Titel: Down to Divine
Autor: Anja
Fandom: Buffy
Genre: Drama, AU
Rating: PG-13
Charaktere: Buffy/Spike
Inhalt: William "Spike" Pratt hat drei lange Jahre gebraucht, um sich das Vertrauen von Hank Summers zu erschleichen, dem Großmeister der Mondtemplersekte. Der desillusionierte Mann glaubt in seiner von der Welt abgeschotteten Tochter den neuen Messias gefunden zu haben... und deswegen muss sie sterben. Dummerweise wird er damit auch die Jägerin töten.
A/N: Nichts gehört mir. Habe nur etwas Spass mit den Charas. Gebetad hat
watchersgoddess . Ist entstanden als Storypic-Challenge auf BFF.
„Bullshit!“
„Spike! Lass mich ausreden!“
„Nein, Rupert. Verdammt noch mal, ihr könnt doch nicht ernsthaft darüber nachdenken!“
Der blonde Mann stand so heftig auf, dass der Stuhl mit einem lauten Klappern nach hinten kippte und fast einen halben Meter weiter rutschte, bevor er liegen blieb. Doch ihn kümmerte das nicht.
William „Spike“ Pratt krampfte seine Hände zu Fäusten und widerstand der Versuchung, der heruntergekommenen Wand vor ihm ein Lüftungsloch zu verpassen. Das konnte doch wohl alles nicht wahr sein! Diese verlogene Wächtervereinigung hatte Jahre damit verbracht, ihn dort einzuschleusen. Und wofür? Damit er das Mädchen kurzerhand ermordete?
„Ich weiß, was du jetzt denkst. Und glaube mir, ich kann das ebensowenig gutheißen wie du. Doch die Situation in Sunnydale eskaliert. So viele Menschen sind schon gestorben. Wir brauchen eine Jägerin!“, wiederholte der alte Mann nachdrücklich. Als Spike sich nicht rührte und seinen Kopf frustriert gegen die schmutzig-grauen Ziegelsteine fallen ließ, nahm Rupert Giles seine Brille ab und begann sie konzentriert zu polieren. Sie verbrachten einige Minuten schweigend, das Gemurmel aus dem Nachbarzimmer und das Geklapper des Geschirrs deutlich zu hören.
Etwa einmal im Monat trafen sie sich im Hinterhaus dieser Kneipe. In möglichst unregelmäßigen Abständen, damit es nicht auffiel. Und das seit beinahe drei Jahren. Drei Jahre seines Lebens hatte der junge Mann damit verbracht, ihr nahe zu kommen. Doch bis heute hatte er sie noch nicht einmal zu Gesicht bekommen. Die Jägerin. Das junge Mädchen, deren Bestimmung es sein sollte, die Menschheit zu retten.
Doch dieses Mädchen war unantastbar, unberührbar und in den Augen der Mondtempler der neue Messias. Ganze drei Menschen auf dieser Welt wussten, wie sie aussah. Hatten sie je zu Gesicht bekommen. Konnten sicher sagen, dass sie tatsächlich existierte.
Doch sie musste leben, denn eine andere Jägerin gab es nicht.
„Ich bin kein Mörder, Rupert. Alles! Aber kein Mörder!“, zischte der junge Mann und spürte, wie ihm Verzweiflung und unbändige Wut Tränen in die Augen trieben. „Ich habe in meiner Jugend Mist gebaut. Aber nie einen Menschen, ein unschuldiges Mädchen, vorsätzlich getötet. Das ist... Das kann ich nicht. Das ist doch krank!“
Er wandte sich seinem alten Freund und Mentor zu, der mit ernster Miene entgegnete: „Ich weiß, aber haben wir denn eine Wahl?“ Rupert Giles setzte seine Brille wieder auf. „Entweder du holst die Jägerin da raus, oder...“ Er verstummte. „Wenn du es nicht tust, dann wird Travers jemand anderes beauftragen. Jemand, der vielleicht Spaß daran haben wird.“
„Ich weiß“, antwortete Spike und seufzte. Schweren Herzens lief er zurück zu dem Stuhl, hob ihn auf und stellte ihn zurück an den klapprigen Holztisch. Der alte Wächter erhob sich jetzt ebenfalls und die beiden Männer umarmten sich.
„Warte ein paar Minuten ehe du gehst“, sagte der Wächter und Spike nickte ohne ihn anzusehen.
Er würde noch eine ganze Weile bleiben müssen, ehe er sich unter Kontrolle hatte.
*****
Hank Summers stellte die feine Porzellantasse laut klirrend zurück auf den Untersetzer. Das war so früh nicht geplant gewesen, dachte er und fuhr sich mit den Händen über die müden Augen.
Der Mann in den Fünzigern war bekannt dafür, immer zu bekommen was er wollte. Und wenn er sagte, dass die Menschheit an der Schwelle zu einem neuen Zeitalter stand... dann war das eben so.
Was das für die Mitglieder seiner Organisation bedeutete?
Weniger Würde, weniger Geld und mehr Arbeit.
Als Großmeister der Mondtempler war Hank Summers nun mal ein schwer beschäftigter Mann.
Eine Sekte? Nein! Eine Sekte war sein Verein nun wirklich nicht. Die Mondtempler waren in Frankreich ein offiziell eingetragener Verein, der dem Gemeinwohl diente und heimatsuchenden Arbeitslosen Arbeit und ein Dach über dem Kopf bot. Wer es wagte, seine Organisation eine Sekte zu nennen, würde seinen Fehler schon früher oder später bereu... Verzeihung!... einsehen.
Eine ungemeine Genugtuung erfüllte ihn, als er den Blick über sein edel eingerichtetes Büro streifen ließ. Dunkle Kirschholzregale ragten drei Meter bis an die Decke. Eine rotbrauner Perserteppich lag am Fuße des Schreibtischs und ein antiker Globus nahm den Platz vor dem hohen Fenster ein. Das Büro von Hank Summers lag an der Westseite des Anwesens. Obwohl das Wort Anwesen hier etwas übertrieben war. Er hatte die Burg vor fast dreißig Jahren als eine Schenkung angenommen. Eine Antrittsabgabe eines seiner engagiertesten Mitglieder. So ein Pech, dass besagtes Mitglied nur wenige Wochen nach seinem Eintritt einen schrecklichen Autounfall hatte und sein gesamter Nachlass an keinen Geringeren gegangen war, als an Hank Summers.
Der Großmeister lächelte besonnen und wandte sich wieder seinen Unterlagen zu. Die Zahlen auf dem weißen Papier verursachten ein Stirnkräuseln in seinem gefühlskalten Antlitz und er seufzte. Er hatte gehofft, dass es nicht so weit kommen musste. Doch die Zahlen sprachen für sich. Was er jetzt brauchte, war ein Wunder.
Ein zögerliches Klopfen kam von der Mahagoni-Flügeltür und Hank wartete das nächste Klopfen ab, ehe er „Herein“ rief. Die rundliche Gestalt des Kindermädchens trat ein und kam respektvoll und mit gesenktem Haupt näher.
„Marie, meine Teure“, begrüßte Hank die ältere Dame und lehnte sich in seinem Sessel zurück, die Hände auf seinem Bauchansatz verschließend. „Wie geht es meinem Engel an diesem wunderschönen Morgen?“
„Eure Tochter hatte wieder Alpträume, mein Herr“, murmelte die Frau ängstlich, als wäre es ihre Schuld. „Ich habe sie heute Morgen erneut vollkommen verstört aufgefunden.“
„Hmm.“ Der Mann erhob sich und lief zum Fenster, wo er in Gedanken versunken stehen blieb. Das passte ganz wunderbar, dachte er zufrieden und setzte ein gut erprobtes, besorgtes Gesicht auf. „Das habe ich befürchtet“, sagte er und wandte sich wieder an das Kindermädchen.
„Was genau hat sie dir erzählt?“
„Buffy war sehr verschlossen heu...“ Sie hielt inne als sie ihren Fehler bemerkte.
„Marie!“, entgegnete Hank messerscharf. „Wie oft habe ich es dir gesagt. Wag es nicht diesen Namen in meiner Gegenwart auszusprechen. Der Name meiner Tochter ist Elizabeth. Habe ich mich klar ausgedrückt?“
Der Name Buffy war dem Mädchen von ihrer Mutter gegeben worden, kurz bevor sie das Zeitliche gesegnet hatte. Was für eine Überraschung. Ein tragischer Autounfall.
Die arme Frau war soeben um etwa zehn Jahre gealtert, fünf Zentimeter geschrumpft und starrte angestrengt auf ihre Fußspitzen. „Verzeihung, mein Herr!“, murmelte sie hastig, wagte aber nicht aufzusehen.
„Ich verzeihe dir.“ Sein gönnerhafter Tonfall sagte ihr, dass sie gehen durfte und so schnell es ihre kurzen Beine erlaubten, tippelte sie zur Tür hinaus.
„Marie?“ Kurz bevor sich die Tür hinter schloss blieb sie stehen und hielt die Luft an. „Bitte sage meiner Tochter, dass ich sie heute Nacht besuchen werde.“
„Ja, mein Herr!“
Es würde ihm ganz sicher keinen Spaß machen, seine eigene Tochter zu töten, doch es blieb ihm nichts anderes übrig. Auch der Weltuntergang kannte keine Gnade.
*****
Es waren keine zehn Minuten vergangen, als es erneut an der Tür klopfte und Hank mit säuerlicher Miene aufblickte. Die Tatsache, dass er heute Nacht seine Tochter ermorden würde, schien ihm doch ein wenig die Laune verdorben zu haben.
Mit einem energischen Schwung ging die Tür auf und die einzige Person, der Hank so etwas gewährte, trat mit federnden Schritten in das Büro. Mit einem Lächeln im Gesicht erhob sich der grauhaarige Mann und lief um den Tisch herum.
„Spike“, begrüßte er den platinblonden jungen Mann. „Wie geht es dir? Hast du die Sache mit den Leonards geklärt?“
Die Leonards waren eine kleine, mittellose Familie, die sich in ihrer Verzweiflung und mit Hoffnung auf Unterstützung an die Mondtempler gewandt hatten, als bei ihrem drei-jährigen Sohn eine schwere Herzerkrankung diagnostiziert wurde. Hilfe? Ja, die würden sie bekommen. Doch erst nachdem Spike ihnen mit kaltem Blick und eisernem Herz erklärt hatte, dass ihre Seelen nun dem Teufel gehörten... nun ja, vielleicht nicht mit diesen Worten, aber das Resultat war dasselbe.
„Natürlich, Sir“, erwiderte Spike und unterdrückte den Wunsch, dem Mann seine Faust auf die Nase zu schlagen. Drei Jahre hatte er gebraucht, um sich das Vertrauen dieses Mannes zu erkämpfen. Er würde seinen Status jetzt sicher nicht wegen eines übermütigen, emotionalen Hassausbruchs aufs Spiel setzen.
„Du sollst mich doch nicht mit Sir anreden!“ Der Mann lief lachend zu einer kleinen Bar und schenkte sich und Spike eine honigfarbene Flüssigkeit ein. „Whiskey?“
„Gern.“ Spike hasste Whiskey. Doch er nahm das Glas und schwenkte die Flüssigkeit vorsichtig hin und her, bevor er einen Schluck nahm.
„So, wie laufen die Geschäfte?“, fragte der Mann und Spike ließ sich ihm gegenüber in einen hohen, ledernen Sessel sinken.
„Könnte nicht besser sein, Hank“,antwortete Spike. „Die Menschen sind zu eingeschüchtert, um Fragen zu stellen. Von Forderungen mal ganz abgesehen.“ Er räusperte sich bedächtig und fuhr fort. „Es gibt Gerüchte. Über Ihre Tochter... und darüber, dass die Zeit der Erleuchtung gekommen ist.“
Er gab sich alle Mühe seine Stimme professionell und neugierig gleichzeitig klingen zu lassen. Was ihm ganz gut gelang, denn der Großmeister beugte sich nach einer kurzen Bedenkzeit verschwörerisch nach vorne und flüsterte heiser.
„Heute Nacht.“ Der Mann nickte und Spikes Blut schien in seinen Adern einfach anzuhalten.
Heute Nacht? Was würde da sein? Er schluckte voll Unbehagen und hoffte, dass der andere Mann es ihm nicht anmerken würde. Seine klammen Finger waren um das kühle Glas geschlungen. Ein Schweißtropfen kullerte seinen hinteren Haaransatz hinunter und verlor sich am Hemdkragen.
„Heute ist die Nacht der Auferstehung. Die Zeit ist gekommen, den Messias zu rufen und er wird erscheinen.“
Ein wahnsinniges Funkeln blitzte in den Augen des Mannes auf und Spike spürte beinahe einen Anflug von Mitleid für den desillusionierten Mann, doch er schob es schnell beiseite.
Seine Mission war gefährdet. Das war alles, was zählte.
Obwohl...
Seine Gedanken gingen zurück zum gestrigen Abend und die Forderung des Rates. Die Jägerin zu töten. Es wäre perfekt, wenn da nicht diese wütende, sich aufbäumende Stimme in seinem Kopf wäre, die ihm sagte: Wenn das geschähe, dann wäre er ein Mörder. Vielleicht würde er nicht die Waffe in den Händen halten, aber er würde es wissen und es geschehen lassen. War das nicht sogar viel schlimmer?
Eine Hitzewelle fuhr durch seinen Körper, als der Großmeister ihn ansah und feierlich sagte: „Spike, mein Freund. Als ich dich vor drei Jahren halb verhungert in einer Seitenstraßeaufgelesen habe, hätte ich nie gedacht, einen Vertrauten in dir zu finden. Du bist mir ein treuer Gefährte gewesen.“ Der Mann hielt inne und rückte nun näher an Spike heran. „Ich möchte, dass du Zeuge wirst bei der Wiedergeburt. Der Auferstehung meiner Tochter zu einem neuen Messias. Der heutige Mond ist unsere große Stunde. Wir können nicht länger warten.“
Nun erhob er sich kraftvoll und lief energisch auf und ab.
„Ihr ganzes Leben lang wurde meine Elizabeth darauf vorbereitet, in dieser Phase ein Geschenk zu geben. Ihre Seele für die Rettung der Menschheit. Na, wie klingt das?“
‚Krank!’, dachte Spike, doch antwortete stattdessen: „Unerwartet.“
„Ich weiß, ich weiß, doch die Zeit ist gekommen.“ Er wies mit seiner Hand auf seinen Schreibtisch, der vollgestapelt war mit Mondtabellen, Diagrammen und Sternbilderkarten.
„Meine Tochter hates vorausgesehen. In ihren Träumen. Sie weiß es noch nicht, aber sie wird es mit Freude geben. Das ist gewiss. Heute Abend. Sei hier in meinem Büro. Pünktlich um halb 12. Und du wirst in Gottes Abgrund blicken.“
Der Mann war vor das Fenster getreten und schien vollkommen abwesend. Ertrunken in seinem eigenen Wahnsinn. Mit zitternden Händen stellte Spike sein halbvolles Glas auf den Beistelltisch und verließ den Raum ohne ein weiteres Wort. Der Mann bemerkte es ohnehin nicht. Und dann schloss Spike die Tür hinter sich so leise wie möglich. Er hatte noch 14 Stunden, um das Leben eines unschuldigen Mädchens zu retten. Das Leben einer Jägerin. Seine Füße trugen ihn zu der nächsten Toilette, wo er sich ausgiebig erbrach.
*****
Ohne auf die Begrüßung der anderen Mitglieder zu hören, hatte Spike fluchtartig die Burg verlassen und stieg in seinen Wagen. Einen Moment lang blieb er sitzen und versuchte seinen galoppierenden Herzschlag etwas zu beruhigen. Schließlich gab er Gas und fuhr gemächlich vom Hof. Auffälliges Verhalten war jetzt nun wirklich das Letzte, was er gebrauchen konnte.
Worauf hatte er sich da bloß eingelassen?
Spike war sein Leben lang ein Unruhestifter gewesen. Kneipenprügeleien, kleinere Drogengeschäfte und Körperverletzung. Das war seine Vergangenheit. Als er mit 16 Jahren das erste Mal wegen eines Einbruchs in einer Tankstelle vor Gericht stand, hatte er seinem Vater geschworen, nie wieder eine solche Dummheit zu begehen. Drei Jahre später ging er ins Gefängnis wegen schwerer Körperverletzung und Raub und als er wieder rauskam, war sein Vater tot. Vor dem Gefängnis wartete ein Fremder auf ihn. Ein Fremder mit Brille, einem altmodischen Tweedanzug und einer schrecklichen Nachricht. Rupert Giles und sein Vater, so hatte Spike im Nachhinein erfahren, waren gute Freunde und Wächter. Spike hatte so viele Dinge erfahren, die er im Grunde lieber von seinem Vater gelernt hätte, doch es sollte nicht sein.
Rupert Giles war ihm von da an ein sehr guter Freund und Mentor. Doch manchmal ertappte sich Spike dabei, wie er sich wünschte, all das mit seinem Vater teilen zu können.
Doch in diesem Moment wollte Spike nichts teilen. Schon gar nicht seine Angst.
Einen kurzen Augenblick lang hatte er überlegt, Kontakt mit Giles aufzunehmen, um ihn um Rat zu bitten. Doch dann war ihm ein furchtbarer Hintergedanke gekommen. Was wenn Giles die Situation genauso begrüßen würde, wie der Rat? Was, wenn er der Meinung wäre, die Sache so am besten zu lösen? Hank Summers die Jägerin, seine eigene Tochter, töten zu lassen?
Der Gedanke war zu grausam, als dass Spike länger darüber nachdenken wollte und so traf er eine Entscheidung. Er würde heute Nacht ein Menschenleben retten.
Egal was es kostete.
*****
Der Vollmond hing tief über den Gipfeln der Pyrenäen, als Spike die enge Straße in Richtung Burg fuhr. Seine Nervosität hatte er inzwischen gut unter Kontrolle. Zumindest hatte er das gehofft, nachdem er sich eine halbe Flasche Rotwein genehmigt hatte. Selbst in der Dunkelheit sah er die Knöchel seiner Hand weiß hervortreten und löste seine verkrampften Finger kurz vom Lenkrad.
Er hatte den gesamte Tag damit verbracht, in alten Fotoalben zu blättern. Briefe und Urkunden zu durchwühlen, immer auf der Suche nach etwas, wovon er selber nicht wusste, was genau es sein sollte. Wahrscheinlich eine Antwort. Ein Hinweis seines Vaters, der selber vor vielen Jahren der Wächter für eine Jägerin gewesen war. Was er jetzt dringend brauchte, war eine Erleuchtung. Eine helle Glühbirne, die über seinen blonden Haaren pling machte und ihm eine geniale Eingebung bescherte.
„Verdammt!“
Frustriert hatte er das letzte Album zugeschlagen und hatte sich eine Zigarette angezündet. Eines der Laster, die er nie hatte unterbinden können... oder wollen. Er hatte die faserigen Rauchschwaden beobachtet, wie sie länger wurden, breiter, immer blasser und schließlich in einen übel riechenden Dunst übergingen, der seinen Kopf schmerzen ließ. Kurzentschlossen hatte er sich in seine Auto gesetzt und war ziellos durch die Gegend gefahren, das Fenster weit geöffnet und den Fahrtwind im Gesicht. Und je später es wurde, desto ruhiger wurde er.
Doch jetzt spürte er erneut Panik in sich aufsteigen. Er löschte den Scheinwerfer seines Wagens und rollte mit ausgeschaltetem Motor gerade bis vor das verschlossene Tor. Er war einer der Wenigen, die einen Schlüssel besaßen und er schaffte es beinahe lautlos, das schwere Eisentor aufzuschwingen und den scheinbar endlosen Kiesweg bis zum Seiteneingang entlang zu huschen.
Ein Blick auf seine Armbanduhr sagte ihm, dass es bereits 11 Uhr 27 war, als er vor dem Büro des Großmeisters stehen blieb. Er holte tief Luft, verkniff sich ein Klopfen und trat ein. Es war dunkel in dem Zimmer und im ersten Moment glaubte Spike, er wäre allein, doch dann sah er Bewegung am Fenster und die Umrisse einer ummantelten Kapuzengestalt pellte sich aus der Schwärze.
„Hank? Sind Sie das?“
„Reden Sie nicht. Genießen Sie die Heiligkeit des Augenblicks“, antwortete der Großmeister mit emotionsgetränkter Stimme und hielt Spike ebenfalls einen Umhang hin. Hastig warf der ihn über und die Männer sahen einander in der Dunkelheit an.
Der raue Stoff des Mantel kratzte an Spikes Hals. Doch er ignorierte es und folgte Hank, der mit einer einsamen Kerze in der Hand vorauslief.
Spikes Aufregung mischte sich mit einer seltsamen Erregung. Er würde jeden Moment die Jägerin kennen lernen. Ein Mädchen, so unvorstellbar selten und besonders wie keine Andere. Und er selbst lief treulos hinter ihrem zukünftigen Mörder her, als wäre der Mann ein heiliger Priester und nicht das Monster.
Nicht mehr lange, dachte Spike und folgte dem Großmeister durch die verwinkelten Gänge der Burg. Sie liefen durch Regale, die Türen waren, drückten Hebel, die die Wände beiseite schoben und Spike hatte schon seit geraumer Zeit die Vermutung, dass sie sich hoffnungslos im Kreise drehten. Doch der Großmeister stockte nicht ein einziges Mal in seinen Schritten. Lautlos fegten ihre Mantelsäume die kalten Böden und endlich, es schien eine halbe Ewigkeit gewesen zu sein, blieb der Großmeister vor einer unscheinbaren Tür stehen. Spike nahm sich die Zeit und sah sich kurz um.
Sie standen in einem langen Flur, dessen Seiten sich hinter dem flackernder Licht der Kerze im Dunkel verliefen. Unverputzte Wände, Spinnweben groß wie Bettlaken und ganz in der Nähe gurrten Tauben in verbohrter Ignoranz, so als würden sie sich einen Dreck darum scheren, dass hier gleich etwas Grauenhaftes geschehen sollte.
Spike hörte wie Hank mit einem Schlüssel klapperte und hielt die Luft an. Hinter der Tür war sie. Er hatte nicht die geringste Ahnung, was ihn erwartete. Hatte sich noch keine Gedanken darüber gemacht, wie sie war - wer sie war. Die Jägerin.
In den geistesgestörten Augen ihres Vaters war sie der Messias. Dass das Mädchen seltsame Kräfte und prophetische Träume hatte, passte auf eine gewisse und durchaus makabere Art und Weise natürlich genau in dieses Bild einer Prophetin.
Doch trotz allem war sie nur ein junges Mädchen, eine einsame Seele, die ein solches Schicksal nicht verdiente. Niemand hatte so etwas verdient.
Leise knarrend öffnete sich die Tür und der Geruch von Rosenwasser stieg Spike in die Nase. Ein feiner Windhauch, als würden größere Mächte ihn damit wach küssen wollen. Ihm Mut machen und sagen: Du bist nicht allein.
So betrat er hinter Hank das Zimmer.