Johann Hinrich Wichern - Erfinder des Adventskranzes und Vorläufer der Diakonie

Feb 13, 2012 12:29


Ich wollte ja meine Stichpunkte zur mündlichen Prüfung mal verschriftlichen zur Übung. Vielleicht interessiert es euch ja ein bißchen. Kritische Nachfragen sind sehr erwünscht. ;)
Wir müssen da schon immer 7 Tage vorher eine Gliederung abgeben. An der hangel ich mich mal entlang.

1. Einleitung
Johann Hinrich Wichern ist vor allem bekannt durch die Gründung des "Rauhen Hauses" 1833, einem Erziehungsheim für Jugendliche, und seine Stegreifrede auf dem Wittenberger Kirchentag 1848, die zur Gründung des "Centralausschusses der Inneren Mission" führte. Des weiteren hat er die Ausbildung von Diakonen vorrangetrieben im sogenannten "Brüderhaus", was an das "Raue Haus" angegliedert war.
Außerdem hat er den Adventskranz erfunden. Dieser hatte allerdings 24 Kerzen und nicht nur 4. =D

2. Historische Einbettung

2.1 Das frühe 19. Jahrhundert: in der Schwebe zwischen Erhaltung alter Gesellschaftsformen und bürgerlich-kapitalistischen Entwicklungen
Das frühe 19. Jahrhundert in Deutschland kann als Zeit der Vorindustrialisierung verstanden werden. Einige Prozesse sind bereits eingetreten, aber zur Hochindustrialisierung kommt es erst ab 1860. In dieser Zeit spielen mehrere Prozesse eine Rolle:
Die feudel-argrarische Ständegesellschaft wird langsam aufgelöst, weil der kapitalistische Markt an Bedeutung gewinnt. Die Gewinner sind hier vor allem Großbauern und Rittergutsbesitzer, also eine Minderheit. Verlierer bilden Kleinbauern, die unterbäuerliche Schicht und Landarme, die jetzt ihre Existenzsicherung im Feudalsystem (bestellbares Land) verloren. Schon hier zeichnet sich die Klassengesellschaft ab. Hierzu muss man noch anmerken, dass der Agrarsektor eine noch sehr entscheidene Rolle spielte.
Im Handwerk dominieren zu dieser Zeit zwar noch die traditionellen Klein- und Kleinstproduktionsformen (im Gegensatz zu den großbetrieblichen Produktionsformen des Industrialismus), aber der demographische und ökonomische Wandel verschlechtern die Lage bereits. Die Bevölkerung ist stark angestiegen, weshalb es mehr Arbeiter als Arbeitsplätze gab. Das schlug sich dann im Realeinkommen der Gesellen und Lehrlinge nieder. Ihre Qualifikation wurde außerdem herabgestuft. Außerdem kam in dieser Zeit die Verlagsindustrie auf. Das bedeutete, dass Massenhandwerker (Schneider, Schuhmacher, Tischler, ...) abhängig von den Verlegern wurden. Letztendlich waren dann sogar Meister kaum noch in der Lage ihre Lehrlinge zu bezahlen (bezieht sich auf Klein/Alleinmeister mit nur wenigen Lehrlingen/Gesellen).
Ein wichtiger Begriff ist außerdem noch der Pauperismus: das bezeichnet die Entstehung von großer Armut. Die Gründe hierfür sind vielschichtig, aber oben bereits etwas angedeutet.
Außerdem gab es noch das "System Metternich". Das heißt, dass die Adeligen und Großbürger Furcht vor einer Revolution in Deutschland hatten, wie es sie in Frankreich ja bereits gab. Zur Folge hatte das viele Repressionen und Zensur von demokratisierenden Tendenzen.
Alles in Allem kann man sagen, dass die Epoche wohl noch als "unentschieden" empfunden wurde.

2.2. Erweckungsbewegung in Deutschland:
In religiösen Kreisen kam im 19. Jahrhundert die Erweckungsbewegung auf. Diese ist regional sehr unterschiedlich verlaufen, aber einige verbindende Elemente gibt es doch. Mit "Erweckung" ist zunächst ein mal das Aufwachen aus dem Gewohnheitschristentum gemeint. Man sollte also nicht mehr so selbstgefällig sein, sondern sich auf das Evangelium zurückbesinnen (wichtig ist hier der Einfluss des Pietismus, aber den werd ich jetzt nicht auch noch "erklären", das wäre zu viel). Charakteristisch an der Erweckung sind dann noch die vielen Laienprediger, die Individualisierung (die Erweckung sollte ein persönlicher Erkenntnissprozess sein) und die Mission. Wichtig ist auch noch zu sagen, dass es sich um eine gefühlsbetonte Bewegung handelt, die sich explizit gegen die Rationalisierung der Aufklärung stellt. Die Aufklärung wurde als gottlos empfunden.
Im Zuge der Erweckungsbewegung enstanden dann auch viele soziale Engagements.
2.3. Exkurs: Hamburger Armenreform von 1788:
Die nehme ich mal mit auf, um zu zeigen, wie damals mit dem Problem der Armut umgegangen wurde (Das Konzept steht im Gegensatz zu Wichern!). Die Hamburger Armenreform hat vor allem darauf gesetzt die Armen Leute in Arbeit zu vermitteln damit sie sich ihr Existenzminimum sichern konnten (was übrigens wohl sehr niedrig angesetzt war). Das war an sich ein guter Ansatz, die bestehende Arbeitskraft sollte wirtschaftlich gemacht werden, was natürlich produktiver ist als Almosen-geben allein. Es hat zu Anfang auch sehr gut geklappt und wurde dann von anderen Städten übernommen. Die Krise kam dann am Anfang des 19. Jahrhunderts als die Nachfrage an Arbeitskräften dann abnahm. Kritisch muss man auch noch sehen, dass die Armenpfleger ihren Schützlingen wenig Freiraum boten und sie dementsprechend oft bestraft haben.

3. Johann Wicherns Konzept des "Rauhen Hauses"
Das "Rauhe Haus" ist eine Erziehungsanstalt, die von Johann Wichern 1833 gegründet wurde. Sie ist als eine Reaktion auf die sozialen Missstände der Zeit zu sehen, aber auch als Antwort auf die Aufstände der Zeit (1831-32) in Hamburg. Das Ziel Wicherns war durchaus konservativ. Die alten Stände sollten erhalten bleiben. Seine erzieherischen Methoden jedoch waren modern und wegweisend.

3.1 Außerfamiliäre Erziehung
Entgegen der Forderung nach mehr Schulen zur Lösung des Problems der verwahrlosten Kinder, fordert Wichern eine eigenständige Erziehungsanstalt. Er schreibt, dass die Kinder aufgrund der Unsittlichkeit im Elternhaus und der hohen Moral in der Schule in einem Widerspruch leben. So kann die gute Erziehung der Kinder in der Schule nicht fruchten. Deswegen sollen die Kinder komplett aus dem schlechten Umfeld ihres Elternhauses herausgenommen werden.

3.2 Vergebung als Basis
Beim Eintritt eines Kindes gab es wohl verschiedene Rituale. Die älteren Kinder haben dann beispielsweise ein Bad eingelassen und dem Neuen Kleidung überreicht, die sie selbst herstellt haben. So sollte sich der Neue gleich wohl fühlen. Außerdem wurde dem Kind gesagt, dass ihm alles vergeben sei. So wurde dann ein Neuanfang ermöglicht.
Des weiteren war es den Kindern zumindest zu Anfang verboten über ihre Vergangenheit zu sprechen. Das sollte es ihnen erleichtern sich auf die neue Situation einzulassen und die Vergangenheit nicht im Nachinein zu glorifizieren (> vielleicht kennt ihr ja die "Rosa abschieds brille" aus How I met your Mother! ;D)

3.3 Familienprinzip
Das Rauhe Haus war tatsächlich in mehrere Häuser aufgeteilt. In jedem lebten kleine "Familien", bestehend aus maximal 12 Kindern und Hauseltern. Die Familie stellte einen Gegenpol zur Arbeit dar. In der Familie konnten sich die Kinder öffnen, enge Beziehungen eingehen und sich erholen. In der Arbeit dagegen herrschte ein strengerer Ton (wobei insgesamt auf körperliche Züchtigung verzichtet wurde! ).
Die Hausväter haben die Entwicklungen der Kinder (sowohl individuell wie auch gruppen-bezogen) beobachtet und konnten so gut auf sie eingehen. Ein mal in der Woche haben sich die verschiedenen Eltern dann getroffen und ihre Erlebnisse geteilt.
Des weiteren wurde hier auch schon darauf gezielt, dass sich die Kinder gegenseitig ein wenig erziehen, also auch etwas selbstständig werden.

3.4 Ora et Labora
Das ist ja eigentlich ein monastischer Begriff (also aus dem Mönchtum), aber hier passt er glaube ich auch ganz gut. Das Rauhe Haus bot den Jugendlichen nämlich auch eine Ausbildung. Meistens war das ein handwerklicher Beruf. Hier kann man kritisch anmerken, dass Wichern die Stände der Kinder erhalten wollte. Sie konnten also keinen Aufstieg erzielen. Aber immerhin (! zu der Zeit) waren sie vom sozialen Absturz bewahrt.
Ich finde es auch ganz interessant, dass das Rauhe Haus relativ unabhängig vom Staat war und quasi durch Selbstversorgung "lief". Da wurden die Kinder auch durchaus mit einbezogen. Das finde ich sehr gut. So erhält jeder eine sinnvolle Aufgabe und Wertschätzung. Das spielt meiner Meinung nach auch heute noch eine Rolle. Viele Arbeitslose leiden ja vor allem daran, dass sie gesellschaftlich nicht integriert sind und nichts "beitragen".

3.5 Individualisierung
Von der Erweckungsbewegung beeinflusst, wollte Wichern die Kinder so erziehen, dass sie später alleine zurechtkommen konnten und eine eigenständige Identität aufbauten. Durch die kleinen Gruppen war eine Individualisierung auch sehr gut möglich. Die einzelnen "Familien" waren auch recht strikt voneinander getrennt.
Als verbindendes Moment gab es dann die Andachten und Feste. Gerade in der Gemeinschaft sollte sich das Individuum bilden.

4. Die Innere Mission

4.1 kurzer Überblick
Die Innere Mission wird inzwischen oft mit der Diakonie gleichgesetzt. Eigentlich ist der Vorläufer der heutigen Diakonie aber lediglich der "Centralausschut der Inneren Mission". Wichern selbst hat die beiden Begriffe Innere Mission und Diakonie noch voneinander getrennt. Die Innere Mission hatte zum Ziel das Volk wieder zum Christentum zu bringen (Rechristianisierung) und die Diakonie soziale Aufgaben.
Dennoch besteht ein Zusammenhang, denn der Zentralausschuss wurde zur Dachorganisation aller sozialen Engagements der evangelischen Kirche. Er enstand aufgrund der sogenannten Stegreifrede Wicherns auf dem Wittenberger Kirchentag 1848. Dort hatte man sich eigentlich zum Ziel gesetzt, alle evangelischen Kirchen Deutschlands zu vereinigen, konnte sich dann aber doch "nur" den gemeinsamen Ausschuss für die Innere Mission einigen. Der Kirchentag hat nicht umsonst 1848 stattgefunden, im Jahr der Revolution, sondern war eine Reaktion darauf. Die weitgehend konservativen Protestanten billigten diese nämlich nicht.
Wichtig ist hier noch zu sagen, dass für Wichern das Evangelium immer direkt mit Folgen verbunden sein muss. Ein Glaube ohne Werke ist für ihn ausgeschlossen. Er hatte auch die Vorstellung, dass sich das Wirken Gottes direkt in der Geschichte zeigt und dass die Menschen an der Heilsgeschichte mitwirken können; also das Reich Gottes (teilweise > eschatologischer Vorbehalt) mit aufbauen können.

5. Bedeutung Wicherns für die Gegenwart

5.1 Die Beiträge Wicherns Pädagogik
Es ist offensichtlich wie viele wertvolle Beitrage Wichern zur Pädagogik bzw. Sozialpädagogik gegeben hat. Er entwarf ein gutes Konzept um mit "schwierigen" Kindern umzugehen. Modern war vor allem, dass weitgehend auf körperliche Züchtigung verzichet wurde. Auch der vollkommene Neuanfang und das Herausnehmen der Kinder aus dem schlechten Umfeld der Familie sind wichtige Beiträge. Die Bedeutung von sinnvoller Arbeit wird heute auch erkannt.

5.2 Das Profil der Diakonie heute - in Konkurrenz zu anderen Wohlfahrtsverbänden
Die Diakonie hat nicht mehr das "Monopol" in der Wohlfahrt. Allein der deutsche Sozialstaat sichert uns (gottseidank) die Existenz. Es gibt viele nicht-kirchliche Einrichtungen, beispielsweise die AWO. In dem Moment stellt sich mir die Frage: Was macht die Diakonie noch spezifische christlich?
Eigentlich macht sie doch vor allem nur christlich, dass sie in kirchlicher Trägerschaft ist. (Immerhin. So kann die Kirche versuchen da einzusetzen, wo die staatliche Hilfe nicht reicht.) Die Leitsätze sind sicherlich auch von christlichen Motiven geprägt, aber das ist bei der AWO implizit vielleicht genauso vorhanden.
Noch ein bißchen kritischer kann man das sehen, wenn man sich die Bezahlung der Altenpfleger in der Diakonie anschaut. Dort sollen sie Mitarbeiter entlassen haben, um sie dann wieder einzustellen, durch eine interne Zeitarbeitsfirma. Entsprechend sank dann der Lohn. Es ist schon sehr bedauerlich, dass selbst die Diakonie aus wirtschaftlichen Gründen so weit gehen muss.
Hier zeigt sich, dass sich das Reich Gottes eben doch nicht so einfach umsetzen lässt (Man vergleiche hier das Gleichnis von den Arbeitern am Weinberg Mt 20 1 -16). Leider.
Dennoch halte ich die Diakonie für eine wichtige Organisation. Vielleicht könnte man da in Zusammenarbeit mit anderen Verbänden, und auch in direkter Zusammenarbeit mit Kirchengemeinden Ressourcen noch gezielter einsetzen. (Beispiel: Bahnhofsmission: in Trägerschaft der Diakonie und Caritas)

uni, theologie

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