Der Cellist - Teil 10

Jun 12, 2012 13:29

Keine Lust, zu den alten Teilen zu verlinken. Schlicht zu faul. Teil 1 muss reichen.



„Das“, fasst Tony die Gedanken aller Anwesenden zusammen, „war erschreckend einfach.“

Er sitzt am Steuer des gemieteten Busses - Thor zufolge ein prächtiges Gefährt und ihrer vollkommen würdig - und muss sich schwer zusammenreißen, nicht alle drei Sekunden in den Rückspiegel zu starren, um sicher zu stellen, dass es Phil auch ja gut geht.

Das Krankenhaus hat ihnen einen antiquierten Rollstuhl mitgegeben, den Tony als persönliche Beleidigung empfindet. Er hat beschlossen, dass Steve und Thor sich solange damit abwechseln können, Phil durch die Gegend zu tragen, bis er ihm einen Besseren gebaut hat. Einen, der fliegen kann.

„Ich glaube, Fury hatte Angst, dass Steve ihm wieder auf die Nase haut, wenn er Nein sagt“, lautet Bruces leiser Kommentar. „Bitte guck auf die Straße, Tony.“

Tony räuspert sich und leistet seinem Wunsch Folge.

„Bist du ok?“ erkundigt Bruce sich nach einer Weile leise.

Tony hebt die rechte Augenbraue. „Bin ich ok? Solltest du das nicht lieber Phil fragen - oder, ich weiß auch nicht … Clint?“

Ein weiterer Blick in den Rückspiegel stellt klar, dass Phil nach wie vor auf seinem Platz sitzt, ein bisschen bleich, aber ansonsten offenbar blendender Verfassung. Clint sitzt neben ihm und starrt ihn an, als könne er sein Glück kaum fassen.

Tony ahnt, was in ihm vor sich geht und blickt automatisch zu Pepper hinüber, die neben Natasha sitzt und sich leise mit ihr unterhält.

„Um Clint muss ich mir im Moment keine Sorgen machen“, erwidert Bruce leise. „Er hat seinen Handler zurück.“

„Phil ist nicht mehr sein Handler“, sagt Tony automatisch.

„Phil wird immer sein Handler sein“, widerspricht Bruce ihm ruhig.

Tony wirft ihm einen Blick aus dem Augenwinkel zu. „Wie zum Teufel machst du das? Du hast doch nichtmal ihre Akten gelesen.“

„Ich lese nie Akten, Tony“, sagt Bruce amüsiert. „Papier ist geduldig. Menschen sind ehrlicher. Vielleicht mit Ausnahme von Direktor Fury.“

Tony schnauft. „Na gut. Um deine Frage zu beantworten: Ja, ich bin in Ordnung. Schätze ich. Aber ich werde mich definitiv wohler fühlen, wenn wir Zuhause sind.“

Bruce nickt. „Ja. Ich glaube, wir können jetzt alle ein ausgedehntes Frühstück vertragen.“

Thor sitzt auf seinem Platz in dem prächtigen Transportmittel, das Tony so abwertend als ausgedienten Schulbus bezeichnet hat, und gibt sich Mühe, sich seine Anspannung nicht anmerken zu lassen.

Er hat seinen Teil getan, hat die Botschaft überbracht, um die Heimdall ihn ausgesandt hat, und die Folgen seiner Tat erfüllen ihn mit nicht zu leugnender Freude.

Es ist der erste Tag seit Wochen, dass ihm wieder danach zumute ist, zu lächeln.

Aber jetzt, da seine Mission abgeschlossen ist, lautet sein unausgesprochenes Geheiß, wieder nach Hause zurück zu kehren.

Es ist keinesfalls eine Aussicht, der er mit Freude entgegen blickt.

Asgard ist für ihn zu einem freudlosen Ort geworden - sein Vater voller Wut und Enttäuschung über Lokis Sünden, seine Mutter voll stiller Trauer und in sich selbst zurückgezogen.

Selbst die Bemühungen seiner Freunde können ihn nicht davon ablenken, dass er seinen Bruder verloren hat und mit ihm den Schein einer glücklichen Familie.

Sie waren nicht dabei, als er Loki zum zweiten Mal verloren hat. Als er zum zweiten Mal bezeugen musste, zu was sein Bruder fähig ist. Zu was er ihn getrieben hat. Sie wissen nicht, wie es ist, wie es sich anfühlt, jemanden zu lieben, der einem nichts als Hass und Kälte entgegen bringt.

Wenigstens für den Moment … will er nicht dorthin zurück. In die Welt, in der er einen Bruder gehabt hat.

Also behält er seinen Platz hinter Clint und Phil bei, hält stumm Wache und hofft, dass sein Vater ihn nicht zu schnell zurückbefehligen wird.

Es ist ihm wichtig, persönlich über das Wohlergehen des Sohn des Coul zu wachen, denn jedes Leben weniger, dass Loki geraubt hat, lässt die Bürde über seinem Herzen weniger schwer wiegen.

„Thor wirkt ein wenig … trübselig“, wispert Pepper Natasha zu. Natasha wirft einen flüchtigen Blick in Richtung der nordischen Gottheit links von ihnen und zuckt mit den Schultern. „Vielleicht verträgt er das Autofahren nicht.“

Pepper zieht ihr eine Schnute. „Wohl kaum.“

Natasha seufzt. „Was soll ich deiner Meinung nach tun?“

Pepper mustert sie kurz. „Was weißt du über ihn?“

„Praktisch nichts. Abgesehen von all den Dingen selbstverständlich, die du entweder auch weißt, oder über die ich dir nichts erzählen darf.“

Pepper rollt mit den Augen. „Schweigepflicht? Wirklich?“

„Ich bin nicht Tony Stark und kann mich demzufolge nicht einfach damit rausreden, ein brillanter Milliardär zu sein, der nichts für sich behalten kann.“

Pepper verpasst ihr einen Klaps. „Das war nicht nett.“

„Aber akkurat.“

„Trotzdem nicht nett.“

Pepper seufzt. Dann steht sie auf und lässt sich auf der anderen Seite des Ganges neben Thor nieder.

Der Umstand, dass er ein Halbgott ist, bringt sie nicht weiter aus der Fassung. Pepper ist im Laufe ihres Lebens genügend Männern begegnet, die sich für Götter halten. Thor hat wenigstens einen Hammer, der das Wetter machen kann.

„Guten Tag“, sagt sie höflich. „Ich fürchte, wir sind einander noch nicht vorgestellt worden. Ich bin Pepper.“

Er führt ihre ausgestreckte Hand an seine Lippen und küsst ihre Fingerknöchel. „Es ist mir eine Freude.“

Pepper ist hingerissen. Er erinnert sie vage an Captain Rogers. Nur das Captain Rogers es vermutlich nie gewagt hätte, tatsächlich ihre Hand zu nehmen und sie zu küssen.

Pepper muss sich räuspern. „Mir ebenfalls. Ich bin Tonys -“ Assistentin, will sie sagen, und kann sich gerade noch bremsen, „… bessere Hälfte.“

Sie schämt sich nicht mal, es derartig formuliert haben. Je eher Thor Bescheid weiß, desto besser.

Thor lächelt galant. „Ich bin sicher, der Mann aus Eisen kämpft nur noch beherzter dank der Gewissheit, dass solch eine holde Gefährtin ihm den Tag erhellt.“

Jetzt wäre sie doch beinahe rot geworden.

„Pepper, was geht da hinten vor sich?“ ertönt auch prompt Tonys Stimme aus der Front des Busses. „Steve, setz dich dazu und lausch für mich!“

„Das werde ich ganz sicher nicht tun!“ empört Steve sich sofort. Pepper lächelt ihm zu und winkt ihn an sich heran. „Komm ruhig her, Steve. Ich wollte Thor eben danach fragen, was er jetzt vorhat, nachdem er uns Phil zurück gebracht hat.“

Das lenkt die allgemeine Aufmerksamkeit ganz selbstverständlich auf Thor, der prompt ein kleinwenig weniger verloren wirkt. Vor ihnen dreht Clint sich auf seinem Sitz um und kniet sich hin, damit er ihn voll ansehen kann. „Woher hast du’s eigentlich gewusst?“

Er legt seine Hand auf Phils Schulter und drückt zu. „Woher hast du gewusst, dass er … aufgewacht ist?“

Phil legt seine eigene Hand über Clints, unternimmt jedoch keinen Versuch, sich umzudrehen. Es mag ihm wesentlich besser gehen, als nach drei Wochen und der Art seiner Verletzung zu erwarten wäre, aber so gut dann auch nicht.

„Heimdall hat sein Erwachen wahrgenommen“, erklärt Thor mit ernster Stimme.

Clint blinzelt ihn an. „Kriegt viel mit, der Typ, ja?“

Thor nickt. „Alles.“

Clint mustert ihn einen Moment lang. „Und du bist sofort her gekommen.“

Thor sieht ihn überraschend traurig an. „Mein Bruder hat meinetwegen Unglück über diese Welt gebracht. Die Verantwortung, dieses Unglück zu lindern, liegt bei mir und niemandem sonst.“

Stille tritt ein.

Vorne am Steuer des Busses räuspert Tony sich nachdrücklich. „Thor, Kumpel, nichts gegen dich oder deine Schuldgefühle, aber Lokis … Aktionen … sind kaum deine Schuld.“

Thor schüttelt den Kopf. „Er ist mein Bruder, und seine Taten entsprangen zu Anfang nichts als seinen Gefühlen der Unterlegenheit und Trauer. Wenn ich ihnen mehr Aufmerksamkeit geschenkt hätte -“

„Ah-ah-ah“, macht Tony streng. „Die Was-Wäre-Wenn Straße ist gesperrt!“

Thor starrt verständnislos seinen Hinterkopf an. Pepper räuspert sich. „Was der Mann aus Eisen damit sagen will“, erklärt sie so laut, dass auch Tony sie hören kann, und sein Grinsen im Rückspiegel entlockt ihr ein flüchtiges Lächeln, „ist, dass du nicht wissen kannst, ob die Dinge anders gekommen wären, wenn du dich anders verhalten hättest.“

Clint klopft ihm auf die Schulter. „Hör auf die Frau. Ist meistens die Einzige, die weiß, wovon der Mann aus Eisen spricht. … Außer Bruce natürlich.“

Thor sieht nicht überzeugt aus.

„Was unser Donnergott braucht“, stellt Tony fest, „ist ein Kaffee. Mit extra Keksen. Wie überaus wundervoll also, dass wir endlich Zuhause sind.“

Phil ist inzwischen aufgegangen, dass die Beziehung der Avengers untereinander wesentlich herzlicher geworden ist, als er selbst in seinen wildesten Träumen gewagt hatte zu hoffen …Aber ihr Frühstücksballett ist trotzdem mehr als einfach nur einschüchternd.

Steve deckt den Tisch. Da er niemanden fragen muss, wo welche Teller, Tassen oder sonstige Utensilien sind, geht Phil davon aus, dass er sich in Tonys Küche auskennt. Er reicht Tony die erwähnten Tassen außerdem mit gelassener Selbstverständlichkeit. Offenbar weiß er nicht, dass Tony es nicht leiden kann, wenn Leute ihm Sachen in die Hand drücken.

Offenbar hat Tony es nicht für nötig gehalten, ihn darüber in Kenntnis zu setzen. Ein erschreckender Gedanke.

Tony steht vor einer verchromten Monstrosität, die offenbar als Kaffeemaschine geboren wurde, und dann einer Generalüberholung durch Tony unterworfen worden ist, die ihn wohl endgültig als wahnsinniges Genie zertifiziert. An einem Punkt der Operation waren definitiv Blitze und irres Gelächter involviert.

Clint steht am Herd und kocht unter Bruces wohlwollender Regie und unter Zuhilfenahme sämtlicher Herdplatten Rührei. Die beiden Männer wirken vertraut miteinander, dringen ohne Scheu oder Zurückhaltung in den persönlichen Bereich des jeweils anderen ein und machen ganz selbstverständlich und ohne dazu aufgefordert worden zu sein, Natasha Platz, als sie an den Ofen heran will.

Denn Natashas Aufgabe scheint es zu sein, Brötchen aufzubacken. Sie führt sie mit einem Lächeln aus. Einem echten, ehrlichen Lächeln.

Einzig Miss Potts, die ihm gegenüber sitzt, scheint völlig damit zufrieden zu sein, untätig zu bleiben und sich umsorgen zu lassen. Phil kann nur annehmen, dass es eine neue Erfahrung für sie ist.

Thor, der ihn ins Haus tragen durfte, da Tony sich schlicht geweigert hat, den Rollstuhl über die Schwelle zu lassen, sitzt an seiner Seite und … Phil hat ihn schwer unter Verdacht, dass er ihn bewacht.

Er ist Tony unwillkürlich dankbar, als er die erste Tasse fertigen Kaffees vor dem Donnergott abstellt, ihm auf die Schulter klopft und ihm einen Keks und die Anweisung gibt, sich zu entspannen.

„Ich kann dir mehr oder weniger versprechen, dass in meiner Küche nichts über Phil herfallen wird. Er ist hier so sicher wie in Abrahams Schoß.“

Thor blinzelt ihn fragend an. „Und dieser Abraham ist ein Mann von ruhmreicher Stärke?“

Tony blinzelt zurück. Dann grinst er. „Du bist fast noch besser als Steve.“

„Hey!“ beschwert Steve sich leise und knufft Tony in die Seite. Sie grinsen einander an, und das auf eine Art und Weise, die man nur als freundschaftlich bezeichnen kann. Phil blickt misstrauisch von einem zum anderen.

„Ignorier die Zwei am Besten“, rät Clint ihm leise. „Glücksbärchis haben ihre Körper übernommen. Rührei?“

Er schaufelt Phils Teller voll, ohne eine Antwort erhalten zu haben und setzt sich neben ihn.

Phil mustert ihn von der Seite, solange, bis Clint sich ihm voll zuwendet. „Was?“

Phils Blick schweift vielsagend durch die Küche. Clint zuckt mit den Schultern. „Alles dein Verdienst.“

Phil hebt eine skeptische Augenbraue. „Meiner?“

Clint nickt. „Du hast uns zusammengebracht, oder nicht?“

Phil zögert einen Moment, dann nimmt er seine Hand. „Darüber ließe sich wohl streiten.“

„Pscht, sag das nicht zu laut“, erwidert Clint mit einem Grinsen. „Steve wird mütterlich, wenn wir streiten.“

„Ich“, sagt der Supersoldat mit dem Supersoldaten-Gehör, „werde niemals mütterlich.“

Phil fängt an zu lachen, weil ihm schlicht nichts einfällt, was er sonst tun soll.

Nach dem Frühstück verschwindet Tony in seine Werkstatt, um Phil einen vernünftigen Rollstuhl zu bauen, und überlässt es Pepper, Phil und Thor ihre Räumlichkeiten zuzuweisen.

Pepper, praktisch veranlagt wie immer, gibt Phil das Zimmer direkt neben Clints und lässt die Zwei dann allein.

Nun. Allein mit Captain Rogers.

Aber sie wird einen Teufel tun und Captain America sagen, was er zu tun und zu lassen hat. Das ist Tonys Job.

„Du … äh … du musst wirklich nicht bleiben“, sagt Clint, während er Steve dabei beobachtet, wie er das Bett frisch bezieht. Phil ist vorübergehend in dem Sessel am Fenster deponiert worden, und betrachtet sich die Szene mit schleichender Fassungslosigkeit.

Captain America macht ihm das Bett.

„Ich werde sofort gehen, wenn ich hier fertig bin“, erwidert Steve ruhig. „Du solltest Agent Coulson einen deiner Pyjamas holen.“

Clint blinzelt ihn fassungslos an. „Du willst, dass ich seine Würde und sein Selbstwertgefühl völlig zerstöre?“

Steve blinzelt zurück. „Wovon redest du?“

„Hast du meine Pyjamas mal gesehen?“

Steve hebt eine Augenbraue. „Wir haben gerade erst eine Pyjama-Party gemacht.“

„Pyjama-Party“, wiederholt Phil tonlos. „Pyjama-Party.“

„Und auf deinen sind wenigstens keine Sterne drauf“, sagt Steve trocken. „Außerdem gehe ich stark davon aus, dass Agent Coulson es begrüßen würde, die Krankenhauskleidung abzulegen.“

Clint stöhnt auf und geht in das angrenzende Zimmer hinüber.

Steve hebt sofort den Blick und sieht Phil eindringlich an. „Ich bin so froh, dass Sie am Leben sind.“

Clint ist zurück, ehe Phil auch nur den Hauch einer Ahnung hat, was er darauf erwidern soll. Aber Clint scheint den Umschwung in der Stimmung sofort wahrzunehmen und wirft Steve einen misstrauischen Blick zu. „Was hast du zu ihm gesagt?“

Steve schüttelt die Kissen etwas länger auf als unbedingt notwendig. „Lediglich, dass ich froh bin, dass er am Leben ist.“

„Lediglich“, wiederholt Clint fasziniert. „Lediglich.“

Steve räuspert sich. „Ich wollte mich außerdem entschuldigen.“

Phil starrt ihn an. „Für was, um alles in der Welt, müssten Sie sich bei mir entschuldigen?“

Steve sieht ihm in die Augen. „Das Team hat Sie im Stich gelassen. Und das ist meine Schuld. Es lag an mir, alles zusammenzuhalten, und ich habe versagt.“

Phil seufzt und reibt sich mit der Hand über den Kopf. „Captain Rogers -“

„Steve“, sagt Steve so voller Nachdruck, dass Clint zusammenzuckt, und Phil trocken schlucken muss. „Steve. Ich kenne Tony Stark schon wesentlich länger als du, und niemand - ich wiederhole - niemand kann diesen Mann auf Anhieb so behandeln, dass er positiv darauf reagieren würde.“

Steve zieht die Stirn kraus. „Ich verstehe nicht, was die Angelegenheit mit Tony zu tun haben soll. Abgesehen davon ist er ein wunderbarer Mensch.“

Phil schließt einen Moment lang die Augen. „Sag sowas nicht.“

Steves Stirn runzelt sich noch ein wenig mehr. „Aber es ist die Wahrheit.“

Phil erinnert sich daran, wie Tony ihm angeboten hat, ihn zu Claudia zu fliegen ohne sie überhaupt zu kennen - einfach, weil Pepper ihm von ihr erzählt haben muss - und gibt auf. Denn Steve hat Recht. Tony macht einen wahnsinnig, ist mit voller Absicht so lange unerträglich anstrengend, bis man ihn erwürgen möchte - und dann, gerade als man aufgegeben hat, zeigt er seine großzügige Seite, beweist, dass er nicht nur ein Herz besitzt, sondern außerdem Mitgefühl und ehrliches Interesse am Wohlergehen anderer Leute.

Es war nicht Tonys Schuld, dass Claudia ihn längst verlassen hatte. Dass ihre letzten Worte zu ihm „Du liebst das Cello, und du liebst jemanden, der es spielt - aber nicht mich“, gewesen sind.

Es war nicht Tonys Schuld, dass sein Angebot ihn unweigerlich daran erinnert hat, dass Phil seine Gefühle für Clint lange nicht so gut versteckt und begraben hatte, wie er sich das eingeredet hatte.

„Ja, gut, Tony Stark ist ein wunderbarer Mensch“, gibt Phil also widerwillig zu. „Was ich sagen wollte, ist, dass das nicht immer unbedingt auf Anhieb ersichtlich ist. Und er ist, warum auch immer, ein wichtiger Faktor in der Gruppendynamik des Teams.“

Steve nickt sofort und ohne diese Aussage auch nur eine Sekunde lang in Frage zu stellen. Phil weiß nicht, ob er lachen oder weinen soll.

Tony Stark hat seinen Helden entweiht. Hoffentlich nur metaphorisch gesprochen.

Er fährt fort. „Wenn man dann noch in Erwägung zieht, dass das Team außerdem aus dem Hulk und Thor besteht … ich weiß ehrlich nicht, wie das überhaupt funktionieren kann, und bin sehr beeindruckt, dass es offenbar nur drei Wochen gedauert hat, das Gefühl für Zusammenhalt herzustellen, das ich heute bezeugen durfte.“

Steve legt den Kopf schief, und plötzlich lächelt er - ehrlich und jungenhaft und völlig unbeschwert. „Ich sehe schon. Ich komme mit meiner Entschuldigung nicht sehr weit.“

Phil zuckt mit den Schultern. „Damit wirst du dich abfinden müssen.“

Steve seufzt übertrieben theatralisch, und Phil stellt fest, dass er den Mann nicht nur verehrt sondern aufrichtig und wirklich gut leiden kann.

Diesmal hat er sich sogar zusammenreißen können, und nichts Peinliches zu ihm gesagt. Ein deutlicher Fortschritt.

Steve stellt Phils Gefühl des leisen Triumphs auf eine harte Probe, als er darauf besteht, Phil beim Umziehen zu helfen, erstickt jedoch sämtliche Proteste, die Clint und Phil einfallen, im Keim. „Meine Mutter war Krankenschwester. Ich habe ihr oft genug geholfen und weiß, was ich tue.“

Dementsprechend hat Captain America ihm nicht nur das Bett gemacht, er hat ihn außerdem in seinen Pyjama gesteckt.

Phil ist in einem Alter, in dem man nicht mehr mit sowas rechnet.

Außerdem hat er nicht mit den eifersüchtigen Blicken gerechnet, die Clint Steve zuwirft.

Er kann dementsprechend nicht sagen, ob er enttäuscht oder doch eher erleichtert sein soll, als Steve ihn doch noch mit Clint allein lässt.

Natasha ist damit beschäftigt, sich zum Trainieren umzuziehen, als ein zurückhaltendes Klopfen an ihrer Tür sie inne halten lässt. „Moment!“

Sie zögert einen Moment, dann zieht sie ihre Jeans wieder an und knöpft ihre schlichte Bluse wieder zu, ehe sie geht, um Bruce aufzumachen.

Nur Bruce bringt es zuwege, zurückhaltend zu klopfen.

Er lächelt sie an, als sie ihm öffnet, beide Hände in den Taschen seiner Hosen, und Natasha wünscht sich unwillkürlich, nur einmal in ihrem Leben so durch und durch entspannt sein zu können wie er. Sie würde sogar sein unkontrollierbares inneres Biest dafür in Kauf nehmen. Es ist schließlich nicht so, als habe sie nicht mit ihrem eigenen zu kämpfen. Sie hat bloß nicht das Gefühl, dass sie mit ihrem so gut klarkommt wie er mit seinem.

„Was kann ich für dich tun?“ erkundigt sie sich, legt den Kopf schief, und sein Lächeln wird ein wenig unsicher. „Ich war mit Clint verabredet, einen neuen Topf für Elvira zu besorgen. Aber ich denke nicht, dass er da jetzt noch dran denkt. Also wollte ich fragen, ob du vielleicht mitkommen möchtest? Ich … möchte lieber nicht allein gehen.“

Natasha blinzelt ihn an. Sie begreift, dass er Clint eine Freude machen möchte, und sie versteht, warum er nicht allein gehen will.

Aber er hätte Tony fragen können, ob er mit will. Denn er muss genau so gut wissen, wie alle anderen, dass Tony ihm nicht das Geringste abschlagen kann, völlig egal, an was er gerade bastelt.

Oder er hätte Steve fragen können. Steve kann niemandem eine Bitte abschlagen, selbst wenn er es wollte. Er hätte Pepper fragen können. Pepper ist offenbar seine neue beste Freundin.

„Natasha?“ dringt Bruces unsichere Stimme in ihr Bewusstsein, und sie erwacht aus ihrer Starre und nickt. „Sicher. Ich komme gerne mit.“

Wieder lächelt er sie an, aber diesmal ist sein Lächeln so ehrlich und aufrichtig, dass es ihr ein bisschen das Herz bricht.

Dabei war sie so fest davon überzeugt, dass es inzwischen so abgehärtet ist, dass es einer atomaren Explosion widerstehen könnte.

„Tony“, sagt Steve direkt an seinem Ohr, und Tony zuckt zusammen und versengt sich beinahe die Augenbrauen mit dem Lötkolben, den er in der Hand hält. „Jesus! Wie zum Teufel bist du hier rein gekommen?!“

„JARVIS hat mich vor zehn Minuten rein gelassen, und seitdem versuche ich, deine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.“

„Du hättest was sagen können!“

„Habe ich! Wiederholt! Aber du bist derartig auf deine Arbeit konzentriert, dass das Gebäude über dir einstürzen könnte, ehe du was merkst.“

Tony seufzt und macht den Lötkolben aus. „Was möchtest du, Steve?“

Steve wirkt mit einem Mal ein wenig ertappt. „Ähm.“

„Na komm schon, raus damit.“

Steve wedelt ein wenig mit den Armen. „Ich … also, eigentlich … nichts.“

Tony mustert ihn von oben nach unten. Steve wird rot, wie er es immer wird, und Tony weiß nach wie vor nicht wirklich, wie er damit umgehen soll. Steve ist so niedlich. Wie eine Kreuzung aus einem Pfadfinder und einem Welpen, und eigentlich hat Tony weder für das eine noch für das andere eine Schwäche.

„Hast du auch nur die geringste Ahnung“, fragt Tony ihn ernst, „von Maschinenbau oder Elektronik?“

„Nein“, sagt Steve und studiert die Pläne, die um Tony herum ausgebreitet in der Luft schweben. Er versucht, sich nicht anmerken zu lassen, wie sehr der Anblick ihn fasziniert. „Aber von Physiotherapie. Außerdem erkenne ich einen Rollstuhl, wenn ich einen sehe, und weiß, dass das da“, sein Zeigefinger deutet auf einen bestimmten Abschnitt, „nicht funktionieren wird.“

Tony tritt dichter an ihn heran, folgt seinem ausgestreckten Finger mit konzentriertem Blick aus halb geschlossenen Augen.

„Oh“, sagt er schließlich. „Wunderbar. Du kannst mir helfen.“

Damit drückt er Steve den Lötkolben in die Hand, greift in den Plan hinein, zieht den Abschnitt heraus und macht sich daran, seinen Fehler zu korrigieren.

Steve steht neben ihm, den Lötkolben in der Hand, und blickt ihm lächelnd über die Schulter.

Bruce macht mit Natasha einen Abstecher in die Küche, ehe sie die Villa verlassen, um Pepper darüber in Kenntnis zu setzen, was sie vorhaben.

Er findet sie mit Thor am Küchentisch vor, offenbar in ein Gespräch über die Feinheiten asgardischer Mode vertieft.

Thor wirkt ein wenig überfordert von ihren detaillierten Fragen, gibt sich aber alle Mühe, sie zu beantworten.

„Natasha und ich gehen in die Stadt“, sagt Bruce, und versucht gar nicht erst, sein Schmunzeln zu verstecken. „Sollen wir euch was mitbringen?“

Pepper hebt eine vielsagende Augenbraue, die er mit einem Schulterzucken quittiert. „Ich wollte es zumindest angeboten haben.“

Das entlockt ihr ein Lächeln. „Ihr könntet Thor mitnehmen“, schlägt sie vor. „Ihm ein bisschen was von der Stadt zeigen, wenn sie nicht gerade in Trümmern liegt. Außerdem braucht er zivile Kleidung, wenn er länger hier zubleiben gedenkt. So sehr mir das Cape auch gefällt - es ist kaum alltagstauglich.“

Thor, der an starke Frauen, die Entscheidungen für ihn fällen, gewohnt zu sein scheint, äußert kein einziges Wort des Widerspruchs.

Bruce wirft Natasha einen fragenden Blick zu, und sie nickt. „Sicher, warum nicht.“ Sie richtet ein Paar ernster Augen auf Pepper. „Wenn du auch mitkommst.“

Pepper schüttelt den Kopf. „Ich habe keine Zeit. Ich muss dringend -“

„Du musst dringend ein paar Stunden weit weg von deinen Unterlagen verbringen“, unterbricht Natasha sie ruhig. „Und versuch nicht, mir einzureden, dass es dir keinen Spaß machen würde, Thor neu einzukleiden.“

Pepper fasst unwillkürlich Thor ins Auge, der vage verwirrt dreinblickt. Ein Gesichtsausdruck, der ihn fast noch attraktiver aussehen lässt, als er sowieso schon ist. Ein anerkennendes Seufzen lässt sich nicht unterdrücken. „Oh, na gut. Wenn du darauf bestehst.“

Natasha nickt, ein verstecktes Grinsen in den Mundwinkeln. „Ich bestehe darauf.“

Pepper erhebt sich von ihrem Stuhl. „Dann ist es beschlossen. JARVIS, du sagst Tony, wo wir abgeblieben sind, falls ihm tatsächlich auffallen sollte, dass wir verschwunden sind, ja?“

Selbstverständlich, Miss Potts.

„Vielen Dank.“

Damit machen sie sich auf und davon.

TEIL 11

fandom: avengers, autor: uena

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