..Vater sein dagegen sehr

Apr 23, 2011 00:02

Herbert Thiel macht sich Sorgen um seinen Sohn und möchte ihm helfen. Leider hat er nur wenig Erfahrung in der Vaterrolle. Aber vielleicht kann er sich ja fortbilden?

Tatort Münster, Humor, Slash, P12.



..Vater sein dagegen sehr

Es war an einem Donnerstag, als Herbert Thiel in das örtliche Bildungszentrum ging, um wie jede Woche an dem Kurs „Yoga für Fortgeschrittene“ teilzunehmen. Leider stand er dieses Mal vor verschlossenen Türen. Ein Zettel informierte ihn darüber, dass die Kursleiterin krank geworden war, aber ihren Schützlingen trotzdem einen ‚entspannten Nachmittag im Einklang von Seele, Geist und Körper‘ wünschte.

„Scheiße.“, murmelte Herbert, wenig entspannt. Das Bildungszentrum lag sehr zentral, ein Parkplatz war hier kaum zu bekommen und so hatte er mit seinem Taxi ewig um den Block kurven müssen (inklusive wütender potentieller Fahrgäste, die versuchten, ihn anzuhalten), bis er es schließlich gezwungenermaßen weit ab vom Schuss abgestellt hatte und mehrere hundert Meter gelaufen war. Und das sollte nun alles umsonst gewesen sein?

Missmutig ging er eine Treppe hinunter ins Erdgeschoss und musterte dort die Infotafel mit den Kursangeboten. Vielleicht lief ja gerade etwas anderes, das ihn interessieren könnte. ‚Bekämpfen Sie Ihre Problemzonen mit Aqua-Gymnastik‘, entzifferte er. Nein, das kam nun wirklich nicht in Frage (er machte sich aber gedanklich eine Notiz, seinem Sohn die Teilnahme zu empfehlen, schon allein um Franks Gesichtsausdruck dabei zu sehen). Der einzige andere Kurs um diese Uhrzeit hieß „Alleinerziehende Väter - Erfahrungsberichte und Strategien im Alltag“. Er runzelte die Stirn. Nun, irgendwie traf das ja auf ihn zu, oder? Immer noch besser, als unverrichteter Dinge wieder nach Hause zu gehen.

Kurzentschlossen machte sich Herbert auf den Weg in den dritten Stock, wo der Kurs stattfinden sollte. So langsam ging ihm die Puste aus von der Treppensteigerei. Er zwar noch recht fit für sein Alter, aber eben nicht mehr Zwanzig. Schwer atmend betrat er endlich den Raum, stützte sich mit den Händen auf seinen Knien ab und sah sich um.

Ein Dutzend Stühle bildeten einen Kreis, in dem Männer verschiedenen Alters (wenn auch alle jünger als er selbst) saßen und sich angeregt unterhielten. Offenbar kannten sich die meisten schon. Ein etwa dreißigjähriger Mann mit Pferdeschwanz sah auf und bemerkte Herbert. Er erhob sich und kam lächelnd auf ihn zu. „Hallo, wie schön, dass du bei uns reinschaust! Ich bin Johannes Dreyer, der Kursleiter. Du kannst mich gern Hannes nennen, wie alle hier.“ Er schüttelte voller Begeisterung Herberts Hand. „Und du bist..?“

„Äh, Herbert Thiel. Du kannst mich Herbert nennen.“, antwortete Herbert und ließ seine Hand durchschütteln, ein wenig verlegen, da nun alle Augen auf ihn gerichtet waren. Normalerweise war er alles andere als schüchtern, aber eigentlich hatte er geplant, sich die Sache hier erstmal nur aus Beobachterperspektive anzuschauen und dann zu entscheiden, ob es das richtige für ihn war. Doch das konnte er nun wohl vergessen.

„Gut Herbert, dann setz dich doch bitte dort auf den Platz, der ist noch frei. Wir fangen gleich an.“

Herbert kam der Aufforderung schnell nach und entspannte sich, als die anderen Männer nach einer Weile wieder das Interesse an ihm verloren und weiter schwatzten. Er schnappte ein paar Brocken auf, zum Beispiel „die Fixies gibt es jetzt auch in sensitiv“ und „also der Pekip-Kurs letzte Woche..“, konnte inhaltlich aber auf Dauer nicht folgen.

Der Kursleiter nahm ein paar Unterlagen aus einem Schrank und setzte sich dann wieder auf seinen Stuhl. „So ich denke, wir können jetzt anfangen. Am besten starten wir erstmal mit einer Vorstellungsrunde, immerhin haben wir heute drei Neuzugänge dabei!“ Er lächelte wieder wie ein Honigkuchenpferd. „Fang du doch gleich an“, sagte er zu seinem Sitznachbarn, einem blonden Mann in Businessklamotten, der ziemlich deplatziert wirkte auf seinem verschrammten klapprigen Holzstuhl. Er sah auf eine Liste in seinen Unterlagen. „Du bist der Thomas, oder?“

Der Blonde nickte knapp und zerrte ein wenig an seiner Krawatte. „Ja, Thomas Hagenstein. Entschuldigt meinen Aufzug, aber ich musste direkt von der Arbeit herkommen, sonst hätte ich den Termin nicht halten können. Ich habe eine vierjährige Tochter Lea, die ich allein aufziehe, seit meine Frau im Urlaub mit einem Spanier durchgebrannt ist.“ Er rasselte das alles runter, als würde es ihn kalt lassen, aber auf seiner Stirn bildeten sich Schweißperlen. Herbert hatte einen guten Blick, was die Stimmungen anderer Leute anging. Das war ziemlich wichtig in seinem Beruf - jedenfalls wenn man sein Taxi und sich selbst halbwegs in gutem Zustand bewahren wollte. Dieser Mann stand offensichtlich ganz schön unter Stress, soviel war klar.

„Wo ist sie denn jetzt?“, fragte der Kursleiter freundlich.
„Was? Na in Spanien natürlich!“
„Nein, ich meine, deine Tochter.“
„Achso.“ Thomas strich verlegen durchs Haar. „Sie ist bei einer Tagesmutter, ich hole sie später ab.“

Hannes nickte. „Danke für deine Vorstellung, Thomas, und herzlich willkommen in der Gruppe. Da fällt mir noch etwas ein, was ich unseren neuen Teilnehmern sagen wollte: wir haben auch eine Kinderbetreuung im Hause, für nur drei Euro die Stunde. Die Gabi ist eine ganz Liebe und ruft mich sofort auf dem Handy an, wenn es ein Problem mit euren Kleinen gibt. Ihr müsst ihr nur sagen, in welchem Kurs ihr seid.“

Thomas holte ein BlackBerry aus seinem Aktenkoffer und notierte etwas. Herbert dagegen hatte zunehmend das unangenehme Gefühl, fehl am Platze zu sein. Irgendwie hatte er sich die Sache hier anders vorgestellt. Obwohl, eigentlich hatte er sich gar nichts konkretes vorgestellt. Warum war er nur hierher gekommen? ‚Anscheinend hat mir der Anti-Kater-Joint von heute morgen das Gehirn vernebelt‘, dachte Herbert genervt. Am liebsten wäre er aufgestanden und gegangen, aber er riss sich zusammen. Schließlich wollte er Hannes nicht demotivieren.

Der hatte inzwischen das Wort an den nächsten „Neuzugang“ übergeben, einen jungen Typen in Tshirt und Jeans, mit gestyltem Haarschopf und Piercing in der Nase. „Ich bin der Kai und habe 13 Monate alte Zwillinge, Emma und Max.heißen sie.“, stellte er sich vor. „Die beiden wohnen seit ihrer Geburt bei uns. Bei mir und meinem Partner. Also so ganz alleinerziehend bin ich nicht, ich hoffe, das ist OK...“

Hannes winkte nur lächelnd ab. „So eng sehen wir das hier nicht. Ich denke, auch wenn man eine neue Beziehung hat, hören die typischen Probleme Alleinerziehender nicht automatisch auf.“

Nun mischte sich einer der anderen Kursteilnehmer ein, die bisher nur zugehört hatten. „Dein Partner? Du meinst, du bist...“

„Jep, ich bin schwul.“ Kai grinste. „Oder bi, wenn du so willst. Aber im Moment lebe ich mit einem Mann zusammen und ich hoffe, das bleibt auch so.“

Der Fragesteller brummte etwas unverständliches in seinen Bart, aber der Kursleiter übertönte ihn, in dem er Herbert ansprach: „Kommen wir nun zu unserem letzten Neuzugang, Herbert Thiel.. Allerdings stehst du nicht auf meiner Liste. Hast du spontan bei uns reingeschaut?“

Herbert nickte. Spontaner ging‘s wohl kaum. Er wünschte nur, er hätte dieses Mal seine Spontanität besser im Griff gehabt.

„Kein Problem.“, beruhigt ihn Hannes. „Du kannst dich auch nachträglich anmelden. Magst du uns etwas über deine Kinder erzählen?“

Herbert rückte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. „Ja also.. mein Sohn, der Frank, der macht mir ziemliche Sorgen. Seine Mutter ist ja nun schon lange tot und jetzt muss ich mich um ihn kümmern. Leider habe ich als Vater kaum Erfahrung, weil er bei ihr in Hamburg aufgewachsen ist und ich ihn jahrelang nicht gesehen habe.“

Hannes sah ihn mitfühlend an und auch die anderen Kursteilnehmer murmelten etwas von Beileid und schwierigen Zeiten. Herbert, der sich bestätigt fühlte, wurde mutiger. Wenn er schon mal hier war, konnte er auch gleich den Stier bei den Hörnern packen. Möglicherweise hatte einen von den anderen Vätern ja eine Idee, wie er seinen Jungen wieder auf Kurs bekommen konnte.

„Zum einen lässt er sich total gehen, treibt keinen Sport und stopft sich ständig mit ungesundem Industriezeug voll..“

Einer der anderen Teilnehmer fing in diesem Moment an, über Frischkornbreie zu dozieren, aber Hannes würgte ihn mit einer Handbewegung ab. „Ich glaube, wir lassen Herbert erstmal seine Probleme schildern, danach können wir nach Lösungen suchen.“ Die anderen nickten zustimmend, der Frischkornfan allerdings eher widerwillig.

Herbert fuhr also fort: „Das schlimmste ist aber, dass er keinen Anschluss findet. Manchmal trifft er sich mit ein paar Fußballkumpels, das ist ja auch ok. Aber meistens hängt er mit diesem Boerne ab. Der klebt ständig an Frank dran wie eine Klette, fährt mit ihm durch die Gegend, labert ihn über Gott und die Welt voll und übernachtet sogar manchmal bei ihm. Kein Wunder, dass mein Junge keine Freundin findet. Die würde sich ja automatisch wie das fünfte Rad am Wagen fühlen. Wer will das schon? Und das geht nun schon seit Jahren so!“

Hannes runzelte die Stirn. „Hmm, wie alt ist dein Frank denn?“

Herbert fühlte sich aus dem Konzept gebracht. Dabei war er gerade so gut in Fahrt gewesen. Nach kurzem Zögern antwortete er schließlich: „51“.

Fragezeichen erschienen in Hannes Gesicht „Monate?!“

„Jahre.“, gab Herbert kleinlaut zu.

Die anderen Männer starrten ihn verwundert an. Einen Moment lang sagte niemand etwas. Dann räusperte sich Hannes. „Also Herbert, du weißt schon, dass das hier ein Kurs für alleinerziehende Väter ist, oder? In dem Alter dürfte die Erziehung doch wohl abgeschlossen sein..“

„Habt ihr eine Ahnung! Mein Junge mag ja erwachsen sein, aber er kommt allein einfach nicht zurecht, das merkt man doch als Vater.“

„Kann er nicht für sich selbst sorgen? Hat er vielleicht ein Handicap?“ Offenbar suchte Hannes verzweifelt nach einem logischen Grund, warum Herbert hier war.

Der konnte ihm dabei aber leider nicht behilflich sein. „Handicap? Achso, ob er behindert ist. Nein, der Frank ist schon bei klarem Verstand, soweit man das über jemanden sagen kann, der für diesen korrupten Staat arbeitet.“

„Ach, als was arbeitet er denn?“

Herbert kratzte sich verlegen am Kopf. Gott, war das peinlich! „Er ist Kommissar bei der Polizei, Hauptkommissar sogar. Aber wie gesagt, ich habe Frank erst wieder getroffen, als er dem Verein längst beigetreten war. Das muss der schlechte Einfluss seiner Mutter gewesen sein, die war schon immer etwas bürgerlich eingestellt.“

Hannes fasste resigniert zusammen: „Dein Sohn ist also ein 51jähriger Polizist mit Beziehungs- und Ernährungsproblemen. Ich glaube nicht so ganz, dass wir da die richtigen Ansprechpartner sind, ehrlich gesagt.“ Er sah auf seine Uhr. „Andererseits bleibt uns sowieso keine Zeit mehr, um ein anderes Thema sinnvoll durchzuarbeiten. Also versuchen wir, dir weiterzuhelfen, Herbert, damit du dich nicht extra nächste Woche noch einmal hierher bemühen musst.“

Er sah Herbert bedeutungsvoll an und der verstand die Botschaft. Aber er konnte es Hannes wohl kaum verübeln, im Gegenteil, er war schon deutlich unfreundlicher aus Kursen rausgeworfen worden. Wenn er nur an dieses Anti-Drogen-Seminar letztes Jahr dachte.. Irgendwie waren seine Berichte aus der Praxis da nicht gut angekommen.

Nun mischte sich Kai, der Typ mit Partner und Piercing, in das Geschehen ein. „Herbert, du sagst also, dein Kleiner...“ er schmunzelte „...hängt immer mit einem Mann namens Boerne zusammen. Und er hatte seit Jahren keine Freundin. Könnte es nicht sein, dass die beiden ein Paar sind?“

Herbert sah ihn verblüfft an. „Was? Quatsch! Frank war verheiratet, hat ein Kind.. der ist nicht schwul. Und überhaupt, man soll nicht immer von sich auf andere schließen.“ Der Seitenhieb musste jetzt einfach sein. Wirklich, was dachte sich dieser Kerl? Es wäre ihm ja wohl aufgefallen, wenn Frank...

„Es gab also nie irgendwelche Anzeichen für Intimität zwischen den beiden?“, bohrte Kai ungerührt weiter. „Aber dieser Boerne übernachtet manchmal bei Frank, hast du uns vorhin erzählt.“

Herbert zuckte mit den Schultern. „Stimmt schon, aber das macht man doch manchmal unter Freunden. Und ansonsten ist mir nichts aufgefallen. Naja, neulich sind sie zusammen halbnackt aus meiner Dusche gekommen, aber da stimmte wohl was mit den Wasserrohren nicht bei ihnen im Haus...“

Nun sahen ihn alle an wie einen Idioten.

„WAS?!“, schnappte Herbert beleidigt.

Der blonde Anzugträger sagte in mitleidigem Ton: „Und das hast du ihnen abgenommen? Ich meine, gibt es denn nur eine Dusche in ganz Münster? Glaub mir, man findet zig Gelegenheiten, um sich irgendwo kostenlos zu waschen, wenn man nur will. Bei uns ist das sogar in der Firma möglich, damit man im Sommer nicht verschwitzt bei den Nachmittagsmeetings erscheint.“

Herbert wurde nachdenklich. „Naja, wahrscheinlich gibt es wirklich Duschen in der Pathologie, wo Boerne arbeitet... aber vielleicht waren die auch defekt? Egal, mein Junge ist jedenfalls nicht schwul. Und schon gar nicht ist er mit diesem komischen Professor zusammen.“ Er verschränkte die Arme vor der Brust.

„Du hast wohl ein Problem mit Schwulen, was?“, fragte Kai und tat es ihm gleich. Sie funkelten sich wütend an.

Hannes wollte schon schlichtend eingreifen, da entschloss sich Herbert, Klartext zu reden.

„Nein, ich hab kein Problem mit Schwulen. Im Gegenteil. Glaubt mir, ich war nie ein Kind von Traurigkeit und während meiner Studienzeit hat sich die freie Liebe nicht nur auf das andere Geschlecht beschränkt. Wenn mein Junge schwul wäre,“, trotz allem musste er bei der Vorstellung schlucken, sie war einfach zu ungewohnt „dann würde ich das akzeptieren. Ja, ich würde sofort losgehen und jemand suchen, der zu ihm passt. Der Neffe vom Alfred zum Beispiel, der immer mit zu den Demos kommt, der ist total nett und sympathisch, der würde gut zu ihm passen. Gut, er vertickt manchmal Hasch und ist vorbestraft...“

„Ein Dealer und ein Hauptkommissar, das passt ja perfekt!“, warf Kai spitz ein. Aber offenbar hatte ihn Herberts Vortrag versöhnt, denn er grinste schon wieder.

„Das war doch nur ein Beispiel!“, knurrte Herbert. „Alles ist jedenfalls besser als Boerne, dieser aufgeblasene Sprücheklopfer! Der ist doch schon mit einem goldenen Löffel im Mund geboren worden und mit einem Porsche unterm Hintern. Dazu dieses dandyhafte Auftreten, immer wie geleckt.. Ich kann noch nicht mal nachvollziehen, was Frank als Freund an ihm findet, geschweige denn im Bett.“ Bizarre Bilder bildeten sich vor seinem inneren Auge, doch er verdrängte sie schnell wieder. Nein, das konnte nicht sein!

„Gefühle haben nicht immer etwas mit Logik zu tun.“, wandte Hannes ein. „Warst du noch nie in jemanden verliebt, der nicht deinem Idealbild entspricht oder dem, was andere von dir erwarten?“

Herbert dachte kurz an eine bestimmte Staatsanwältin, verwarf den Gedanken aber sofort wieder. Das war etwas ganz anderes!

Hannes gab noch nicht auf. „Auch wenn du denjenigen nicht magst, den dein Kind... äh Frank ausgesucht hat, solltest du trotzdem seine Entscheidung akzeptieren. Und wenn diese Beziehung ihn glücklich macht, dann kann doch dieser Boerne nicht die schlechteste Wahl sein, oder?“

In diesem Moment öffnete sich die Tür und eine Horde Kleinkinder stürmte den Raum. Sie stolperten bis zum Stuhlkreis und warfen sich auf ihre überraschten Väter. In der Tür stand eine aufgelöste Frau mittleren Alters. Sie zuckte nur mit den Schultern, als Hannes sie fragend ansah. Offenbar hatte sie die Kontrolle über die kleine Bande verloren.

Herbert nutzte den Tumult und verließ unauffällig den Raum, während die anderen Kursteilnehmer damit beschäftigt waren, ihre Kinder zu bändigen. Er hatte keine Lust mehr auf weitere Diskussionen. Inzwischen wusste er nicht mehr, was er glauben sollte und was nicht. Was ihm jetzt fehlte, war Zeit zum Nachdenken. Und etwas Beruhigendes für die Nerven, vorzugsweise aus dem eigenen Garten.

***

Ein paar Wochen später kreiste Herbert mit seinem Taxi durch den Feierabendverkehr von Münster. An diesem Tag waren mal wieder viele Verrückte unterwegs und eigentlich hatte er bereits nach zwei Stunden die Nase gestrichen voll. Aber er brauchte das Geld. Das Haschgeschäft lief gerade schlecht - als Dealer sammelte man mit einem Hauptkommissar als Sohn nicht unbedingt Pluspunkte. Wie auch immer diese Information bis zur Kundschaft durchgesickert war (er hatte da so eine Ahnung), die Auswirkungen waren jedenfalls verheerend. Nun musste er sich wohl oder übel auf herkömmliche Art die Brötchen verdienen. Oder eher den Gerstensaft.

Als Herbert gerade auf seinen Stammplatz am Hauptbahnhof einschwenken wollte, fing das Funkgerät an zu rauschen. „Thiel ab Friesenring 43. Wagen 274, übernimmst du?“ Er schreckte hoch und drückte reflexmäßig die Sprechtaste. „274, bestätigt.“ Dann wendete er das Taxi und machte sich auf den Weg zum Polizeipräsidium. Natürlich wusste inzwischen jeder in der Zentrale, dass es sich bei der Kombination Thiel plus Friesenring mit schöner Regelmäßigkeit um Herberts Sohn handelte und er bekam bevorzugt die Fahrt, selbst wenn er sich gerade am anderen Ende der Stadt befand. Seine Kollegen waren wirklich in Ordnung.

Am Präsidium angekommen, entdeckte er Frank schon von weitem. Der Junge stand in abgewetzten Jeans und seiner beigen Lieblingsjacke, die geöffnet war und so das Bäuchlein perfekt zur Geltung brachte, an der Bordsteinkante. In der einen Hand hielt er einen Pappteller mit Currywurst und Pommes, in der anderen eine kleine Plastikgabel, mit der er darin herumstocherte. Herbert seufzte. Sich gesund zu ernähren, war seinem Sohn offensichtlich nicht in die Wiege gelegt worden und seine Mutter hatte diesbezüglich auch versagt.

„Klecker mir nicht die Sitze voll!“, sagte er warnend, als Frank die Tür aufriss und sich neben ihn auf den Beifahrersitz warf.

„Dir auch ein freundliches Hallo, Vaddern.“, brummte Frank zurück. „Fährst du mich nach St. Mauritz? Am besten so schnell wie möglich. Ich hab da eine dringende Zeugenbefragung.“ Er spießte ein Stückchen Wurst auf, tunkte es in die Currysoße und schob es dann betont langsam in Richtung Mund, so dass genug Zeit blieb, um möglicherweise herunterzufallen.

Herbert ignorierte die Provokation. „Wenn du mir dafür ein ordentliches Trinkgeld gibst, gern. Beim letzten Mal hat es nicht mal für ein Bierchen gereicht.“

„Bist du etwa schon wieder pleite?“ Stirnrunzelnd sah ihn Frank an.

„Münster ist ein teures Pflaster, mein Junge.“

„Was du nicht sagst.“

Herbert startete den Wagen und wechselte das Thema. „Wieso fährt dich eigentlich nicht dein Herr Professor?“

„Professor Boerne“, antwortete Frank „ist noch im Institut und macht seine Arbeit. Schließlich ist er Chefpathologe und nicht mein persönlicher Chauffeur.“

„Ach, wirklich? Könnte einem aber fast so vorkommen, so oft, wie er dich durch die Stadt kutschiert... öfter als ich und ich bin immerhin Taxifahrer.“

Frank blickte aus dem Fenster, als würde dort wer weiß was interessantes zu sehen sein und nicht nur die übliche Pendler-Blechlawine. Gleichzeitig schaufelte er weiter Essen in sich hinein wie ein Wolf. Wahrscheinlich hatte er mal wieder nichts ordentliches zu Mittag gegessen.

„Sag mal, Junge...“ Herbert war klar, dass er sich nun auf gefährliches Terrain begab, aber er hatte die Ungewissheit einfach satt. „Was ist das eigentlich mit dem Boerne und dir? Läuft da was?“

Frank, der gerade an ein paar Pommes herumkaute, verschluckte sich und fing an zu husten. Er wurde puterrot. „Was?! Wie kommst du denn darauf?“

„Naja, der Hannes hat gemeint, dass..“

„WELCHER HANNES?!“ Franks Blick wurde mörderisch. Glücklicherweise stimmte in diesem Moment sein Handy das Reeperbahnlied an, und bewahrte Herbert auf diese Weise vor einem folgenschweren Geständnis. Mit einem Dutzend fremder Leute über die sexuelle Orientierung des örtlichen Hauptkommissars zu diskutieren, war bei näherer Betrachtung doch keine so gute Idee gewesen. Vor allem, wenn es sich dabei um seinen Sohn handelte.

„Thiel!“, blaffte Frank in den Hörer.

„Ach, hallo Boerne.“ Verlegen räusperte er sich. „Was macht die Autopsie? Neue Erkenntnisse?“

Er hörte eine Weile nur zu und vernichtete währenddessen den Rest seiner Fastfoodmahlzeit.

„Schade, naja ich hoffe die Befragung bringt was... Ähm ja, Currywurst... Nein, ich hab nicht vergessen, dass du... dass Sie heute Abend kochen..“ Er schielte zu Herbert herüber, der ihn interessiert ansah, während seine Hände das Taxi sicher durch den Verkehr steuerten.

„Wie bitte?... Ich weiß nicht mal, was ein Pang-Hase ist, geschweige denn, ob man dazu weißen oder roten Wein trinkt... Achso, Pangasius, na das hilft mir auch nicht weiter. Sag einfach, was ich mitbringen soll, mir ist das völlig wurscht!“

Offenbar wurde es nun laut am anderen Ende der Leitung, denn Frank verzog das Gesicht und hielt das Handy etwas von seinem Kopf weg. „Wieso Banause? Nur weil... nein, Quatsch, nun komm schon, ich wollte doch nicht...“

Wieder sah Frank zu Herbert hinüber, dann drehte er sich samt Handy in Richtung Fenster und fing an, im Flüsterton zu sprechen. Was lächerlich war, denn Herbert konnte natürlich trotzdem alles verstehen. „Das stimmt nicht, mir ist nicht alles egal... aber für mich ist es am wichtigsten, dass wir beide überhaupt Zeit miteinander verbringen, ob mit oder ohne Stoffservietten.“ Danach beruhigte sich sein Gegenüber wohl, denn es folgten nur noch ein paar „Hmms“ und Laute der Zustimmung, bis Frank fast zärtlich sagte: „Ich dich auch. Bis dann.“ Er legte auf und steckte das Handy in seine Jackentasche.

Eine Weile saßen sie beide nur stumm nebeneinander und blickten auf die rote Ampel, an der sie gerade standen. „Hör schon auf zu grinsen.“, grummelte Frank schließlich.

Herbert versuchte es gar nicht erst. Irgendetwas zog seine Mundwinkel magisch nach oben. Eigentlich hatte er erwartet, in diesem Moment verwirrt oder sauer zu sein. Stattdessen fühlte er sich überraschend gut, amüsiert und erleichtert darüber, dass die Karten auf dem Tisch lagen. War doch alles halb so schlimm. Am liebsten hätte er Frank das gesagt. Aber er verkniff sich jede Bemerkung, denn er kannte ja seinen Jungen. Als die Ampel grün wurde, fuhr er den Wagen über die Kreuzung und bog nach links ab. Wortlos rauschten sie über die Wolbecker Straße.

Nach einer weiteren Schweigeminute gab Frank auf. „Na gut, ich hab was mit Boerne laufen, wenn du es so nennen willst. Aber es ist noch ganz frisch und ich will nicht weiter drüber sprechen, OK?“

„Hab ich nicht anders erwartet.“, erwiderte Herbert. Dann schaltete er das Radio an und suchte, bis er zu einem Sender kam, auf dem ein Liebeslied lief. Er drehte den Ton lauter und begann mitzusummen.

Frank schüttelte den Kopf und verdrehte die Augen, aber auf sein Gesicht hatte sich ein Lächeln geschlichen, das Herbert genau erkennen konnte, wenn er hinüber blickte. Sein Sohn sah so entspannt aus wie schon lange nicht mehr. Und irgendwie glücklich. Vielleicht hat Hannes doch recht gehabt, dachte Herbert. Selbst ein Boerne kann manchmal ein Gewinn sein.

Ich poste inzwischen alle Münster-Kurzgeschichten auch in einer Sammel-Story bei ff.de, falls ihr dort lieber lest: Geschichten aus Münster

fanfiction, tatort

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