Helen wünscht euch allen Frohe Weihnachten :)
Liebes Tagebuch,
hab ich eigentlich schon mal erwähnt, dass ich Schnee hasse? Und Weihnachten … und Schnee….und Weihnachten … und Schnee an Weihnachten. Okay, Schnee an Weihnachten kann ich gerade noch so akzeptieren. Aber an allen anderen Tagen im Jahr ist Schnee einfach nur lästig. Weihnachten ist auch lästig. Wer mag schon heißen Glühwein, selbstgebackene Plätzchen und all den Kram?
Wer jetzt sagt: „Ich mag all das“, der hat noch nie eine Ladung heißen Glühwein in den Ausschnitt bekommen und auch meine selbstgemachten Plätzchen nicht probiert. Gut, wer sowieso geplant hatte, die Feiertage mit kaputten Zähnen und einer leichten Lebensmittelvergiftung zu verbringen, der darf gerne meine Plätzchen essen …
Aber ich - ICH hasse Weihnachten samt Schnee. Ich befürchte, Jake von nun an auch. Eigentlich hatte alles völlig harmlos begonnen:
„Helen, wir verbringen Weihnachten bei meinen Eltern!“ verkündete mir Jake vor ein paar Tagen strahlend und mit verdammt guter Laune, als ich gerade dabei war, zum dritten Mal am heutigen Tag die Schneelast vor unserem Haus mit einem Schneeschieber zu bekämpfen. Meine Füße waren nass, die Finger zu Eisklumpen verkümmert und meine Nase machte der von Rudolph dem Rentier farblich höchste Konkurrenz. Ich hasste den Winter. Ich hasste Schnee!
Nur meiner inneren Ausgeglichenheit war es zu verdanken, dass ich bei Jakes Aussage nicht vor Schreck die Schaufel gegen seinen Kopf geschlagen habe, um meine frostige Laune zu unterstreichen.
„Wir machen WAS?“ fragte ich mit ärgerlicher Stimme, die sowohl an Kermitt den Frosch als auch an eine quietschende Tür erinnerte. Ich räusperte mich hastig und wiederholte nun deutlich meine Frage. Da ich eine dicke Mütze trug, war es durchaus denkbar, dass ich mich verhört hatte. Vielleicht hatte mein Freund ja gesagt, dass wir Weihnachten auf die Bahamas fliegen würden.
„Meine Mom hat heute angerufen und gefragt, ob wir Weihnachten bei meinen Eltern verbringen möchten. Ich habe zugesagt.“ Jake lächelte noch immer, denn scheinbar hatte er weder die Panik in meiner Stimme noch meine vor Schreck geweiteten Augen erkannt.
Das war´s wohl mit den Bahamas. Meine Ohren funktionierten ganz ausgezeichnet. Ich seufzte und holte dann tief Luft.
„Schatz … “ Weiter kam ich nicht, denn ebendieser trat auf mich zu, umfasste meine mollige Taille, die in einen noch molligeren Mantel gehüllt war, und drückte mir einen feuchten Kuss auf meine tiefgefrorenen Lippen.
„Das wird lustig“ meinte er nur und überhörte mein leise gemurmeltes „Oja - aber nicht für mich“ vermutlich absichtlich.
Ich musste ihm doch wohl nicht wirklich erklären, dass es keine gute Idee war, den Festtag bei seiner Familie zu verbringen. Er kannte mich doch! Ich bin´s, Helen! Die tollpatschige Helen. Die, die in jedes Fettnäpfchen tritt, darin herum trampelt und Chaos pur verbreitet. Mehr als nur einmal war Jake bereits in mein Chaos-Radar geraten und Opfer meiner Tollpatschigkeit geworden. Warum zum Henker tat er das mir und seiner Familie an?
Ich musterte ihn eingehend, sah das Strahlen in seinen blauen Augen, sah seine überschäumende gute Laune - und da ging mir ein Licht auf.
„Du hasst sie, stimmt´s?“ fragte ich nach und stemmte meine Hände in meine nicht gerade schmalen Hüften. Dass die Schneeschaufel dabei achtlos umfiel und Jake schmerzhaft an der Schulter streifte, änderte nichts an seinem breiten Grinsen, welches in diesem Moment noch eine Spur breiter wurde und von einem Ohr zum anderen reichte.
„Naja, hassen ist vielleicht etwas zu krass ausgedrückt, mein Pummelchen. Sagen wir mal so: ich habe es ihnen nicht verziehen, dass sie mir ständig auf die Pelle rücken, wann ich denn nun endlich heirate, eine Familie gründe und ihnen Enkelkinder schenke.“
„Ach - und da komme ich gerade richtig, als abschreckendes Beispiel einer etwas zu dick geratenen Schwiegertochter, die eine Katastrophe auf zwei Beinen ist?“ Ich schnaubte wütend.
Sein verlegener Blick, den er jetzt beschämt zu Boden richtete, machte einem Dackel Konkurrenz, der dabei erwischt wurde, wie er sein Häufchen auf den nagelneuen Teppich verrichtete.
„Du Arsch!“ tobte ich, stieß mit meinen behandschuhten Händen kräftig gegen seine schmale Brust, so dass er über die hinter ihm liegende Schneeschaufel stolperte und unsanft auf seinem Hintern landete. Wütend stapfte ich über ihn drüber und verschwand im Haus. Sollte er doch dort auf dem kalten Boden erfrieren.
Im Haus zog ich meine nassen Klamotten aus, verfluchte den Scheiß-Schnee, verfluchte Weihnachten und verfluchte meinen Freund. Meinen Noch-Freund. Denn wenn wir erst Weihnachten mit seiner Familie gefeiert hatten, war es mit Sicherheit vorbei mit unserer Freundschaft. Wer konnte schon ein Chaos-Fest mit Helen überstehen? Jake war ja Einiges von mir gewohnt, kannte meine Eigenheiten und meinen Hang zu kleineren Unfällen - sprich, er war Helen-Erprobt - doch ich befürchtete, dass mir meine Nervosität an diesem Tag einen Streich spielen würde und die Fettnäpfchen und Unfälle ein kleines bisschen größer als üblich ausfallen würden.
„Ich komme nicht mit!“ warf ich Jake an den Kopf, als er eine Minute nach mir ins Haus kam und sich den Schnee vom Hosenboden klopfte. Das hätte er auch draußen machen können; jetzt bildete sich eine kleine Wasserpfütze auf dem schönen Teppich.
„Ach Helen … komm schon …“ Er nahm meine kalten Hände in die seinen, küsste jeden einzelnen Finger und sah mich aus seinen wasserblauen Augen treuherzig an. Ich schmolz dahin. Genauso wie der Schnee auf meinem Teppich.
„Nein.“ Ich blieb standhaft und entzog ihm meine Hände, drehte mich um und ging ins Badezimmer, um ein heißes Bad zu nehmen. Die Kälte war bis zu meinen Knochen vorgedrungen, ich musste dringend wieder auftauen.
„Liebling…“ Jake folgte mir. Ich kannte diesen Ton und wusste, dass er jetzt alle Register seiner Verführungskunst ziehen würde. Und verdammt - er würde damit sogar Erfolg haben, denn ich war leider alles andere als immun gegen seine Zärtlichkeiten. Er konnte mich nach Belieben manipulieren, konnte mit mir machen, was er wollte. Ich war Wachs in seinen Händen. Und das nutzte er auch schamlos aus. Verdammt. Sagte ich schon verdammt?
Es kam wie es kommen musste: ich versprach Jake mit ihm und seiner Familie Weihnachten zu feiern. Verdammt. Ich war bestechlich. Guter Sex am Nachmittag - und schon sagte ich zu allem Ja und Amen.
Jedenfalls nahm ich mir vor, mich von meiner besten Seite zu zeigen. Gut, das nehme ich mir immer vor, aber diesmal war ich fest entschlossen, um Fettnäpfchen und Ähnliches einen großen Bogen zu machen. Und um meinen guten Willen zu zeigen, buk ich sogar ein paar Plätzchen. Es gab dabei nur wenige Unfälle: lediglich ein Blech mit Gebäck verbrannte; nur eine kleine, winzige Brandblase auf meinem Zeigfinger und das Chaos in der Küche war nicht der Rede wert.
Leider beging ich den Fehler, die Kekse vorher nicht zu probieren. Aber dazu später mehr.
An Heiligabend fuhren wir zu Jakes Eltern, die ich noch nie zuvor gesehen hatte. Erst jetzt erfuhr ich, dass auch seine Schwester und sein Bruder - dem ich ebenfalls noch nie begegnet war - sowie dessen Frau und Kinder anwesend sein würden. Dass dies meine Nervosität kein bisschen minderte, muss ich wohl nicht extra betonen.
„Hast du die Geschenke dabei?“ fragte er mich, als wir bereits seit einer halben Stunde auf der Autobahn waren.
„GESCHENKE??“ Entsetzt starrte ich meinen baldigen Ex-Freund an und klammerte mich an der Dose mit meinen selbstgebackenen Plätzchen, die auf meinem Schoss lag, fest. Ich erinnerte mich vage, dass da ja was mit Geschenken an Weihnachten war. Verdammt.
Jake lachte und legte eine Hand auf meinen Oberschenkel, streichelte sanft mit dem Daumen über den Stoff meiner Hose.
„Da ich dich kenne, Liebling, habe ich für alle Geschenke besorgt, auch in deinem Namen.“
Ich atmete erleichtert auf und schlug dann verärgert seine Hand weg, weil er mir so einen Schrecken eingejagt hatte.
Vor Jakes Elternhaus angekommen, blieb ich zunächst im Wagen sitzen. Irgendwie wollte mir mein Körper nicht gehorchen, ich war völlig erstarrt.
„Du brauchst keine Angst zu haben, Darling“ versuchte mein Noch-Freund mich zu beruhigen und küsste mich zärtlich auf die Nasenspitze. Pfff - als ob das meine Nervosität bekämpfen würde. Seufzend stieg ich schließlich aus dem Auto - und legte mich erst mal elegant auf den Hintern. Ich war auf einer Eisplatte ausgerutscht. Verdammt. Die Keksdose fiel mir aus der Hand, ploppte auf und verstreute die Plätzchen auf dem schneebedeckten Boden. Noch mal verdammt. Hastig sammelte ich sie ein, verschloss die Dose und wollte mich gerade wieder aufrichten, als mir heißer, ekelhaft stinkender Atem ins Gesicht schlug. Verdammt-verdammt.
Ein riesiger schwarzer Hund schlabberte mein Gesicht ab, warf mich um und trat mit seinen handtellergroßen Pfoten auf meinen Busen. Autsch - Verdammt. Ich kam nicht mal dazu, um Hilfe zu schreien, denn seine widerliche Zunge bedeckte mein halbes Gesicht.
„ELVIS! AUS!“ Sofort ließ das stinkende Monster von mir ab, schnappte sich zwei Kekse vom Boden - die ich wohl übersehen hatte - und trottete kauend zu der Stimme, die nach ihm gerufen hatte.
Jake streckte mir lachend seine Hand entgegen und mühsam zog ich mich daran hoch. Hundesabber rann mir vom Kinn, mein Hintern schmerzte und ich hätte gerne gekotzt. Aber ich lächelte freundlich, strich mir eine lästige Haarsträhne aus der Stirn und begrüßte die Eltern meines Sicherlich-Bald-Exfreundes.
„Hi, ich bin Helen“ stellte ich mich tapfer vor und wurde sogleich von zwei kräftigen Armen feste gedrückt. Jakes Vater hatte mich einfach umarmt und an seine Brust gedrückt. Dass ich dabei beinahe den Erstickungstod erleiden musste, ignorierte ich. Dafür war der Hundesabber jetzt an Joe´s - so hieß sein Vater, wie ich gerade noch mitbekam - Pullover. Sienna - Jakes Mom - begrüßte mich ebenfalls herzlich und führte mich dann ins Haus, wo ich die anderen Familienmitglieder kennen lernte.
„Was hat denn der Hund?“ fragte eine halbe Stunde später Brian, Jakes älterer Bruder, und deutete auf Elvis, der sich soeben würgend auf den Wohnzimmerboden erbrach, während wir alle bei Glühwein und Plätzchen um den Esstisch saßen.
„Oh - vermutlich hat er was schlechtes gegessen“ meinte Sienna nur und eilte davon, wahrscheinlich um einen Putzlappen zu holen.
Mein schuldbewusster Blick wanderte zwischen der Keksdose und Elvis hin und her. Die Plätzchen waren ja auch nicht für Hunde, sondern für Menschen gedacht. Aber bevor ich das Gebäck sicherheitshalber außer Reichweite der Familie bringen konnte, hatte Joe schon danach gegriffen und sich eines davon herausgenommen.
„Hast du die selber gebacken, Helen?“ fragte er mich lächelnd und ich überlegte für den Bruchteil einer Sekunde, zu verneinen. Vermutlich wäre es klüger gewesen zu sagen, ich hätte sie gekauft. Aber wer behauptet denn, dass ich klug war?
„Ja“ antwortete ich, bevor mein Verstand reagieren konnte. Und noch ehe ich meine Aussage revidieren konnte, biss Jakes Dad in das Plätzchen.
„Au verflixt!“ Joe verzog schmerzhaft das Gesicht und spukte einen abgebrochenen Zahn aus.
Vor Schreck schüttete ich den kochend heißen Glühwein, den ich gerade mit der Tasse an meinen Mund führen wollte, in meinen Ausschnitt. Mein Schmerzensschrei lockte Sienna herbei. Sie rutschte auf Elvis´ Kotze aus und konnte sich gerade noch am festlich geschmückten Weihnachtsbaum festhalten. Allerdings vergeblich. Beide gingen zu Boden. Der Baum und Sienna.
Elvis bellte laut. Sienna wimmerte. Joe jammerte. Und ich versuchte tapfer die Brandwunde an meinem Dekolleté zu ignorieren.
Ich hasse Weihnachten. Ich hasse Schnee. Ich mag keine Hunde. Ich bin eine wandelnde Katastrophe. Aber Jake ist immer noch mein Freund.
Das ist ein Wunder. Ein Weihnachtswunder.
***
Ich wünsche Euch allen Frohe Weihnachten und einen guten Rutsch ins Neue Jahr.
Eure Krokomaus