Wilhelmine entdeckt etwas interessantes über Nadeshda und nimmt die Spur auf.
Tatort Münster, Femslash, Andeutung von Slash, P12.
Der Fall Nadeshda
Der Verdacht kam Wilhelmine Klemm zum ersten Mal während einer Tatortbesichtigung. Es war ein heikler Fall und so hatte sie es sich nicht nehmen lassen, Thiel und Boerne auf die Finger zu schauen. Während sie leicht genervt dem gewohnten Streitgeplänkel der beiden zuhörte, registrierte sie aus den Augenwinkeln, dass Thiels Assistentin sich nicht im geringsten um die Ermittlungen scherte, sondern stattdessen an einem der Streifenwagen lehnte und eifrig in ihr Handy sprach.
So ging das ja nun nicht. Wilhelmine trat ihre Zigarette aus, ging zu dem Streifenwagen hinüber und baute sich vor der jungen Polizistin auf. "Frau Krusenstern! Ich weiß nicht, ob sie es bemerkt haben, aber wir arbeiten hier an einem wichtigen Fall, dem Ihre Aufmerksamkeit sicher gut tun würde."
Nadeshda sah erschrocken auf. "Einen Moment bitte, Frau Staatsanwalt, ich muss nur kurz etwas wichtiges mit meinem Freund besprechen."
"Tut mir leid, das muss warten.", entgegnete Wilhelmine. Sie nahm der verblüfften Nadeshda das Handy aus der Hand, hielt es sich ans Ohr und bellte hinein: "Frau Krusenstern hat im Moment leider keine Zeit, bitte rufen Sie sie doch in ihrer Freizeit noch einmal an. Danke." Sie wollte gleich auflegen, hielt dann aber erstaunt inne, als sich am anderen Ende eine Frau meldete. "Hallo? Nadeshda, machst du dich über mich lustig? Liebes, was ist los, ich.." Dann schien der Frau klar zu werden, dass die rauchige Stimme keinesfalls von Nadeshda stammen konnte, jedenfalls legte sie abrupt auf.
Wilhelmine runzelte die Stirn und gab Nadeshda das Handy zurück. "Klären Sie die Privatangelegenheiten mit Ihrem.. Freund.. gefälligst außerhalb der Dienstzeiten."
Mit diesen Worten drehte sie sich auf dem Absatz herum und ging zu Boerne, der gerade aus einer Grube geklettert kam und ihr stolz einen menschlichen Knochen vor die Nase hielt. Es war kein sehr angenehmer Morgen.
***
Das zweite Indiz war noch weniger eindeutig und Wilhelmine entdeckte es wohl nur, weil sie vorher schon sensibilisiert gewesen war. Zwei Wochen nach der Tatortbesichtigung stand sie an einem offenen Fenster des Polizeipräsidiums und rauchte. Dieser Moment war ihr erster Ruhepunkt in einem Tag voller Stress und Ärger. Thiel hatte die Pressekonferenz komplett vergeigt mit seiner grummeligen Art. Manchmal könnte sie diesen Mann wirklich zum Mond schießen! Aber an ihn wollte sie nun wirklich nicht denken. Sie zog eine weitere Dosis Nikotin in ihre armen Lungen und genoss die beruhigende Wirkung.
Geistesabwesend beobachtete sie das Geschehen draußen. Es wurde langsam dunkel und es war nicht mehr viel los auf dem Platz vor dem Präsidium. Nur der eine oder andere Kollege auf dem Weg in den wohlverdienten Feierabend. Dann bemerkte sie eine junge Frau, die sich dem Eingangstor näherte. Dunkelhaarig, in Jeans und schwarzer Lederjacke, auf eine eigenwillige Art attraktiv. Wilhelmine war sich sicher, sie noch nie gesehen zu haben, denn das hätte sie bestimmt nicht vergessen. Somit handelte es sich eindeutig um keine Mitarbeiterin der Behörde. Eine Zeugin? Aber um diese Zeit?
Dann bliebt die Frau am Eingang stehen. Sie schien auf jemanden zu warten. Also war sie wohl eine Freundin oder Ehefrau. Wilhelmine beglückwünschte in Gedanken den unbekannten Kollegen zu seinem guten Geschmack.
Plötzlich trat Nadeshda aus dem Präsidium. Sie entdeckte die junge Frau und eilte zu ihr hinüber. Die beiden redeten kurz miteinander und schlenderten anschließend die Straße hinunter, wobei sich ihre Schultern fast berührten, so nah gingen sie nebeneinander. Wilhelmine konnte die Gesichter der beiden nicht erkennen und ihre Worte nicht verstehen, aber ihre Körpersprache verriet genug. Der beschwingte Schritt sprach für Wiedersehensfreude, die Nähe für Vertrautheit, der Klang ihrer Stimmen für Glück.
Wilhelmine drückte die Kippe in einem Blumentopf aus und murmelte "Dein Freund, hmm?" Dann schloss sie resolut das Fenster. Sie war schließlich nicht einer dieser Rentner, die sich den ganzen Tag damit beschäftigten, andere Leute zu beobachten. Sie hatte ein eigenes Leben. Und einen Schreibtisch voller Akten, die nach ihr riefen.
***
Den entscheidenden Beweis fand Wilhelmine überraschenderweise auf der Einstandsparty eines zugezogenen Kommissars, die einen Monat danach stattfand. Der Mann wollte sich offenbar seinen neuen Kollegen im besten Licht präsentieren, denn er lud alle zu einem Umtrunk in der "Kiepe" ein. Wilhelmine war kein großer Fan von Kneipen, aber sie genoss es zuzuschauen, wie sich der eine oder andere sonst so korrekte Staatsanwalt mit zunehmendem Alkoholpegel zum Affen machte. Und immerhin herrschte hier kein Rauchverbot, was sie in Zeiten zunehmender Raucherkriminalisierung zu schätzen wusste.
Nadeshda hatte die dunkelhaarige Unbekannte mitgebracht, die dieses Mal ein schwarzes Kleid trug, was ihre langen Beine vorteilhaft zur Geltung brachte. Sie saßen gemeinsam an einem Tisch, unterhielten sich leise, hielten aber einen gewissen Abstand voneinander. Je später der Abend wurde, desto mehr Pärchen fanden sich auf der kleinen Tanzfläche ein und Wilhelmine wartete geradezu darauf, dass die beiden sich dazu gesellen würden. Spätestens, als Boerne und Thiel, beide reichlich angeheitert, anfingen sich dort im Takt zu wiegen. Was niemanden störte oder auch nur überraschte.
Doch nichts passierte. Stattdessen verschwanden die beiden Frauen irgendwann von der Bildfläche. Wilhelmine konzentrierte sich wieder mehr auf ihre Drinks und Silke Haller, die neben ihr saß und ein paar neue Anekdoten aus der Pathologie erzählte. Wie die Frau sich bei diesem Chef ihren Humor bewahren konnte, war Wilhelmine ein Rätsel.
Nach einer Weile zeigten die Drinks ihre Wirkung und Wilhelmine ging leicht schwankend zur ausgeschilderten Toilette. Sie drückte die schwere Holztür auf und betrat den Raum. Nur um in nächsten Moment verblüfft stehenzubleiben.
Besagte dunkelhaarige Frau, die eben noch sittsam an einem Glas Wein genippt hatte, lehnte sich nun schwer atmend gegen eine gekachelte Wand, die Augen geschlossen, den Kopf nach oben verdreht. Eines ihrer Beine war angewinkelt und wurde von Nadeshda hochgehalten, während diese leidenschaftlich ihren Hals küsste und gleichzeitig mit der freien Hand unter dem Kleid... aber so genau wollte es Wilhelmine dann doch nicht wissen. Sie verkniff sich ein "Weitermachen", sondern trat stattdessen leise zurück und schloss die Tür wieder.
Draußen blieb Wilhelmine einen Augenblick stehen und lächelte wehmütig. Es war so lange her, dass sie selbst eine Frau geliebt hatte... ein halbes Leben lang. Die Umstände damals hatten sie davon überzeugt, dass ihr diese Art des Zusammenseins zu kompliziert war, dass die Gefahr dabei zu groß war, verletzt zu werden. Aber Momente wie dieser ließen sie gelegentlich an ihrer Entscheidung zweifeln.
Werd' nicht sentimental auf deine alten Tage, Klemm, rief sie sich zur Ordnung und fischte die nächste Zigarette aus der Handtasche. Das hier war nicht persönlich. Lediglich ein weiteres gelöstes Rätsel - in dem es ausnahmsweise mal keine Opfer gab, nur zwei glückliche Täter. Sie ging wieder zurück in den Wirtsraum und tauchte ein in die betäubende Mischung aus lauter Musik, Rauch und Gelächter.