NC-17
„Bei uns fährt keiner besoffen und mit drei Frauen auf dem Rücksitz durch die Gegend“ - Mats Hummels
Mats drehte sich um.
Durch das heruntergelassene Fenster strömte die kühle Abendluft. Seine Finger am Lenkrad klopften einen ungeduldigen Takt und der Motor schnurrte leise vor sich hin.
Insgeheim war er ziemlich froh, dass sie inzwischen die Innenstadt hinter sich gelassen hatten, nun irgendwo im Nirgendwo mitten auf dem Weg standen und sicher viel blockiert hätten, wäre es nicht schon viertel vor zwei.
Im Beifahrersitz genehmigte sich Neven einen großen Schluck aus seiner Pilsdose. Er hatte sich längst wieder abgeschnallt und die Füße, zumindest in diesem Moment, ziemlich unverschämt aufs Amaturenbrett gelegt. Dabei summte er etwas, was Mats nach einer Weile als Britney Spears identifizierte. Entweder ‚Womanizer’ oder dieses andere vulgäre Lied, das jetzt gerade so der Hit war.
„Karera wa kisu...“ Shinji hatte sich aufgerafft und lehnte sich wackelig nach vorne, zu Mats. „...o sa re.“
„Man, Shinji. Ich versteh’ nichts.“ Mats seufzte ungehalten. Seit dem dritten Bier hatte der Japaner weder ein deutsches noch ein englisches Wort mehr hervor gebracht. Dabei war er nun erstaunlich gesprächig, quatschte ganze Romane in seiner Landessprache voll. „Und warum zum Teufel braucht ihr da hinten so lange?“
Shinji schwankte bedenklich, legte Mats dann eine Hand auf die Schulter: „Kisu. Kisu! Marcel. Suueen.“
Was auch immer Shinji damit sagen wollte, Mats verstand es nicht. Er drehte einfach wieder an seinem Zündschlüssel, trat auf die Gaspedale und fuhr los. Neven schnappte nach Luft, als seine Beine von ihrer hohen Position herunter rutschten und er gleich mit. „Ey! Pack diese Scheißdinger... weg...“
„Find’ ich auch.“ Knurrte Mats ungehalten. „Und schnall dich an, man! Sonst fliecht hier gleich noch wer aus der Karre.“
Sie fuhren an ein paar letzten Wohnhäusern vorbei, vage konnte Mats erkennen, dass sich vor ihnen nun allmählich ein Feldweg entlang schlängerte. Entweder sie waren auf dem direkten Weg nach Holzwickede oder aber sie würden bald in Gelsenkirchen landen - komplett entgegengesetzte Richtungen, aber egal. Mats hatte sowas von keine Ahnung mehr.
Von Hinten erklang leises kichern und dann ein Geräusch, das dem von einem Stöpsel, der aus dem Abfluss gezogen wird, erstaunlich ähnelte. Shinji fing wieder an, aufgeregt zu schnattern und Mats auf die Schulter zu tippen.
„Ja, ja, ja!“ und da vor ihm die Bäume immer dichter wurden, beschloss er, einfach den Motor abzuschalten, bevor sein Schlitten sich noch in irgendwelchem Gestrüpp festhaken konnte. „Was ist denn nun?“
Mit einer Hand tastete er sich an den Schaltknöpfen entlang und schaltete dann das Innenlicht an.
Ein Blick genügte, um festzustellen, was Shinji die ganze Zeit so aufgeregt hatte. Marcel hatte sich insofern von seinem Platz in der Mitte bewegt, dass er schön auf Svens Schoß platznehmen konnte. Sie waren so sehr in den Kuss vertieft, dass sogar die plötzliche Helligkeit nicht störte.
„Oh man.“ Mats seufzte, klopfte dem Japaner dann beruhigend auf die Schulter. „Die sind immer so, wenns Alk gibt. It’s okay! Alles in Ordnung!“
Shinji kniff seine Augen zusammen und schüttelte entschieden den Kopf. Dann sagte er mit Grabesstimme und perfekter Aussprache: „Roman.“
„Ja, was auch immer.“ Mats rieb sich die Schläfen. „...Was? Was ist mit Roman?“
„Hat ihn eingeführt.“ Hörte er Neven von der Seite brummen. „Ey... scheiße, mein Kopf.“
„Ne-uuen.“ Sagte Shinji feststellend. Dann lehnte er sich zurück und fing an, hemmungslos zu lachen. „...ha, Ne-uuuuen.“
„Spricht es falsch aus, dieser... dieser...“ Neven wedelte ein bisschen mit seiner Bierdose herum, schmiss sie anschließend einfach aus dem Fenstern. „Whoops, scheiße, tut mir leid... Wald.“
„Ne-uuuuuuen.“ Kam es vom Rücksitz dahergejault. Mats rieb sich wieder die Stirn. Warum war er eigentlich nicht so besoffen wie der Rest? Ja, klar, er musste natürlich wieder verantwortlich sein und den Chaffeur spielen. Aber jetzt... jetzt war es sowieso schon egal. Sie saßen irgendwo in der Pampa fest und mussten beim Fahren alle drei bis fünf Minuten einmal anhalten. Weil Shinji sich in ein Blumenbeet übergeben musste, weil Neven Bier Nachschub brauchte, weil Sven den Sicherheitsgurt nicht finden konnte...
„Scheiß drauf,“ murmelte Mats sich zu, „Hey, Neven, schmeiß mir ne Dose rüber.“
Er bekam mit einigen Schwierigkeiten das erwünschte Getränk gereicht, öffnete die lauwarme Brühe und trank sie in einem Zug aus. So, schon viel besser. Während er sich ein Zweites öffnete, versuchte Sven gerade mit Müh und Not, sich aus seinem T-shirt heraus zu winden. Marcel hatte es da um einiges leichter, sein Hemd war schon offen und bot Mats die zwar vertraute, aber nach wie vor angenehm prickelnde Sicht auf seinen durchtrainierten Oberkörper. Marcel war nett und sah gut aus, beste Voraussetzungen, also.
„Jetzt gehts los.“ Sagte Neven und versuchte, seinen Sitz mit Gewalt nach hinten zu drücken. Mats half ihm, indem er den Hebel betätigte und ließ anschließend auch seine eigene Sitzlehne etwas mehr in die horizontale Position rutschen. Mit einem leisen Seufzer lehnte er sich schräg dagegen, nippte an seinem zweiten Bier und beobachtete, wie Sven seinen Reißverschluss öffnete und Marcel sofort anfing, die Hand tastend über die neuen Freiräume gleiten zu lassen.
Ein kurzer Seitenblick sagte Mats, dass Shinji mit weit aufgerissenen Augen an die Wagentür gedrückt dasaß und ungläubig die Szene taxierte, die sich im wahrsten Sinne des Wortes vor seinen Augen auftat.
„Hey, everything’s fine.“ Beschwichtigend fasste er dem Japaner an die Schulter, der daraufhin heftig zusammenzuckte und etwas auf Japanisch stammelte.
„Gott, ich versteh’ nichts.“ Stöhnte Mats simultan zu Sven, dessen Jeans inzwischen schon in den Tiefen des Autos verschwunden war. „Shinji! Englisch.“
„Er meint nur, dass es schockierend is’“ brummte Neven von seinem Sitz her und beäugte gierig Marcels blonden Schopf, der nun stetig auf und ab Bewegungen machte. „Und... dass wir es eigentlich nur mit Roman tun.“
„Woher weißt du das denn bitte jetzt?“ argwöhnisch zog Mats die Augenbrauen hoch.
Neven zuckte nur mit den Schultern, verzog leicht schmatzend den Mund und langte nach der nächsten Bierdose.
Während Sven weiter stöhnte, machte sich Mats daran, den Müll, der in reichweite lag, einigermaßen zusammen zu suchen und notdürftig in den halben Bierkarton zu schmeißen. Da der meiste Krempel sich um Nevens Füße scharrte, musste er sich ziemlich tief hinüber beugen, und das tat erstens seinem Fußballerrücken nicht gut, zweitens....
„Hey, Subotic! Jetzt...“ ärgerlich und leicht dumpf grummelte Mats in Nevens Schoß hinein. Der hatte ihn tatsächlich am Hinterkopf gepackt und nach unten gedrückt.
„Ich pack’ die Situation am Schopf!“ verkündete Neven über ihm laut und ruckelte recht schmerzhaft an Mats’ Schädel herum.
„Lass. Mich. Los.“ Neven roch großteils nach Schweiß und auch wenn Mats normalerweise an solchen Männerduft gewöhnt war, im Moment war es verdammt unangenehm. Alles in allem war der Abend nicht besonders amüsant gewesen.... die anderen vier würden sich morgen schon an gar nichts mehr erinnern, aber er... er durfte hier schön nüchtern Fahrer, Babysitter und Putzfrau zugleich spielen!
Nevens Griff lockerte sich nach einer Weile und Mats konnte sich freischubsen. Wütend strich er sich die Stirnlocken wieder glatt und warf seinem Sitznachbarn als Hassbeweis noch eine leere Bierdose an den Kopf.
„Och, nich’ böse sein.“ Neven grinste gespielt unschuldig und legte Mats sanft eine Hand auf den Oberschenkel. Das zog immer, auch jetzt. Sofort spürte er, wie er langsam weich wurde, und das wie Butter und Honig im Backofen. Innerlich fluchte er zwar noch ein bisschen, aber im Grunde war es schon klar, dass dies sein persönliches Highlight dieser beschissenen Nacht werden würde.
Draußen fiepte irgendwas, das beängstigend nach einer Eule mit Schuluckauf klang und die Temperatur schien etwas gesunken zu sein. Mats machte das eher wenig aus, denn Neven hatte sich über die Gangschaltung gelehnt und küsste ihn nun sanft auf die Wange.
Im Hintergrund stöhnte Marcel laut auf und Shinji sagte wieder etwas, das nun leicht skeptisch klang. „Er sagt nur, dass er es komisch findet, weil wir sowas machen ohne dass Roman da ist.“ Murmelte Neven gegen Mats’ Ohrmuschel. Der konnte geradezu spüren, wie die leicht rissigen Lippen hauchzart gegen seine empfindliche Haut stupsten.
„Woher weißt du zum Teufel, was Kagawa sagt?“
„Ich weiß alles.“ Neven grinste noch kurz triumphierend bevor er Mats, wahrscheinlich heftiger als geplant, quer auf den Mund küsst.
Mats registrierte nur nebenbei, wie die Geräuschkulissen aus dem hinteren Teil seines Autos verstummt waren, und als er seine Zunge wieder aus Nevens Hals nahm, bemerkte er als erstes die drei Paar Augen, die mit voller Intensität auf sie gerichtet waren.
„Was?“ fragte er. Shinji sagte etwas mit erstauntem Mienenspiel und Sven zuckte nur mit den Schultern.
„Ihr seid dran.“ Brummte dafür Marcel. „Und schmeiß’n Bier rüber.“
„Und Popcorn, oder was?“ fing Mats schon an, aber Neven versiegelte seine Lippen mit einem weiteren Kuss al dente und reichte gleichzeitig mit einer inzwischen eingeübten Bewegung die gewünschte Bierdose weiter.
„Kore wa hontōni omoshiroidesu.“
“…die beiden haben doch was. Ist doch klar.“
„Aber diese eine Freundin...“
„Ach was, mit der ist doch schluss.“
„Kimyōnaaaaa“
„Hast Recht, Shinji.“
„Ne-uuuuen ga kisu ga jōzuda.“
„Danke.“ murmelte Neven gegen Mats Lippen. Seine rechte Hand hatte sich längt schon unter das inzwischen ziemlich zerknitterte Shirt geschlichen und malte höchst erregende Muster auf der Haut.
„Wie, danke?“ Mats tastete sich an Nevens Unterbauch bis zu seiner eindeutigen Beule entlang. Wenn er jetzt nicht auf engsten Raum zwischen Sitzen und Mannschaftskollegen eingeengt wäre, hätte Neven längst schon gar nichts mehr an gehabt.
„Shinji meint, dass ich gut küsse.“
„Wahnsinn.“ Mats rollte mit den Augen und attackierte Nevens Hals. „Und warum zahlen wir dann noch seinem Übersetzer Gehalt?“
„Weil der sieben Kinder hat.“
„Spinnst doch, Alter.“
Neven gluckste leise. „Shinji, hat der Taka nicht sieben Kinder?“
„Sechsu.“ Kam es prompt zurück. Mats schob Neven ein Stück von sich und drehte sich seinem Publikum auf dem Rücksitz zu: „Kann es sein, dass ihn jeder außer mir versteht?“
Sven räusperte sich kurz, Marcel beschäftigte sich auf einmal mit seinen Hemdknöpfen und Neven schüttelte sich vor stillem Lachen.
„Du sei mal ganz still.“ Fauchte Mats aufgebracht. Er ärgerte sich mehr, als er es jemals zugeben würde. „Oder Neven Junior darf heute alleine weiter machen.“
Sofort ging das Lachen in ein ziemlich falsches Husten über, was Mats noch mehr ärgerte. Er kniete sich auf seinen Sitz um seinen asiatischen Mitspieler genau ansehen zu können. „Sag was!“
Shinji zog nur die Augenbrauen hoch: „Dono yō ni?“
„Okay, was, zur Hölle, soll das jetzt bedeuten?“ Mats gestikulierte wild durch den begrenzten Raum, den er hatte und besprühte Neven seitlich mit Gift.
„Naja, er hat dich nicht verstanden.“
Mats platzte endgültig der Kragen. Ohne ein weiteres Wort lehnte er sich vor, griff Shinji in die glatten, schwarzen Haare und küsste ihn. Und zwar so, dass er Neven hätte Konkurrenz machen können. Shinji japste ein paar mal auf, aber nach einer Weile wurde er ganz still und ließ Mats gewähren. Ab und zu entwichen ihm Laute, die ‚Roman’ erschreckend ähnlich klangen.
Mats küsste ihn so lange, bis er persönlich wieder der Meinung war, sein Unvermögen durch diese Aktion ausgeglichen zu haben. Als er den Japaner wieder losließ, herrschte im Wagen absolute Stille. Man hätte jede Bierdose beim Umfallen gehört.
„Na.“ Sagte Neven schließlich. „Jetzt bin aber wieder ich dran, oder?“
„Nein, bist du nicht.“ Marcel hatte sich aufgesetzt, zum ersten Mal an diesem Abend mal etwas weiter weg von Sven, und versuchte nun, von seiner Seite her zu Mats zu kommen. Als das nicht wirklich gelingen wollte, zuckte er einfach ergeben mit den Schultern und drückte stattdessen Neven die Lippen auf.
Mats verfolgte das Zungenspiel zurückgelehnt und suchte mit ausgestrecktem Bein nach einem Bier. Das Bild war was für die Galerie, wirklich. Neven und Marcel. Auch wenn er eher daran gewöhnt war, den Serben ganz für sich alleine zu haben, ab und zu ein wenig Abwechslung war immer gut. Und Vergleiche hatte man dadurch auch.
Mats schloss für einen Moment zufrieden die Augen und spürte, wie Sven ausstieg und die Wagentür unsanft zuschlug. Nun konnte man ihn durchs heruntergelassene Fenster telefonieren hören. Dem zärtlichen Tonfall nach war es entweder seine Mutter oder sein Zwilling, mit dem er sprach.
„Hey...“ jemand tippte Mats sanft gegen die Seite. Er schlug die Augen auf und sah Shinji, der sich an der Bremse festhielt und sich immer noch schwankend nach vorne gebeugt hatte. Der Japaner grinste en bisschen, dann gab er Mats einen keuschen, trockenen Kuss auf die Lippen. Der bilnzelte nur erstaunt.
„Shinji, was...?“
Shinji nickte betrunken ernsthaft und machte den Mund auf.
„Guuuten Moooagen.“