Titel: Wie Glas
Fandom: Torchwood
Charaktere: Gwen, Jack, (Ianto)
Wörter: ~ 1400
Warnungen: nö, Tagfic zu "Cyberwoman"
Anmerkung: Eigentlich wollte ich eine Gwen-zentrierte Serie von Tagfics schreiben, aber von den Vieren, die ich geschafft habe, ist das hier letztendlich die einzige, die was taugt.
Wie Glas
In Gwens Zeit bei der Polizei gab es schlechte Tage. Tage an denen eine Frau, die mit Gehirnerschütterung und geprellter Niere im Krankenhaus lag, einem eine neue Treppen-Geschichte erzählte oder an denen man zu einem Autounfall gerufen wurde, bei dem jemand ums Leben gekommen war.
Nichts und niemand hat Gwen auf schlechte Tage bei Torchwood vorbereitet. Sie hat heute jemanden erschossen. Jemanden, der nach allen Gesichtspunkten der Vernunft und Normalität (Parameter die in Torchwood nichts mehr wert sind) nur eine verwirrte junge Frau war. Mit vom Weinen verlaufenem Eyeliner und einer schrecklichen Kopfwunde.
Und Ianto…
Sie weiß nicht wer wen verraten hat, sie weiß nicht ob er in dieser Geschichte der Held oder das Monster war, aber es ist auch bedeutungslos, angesichts…
Gott, wie sehr hat sie sich in den letzten Wochen manchmal gewünscht, dass Iantos Maske für einen Moment verrutschen würde, dass sie auch nur einen wahren Satz aus ihm herausbekommen könnte. Aber jetzt sieht sie ihn vor sich, wie er weinend zwischen zwei Leichen kniet und wünschte sie hätte das nie gesehen. Und sie versucht sich einzureden, dass sie ihn nicht erschossen hätte, wenn das Jacks Befehl gewesen wäre, aber sie ist sich nicht sicher. Früher wusste sie, was richtig und falsch war.
Sie sitzt auf einer der Steinstufen des Roald Dahl Plass, unter dem der atemberaubendste und schrecklichste Ort Cardiffs liegt, und starrt das Millenium Center an. Sie will nachhause gehen, aber sie kann nicht.
Gwir Fel Gwydr - Wahrheit wie Glas. Der leuchtende Schriftzug verschwimmt vor ihren Augen, als sie anfängt zu weinen. Sie könnte nicht sagen, warum sie weint oder um wen. Um alles, was heute zerbrochen ist wahrscheinlich, und sie versteht noch nichtmal die Hälfte.
Jemand setzt sich neben sie, legt einen Arm um sie. Gwen weiß, dass es Jack ist, aber sie sieht nicht auf. Sie weiß nicht, ob sie Jack jetzt in die Augen sehen kann. Er sitzt still neben ihr, warm und lebendig. Sie hat ihn heute sterben sehen.
Wie er den Arm um sie legt während sie weint, erinnert er sie an ihren Vater. Damals, als ihr jemand das Herz gebrochen hatte und ihr Vater sie überzeugen musste, dass sie immer noch das schönste Mädchen der Welt war. Jack müsste sie jetzt überzeugen, dass sie immer noch ein guter Mensch ist, aber sie ahnt, dass das etwas ist, was über die legendäre Macht eines Jack Harkness hinausgeht. Etwas das vielleicht nur ein Rhys Williams zustande bringen kann.
Trotzdem bleibt sie sitzen. Sie hat auf Jack gewartet, sie konnte nur den Hub nicht länger ertragen. „Was ist passiert?“, fragt sie und meint damit alles. Ihre Stimme kommt ihr selbst fremd vor. Sie hat nie so unsicher geklungen. Die Welt war nie so unsicher. Die Welt war ein Raum, in dem man sich befand, ein schützendes Gefäß. Jetzt ist sie ein kalter Steinbrocken im Kosmos, von dem man herunterfallen könnte, wenn man sich nicht festklammert. Jacks Arm hält sie fest.
Jack schweigt lange. Er ist ein Mann der großen Reden, Geschichten von den Wundern des Universums, von der Geistermacht menschlicher Emotionen, von Aliens mit Hygieneproblemen. Tausendundeine Geschichte, aber wenn man ihn nach einer Wahrheit fragt, schweigt er.
„Ich habe dir von Torchwood Eins erzählt“, sagt er schließlich zögerlich. „Es war in London und wurde zerstört. Bei der Schlacht von Canary Wharf.“
Sie nickt - gefasst, verstört, sie weiß es nicht. Soviel hat sie sich zusammengereimt. „Ein Cyberman in jeder Wohnung“, wiederholt sie Jacks Worte von damals.
„Ja. Keine Drogen im Trinkwasser.“ Jack schweigt eine Weile. „Ianto hasst diese Geschichte, er meint, es wäre die schlampigste Coverstory, die er je gehört hätte.“
Gwen geht nicht darauf ein. „Ianto war dort?“ Es ist mehr eine Feststellung als eine Frage.
„Ja.“ Jack bewegt sich neben ihr und sie hört wie er tief ein- und ausatmet. „Torchwood Eins hatte achthundertdreiundzwanzig Angestellte. Vierhundertsiebenundsechzig werden als tot gelistet, siebenundzwanzig als überlebend.“
Sie starrt auf ihre Schuhe und versucht sich unter den Zahlen irgendetwas anderes vorzustellen als Zahlen, aber sie kann nicht. „Was ist mit dem Rest?“, fragt sie schließlich.
„Vermisst. Die konvertierten Leichen mussten vernichtet werden und einige andere sind nie aufgetaucht. Es gab ein Dimensionsportal… Die Cybermen kamen durch. Sie behaupten, Menschen zu sein. Verbessert. Stärker, rationaler, unsterblich. Und sie wollten uns upgraden. In den Augenzeugenberichten heißt es, dass sie zuerst Gehirne in mitgebrachte Körper verpflanzt hätten. Dann wurden sie angegriffen, die leeren Cyberkörper kamen nicht schnell genug nach und sie haben Menschen konvertiert. Du kannst die Akte lesen“, bietet er nach kurzem Zögern an.
Gwen weiß nicht, was sie darauf antworten soll. Sie fragt sich, ob einer dieser Berichte von Ianto ist und ob er genauso knapp und präzise ist, wie seine Berichte üblicherweise sind.
„Ianto hat sich die ganze Zeit um sie gekümmert“, sagt sie schließlich, weil es ihr gerade erst klar geworden ist. Sie versucht es sich vorzustellen, aber sie kann nicht. Ihre Großmutter war lange im Krankenhaus, bevor sie gestorben ist und Gwen hat es gehasst. Sie kann nicht ertragen, wenn jemand leidet, und noch weniger kann sie es ertragen, wenn sie nichts tun kann.
„Er hat sie versteckt!“, sagt Jack wütend. Er ist aufgestanden und geht vor Gwen auf und ab. Ohne seine Wärme neben ihr fühlt sie sich ungeschützt und plötzlich macht er ihr Angst. „Er kannte die Gefahr! Wie kann man so dumm sein? Er war doch da, er war dabei!“
„Er wusste, dass Torchwood ihr nicht helfen würde.“
„Verdammt richtig!“ Er starrt auf sie herab, kalt und verbohrt und so verzweifelt schuldig.
Gwen spürt ein hysterisches Lachen in sich aufsteigen, aber es bleibt als Kloß in ihrem Hals stecken. „Meinst du, du fühlst dich besser, wenn du es schaffst, mich zu überzeugen, Jack?“ Sie ist wütend auf ihn. Nicht für etwas, was er getan hat, sondern weil er will, dass sie ihm Recht gibt. Als würde es im großen Weltschema von Gut und Böse irgendeinen Unterschied machen, was Gwen Cooper denkt. „Sie war nicht irgendein Cyberman. Nicht für Ianto“, sagt sie schließlich nur und es ist alles, was es darüber zu sagen gibt. Es ist eine Frage der Perspektive. Gwir Fel Gwydr. Sie sind alle gleichermaßen Helden und Monster dieser Geschichte und das einzige, was Gwen mit Sicherheit weiß, ist, dass sie selbst heute nichts Heldenhaftes getan hat.
Jacks Wut verraucht so schnell, dass Gwen daran zweifelt, dass sie echt war. Er steht vor ihr und wirkt ratlos. Geschlagen. Der Mantel sieht zu groß an ihm aus, wenn seine Heldenpersona ihn nicht ausfüllt. „Was mache ich mit ihm?“ Es klingt fast wie ein Lachen.
Gwen zuckt die Schultern. „Was hast du gemacht?“
„Beruhigungsmittel. Ihn in seine Wohnung gebracht. Tosh ist bei ihm.“
„Und dann?“
„Was ich tun sollte?“ So wie er es betont, ist es das, was er nicht tun wird. Trotzdem nickt sie. „RetCon, mindestens die letzten drei Jahre.“
Sie erinnert sich an das Gefühl von gestohlenen Erinnerungen. Sie versucht sich vorzustellen, wie sich dieses zähe Nichts anfühlt, wenn es nicht ein Abend ist, sondern Jahre. Es gefällt ihr nicht, aber schließlich zuckt sie wieder nur die Schultern. Auch eine Frage der Perspektive und sie kennt Ianto nicht, nicht wirklich. „Frag ihn. Vielleicht wäre das das Beste.“
Jack hat sich wieder neben sie gesetzt. „Vielleicht“, sagt er zweifelnd.
„Frag ihn“, wiederholt sie nur.
„Falls er mit mir reden will.“
Sie sieht hinüber zu Jack, dessen Blick den Fugen des Pflasters folgt. Vielleicht wird sie nie herausfinden, was es mit Captain Jack Harkness auf sich hat. Er ist viel mehr und viel weniger als es auf den ersten Blick den Anschein hat. Stärker und schwächer. Als müsse man ein Escher-Bild beschreiben.
Schließlich legt sie ihm einen Arm um die Schultern. Ihr Arm ist ein bisschen zu kurz und seine Schultern ein bisschen zu breit, es ist seltsam. Außerdem weiß sie nicht, was sie sagen soll. Was sagt man nach einem schlechten Tag bei Torchwood?
„Wir leben noch“, versucht sie schließlich und es ist so absurd wenig auf diesem Steinbrocken im Kosmos, dass sie lachen muss. Und weinen. Ein gänzlich unmögliches Gefühl, wie man es vielleicht nur haben kann, wenn man Jack Harkness über dem schrecklichsten Ort Cardiffs umarmt.
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