Okay, ich gebe zu, Halloween ist schon ne Weile her, aber da die Story an einem anonymen Challenge teilgenommen hat, kann ich erst jetzt posten. Zur Not, hebt sie euch für nächstes Jahr Halloween auf :-)
Titel: Was vom Gestern übrig blieb
Autor: Anja
Fandom: Buffy
Genre: Drama, Horror
Rating: PG-13
Inhalt: Einen Moment lang überlegte sie, hier an der Straße zu campen. Rechts von ihr lag ein großes Feld. Hüfthohe Maispflanzen standen starr in der Windstille. Kein Rascheln, als wäre die gesamte Umgebung eine schlecht belichtete Schwarz-Weiß-Fotografie. Vereinzelte dunkle Figuren staken aus dem Meer von Maiskolben in die Höhe und trugen die zerknitterten Umrisse unförmiger Vogelscheuchen.
A/N: Außer Mimi gehört mir nichts. Habe nur etwas Spass mit den Charas. Gebetad hat
watchersgoddess . Ist entstanden als Halloween Challenge auf BFF.
Sunnydale Krater
Auf einem von Vogelscheuchen umgebenen Maisfeld
Straße
Tankstelle
Treppe
***
„Das, was dem Leben Sinn verleiht, gibt auch dem Tod Sinn.“
„Sprich zu mir, denn ich kam zu helfen bei der Wiedergeburt meines Volkes. Und zeige mir den Weg, den wahren Weg zum Leben, oder, falls nötig, zum Tod.“
„Wer sich über Kritik ärgert, gibt zu, dass sie verdient war.“
***
Blätterrascheln
Feuer
Eine tiefe Bassstimme, die ein Arie singt
Maiskolben
***
Gruselige Nebelschwaden
Blutende, schwarze Rose
Hörspielkassette mit undefinierbaren Geräuschen (ist wohl eher eine Musicalkassette)
Regenwürmer
Voodoopuppe
Spinnweben mit großer Spinne
Jede Menge verstümmelter Leichen
Dunkelheit, die wie eine schwere Decke über dem Wald lag. Dumpfe, ferne Geräusche von Vögeln im Geäst und ansonsten nichts als drückende Stille. Beinahe lauter als jeder Krach, den man sich vorstellen kann.
Mimi Townsend hätte schwören können, Schritte hinter sich zu hören. Ganz leicht und gedämpft, als würde jemand nicht gehört werden wollen. Sie blieb ruckartig stehen, hielt die Luft an und lauschte.
Eine Sekunde, dann zwei. War da nicht...? Nein, es war nichts. Nur das Rascheln der Blätter im angrenzenden Wald.
Mimi lächelte nervös und strich sich kalten Schweiß von der Stirn. Hätte sie doch diese Nacht noch in der Pension verbracht, anstatt den inneren Schweinehund anzustacheln, es noch an diesem Abend bis zu dem berüchtigten Sunnydale Krater zu schaffen. Sie hätte auf die flüsternden Stimmen in ihrem Kopf hören sollen. Und vor allem auf die nette alte Lady aus der Pension in Sunnydales Nachbarort.
„An Halloween? Bis zum Sunnydale Krater? Ach Kindchen, bleiben Sie doch lieber noch eine Nacht länger hier. Seit die Stadt dort verschwunden ist, sind Gerüchte im Umlauf... Naja, nicht dass es davor keine gegeben hätte...“
Doch Mimis Zeit war begrenzt und morgen Abend musste sie in Oxnard sein, wenn sie Marcus dort treffen und den Bus nach San Diego bekommen wollte. Andernfalls müsste sie noch eine weitere Woche rumsitzen und Däumchen drehen. Doch statt auf das unangenehme Kribbeln in ihrer Magengegend zu hören, hatte sie wieder ihren Rucksack auf den Rücken geschnallt, lachend der Wirtin zu gewunken und sich auf den Weg gemacht, um das fünfzehn Meilen entfernte, und inzwischen verschwundene, Sunnydale noch an diesem Tag zu erreichen.
„Blöde Idee, Mimi. Blöde Idee!“, schimpfte sie und lief wieder los, diesmal noch zügiger. Von dem Sunnydale Krater hatte sie bereits einiges gehört. Und wenn sie schon mal in der Nähe dieser berüchtigten Sehenswürdigkeit war, dann wollte sie die Gelegenheit natürlich auch nutzen. Früh morgens aus ihrem Zelt zu krabbeln und den Abgrund zu ihren Füßen liegen zu haben, also wenn das nicht cool war?
Mit der Helligkeit des Tages war auch vor geraumer Zeit die Wärme verschwunden und Mimi stellte den Kragen ihrer Jeansjacke auf, um ihren fröstelnden Nacken zu schützen.
Als die Geräuschlosigkeit unerträglich wurde, kramte sie aus ihrer Jackentasche den alten Walkman heraus und steckte sich die Stöpsel in die Ohren. Hauptsache, diese Grabesstille wurde übertönt. Leiernde Töne dröhnten ihr ins Ohr und sie nahm sich ganz fest vor, von ihrem nächsten Geldsegen einen MP3 Player zu besorgen.
„Take me for what I aaaaaam...“, summte Mimi leise den Soundtrack zu Rent mit und merkte, wie ihr Unwohlsein einer motivierten guten Laune wich. „Take meeeee, or leave me....mmmhmmhh mhhm mh mhh…”
Die Augen die ganze Zeit auf die Straße vor sich gerichtet, wäre sie beinahe an der halb im Dunkel liegenden Tankstelle vorbeigelaufen, als ihr aus den Augenwinkeln die flackernden Neonröhren auffielen und sie verwirrt stehen blieb. Umständlich zog sie die Wanderkarte aus den Tiefen ihres Rucksacks und fuhr mit dem Finger die Strecke ab, die sie in den letzten Stunden gelaufen war. Da stand aber nichts von einer Tankstelle. Und dabei war die Karte die aktuellste, die sie hatte kaufen können. Sehr seltsam! Und die Tankstelle sah nun wirklich nicht so aus, als wäre sie neu. Ganz im Gegenteil. Sie schien noch aus dem letzten, nein, wohl eher aus dem vorletzten Jahrhundert zu sein.
Trotz der Ohrstöpsel konnte sie das Summen der überdrehten Neonröhren hören. Schummriges Licht drang aus dem kleinen Kabuff, der wohl den Verkaufsraum darstellen sollte. Eine einsame Tanksäule stand wie ein rostiges Denkmal auf der ölglänzenden Betonfläche. Mimi schluckte das aufkeimende Unbehagen herunter und drehte sich um. Erst als sie den mageren Lichtkegel der Tankstelle hinter sich gelassen hatte, lief sie etwas langsamer und achtete nun bewusst auf Schilder, um festzustellen, ob sie zumindest noch immer in die richtige Richtung lief. Links von ihr lag dichter Wald. Schwarze Äste hingen bis tief über ihren Kopf und an einige Stellen war das Gebüsch schon bis auf die asphaltierte Straße hervorgedrungen. Anscheinend war dies keine sonderlich befahrene Straße.
Jetzt wo sie darüber nachdachte: Es war tatsächlich schon eine ganze Weile her, dass ihr ein Auto begegnet war.
Einen Moment lang überlegte sie, hier an der Straße zu campen. Rechts von ihr lag ein großes Feld. Hüfthohe Maispflanzen standen starr in der Windstille. Kein Rascheln, als wäre die gesamte Umgebung eine schlecht belichtete Schwarz-Weiß-Fotografie. Vereinzelte dunkle Figuren staken aus dem Meer von Maiskolben in die Höhe und trugen die zerknitterten Umrisse unförmiger Vogelscheuchen.
Ein kalter Schauer rann über Mimis Rücken, als sie sich einer von ihnen näherte. Heu ragte unter den alten Lumpen hervor und ein übergroßer Schlapphut verdeckte das Gesicht der Puppe. Doch trotz des fehlenden Gesichtes fühlte sich Mimi seltsam beobachtet. Gerade im Begriff ihren Rucksack abzuschnallen, hielt sie inne. Nein, hier wollte sie nicht wirklich die Nacht verbringen.
Sie lief zurück auf die Straße und setzte ihre müden Füße mit einen leisen Ächzen wieder in Bewegung. Laut ihrer Karte hätte sie schon längst an dem Krater angekommen sein müssen. Doch wo sie auch hinblickte... überall hohe Bäume und weite Felder in trostloser Monotonie.
Die Musik ihrer Kassette begann mit einem Mal unschön zu leiern und die Sänger klangen wie sterbende Rotkehlchen statt wie gefeierte Broadwaykünstler. Sie nahm den Walkman aus der Tasche, schüttelte ihn wütend und wurde mit einem endgültigen, undefinierbaren Rauschen belohnt.
„Na toll!“, schimpfte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Das musste ja jetzt so kommen.“
Sie packte das nutzlose Gerät wieder in die Tasche und stapfte wütend weiter. Es vergingen weitere einsame Minuten, bis Mimi in etwa hundert Meter Entfernung helle, doch seltsam gruselige Nebelschwaden erkennen konnte. Gemächlich wie eine dickflüssige Lavawand wälzte sich der weiße Rauch über die Straße und legte sich einer Schneedecke gleich über das Maisfeld, so dass der Weg vor Mimi nur wenige Minuten später aussah wie eine trübe Kartoffelsuppe, die jemand über den Landstrich verteilt hatte.
Inzwischen war er mehr als innere Unruhe, die Mimis Atem schneller gingen ließ. Gerade ein paar Meter weit konnte sie sehen. Selbst der Boden unter ihren Füßen schien verschwunden unter einer besonders dicken, weißlichen Schicht. Ihre Füße gaben gedämpfte, knirschende Geräusche von sich. Zischende und reißende Töne, wie streitende Schlangen. Zuerst nur unter ihren Schuhsohlen. Dann von überall her.
Mimi drehte sich einige Male im Kreis und sie war sich ganz sicher, dort, in den milchigen Untiefen, Bewegungen zu erkennen.
„Hallo? Ist da jemand?“, rief sie mit zitternder Stimme. Doch selbst in ihren Ohren klangen die Worte wie aus weiter Ferne.
Das war doch Blödsinn, da war niemand. Sie sollte sich jetzt wirklich mehr Sorgen darüber machen, nicht blindlings in den Sunnydale Graben zu stürzen, weil sie den Abgrund nicht sah. Wie doof konnte man eigentlich sein?
Sie unterdrückte ein hysterisches Lachen und blieb abrupt stehen. Ruhe bewahren, das war das Wichtigste. Vielleicht sollte sie einfach zurücklaufen und an der Tankstelle versuchen, ein Taxi zu bestellen.... Ja klar. Als ob ein Taxi nachts um neun noch in die Pampa kam, um einen überängstlichen Wanderer aufzugabeln. Also wenn das ihr Freund erfahren würde...
Sie spürte ihren Kampfgeist aufleben und rückte ihren Rucksack zurecht. Einfach geradeaus. Irgendwann musste der Nebel ja aufhören und sie lief etwas beruhigter weiter. Sie brauchte eindeutig länger, als sie gehofft hatte und atmete erleichtert auf, als sie vor sich eine weite, erstaunlich nebelfreie Fläche sah.
Doch die Erleichterung über die hinter sich gelassene Nebelwand erstarb innerhalb weniger Augenblicke und machte Platz für ungläubiges Erstaunen. Langsam ließ sie ihren Blick über den Schauplatz schweifen. Wie in einer riesigen Käseglocke umgab der Nebel ein scheinbar rundes Areal. Wie eine Höhle lag es vor ihr und unheimliche Lichter schwammen hoch über ihrem Kopf in dem leuchtenden Nebel.
Sie hatte das untrügliche Gefühl zu fallen und der Boden unter ihren Füßen schien nachzugeben. Ihr Magen rebellierte und sie unterdrückte die aufsteigende Übelkeit. Einen Moment lang schloss sie die Augen, zählte bis zehn und öffnete sie wieder langsam. Das war das Merkwürdigste, was sie je in ihrem Leben gefühlt hatte. Doch sie vergaß es schnell, als die Umgebung noch immer denselben, unnatürlichen Eindruck auf sie machte, als sie die Augen wieder öffnete.
„Wohoo!“, murmelte sie mit weit aufgerissenem Mund und machte einen Schritt nach vorn. Der weiche Boden unter ihren Füßen federte leicht nach und ein Blick auf die scheinbar locker aufgeworfene Erde erinnerte sie unangenehm an den frischen Grabhügel, vor dem sie bei der Beerdigung ihrer Mutter vor einigen Jahren gestanden und geweint hatte. Doch entschlossen hob sie den Kopf und steuerte auf das einzige Ziel zu, das sie in dieser Einöde erkennen konnte.
Ein Haus.
Aus der Ferne schien es unendlich klein, eher ein Puppenhaus. Nachdem Mimi beinahe eine viertel Stunde gelaufen und dem Haus nicht einen Zentimeter näher war, blieb sie erschöpft stehen.
„Hallo?“, rief sie einmal laut und erschrak über ihre eigene, hohl klingende Stimme. Was für ein Blödsinn, dachte sie und sah sich um. Weit und breit war nichts, niemand. Nur das Haus, das noch immer viele hundert Meter entfernt schien. Und die Erde, die frische Erde unter ihren Füßen, die nach Regenwürmern roch. Und nach Herbstblättern, die schon seit Tagen vor sich hin moderten. Wie alte Hütten, in denen seit Jahren niemand mehr gewesen war. Und wie verrottende Holzstämme inmitten eines verwunschenen Märchenwaldes.
Die Erinnerung an den Tod ihrer Mutter drängte sich erneut in Mimis Bewusstsein und verwirrt fuhr sie sich durch die kurzen, wirren Haare. Wieso dachte sie gerade jetzt daran?
Sie brauchte weitere zehn Minuten, um bis zu dem Haus zu laufen. Irgendwann war ihr ein Licht aufgefallen. Eines der Fenster war hell erleuchtet und es sah aus, als würde ihr das Haus zuzwinkern. Ein Fenster kalt und verschlossen, das andere freundlich und einladend. Das Licht flackerte im Sekundentakt auf und ab. Es musste von einer Feuerstelle kommen und Mimi legte noch einen Schritt zu. Der Gedanke an ein wärmendes Feuer ließ ihre kalten Füße wie von allein über den Boden flitzen. So mussten sich Motten fühlen, wenn sie um eine helle Glühbirne kreisten, dachte sie.
Doch je näher sie dem Haus kam, desto langsamer wurde sie. Eine seltsame Kälte breitete sich in ihr aus. Eine schmerzende Kälte, die das Herz genauso erfasste, wie die blau anlaufenden Fingerkuppen. Und als sie vor den Stufen stand, die zur Eingangstür der Villa führten, rief ihre innere Stimme ihr zu, schnell zu verschwinden. Doch ihre Neugier ließ ihr keine Ruhe. Hin und her gerissen zwischen Panik und überschäumender Abenteuerlust, nahm sie die erste Stufe, dann die zweite, dann die dritte. Immer weiter, bis sie am oberen Absatz angekommen war und vor einer geschlossenen, rustikalen Holztür stehen blieb. Zögerlich hob sie die Hand um zu klopfen. Millimeter bevor ihre Fingerknöchel das dunkle Mahagoniholz berührten, erstarrte sie. Die Tür ging quietschend auf. Der dunkle Bass einer Stimme hallte entgegen. Sie konnte sich beim besten Willen nicht daran erinnern, dies schon vor einigen Sekunden gehört zu haben. Doch nun schmetterte ihr die Baritonstimme eine Arie aus Puccinis „La Boheme“ entgegen.
Verdutzt öffnete Mimi die Tür einen Spaltbreit und sah in das Interieur einer verlassen wirkenden Eingangshalle. An den unverputzen Wänden hingen die Spinnweben von der Decke bis zum rissigen Fußboden. Zwei symmetrische Treppen führten auf der anderen Seite der Halle eine Etage nach oben. Das einzige Licht stammte von einer altmodischen Tiffanylampe auf dem schmalen Tresen, der gerade Platz für eine recht ramponierte Registrierkasse bot, die aussah, als würde sie bei der leichtesten Berührung in alle Einzelteile zerfallen.
Hinter dem etwa einen Meter hohen Block stand eine junge Frau mit blonden, schulterlangen Haaren. Ein leichtes Sommerkleidchen mit rot und gelb getupften Blumenornamenten vervollständigte den bizarren Anblick.
„Ha... Hallo?“, sagte Mimi vorsichtig und die junge Frau sah auf.
„Na toll! Vielen Dank. Jetzt habe ich mich verzählt“, sagte sie grantig, doch lächelte eine überbreites Lächeln, als sie Mimi vor sich sah. „Oh, ein Kunde!“
„Ja, ich... ist das hier ein Hotel?“, fragte Mimi vorsichtig und warf einen Blick auf die dunklen Nischen und den feuchten Boden. Erschrocken sprang sie nach hinten, als sich direkt vor ihrer Nase eine dicke Spinne von der Decke abseilte. Doch die junge Frau am Tresen schien es nicht zu bemerken. Sie blickte Mimi noch immer lächelnd entgegen. Entweder hatte sie die Frage nicht gehört, oder sie ignorierte sie schlichtweg.
„Wie möchten Sie bezahlen? Ich nehme auch Kreditkarten, aber die lassen sich zu Feierabend so schlecht zählen.“
„Nein, nein... ich schau mich nur um. Danke“, erwiderte Mimi verwirrt. Vielleicht war hier irgendwo eine Kamera versteckt. Könnte ja sein.
„Na gut, aber wenn sie etwas kaputt machen, müssen Sie es bezahlen. Verstanden?“, sagte die junge Frau noch immer mit einem überdimensional, breiten Lächeln. Daraufhin trat sie von dem Counter weg und drehte sich um. Und erst jetzt sah Mimi, dass der rote Strich auf dem Sommerkleidchen offenbar nicht zu dem Stoff gehörte. Ein schmaler, blutroter Streifen ging von der oberen linken Schulter quer über ihren Oberkörper bis hin zu ihrer Hüfte. Getrocknetes Blut, fast schwarz auf dem hellen Hintergrund verklebte den Rand der Wunde. Doch die blonde junge Frau schien es nicht bemerken. Stattdessen begann sie plötzlich mit einem Staubwedel in der Hand - wo kam der überhaupt so schnell her? - die Kasse abzustauben.
Der Panik nahe starrte Mimi weiter auf die Frau, die sie nicht zu bemerken schien. Ein Keuchen entwich ihren Lippen und sie trat einen wackeligen Schritt nach hinten.
„Wer... Was sind Sie?“
Die blonde Frau sah erstaunt auf und fragte nun, so als ob sie Mimi das erste Mal sähe:
„Ah, einen wunderschönen Guten Tag, sehr geehrter Bargeldbesitzer. Ich kann Ihnen Molchaugen und Voodoopuppen empfehlen. Die sind im Angebot. Es wäre natürlich sehr nett, wenn sie noch etwas nehmen, denn sonst lohnen sich die Rabattaktionen nicht, Sie verstehen? Was sagen Sie zu diesem wunderbar verarbeiteten Affenschädel?“
Aus dem Nichts erschien in der Hand der Frau ein bräunlich verfärbter Schädel, der weniger wie ein Affen- als ein Menschenschädel aussah. Mit leeren Augenhöhlen, in denen noch immer Augäpfel saßen, die Mimi nun neugierig entgegenzwinkerten.
Noch immer grinste Mimi das Zahnpastalächeln der Frau entgegen und sie schnappte nach Luft. Raus! Sie musste hier schnell raus! Doch eine weitere Person befand sich zwischen ihr und dem ersehnten Ausgang. Eine ältere Frau mit blonden gelockten Haaren.
Sie trug eine Bluse und einen braunen, knielangen Rock. Eine Mode, wie Mimi sie von ihrer Mutter oder ihren früheren Lehrerinnen kannte. Die Frau stellte sich direkt vor sie, eine entschlossene Miene zur Schau stellend.
„Oh nein, Fräulein. Du wirst dieses Haus nicht verlassen, ehe du nicht etwas zu Abend gegessen hast. Du bist vollkommen abgemagert. Und deine Haare. Also wirklich! So willst du die Geschöpfe der Nacht bekämpfen? Du solltest wirklich etwas besser auf dich achten, junge Dame!“ Die Frau stemmte die Hände in die Hüfte, blau angelaufene Hände. Ein ungesundes Blau, das überall auf ihrer Haut zu sehen war. Schwarze Augenringe unter wässrigen Augen. Lippen, die dieselbe Farbe wie ihre Wangen hatten. Totenflecke, so nannten die Gerichtsmediziner solche Anzeichen immer in den Krimiserien im Fernsehen.
„Nein, ich...“, begann Mimi und wankte nun wieder von der Tür weg.
„Ja ja, ich mache mir wirklich Sorgen um dich, Buffy!“
„Ich bin nicht...“
Das hier war falsch. Alles war falsch. Dieser Ort, das Haus, die Leute... diese toten Menschen. Das war ein Trick, ja, das musste es sein, dachte Mimi. Das Herz schlug ihr bis zum Hals, sie spürte, wie kaltes Grauen ihre Sinne betäubte und sie wirbelte herum, durch die Eingangshalle, auf die Treppe zu. Hinter ihr hörte sie die Stimme der älteren Frau: „Wer sich über Kritik ärgert, gibt zu, dass sie verdient war. Du solltest darüber nachdenken!“
Mimi hatte die Treppe erreicht und nahm drei Stufen auf einmal. Etwa auf Hälfte der Stufen stolperte sie und schlug sich das Schienbein hart an einer Kante. Laut schluchzte sie auf, der Schmerz nahm ihr die Sinne und sie rappelte sich in die Höhe. Ihr fünfzehn Kilo schwerer Rucksack schien mit Steinen gefüllt zu sein, als sie sich mit den Händen abstützend bis zum oberen Treppenabsatz hoch gequält hatte. Tränen rannen ihr über die Wangen und mit zitternden Händen löste sie den Verschluss um ihr Hüfte und hievte die Last von ihren Schultern. Mit einem lauten Scheppern polterte der Rucksack rückwärts die Treppe wieder hinunter.
Der Flur, auf dem Mimi sich nun wieder fand, schien sich rechts und links in unendlicher Länge fortzusetzen. Türen waren alle paar Meter zu sehen, einige von ihnen offen, andere geschlossen. Einige mit Türklinken, andere ohne. Mimi wurde schwindelig und sie musste sich an der Wand abstützen, um nicht umzukippen. Zu ihrem Entsetzen entpuppte sich die Wand jedoch als eine der Türen, die sich in dem Moment öffnete. Ein junger Mann stand dahinter, hielt die Tür auf und Mimi wäre ihm aus lauter Freude, einen anderen Menschen zu sehen, um den Hals gefallen. Doch ihr Blick fiel auf einen großen, blutigen Fleck, der sich auf Herzhöhe auf seinem einfachen Pullover befand. Ihr Grauen verwandelte sich in eine schlagartige Übelkeit, als sie eine weitere Wunde am Hals des jungen Mannes sah. Beinahe, als wäre ein wildes Tier über ihn hergefallen, war die Haut aufgerissen, Hautfetzen hingen daran hinunter und das Blut sprudelte als lebendige Fontäne daraus hervor.
Sein bleiches, hageres Gesicht verzerrte sich zu einem mysteriösen Grinsen und die Augen starrten Mimi aus dunklen Höhlen aus an. Er machte einen Schritt nach vorne, noch einen, und Mimi humpelte aus dem Weg. Der Schmerz in ihrem Bein war noch immer brennend, wie heißes Eisen auf der nackten Haut.
„Du musst mich nicht bedauern. Ich kann doch die Würmer in der Erde kriechen hören“, sagte er mit tiefer, sonorer Stimme, beugte sein fahles Gesicht zu ihr hinunter und ging dann an ihr vorbei zur nächsten Tür. Doch er öffnete sie nicht, sondern lief durch sie hindurch, als wäre sie nichts weiter als eine undurchsichtige Nebelwand.
Eine seltsame Ruhe legte sich über Mimis aufgeregtes Gemüt und einen Moment lang blieb sie stehen, ihre Brust hob und senkte sich in geräuschvoller Aufregung, Blut schoss durch ihre Adern und in ihren Ohren rauschte es.
"Sie tun mir nichts. Sie tun mir nichts....", murmelte sie vor sich hin, ließ sich mit dem Rücken an der Wand auf den Boden sinken. Mehrere Minuten lang blieb sie sitzen und Tränen liefen über ihr Gesicht, landeten unbeachtet auf ihrer Jeans. Ihr gesundes Bein angezogen und den Kopf auf die Arme gestützt, damit sie bloß nicht sehen konnte, wer oder was sich in ihrer Nähe aufhielt.
Sie wartete, bis sich ihr aufgelöstes Schluchzen in ein Hicksen verwandelt hatte und wischte sich die Tränen aus den verquollenen Augen. Bevor sie aufblickte, lauschte sie in die Stille und hob schließlich ermutigt den Kopf... um leise aufzuschreien, als sie direkt gegenüber ein anderes Mädchen entdeckte, das sie aus großen, sanften Augen anblickte.
"Hi", sagte das Mädchen, rührte sich aber ansonsten nicht. "Mein Name ist Tara", fuhr die Fremde fort, ihre Stimme schüchtern und leise, als hätte sie Angst, jemand könnte sie hören.
Zu verblüfft, um noch Angst zu empfinden, erwiderte Mimi schließlich ebenfalls: "Hi."
Auch das Mädchen mit dem Namen Tara weilte ziemlich offensichtlich nicht mehr unter den Lebenden. Ein kleiner, roter, runder Punkt auf Höhe ihres Herzens prangte wie eine Brosche auf dem hellen Shirt. "Sie tun dir nichts. Sie wollen helfen", sagte Tara und wies mit einer schwachen Handbewegung auf ihre Umgebung. "Du solltest trotzdem nicht hier sitzen bleiben."
Mimi setzte für einen sarkastischen Kommentar an, biss sich aber nach einem letzten Hicksen auf die Zunge und zuckte zusammen. Sie schwieg und wagte nicht, Tara anzusehen.
„Wer... wer sind die alle?“, fragte sie schließlich.
„Freunde, die hier in Sunnydale wohl niemals ihre Ruhe finden werden.“
„Warum nicht? Warum seid ihr hier?“
„Wir warten.“
„Worauf?“
„Ich weiß es nicht. Der Tod ist nichts anderes als das Leben. Es geht nur darum, zu warten. Zu warten auf den Bus, auf die große Liebe, auf das erste Gehalt,... den Tod. Denn das, was dem Leben Sinn verleiht, gibt auch dem Tod Sinn. Verstehst du?“
„Nein“, entgegnete Mimi und schluckte. „Vielleicht verstehe ich es erst, wenn ich auch tot bin.“
Tara zuckte mit den Schultern und drehte ihren Kopf in Richtung des endlosen Flures. „Das hat Zeit. Du solltest dich jetzt aber beeilen.“
„Gerne. Und wie komme ich hier raus?“, fragte Mimi mit zitternder Stimme. Sie sah in die zwei Richtungen des Flures und stellte mit wachsender Panik fest, dass die Treppe scheinbar verschwunden war. „Ich ... wo ist die Treppe?“
„Treppe?“
„Ja verdammt. Die Treppe nach unten!“, rief Mimi nun etwas lauter. Doch Tara lächelte nur verständnisvoll und wies mit der Hand nach links. Mit wachsender Erleichterung schob sich Mimi an der Wand nach oben und begann sich von Tara zu entfernen. Zuerst langsam, dann begann sie zu joggen, das Stechen in ihrem Bein ignorierend. Die Türen huschten als laue Schatten an ihr vorbei. Wie Güterzüge, die in hohem Tempo an einem Bahnübergang vorbeirauschten.
Sie lief und lief. Ihre Lungen beschwerten sich mit unangenehmem Seitenstechen und Mimi hielt an, stützte sich auf ihre Knie und versuchte wieder zu Atem zu kommen. Auch hier fanden sich Türen rechts und links in den grauen Wänden. Als sich ihre Atmung wieder etwas beruhigt hatte, stellte sie sich wieder aufrecht und entdeckte einige Meter vor sich eine wunderschöne, schwarzblühende Rose auf dem Fußboden. Dass die noch vor Augenblicken nicht dort gelegen hatte, darin war sie sich sicher. Wenn sie schon sonst nichts sicher wusste in dieser Hölle...
„Hallo?“ wisperte sie leise und trat näher. Da war noch eine Rose. Und noch eine. Offensichtlich eine Spur, die es zu folgen hieß. Wider der eisernen Faust des Grauens, die sich um ihren Verstand gelegt hatte, folgte sie den Spuren und gelangte an eine Tür, die nur leicht angelehnt war. Wie die Anziehungskraft eines schweren Autounfalls mitten auf der Autobahn, wurde sie von ihr angezogen und verharrte einen Atemzug lang davor, bis sie zögerlich die Hand ausstreckte und die Tür aufschob.
Ein großes Bett, bezogen mit dunkler Samtwäsche, stand in dem ansonsten leeren Zimmer und von irgendwoher hörte Mimi erneut das klassische Stück. Während die Instrumente sich dem alles übertreffenden Crescendo näherten, klang die Singstimme dumpf und melancholisch.
Auf dem Bett lag eine Frau. Ein blasses Gesicht, umrahmt von dunklen Locken. Eine exotische Aura schien sie zu umhüllen und Mimi schwankte neben Bewunderung und Abscheu. Abscheu wegen des unnatürlichen Winkels, in dem der Kopf auf ihren Schultern zu sitzen schien. Die dunklen, wachen Augen blinzelten ihr freundlich entgegen. Doch ansonsten rührte sie sich nicht.
„Entschuldigung“, sagte Mimi und kam sich dabei unheimlich dämlich vor. Sie wollte sich bereits umdrehen, als die Frau ihren Blick abwandte und eine weitere schwarze Rose fixierte, die neben ihr auf der Bettkante lag. Schaurig schön mit schwarzen, glänzenden Blättern. Doch in dem Moment, da Mimi sie erblickte, quoll dickflüssiges Blut zwischen den Blütenblättern hervor und innerhalb von Sekunden badete die Rose in einer roten Pfütze, die sich schnell ausbreitete.
„Sprich zu mir, denn ich kam zu helfen bei der Wiedergeburt meines Volkes. Und zeige mir den Weg, den wahren Weg zum Leben, oder, falls nötig, zum Tod“, sagte die Frau. „Doch DU musst das Leben wählen. Schnell! Du solltest nicht stehen bleiben!“, befahl ihr die Frau mit heiserer Stimme.
Und Mimi folgte dem Rat, stob aus dem Zimmer und weiter den Gang hinunter. Angst war es nicht, die sie vorantrieb. Verwirrung, Hilflosigkeit und eine langsam dämmernde Ahnung, dass sie träumte und vielleicht nie wieder aufwachen würde, erfüllten sie und ihre Füße stampften dumpf auf den kalten Boden auf, den endlosen Gang hinunter, als würde sie am Ende ein Schatz erwarten oder Weisheit oder aber ewiges Leben.
Genau einmal machte sie den Fehler und blickte sich um. Finsternis umgab sie plötzlich, drohendes Nichts, das sie ergreifen würde und mit doppeltem Tempo lief sie geradeaus. Nur weg, nur weg. Dass sie sich eigentlich in einem Gebäude befand, hatte sie vergessen. Es schien das Natürlichste der Welt. Doch Müdigkeit überkam sie und sie spürte, wie ihre schlaffen Beine zu zittern begannen. Doch sie musste geradeaus, immer weiter. Nicht stehen bleiben, nicht verzweifeln, nicht zurückblicken. Inzwischen war sie sicher, dass es das einzige war, was ihr hier heraushelfen konnte. In Bewegung bleiben und nicht aufgeben.
Weitere seltsame Gestalten steckten ihre Köpfe aus den Türen, schrieen ihr entgegen, feuerten sie an. Gruselige Gestalten, tote Menschen. Sie fühlte sich wie eine Durchreisende im Fegefeuer. Verdammt dazu, die Toten als einzige Gefährten zu haben. Bei einem platinblonden jungen Mann mit Zigarette zwischen den Lippen und gräßlichen Brandwunden, die Kleidung in verkohlten Fetzen herunterhängend, wäre sie beinahe stehen geblieben. „Wag es ja nicht, Liebes!“, rief er ihr jedoch zu. Drei Zimmer weiter stand ein weiterer Mensch. Zumindest hätte es wohl einst ein Mensch sein können. Hätte er noch Haut auf den Knochen gehabt. Rote Muskelstränge, weiße Sehnen und blaue Adern umhüllten seinen Körper. Er grinse breit und seine fleischlosen Lippen verzogen sich zu einer widerlichen Grimasse.
Und so rannte Mimi weiter, als hätte sie nie etwas anderes gemacht und als würde sie auch zukünftig nie wieder etwas anderes machen...
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„... Politische Sanktionen sollen die Unruhen beenden.“ Die Sprecherin räusperte sich und sah kurz in die Kamera, bevor sie fortfuhr. „Sunnydale, Kalifornien. Die Suche nach der seit Tagen vermissten Mimi Joelle Townsend endete heute Morgen mit einem unerwarteten Happy End. Die junge Frau war vor zwei Tagen von Freunden als vermisst gemeldet worden. Suchmannschaften fanden sie schwerverletzt auf dem Boden des beinahe hundert Meter tiefen Sunnydale Kraters. Offensichtlich war sie in der Dunkelheit gestürzt. Resultat: Eine schwere Gehirnerschütterung und ein gebrochenes Bein. Wie der Zufall es wollte, war die junge Frau offensichtlich im Delirium in dem Krater umhergewandert. Ärzte sind sich einig: wäre sie eingeschlafen, wäre sie wohl nicht mehr aufgewacht. Soviel zu den aktuellen Themen. Ich gebe weiter an meine Kollegin. Wann meinst du, Kimberly, wird der Winter über uns einbrechen...?“
The End
Wie immer: Feedback und konstruktive Kritik ist willkommen und erwünscht.