[AbschiedsChallenge]: Und so endete es.

Feb 18, 2009 18:33

Titel: Und so endete es.
Autor: Misery
Pairing: NilSi
Rating: PG
Anmerkung: Vielleicht irgendwie verwirrend und sehr theatralisch, ich hab einfach mal Gestern Abend angefangen...






"Boah, scheiße Nils! Ist das wirklich wahr? Diese Säcke! Ruf mich an."

"Ich kann mir ja denken, dass bei euch alles drunter und drüber geht, aber ruf mich doch mal bitte an."

"Nils, ist alles in Ordnung?"

"Nils?"

Frustriert drückte Simon auf die rot leuchtende Taste, dann warf er das Handy neben sich. Seit Stunden versuchte er nun, Nils zu erreichen, aber die Mailbox war stets sein einziger Gesprächspartner gewesen. Er drehte den Schlüssel um und startete den Motor. Die Nachricht hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Mittlerweile berichtete jede Internetseite davon. Wie Geier kreisten sie um den sterbenden Sender, dem Simon einmal seine Seele verkauft und bei dem er sein Herz gelassen hatte.
Minutenlang hatte Simon da gesessen und auf den Bildschirm gestarrt: GIGA vor dem Aus. Er hatte die wenigen Worte nicht begriffen. GIGA war immer schon am Rand der Existenz entlang geschlittert, ohne über die Klippe zu stürzen. Wie eine Katze mit neun Leben war das grüne G gewesen. Sollte es jetzt wirklich alle aufgebraucht haben?
Dann waren seine Gedanken zu den Leuten gewandert, die seine Freunde waren und die nun mit einem Schlag ihren Job verloren hatten. Etienne, sein bester Freund, Casi, Thomas, Chris, Dennis und natürlich Nils. Nils, der Mann, den er liebte.
Nils. Nils brauchte ihn. Er musste für ihn da sein.
Da hatte sich seine Hand um das Handy geschlossen und er hatte zum ersten Mal versucht, ihn anzurufen.

Die Fahrt von Hamburg nach Köln hatte er schon so oft gemacht. Er kannte jede Ausfahrt, jeden Parkplatz. Jedes Mal war er voller Sehnsucht und Vorfreude in die Stadt gefahren, in der sein Freund wohnte, wenn er arbeitete. Und jedes Mal war er auch voller Sehnsucht wieder zurück gefahren, während er den Abschiedskuss noch auf den Lippen schmecken konnte. Sie hatten kaum noch über die Arbeit gesprochen. Simon wusste, dass Nils es ihm übel nahm, weil er zu MTV gegangen war. Simon wusste auch, dass Nils enttäuscht von ihm war, weil er nun in der Stadt lebte, die eigentlich Nils Heimatstadt war. Aber Nils wusste nicht, dass Simon es auch für ihn getan hatte. Dass er ihm so noch näher sein wollte.
Vor zwei Wochen hatten sie dort gemeinsam seinen Geburtstag gefeiert. Vor zwei Wochen war die Welt noch in Ordnung gewesen, jetzt hing sie schief in den Angeln wie eine morsche Tür. Für Nils kam der Verlust des Arbeitsplatzes einem Weltuntergang gleich, so gut kannte Simon seinen Freund. Nils hatte immer versucht, ihm zu beweisen, dass er der Bessere war. Dass er ihn nicht nur würdig vertrat, sondern mehr leisten konnte als Simon. Late Knights war zum größten Teil auf seinem Mist gewachsen. Und Etienne war natürlich sofort Feuer und Flamme gewesen. Die Beiden fühlten sich wirklich wie Ritter, die durch die Fernsehlandschaft galoppierten auf ihrem Kreuzzug gegen schlechte Unterhaltung und miese Moderation.
Aber nun musste Nils sich wohl eingestehen, dass sie gescheitert waren. Dass er aus dem Traum erwachen und in die harte Realität zurück finden musste.
Simon nahm die Ausfahrt und bretterte die Straßen entlang, bis er die Siegburger Straße, die man jetzt wohl in Niederlagenburger Straße umbenennen müsste, erreichte.
Als er auf den Parkplatz fuhr, bremste er überrascht. Kein Wagen parkte mehr in den Buchten. Er konnte kein einziges Auto sehen und niemand stand vor dem Eingang und gönnte sich eine Zigarette oder atmete kühle Winterluft ein. An den Fahnenmasten flatterte ein verlorenes GIGA-Logo.
Schnell stieg er aus und ging auf das Gebäude zu. Die Glastür ließ sich leicht öffnen. Der Vorraum war leer. "Hallo?", fragte Simon leise, obwohl er wusste, dass niemand ihm antworten würde. Am Aufzug klebte wie schon so oft das "DEFEKT" - Schild. Ironie des Schicksals. Traurig schmunzelnd wandte er sich dem Treppenhaus zu und stieg die Stufen nach oben.

Ungläubig schritt Simon durch die leeren Gänge. Wusste noch genau, welcher Raum sich hinter welcher Tür verbarg. Redaktion, Besprechungszimmer, Küche, Lagerraum, Toilette.
Kein Mensch begegnete ihm. Er wanderte wie durch eine Geisterstadt. Fehlte nur noch das vorbei rollende Strohknäuel. Die Computer waren ausgeschaltet, auf den Schreibtischen herrschte das übliche Chaos. Auf einem Tisch stand ein Teller mit kalten Nudeln. In der Küche stapelten sich Gläser in der Spüle. Der Kühlschrank stand offen. Leeres Licht gähnte ihn an. Im Konferenzraum hatte jemand Bierflaschen zu einer wackeligen Pyramide aufgebaut. Papiere waren durch das Zimmer geweht, als hätte sie ein Windstoß erfasst. Simon bückte sich und hob einen der weißen Zettel auf. Es war die Pressemitteilung, die das Ende von GIGA unterschrieb.
Wütend knüllte er das Blatt zusammen und warf es auf den Boden zurück.

Mit einem Gefühl von Verwirrung und Ungewissheit lief er hinüber zum Studio.
Der Türcode hatte sich nicht geändert. Die Schiebetüren glitten auseinander, ließen ihn eintreten. Auch hier herrschte gespenstische Stille.
Simon war immer davon ausgegangen, dass ein GIGA-Mitarbeiter immer feierte, egal ob es nun ein fröhlicher oder ein trauriger Anlass war. Er erinnerte sich an zahllose Trinkgelage. Mit viel Musik, lautem Geschrei, Besoffenen, die über die Tanzmatte torkelten oder die mit einem Finger auf dem Gamepad herum hämmerten, um überhaupt eine Taste zu treffen. Oft genug war er einer von ihnen gewesen. Sie hatten sich niemals unterkriegen lassen. Stolz waren sie gewesen. Zu stolz um ihre wahren Gefühle zu zeigen. Immer bereit zur Schlacht. Fuck Reality! Das Motto hatte die Einstellung der GIGA-Crew genau beschrieben. Sie tanzten allen auf der Nase herum, ihren Sponsoren, den Geschäftsführern und Inhabern. Es gab kein demütiges Auf-den-Knien-rutschen. Kein Ja und Amen. Nur Revolte, Party und unerschütterliche Energie.
Simon hatte gedacht, dass GIGA genauso enden würde. Mit einem lauten Knall. Sollten die Anzug tragenden Herrn doch ruhig aus ihren gepolsterten Sesseln kippen. GIGA hatte es verdient wie ein Held zu sterben. Mit hoch erhobenem Haupt und einem schillernden Feuerwerk.
Stattdessen hatte hier schon die Grabesruhe eingesetzt, als wäre der Sender schon längst beerdigt.
Simon trat durch die Tür ins Studio. Die Glühbirnen, die um den Schminkspiegel in der Maske angebracht waren, leuchteten. Er schob eine weitere Tür auf, dann stand er in seinem ehemaligen Zuhause. Viel hatte sich verändert, seit er das letzte Mal seine Füße auf den Studioboden gesetzt hatte. Vor einer Art gläsernen Wand standen zwei Tische. Die Arbeitsplätze der zwei Menschen, die ihm das Wichtigste im Leben waren. Langsam trat er näher, strich mit seinen Fingern über die Tischkante. Ein Lächeln entwand sich seinen zusammen gepressten Lippen. Etienne hatte mit einem "Simon stinkt" - Aufkleber seine Tastatur verziert. Themenkarten, Textmarker, zwei Gläser und eine angebrochene Flasche Mineralwasser tummelten sich auf den Tischen. Sanfte Perlen stiegen in der Flasche nach oben, zerplatzten an der Oberfläche.
Zerplatzten wie die Träume, die seine beiden Freunde mit GIGA gehabt hatten. Nils hatte ihm wochenlang vorgeschwärmt, wie gerne er Late Knights ausbauen wollte. Er sprach von "ganz großem Kino", von einem einzigartigen Konzept mit grandiosen Moderatoren. Etienne hatte es gefallen, im Mittelpunkt zu stehen. So wie er einst. Als er noch Host gewesen war. Aushängeschild von GIGA. Simon ballte die Hände zu Fäusten.
Es spielte alles keine Rolle mehr.

Plötzlich vernahm er ein leises Geräusch. Erst glaubte er, dass er es sich nur eingebildet hatte in dem leeren, toten Gebäudekomplex. Doch dann wurde das Geräusch lauter. Ein Schluchzen aus der hinteren Ecke des Studios, gefolgt von einem Rascheln und dem Wort "Fuck!" Neugierig schob Simon sich an der Glaskonstruktion vorbei in das ehemalige Games-Set. Nur eine Lampe brannte hier, die mehr Schatten als Licht erzeugte. Er konnte eine Person ausmachen, die auf dem Boden saß und den Rücken an die Wand gelehnt hatte. Eine Bierflasche locker in der einen Hand, die andere um ein Taschentuch gekrampft.
"Nils?", rief Simon erstaunt aus. Der Angesprochene hob träge den blonden Kopf. Blut unterlaufene Augen, in denen Tränen schwammen suchten nach dem blauen Tief, das Simons Blick umspülte wie ein beruhigender Ozean. Nils verzerrte sein Gesicht zu einem Lächeln. "Simon."
Unsicher kam Simon näher, ließ sich auf die Knie fallen und tastete nach Nils Händen. "Wieso bist du nicht an dein Handy gegangen?", fragte er. Ohne Vorwurf. Besorgt.
Nils zuckte die Schultern. Glas klirrte. "Keine Lust, schätze ich. Was machst du hier?" Seine Stimme war rauh, kaum mehr als ein Flüstern.
"Ich hab mir Sorgen gemacht. Ich habe es im Internet gelesen..."
"Schön für dich. Hast du dich satt gesehen? Bist du zufrieden, dass du das sinkende Schiff rechtzeitig verlassen hast? Freust du dich, dass du Recht hattest?" Nils wurde immer undeutlicher, seine Worte krochen wie zäher Kleber über seine Lippen, beschwert von Alkohol und Enttäuschung.
"Was?" Simon ließ Nils Hände los, richtete sich auf. "Ich habe mir Sorgen gemacht. Um dich."
Nils zuckte erneut mit den Schultern, so dass Simon nicht klar wurde, ob er ihn tatsächlich verstanden hatte.
Er hob die Bierflasche an den Mund, stellte fest, dass sie leer war und warf sie kraftlos von sich. Sie segelte an Simons rechtem Ohr vorbei und knallte gegen den ehemaligen Teufelskreis-Tisch, wo sie splitternd zerbrach. Sollte das der Knall gewesen sein, auf den Simon gewartet hatte?
"Es reicht, Nils. Los, hoch mit dir. Wir gehen." Simon bemühte sich um Festigkeit, obwohl Nils erbärmliche Gestalt ihm das Herz zerriss.
"Ich will nicht", lallte Nils. "Ich will hier bleiben." Das letzte Wort wurde in Tränen ertränkt, die aus seinen Augen rannen. Er vergrub sein Gesicht in den Händen und begann wieder hemmungslos zu schluchzen.
Simon schluckte nervös. Dann rutschte er näher, legte seine Arme um Nils bebende Schultern und drückte seinen Freund an sich. Schwach wehrte sich dieser, doch dann presste er sich an den breit gebauten MTV Moderator. Nie hätte Simon gedacht, dass Nils sich so gehen lassen würde. Nils war immer so unnahbar cool. Er hatte stets die Kontrolle über sich. Wenn sie zu viert unterwegs waren, Etienne und Budi im Schlepptau, war Nils immer der Vernünftigste von allen gewesen. Erwachsener, reifer. Und nun klammerte er sich an ihn wie ein kleines, hilfloses Kind.
"Schhhhh", machte Simon und streichelte wieder und immer wieder über Nils Rücken, drückte seinen Kopf in die blonden Haare, die nach Schweiß, Tränen und Angst rochen.

Er wusste nicht wie viel Zeit verging bis Nils seinen Kopf von seiner Brust schob und ihn mit verschleiertem Blick ansah. Simon strich ihm ungeschickt mit dem Daumen die Tränen aus dem Gesicht. Da drückte Nils seine Lippen auf Simons Mund. Küsste ihn ohne Zärtlichkeit oder Leidenschaft. Seine Zähne kratzten auf Simons weicher Haut, als er sich genauso barsch zurück zog.
"Danke", sagte Nils.

Er legte seinen Kopf auf Simons Schulter und schloss die Augen.
Und so endete es.
Der Ritter war besiegt.
Nicht mit einem Knall, sondern mit einem schmerzvollem Wimmern.
Ein Weinen, das nicht Schwäche und Aufgeben ausdrückte.
Viel mehr versuchte es, das Loch zu füllen, das man ihm aus dem Herzen gerissen hatte.
Das war Simon nun klar geworden. Nils hätte sich nicht besser verabschieden können.
GIGA mochte an sein Ende gestoßen sein, aber die Erinnerung würde ewig in einem See aus Tränen treiben.
Einen Knall hätte der Wind bereits nach Sekunden so weit davon getragen, dass ihn niemand mehr hören konnte. Die stumme Trauer aber war tief im Inneren verwurzelt.
Dort würde sie bleiben.
Bis die Welt ebenfalls an ihr Ende kam und sich in schwarzer Nacht verlor, in der ein einziger Stern in strahlendem Grün erstrahlen würde.

Ende
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