knöpft noch im Gehen auf den letzten Metern ihren offensichtlich neuen Mantel zu (der ist nämlich Lichtjahre entfernt von Lilys zu Schulzeiten zurschaugestellten Muggel-Couture und außerdem etwas, hüstel, weiter geschnitten), und Lily wirft einen Blick auf das ganze Elend und bleibt dann neben Emmeline stehen. Ihr schöner Mund in dem sommersprossigen Gesicht verzieht sich und sie sagt, "Pisswetter".

"Ja, das ist natürlich auch eine Art, das auszudrücken," sagt Emmeline. "Du hast nicht zufällig einen Regenschirm dabei?"

Lily zuckt mit den Schultern. "Wer konnte des dann ahnen, dass das schon wieder regnet? Ich meine, das muss doch irgendwann mal aufhören."

"In London?" fragt Emmeline. "Mitte März? Das ist auch für mich ein Schock, muss ich zugeben."

Emmeline ist etwas ratlos und an Regenschirme ohnehin nicht gewöhnt. Bloß leider ist mit dem Apparieren zur Zeit so eine Sache, weil Marlene, die Chefarithmantikerin im Phönixorden, durch clevere Berechnungen, die keiner verstanden hat, festgestellt hat, dass der parallele Apparationsraum derzeit verwanzt ist. Bisher hat sie es noch nicht hingekriegt, die Lücke zu schließen. Wenn Emmeline und Lily also nach Hause wollen, werden sie wohl nass werden müssen, da beißt die Maus keinen Faden ab. Und wenn Emmeline nass wird, kriegt sie ihre Sachen nur ganz schlecht trocken, in ihrer Muggelwohnung in Soho geht schon seit zwei Wochen die Heizung nicht.

Lily schweigt, zieht eine Packung Kaugummis aus der Manteltasche, packt einen davon umständlich aus und steckt ihn sich in den Mund. Sie ist in letzter Zeit so verdrießlich, findet Emmeline, und bietet Lily eine Zigarette an, während sie im Foyer des Zaubereiministeriums optimistisch darauf warten, dass der Regen irgendwann wieder aufhört. Die besten Auroren des Ministeriums, die tollsten Superspione von ganz England, die fantastischsten Mitglieder des gesamte Phönixordens, denkt Emmeline, und sie haben keinen Regenschirm dabei. Ein Mad-Eye Moody würde sich schämen, sie zu kennen.

"Ich hab aufgehört," sagt Lily nach einer kurzen Pause, in der alles möglich ist.

Emmeline stöhnt. "Dir ist schon klar, dass du diejenige bist, die die Dinger überhaupt erst nach Hogwarts mitgebracht hat? Und jetzt gehst du hin und hörst einfach auf!"

"Das hab ich dir doch schon mal erzählt, dass ich aufgehört habe," sagt Lily, was aus Emmelines Sicht keine besonders effektive Verteidigung darstellt.

"Oh nein, eine werdende Nichtraucherin," sagt Emmeline. "Wir sind verloren." Wenn sie ganz ehrlich mit sich selbst ist, denkt Emmeline, muss sie aber zugeben, dass man das jeweils aktuelle Versteck des Phönixordens zuweilen an aufsteigenden Qualmwolken erkennen kann und dass das auch nicht so clever ist.

"Und das hast du auch schon darauf geantwortet," meint Lily und kaut auf ihrem Kaugummi herum.

"Tut mir Leid," sagt Emmeline, und sie meint es ernst. "So viel zu tun und nur begrenzte Aufmerksamkeit. Ich hab's echt vergessen." Sie betrachten den Schnürchenregen aus dem halbwegs Trockenen heraus, da geht die Tür auf und Emmelines Streichholz erlischt im Luftzug. Ein Mann hastet herein, offensichtlich auf der Flucht vor dem Mistwetter, und hält den zur Regenabwehr entfalteten Tagespropheten immer noch auf dem Kopf fest. Dabei rempelt er Lily an, die einen Augenblick verdächtig schwankt. Dann hält Emmeline sie am Arm fest, die Situation stabilisiert sich, und Lily sagt, "Obacht, mein Herr!"

Der Mann ist offensichtlich schon auf Weiterreise, aber dreht sich noch einmal um, hat schon zu einer Entschuldigung angesetzt, dann sieht er Lily ins Gesicht, lacht, und hastet weiter.

Unter Sprachlosigkeit hat Emmeline noch nie gelitten. "Ey, sag mal, hast du sie nicht mehr alle oder was?" ruft sie dem Mann hinterher.

"Emmy," sagt Lily.

"Na ist doch wahr," sagt Emmeline. "Der Vollidiot hat sie doch nicht mehr alle! Vollidiot!" Das letzte Wort kommt wieder etwas lauter, immerhin sollen die anderen Mitarbeiter am Empfang auch etwas davon haben. Der Mann selbst steht schon am Aufzug und schaut sich gar nicht mehr um.

"Emmy, sei still!" sagt Lily. "Das bringt doch alles nichts." Sie seufzt.

"Kanntest du den Typen denn?" fragt Emmeline. Sie schüttelt ein neues Streichholz aus ihrer Schachtel.

"Hab ihn noch nie gesehen," sagt Lily. Sie sieht sich vorsichtig um. "Der fährt aber zur Abteilung für Regulierung magischer Geschöpfe. Aber ich vermute schon ewig, dass die eine Fotokartei mit Muggelgeborenen haben, erst letztens ist mir schon wieder so ein Typ mit Kamera hinterhergestiegen. Unmöglich, echt. Aber glaubst du, hier hört mir jemand zu oder was? Die nennen mich paranoid, ist denn das zu fassen."

"Ich hör dir zu," sagt Emmeline, steckt ihre Zigarette im zweiten Versuch an und fragt dann, zu spät, "Stört's dich denn, wenn ich eine rauche?"

"Seh ich aus als wär ich aus Pappe oder was," murmelt Lily, und Emmeline pustet dankbar den Rauch in eine andere Richtung.

Damit ist der Typ wohl erst einmal abgearbeitet, und wie um das zu betonen, sagt Lily nach einem weiteren Blick in das amorphe Grau draußen, "Komm, lass uns noch einen Kaffee in der Kantine trinken gehen, das bringt doch alles nichts hier, und außerdem haben wir uns schon ewig nicht gesehen."

Und das ist ja nun wirklich ein großes Mysterium, denkt Emmeline, immerhin sind sie beide Aurorinnen und arbeiten sogar mehr oder weniger in der gleichen Abteilung. Aber dank Geheimhaltung und Phönixorden ist irgendjemand eigentlich immer irgendwo auf Geheimmission, da kommt es schon mal vor, dass man sich ewig nicht sieht.

Die MoM-Kantine befindet sich im ersten Stock, und aufgrund der schönen Panoramafenster kann man sich auch hier das scheußliche Wetter gut zu Gemüte führen. Emmeline nimmt sich einen Milchkaffee, inzwischen hat sie aufgeraucht, und Lily nimmt sich einen Milchkaffee und ein gefülltes Plunderteilchen und bezahlt für sie beide, und sie setzen sich möglichst abseits von anderen Leuten in eine Ecke des Speisesaals. Emmeline rührt noch ein Tütchen Zucker in ihren Kaffee, was sie sonst nicht macht, aber der Kaffee ist nicht sehr gut.

Und Lily sagt dann noch, "Wenigstens hast du heute sowas wie einen Erfolg gehabt mit deiner Strategieplanung. Sie haben meine Präsentation schon wieder um eine Woche nach hinten verschoben, ist das zu glauben? Erst lassen sie mich seit neuestem nur noch den ganzen Bürokram machen und dann -"

Sie hustet den Kaugummi höflich in eine Serviette, dann beißt sie in das Gebäckstück und es bröselt auf verdächtig unfrische Art. "Die sind nicht von heute," sagt sie.

"Das war doch die Sache, die du das letzte Mal erwähnt hast, mit dem Dingens hier, dem - na wo du schon eine ganze Weile dran sitzt halt. Sag schon." Emmeline hat keinen blassen Schimmer, worum es geht. Das Retten der Welt geht wohl nicht ganz ohne Verluste.

"Obliviate," sagt Lily. "Das muss endlich effektiv verfolgt werden, dieser völlig frivole Gebrauch von Obliviate, aber im Moment bekommen die Täter ja noch einen Strafnachlass hinterhergeschmissen, wenn sie das Gedächtnis ihrer Opfer löschen, und das ist so eine beschissene neue Mode geworden, verdammte -"

"Das kriegst du nicht durch," sagt Emmeline. Endlich erinnert sie sich wieder. "Das machen die nicht mit."

"Es ist aber wichtig!" sagt Lily. "Ich hab das in St. Mungo's alles gesehen in meinem Praktikum, und behandel mal ein Trauma, wenn du an keine bewusste Erinnerung rankommst, da muss man echt schwere Geschütze auffahren, du musst die Erinnerung wiederherstellen und da kannst du sie eigentlich gleich ein zweites Mal traumatisieren, das ist doch alles -"

"Ich weiß das, Lil," sagt Emmeline.

"Und bei Muggels wird im Gedächtnis rumgepfuscht, als würden sie irgendwo noch ein zweites rumliegen haben, aber wer denkt schon an Muggels, ich find das alles so derartig zum -"

"Ich weiß das alles, Lily," sagt Emmeline. "Und weißt du was, du hast sogar recht. Aber du kriegst das nicht durch. Barty hat gerade für die Auroren die Unverzeihlichen autorisiert bekommen. Hat er eben auf der Strategiesitzung gesagt. Obliviate ist ja schon noch 'ne Nummer kleiner."

"Soso, autorisiert bekommen hat er sie also, der Herr Crouch," sagt Lily. "Na, das ist ja allerhand. Und wann erfahr ich davon?"

Ehrlich gesagt, hofft Emmeline, dass der Regen bald vorbei ist und der erbärmliche Plunder bald aufgegessen ist. Den unterirdischen Kaffee kann man ja notfalls stehenlassen. Das ist ja kein Gespräch hier.

"Naja, jetzt ja offensichtlich," sagt sie. "Tada!" Albernheit siegt, das ist eine todsichere Strategie für... nun ja, für Prüfungen in Kräuterkunde, zumindest ursprünglich mal.

"Und gibt's da jetzt vielleicht auch eine betriebliche Weiterbildung dazu?" sagt Lily. "Crucio für Anfänger? Zehn neue Freizeitideen für Sie und Ihre willenlose menschliche Marionette? Das Freitöterabzeichen mit AK-Kompetenznachweis?"

"Was ich damit sagen wollte," sagt Emmeline, "und übrigens fand ich das grad nicht so witzig, ich meine, das ist ja wohl nicht meine Schuld jetzt -"

"Und kannst du dir das vorstellen," sagt Lily, "also, ich meine, wir sitzen dann alle quasi in so einer Personalentwicklungsmaßnahme rum, den ganzen Tag bei diesen HR-Leuten im dritten Stock, das zieh dir mal rein, und vorne steht er dann also, der feine Herr Crouch, und sagt," sie benutzt zwei Finger und eine hochgezogene Oberlippe für eine im Grunde recht possierliche Schnauzbartimpression, "'und denken'S stets dran, meine Herren Auroren, und, äh, sind Damen anwesend, dann natürlich auch meine Damen Aurorinnen' und hast du gemerk, er fragt immer ob Damen anwesend sind, dabei sind immer Damen anwesend, 'denken'S immä dran, a möglichst viel sprachlose' Hass z'empfinde' bei diese' Zauber, und vergessen'S net hinterher den Zättel ausz'fülle', dass Sie den benutzt han, gell, das muss alles dokumentiert werde' muss das -' und anschließend gibt's Kaffee und Schmalzkringel, ja?"

"... Also, ich wollte dir eigentlich bloß den Rat geben, da im Moment nicht so viel Energie reinstecken," sagt Emmeline, "es fehlt ja wirklich an allem zur Zeit. Dann musst du ja auch nicht die ganze Büroarbeit machen, da bewegt sich ja vorerst eh nichts. Und jetzt, wo Alice ja eh erstmal ausfällt -"

Es entsteht eine Pause und die wird auch richtig unangenehm, und da Emmeline Pausen im Gesprächsfluss ohnehin nicht besonders gut erträgt, brabbelt sie weiter, "da könnte man dann auch wieder Todesser jagen, ich meine, wir müssen ja keine Gedächtnisse löschen, da gibt's ja bei uns gar keinen Anlass zu, und dann kommst du auch mal wieder an die frische Luft, Lily."

Und schon wieder so ein Loch in der Konversation. Hilfe, denkt Emmeline, die wachsen zusammen und dann Gute Nacht, dann kann man genausogut schweigend im Regen nach Hause gehen und anschließend seine Sachen nicht trocken kriegen.

"Würde dir auch mal guttun, frische Luft," sagt Emmeline. "ich meine, die anderen reden schon, also nicht dass ich da mitrede," Lily soll was sagen, verdammt, weil Emmeline gerade merkt, dass sie sich um Kopf und Kragen quatscht, "du wirst ja sicherlich deine Gründe haben, und die anderen reden eigentlich auch nicht, aber es fällt doch auf, ich meine, das wird man ja vielleicht mal zur Sprache bringen können, dass du, seit du so richtig mit Jim zusammen bist und nicht nicht nur so ein bisschen, also dass sich da grade irgendwas retraditionalisiert bei euch im Rollenverhalten, ist dir das noch nicht aufgefallen?"

"Kannst du nicht mal zehn Sekunden stille sein, Emmy," sagt Lily missmutig. Es folgt eine weitere Pause im Gespräch, und Emmeline beißt sich auf die Zunge. Man muss auch mal schweigen können. Als Superaurorin und Mitglied im Phönixorden sollte man sowas hinkriegen!

Sie schaut noch mal rüber. Aber Lilys Laune ist wohl gekommen, um zu bleiben.

Lily tunkt eine Ecke des Plunderstücks in den Kaffee, ganz als ob für den einen oder anderen Bestandteil dieser Liaison noch Hoffnung bestünde.

"Wir bekommen ein Baby," sagt sie dann.

"Oh Gott," sagt Emmeline. Gut, denkt sie selbstkritisch, die Reaktion hätte begeisterter ausfallen können, aber man kann ja nicht alles als gegeben annehmen. Sie weiß zwar einige Dinge über Muggels, hat aber nicht viel Erfahrungen mit schwangeren Freundinnen und weiß nicht, ob ein "Behältst du es?" in dieser Situation wirklich taktvoll ist. Wahrscheinlich eher nicht.

"Hm," sagt Lily, tunkt die bereits getunkte Plunderecke ein zweites Mal, woraufhin diese desintegriert. Sie rettet die durchweichte Ecke mit dem Kaffeelöffel, steckt sie in den Mund.

Nur wenige Informationen auf dieser Welt können Emmeline auf Dauer verstummen lassen, und auch die hier ist keine Ausnahme. Vielleicht sollte sie sich rantasten.

"Wie lang hast du noch?" fragt sie.

"Ende Juli," sagt Lily.

Es ist März. Emmeline rechnet, dann stöhnt sie. "Und ich Vollidiot dachte, du hättest bloß zugenommen."

"Naja," sagt Lily. "Stimmt ja irgendwo."

Das geht hier alles nicht nach Plan, denkt Emmeline, das geht hier alles nur noch den Bach runter. Wenn wenigstens die Zeiten normaler wären. Das ist doch kein geeigneter historischer Hintergrund für eine Familiengründung!

"Und freust du dich?" fragt sie. "Das ist doch das wichtigste, wenn du dich freust."

"Naja," sagt Lily, und sie fährt sich mit der Hand durch die Haare. "Ich hab schon drüber nachgedacht, es wegmachen zu lassen. Und jetzt guck nicht so, bei den Muggels geht das schon lange -"

"Weiß ich doch," sagt Emmeline. "Sehr fortschrittlich, sag ich immer."

" - und die müssen nicht nachts in der Verbotenen Abteilung rumwühlen und mit lebensgefährlichen Zaubern rumexperimentieren und sich anschließend von der Schule werfen lassen, oder gleich nach Azkaban, das ist übrigens mein anderes Projekt neben Obliviate, das kann ja wohl nicht angehen in einer zivilisierten Gesellschaft, und jedenfalls hab ich jetzt den Faden verloren, weil man sich ja wirklich über alles aufregen könnte zur Zeit, ich hab also drüber nachgedacht und festgestellt, dass es grundsätzlich willkommen ist, ich meine, das entscheide ich doch und nicht die Terroristen, soweit kommt's noch. Komischer Akt des Widerstands, aber da hast du's."

"Also dann," sagt Emmeline, "herzlichen Glückwunsch. Und, äh, James? Freut der sich?"

"Na, für den ist es ein kleines bisschen zu spät, sich zu beschweren," sagt Lily, und ihre Augen blitzen. "Natürlich freut der sich."

"Also freuen sich alle," sagt Emmeline. "Prima."

"Freu dich gefälligst ein wenig echter," sagt Lily. Dann lacht sie. "Ich wäre vermutlich auch ein wenig befremdet, wenn du plötzlich schwanger wärst, mach dir da mal keine Illusionen."

"Naja," sagt Emmeline. "Was so die Natur der Sache angeht, also ich wär mehr als befremdet. Obwohl, bei der Fruchtbarkeit im Phönixorden, das ist bestimmt ansteckend - au!"

Mit einem zusammengeknüllten Kaugummipapier beworfen zu werden, tut im Grunde gar nicht so weh.

"Also apropos jedenfalls," sagt Lily nach erfolgter Kaugummipapierattacke. "Wie geht's Polly?"

"Ja, gut, denke ich, sie braucht aber gerade echt Zuwendung," sagt Emmeline. "Sie ist heute nacht ziemlich spät und ziemlich besoffen nach Hause gekommen, aber holla die Waldfee, da musste ich schon wieder weg, Strategiesitzung, weißt du ja, ich fahr dann kurz nach Hause und red mit ihr und heute abend trifft sich ja auch wieder der Orden und dann reich ich 'ne Petition ein, den Durchschnittstag mit achtundzwanzig Stunden auszustatten, und übrigens hätte sie mich vor einer Weile beinahe verlassen."

"Was, warum denn das?"

"Naja," sagt Emmeline, "ich hätte mich auch verlassen, da müssen wir der Wahrheit einfach eiskalt ins Auge sehen. Ich hab ihr gesagt, ich geh bloß Croissants holen für's Frühstück und da stand auf einmal Albus hinter mir an der Kuchentheke an und schwups hatte ich einen Auftrag an der Backe, zweieinhalb Wochen auf geheimer Mission und nicht zu erreichen."

Sie seufzt, gibt dem Kaffee noch eine Chance.

"Ich durfte ihr ja immer nix sagen," sagt Emmeline, "hast du gewusst, dass man Muggel nur einweihen darf, wenn sie zur unmittelbaren Familie gehören oder man sie gerade geheiratet hat, und das fällt bei uns ja nun irgendwie flach, mal völlig abgesehen davon, dass das nach der Hochzeit eh ein völlig bescheuerter Zeitpunkt für sowas ist; das macht einen doch ganz krank, die Sorgen und alles, ich meine, was wenn mir was passieren sollte, sie erfährt das doch gar nicht, das hättest du das letzte Mal erleben sollen, als ich dann wiedergekommen bin, sie ist zur Polizei gegangen mit allem pipapo. Oder wenn ich nicht wiederkomme, dann sind die Jungs vom Ministerium im Stande und löschen mich aus ihrem Gedächtnis. Von euch kennt sie doch keiner." Sie steckt sich eine zweite Zigarette an. "Scheiße, oder?"

"Ich hab sie kennengelernt," sagt Lily. "Letztes Jahr beim London Pride, weißt du nicht mehr?"

"Ich war völlig hinüber," sagt Emmeline, "aber klar, stimmt ja. Hey, Lily, würdest du ihr Bescheid sagen, wenn mir was passiert?"

Lily verzieht ihr Gesicht. "Dir wird nichts passieren," sagt sie in völliger Missachtung der Wahrscheinlichkeitsverteilung.

"Klar," sagt Emmeline. "Was soll schon passieren? Wir sind ja bloß die zentrale Terrorabwehr. Also. Würdest du ihr Bescheid sagen, wenn mir was passiert?"

"Klar doch, mach ich," sagt Lily in dem unbeschwerten Tonfall, den sie für solche Gesprächsthemen reserviert haben. "Jetzt mal in dem unwahrscheinlichen Fall."

"Ich meine, ich glaube nicht dass das noch sehr lange überhaupt möglich ist mit uns -," sagt Emmeline.

"- warum das?"

"Naja," sagt Emmeline. "Es ist ja doch sehr unehrlich. Ich hab ihr gesagt, ich arbeite für die Regierung und kann ihr nicht sagen, was ich genau mache, und sie sagt sie akzeptiert das und sie ist da ganz relaxed, manche würden's wohl auch entrückt nennen, aber manchmal hab ich echt den Eindruck, sie denkt, dass ich Strafzettel fürs Falschparken verteile, und außerdem hat einer im Ministerium so komische Andeutungen gemacht, der wurde richtig unangenehm, und - es ist einfach heikel zur Zeit. Wenn die an Polly rankommen..."

"Ich habe niemandem was gesagt," sagt Lily.

"Weiß ich doch," sagt Emmeline, "irgendjemand muss aber gequatscht haben, scheiß sorgloses Outen unter Freunden, irgendein Arschloch oder Trottel ist immer darunter, und jedenfalls - echt, als gäbe es nicht genug Probleme. Wenn ich ihr nur einfach alles sagen könnte, hab ich bisher gedacht, also im Rahmen des für Staatsgeheimnisse üblichen, meine ich. Und jetzt hat ihr kleiner Bruder Post von Hogwarts bekommen und ich kann's ihr immer noch nicht erzählen, weil wir inzwischen 'ne ganz neue Sicherheitsstufe haben, und ehrlich, je weniger Muggel vom Terror wissen, desto besser wahrscheinlich, die werden ja als erstes zum Ziel."

"Moment," sagt Lily, sucht sich offenbar im Wortschwall einen verdaulichen Fakt aus, "ich denke, die haben die Aufnahme von Muggelgeborenen für dieses Jahr ausgesetzt? Zu ihrer eigenen Sicherheit oder so ein ähnlicher Quatsch."

"Das war schon im Februar, er ist da grad noch reingerutscht. Das heißt, vorläufig, für dieses Jahr wird gerade noch diskutiert, und wenn sie diskutieren, sind die Mitarbeiter mit den Zauberstäben nicht weit."

"Stimmt," sagt Lily, "ich erinnere mich ganz genau, dass ich mich vor circa drei Wochen tierisch darüber aufgeregt habe. So viele Aufreger. So wenig Zeit."

Emmeline denkt daran, wie schön sie sich die Sache ausgemalt hat. 'Polly,' hätte sie gesagt, 'ich muss dir was wichtiges sagen, setz dich mal hin.' Und Polly hätte sich so erwartungsvoll aufs Sofa gesetzt, und Emmeline hätte gesagt, 'äh, Polly, du solltest unbedingt wissen, dass ich -" äh, was? Eine Hexe bin? Sowas wie dein kleiner Bruder, was du nebenbei bemerkt auch noch nicht so richtig verarbeitet hast? Und bevor sie fertig gewesen wäre mit Nachdenken, hätte Polly wieder irgendetwas putziges gesagt, z.B. 'Emmeline, du bist doch nicht etwa eine... Lesbierin?' in dem Tonfall, in dem es Pollys Mum damals zu ihr gesagt hatte, und dann wäre Emmeline schon wieder zu abgelenkt gewesen und hätte vermutlich gesagt, 'ach, ich find das schon ganz heiß mit den ganzen Mädels', und dann verliert sie gedanklich den Faden.

"Wie hat sie's denn aufgenommen?" fragt Lily. "Also mit ihrem kleinen Bruder. Wenn sie das gut aufgenommen hat, dann wäre das doch schon mal ein Zeichen."

"Naja, sie ist wohl noch ein wenig überwältigt davon," sagt Emmeline. "Und ich weiß nicht, ob sie es wirklich glaubt."

"Ich war damals auch überwältigt!" sagt Lily. "Und meine große Schwester hat's bis heute nicht überwunden, aber nimm dir die mal nicht als Beispiel, das wird schon. Hast ja Zeit. Also sofern du nicht wirklich vorhast, sie zu verlassen, da würde ich mir den Aufwand allerdings sparen."

"Ja, danke," sagt Emmeline. "Eventuell sollte ich ihr einfach was charmantes vorzaubern, damit kriegt man sie meistens, damit kann man ja den Anfang machen."

"Ja," sagt Lily, "Zauberstäbe sind ja vielseitig einsetzbar in der Beziehungsarbeit."

Emmeline knufft sie, aber nur sanft. Es ist erstaunlich und schön, findet Emmeline, dass man mit Lily wenigstens reden kann, ohne dass die sich gleich auf die metaphorische Récamière wirft und nach dem Riechsalz verlangt. Sie erinnert sich, wie Lily mal irgendwann in Sektlaune gesagt hatte, "Emmy, wenn's eine Frau wäre, wärst du's", was man in Sektlaune halt so sagt (z.B. könnte eventuell, unmittelbar vorher, eine hier nicht näher benannte Aurorin in Sektlaune damit herausgeplatzt sein, dass sie auf Hogwarts zwei Jahre lang in Lily verknallt gewesen war, unglaublich wie lange sie es damals geschafft hat, die Klappe zu halten), und das geht jetzt an Gedankengängen aber endgültig zu weit, immerhin sind sie beide gerade halbwegs glücklich vergeben.

Das ist natürlich alles Quatsch letztendlich, natürlich wird Emmeline Polly gar nichts erzählen, sie wird heute noch mit ihr reden und die Sache beenden, das hätte sie schon vor Monaten tun sollen, damals im Spätherbst, als die Beziehung auf einmal umkippte und so ein ernsthaftes Ding wurde, nicht nur mit Croissants zum Frühstück, sondern auch mit gemeinsamen Besuchen im Baumarkt (die erste gemeinsame Bohrmaschine! Obwohl, es war naturgemäß eigentlich mehr Pollys Bohrmaschine) und ausgiebig ausgesuchten Weihnachtsgeschenken, und überhaupt, denkt Emmeline, sollte es jedem denkenden Menschen eigentlich klar wie nur sonstwas sein, dass sie gerade nicht nur wegen dem bisschen Regen das Nachhausegehen derartig hinauszögert.

Und sie wird heute noch Polly verlassen und dann zum Treffen des Phönixordes gehen und sich dann eine Runde betrinken und wenn sie dann nicht ganz stark aufpasst, könnte es passieren, dass sie doch noch deprimiert Lily anflirtet. Ach, könnte doch schon morgen sein!

"Sag, kommst du eigentlich heute abend?" fragt Emmeline daher. Wenn sie sich schon alle Schrecklichkeiten ausmalt, möchte sie sich wenigstens auf die Details verlassen können.

"Was soll ich denn bitte sonst machen?" fragt Lily. "Einen Kochkurs vielleicht?"

"Weiß nicht, irgend so ein Schwangerending halt," sagt Emmeline. "Beckenbodenyoga, Bauch einölen, saure Gurken essen... oder hey! Eine Runde zünftig gebären, wie klingt das für dich?"

Sie wird prompt zurückgeknufft. "Gebären!" sagt Lily. "Was für ein absurdes Konzept! Nee, ich komm heute abend. Überhaupt, ich denke ich gebe die Sache beim Ministerium auf und arbeite nur noch für Dumbledore, da fühl ich mich irgendwie wertgeschätzter."

"Ist das nicht irgendwie, äh -", beginnt Emmeline, vielleicht weil es im Narrativ ihrer Gesellschaft so vorgesehen ist.

"Was jetzt?" fragt Lily.

"Gefährlich? Für das Baby? Also nicht dass ich -"

"Es wäre gefährlich für das Baby, in einer Welt aufzuwachsen, in der es aufgrund seiner Herkunft vogelfrei wäre," sagt Lily kühl. "In der ich es nicht schützen könnte, weil man mir den Zauberstab abgenommen hat, und in der sein Vater es auch nicht schützen könnte, weil er wegen einer vorgeschobenen Nichtigkeit in Azkaban sitzt. Von der ganzen frischen Luft, die ich bekomme, ganz zu schweigen. Das ist ganz hervorragend für Babys."

"Siehst du, das hab ich schon von Anfang an gepredigt -"

"Und außerdem will ich ja meine eigene Wichtigkeit nicht schamlos übertreiben, aber lass uns da mal ganz ehrlich sein," sagt Lily. "Ich bin die einzige, die in dem Laden einen Plan von Muggels hat. Naja, du vielleicht noch, wegen Polly, und Marlene, sofern es was mit Schrauben zu tun hat, und vielleicht Albus, weil der alles weiß, aber hey, wer ist der Sänger der Stones?"

"Keith Richards," sagt Emmeline. "Der hängt bei Pollys Schwester über'm Bett. Also, ich meine, nicht Keith höchstpersönlich, nur sein Dingens, sein -"

"Sein was?"

" - sein Poster," sagt Emmeline. "Ich bitte dich, das weiß doch sogar Sirius, dass der der Sänger von den Stones ist. Oder war er vielleicht doch Bassist? Eventuell sogar bei den Beatles? Oder Velvet Underground?" Auf einmal ist sie sich gar nicht mehr sicher. "Den Comedian Harmonists? Oder, nee, jetzt reicht's, wie heißt euer Premierminister noch mal?"

"Margaret Thatcher."

"Singt bei den Stones?"

"Ist Premierministerin," sagt Lily. "Siehst, genau das meine ich. Wie geht man vor, wenn man sich ins Unterhaus wählen lassen möchte, was zur Hölle versteht man unter Demokratie, könnte man Elektrizität, die U-Bahn-Tunnel oder den Grand Prix d'Eurovision de la Chanson eventuell sinnvoll gegen die Todesser instrumentalisieren, und wo wir gerade dabei sind, kann man eigentlich ein Gesellschaftsmodell noch anders ausrichten als auf identische Selbstreproduktion?"

"Öhm," sagt Emmeline. "Ja zum letzten, aber zuallerst sollten wir die Gesellschaft noch bis ins nächste Jahr rüberretten und dann weitersehen."

Lily fegt die Krümel von dem Plunderteilchen mit den Händen zusammen und steckt sie sich in den Mund. "Ich meine, die arbeiten mit ihrer Strategie doch besser mit der Muggelwelt als wir," sagt sie. "Und das ist nicht nur scheiße, das ist außerdem peinlich. Hey, es hat aufgehört zu regnen!"

"Tja," sagt Emmeline, "ich schätze, wir haben keine Entschuldigung mehr, also lass uns gehen. Wo gehst du hin?"

Lily schaut auf die Uhr, nimmt ihr Tablett und steht auf. "Nach Hause gehen bringt nichts mehr, ich hole Jim dann gleich ab, und Sirius. Wir wollen noch zum - ich hab nichts gesagt," und sie wird doch tatsächlich rot.

"Wohin?"

Emmeline erwartet jetzt eigentlich, dass Lily die Frage mit "nur so'n Schwangerending" o.ä. wegwischt - vielleicht ein Geburtsvorbereitungskurs? Ein Date zum Stramplerkaufen? - aber Lily murmelt etwas, das verdächtig nach "zur Abteilung für Personenstandsangelegenheiten" klingt.

Emmeline folgt ihr zur Tablettabgabe und fragt sich, wie taktlos es wäre, jetzt "ihr wollt doch nicht etwa heiraten?" zu fragen. Aber was will Lily sonst in der Abteilung für Personenstandsangelegenheiten? Das Baby ist ja offensichtlich noch nicht da, und gestorben ist, soweit Emmeline weiß, in jüngster Zeit auch niemand.

"Wir haben keine Wahl, okay?" sagt Lily irgendwann ungefragt, als sie beide allein im Fahrstuhl nach unten stehen. "Wir wissen nicht mal, wie lange wir noch heiraten dürfen, und ich muss den Muggelnamen loswerden, das ist für mich sicherer, und für meine Eltern, und für meine Schwester, sobald ich den Terroristen irgendwie auffalle. Scheiße!"

"Du musst dich nicht rechtfertigen," sagt Emmeline, und unterlässt es ihr mitzuteilen, dass sie selbst ein Problem weniger hätte, wenn sie heiraten könnte. Vielleicht heute abend, wenn sie irgendwann planmäßig betrunken ist.

Dann geht die Fahrstuhltür auf, und sie drücken sich zum Abschied.

"Ich hab mir das alles irgendwie anders vorgestellt," sagt Lily. "Insbesondere rundum besser."

Emmeline denkt an das, was vor ihr liegt. "Ich auch, Baby," sagt sie. "Ich auch."

Die Türen zur Straße gehen automatisch auf. Zum ersten Mal seit Wochen bricht die Sonne durch die dicke Wolkenschicht, und ihre Strahlen tanzen auf dem Wasser der Themse, ein grausamer Scherz.

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