Ficathon:
happily ever afterFandom: Carmilla
Prompt: Will x Kirsch | You left the keys inside, got locked out in the rain / But you know I'm always here to let you in and say / You're stupid, stupid / And I love you ["Stupid stupid", Alex Day]
Promptsteller*in: schmokschmok
storm nights
„Ähm, hey. Will?“
Du seufzt. Es ist Kirsch. Natürlich. Es ist immer Kirsch, wenn du um diese Uhrzeit angerufen wirst. Oder auch um irgendeine andere - er ist nämlich der Einzige, dem du deine Nummer gegeben hast. „Wirklich nur für Notfälle“, hast du ihm eingeschärft, aber natürlich hat schon drei Minuten später dein Handy geklingelt, weil er den Ausweis von einem wirklich süßen Mädchen gefunden hat.
Du hast ihm dabei geholfen, die unglaublich heiße und an Männern so überhaupt nicht interessierte Besitzerin ausfindig zu machen, und mit den Schultern gezuckt. Auch egal. Wenn man es genau nimmt, hast du dir das Handy sowieso nur angeschafft, um für Kirsch erreichbar zu sein. Vielleicht hast du beim Kauf sogar eingeplant, von ihm mit derartigen Belanglosigkeiten behelligt zu werden - und ganz eventuell auch ein bisschen darauf gehofft.
„Will? Bist du noch dran?“ Kirsch klingt merkwürdig kleinlaut. Im Hintergrund hörst du ein leises Rauschen, das nicht so klingt, als stamme es von einer schlechten Telefonverbindung. Vielleicht Wind?
„Ja, sicher“, antwortest du (und möglicherweise denkst du: Für dich doch immer, aber das gehört wohl zu den Dingen, die du niemals laut aussprechen darfst, wenn du nicht möchtest, dass du dein Handy gleich wieder wegwerfen kannst).
„Gut. Ähm.“ Kirsch ist nicht gerade gut darin, am Telefon zu reden. Er tut es zwar unheimlich gerne und wenn er jeden in seiner Kontaktliste auch nur annähernd so oft anruft wie dich, dann ist er eigentlich den ganzen Tag mit nichts anderem beschäftigt, aber das heißt nicht, dass er es kann. „Ja. Ich wollte nur wissen, ob du noch wach bist. Und … ich weiß nicht … vielleicht vorbeikommen könntest?“
„Äh“, machst du und bist für ungefähr eine Millisekunde tatsächlich überrascht. (Das schaffen Menschen nicht mehr oft, dafür hast du zu viel gesehen, aber bei Kirsch ist das was anderes. Kirsch bekommt das etwa einmal in der Woche hin. Mindestens.) Aber bevor du zusagst und losstürmst, fällt dir etwas ein und du fragst: „Warum?“ Denn wenn das nur wieder eine seiner hirnlosen, unangemessen beliebten Partys ist, wirst du mindestens die nächsten beiden Male, die er anruft, nicht abnehmen.
„Na ja, ich“, beginnt er und macht dann eine Pause. Eine, die viel zu lang dauert, selbst für seine Verhältnisse. Aber du unterbrichst ihn nicht, weil das erfahrungsgemäß nur dazu führt, dass du in genau dem Moment etwas sagst, in dem er doch weiterredet. „Doofe Geschichte“, murmelt er schließlich, als ihr lange genug gewartet habt. „Weißt du, ich glaub, ich hab mich ausgeschlossen.“
„Oh.“ Du schnappst dir deinen Geldbeutel, die Schlüssel und deine Jacke und lässt weniger als eine halbe Minute nach diesem Satz die Tür hinter dir ins Schloss fallen. „Du glaubst?“, fragst du, während du die Treppe hinunter hastest.
„Nicht wirklich“, antwortet Kirsch. „Also. Ich habe mich ausgeschlossen.“
Draußen regnet es. Das erklärt das Rauschen im Hintergrund, aber es gefällt dir überhaupt nicht. Kirsch ist grundsätzlich zu cool für solche Dinge wie Jacken oder Schirme, aber er ist definitiv nicht zu cool, um dann eine Woche lang krank zu sein und sich nur alle paar Tage per SMS bei dir zu melden. Du ziehst die Kapuze über und wagst dich zur Haustür hinaus.
„Ich bin unterwegs“, verkündest du, um wenigstens irgendetwas zu sagen. Aber schon nach wenigen Schritten bleibst du für einen Augenblick stehen. „Obwohl“, fügst du nachdenklich hinzu, „du auch einfach herkommen könntest. Dann müssten wir nicht bei dem Wetter deinen Ersatzschlüssel suchen.“
„Oh“, sagt Kirsch, als sei ihm erst jetzt überhaupt aufgefallen, dass es regnet. „Äh, tut mir leid. Du hast Recht. Bleib zuhause. Das war ’ne dumme Idee von mir.“
Du seufzt wieder. Wenn er so anfängt, ist es sehr wahrscheinlich, dass er nicht kommen, sondern sich irgendeine andere Schlafgelegenheit suchen wird. „Nein“, wirfst du also hastig ein, weil du auf keinen Fall möchtest, dass er jetzt einfach auflegt und du erst morgen wieder von ihm hörst, wenn er dir erzählt, dass er bei dem heißen Mädchen von nebenan übernachten konnte. „Nein, ist egal. Ich bin ja eh schon unterwegs.“
Vier Straßen noch. „Okay. Dann, ja, bis gleich“, nuschelt Kirsch und legt einfach auf.
Das macht er immer. Du hast dich so sehr daran gewöhnt, dass du ehrlich gesagt gar nicht mehr weißt, ob du es nicht merkwürdig finden würdest, mit jemand anderem zu telefonieren, der am Ende des Telefonats auf deinen Abschied wartet. Glücklicherweise bist du nicht gezwungen, es herauszufinden. Deine Geschwister und Mutter laufen dir oft genug über den Weg, um dich nicht anrufen zu müssen, und Menschen interessieren sich für gewöhnlich nicht für dich.
Kirsch ist da eine Ausnahme. Du hast bis jetzt nicht herausfinden können, warum er sich in der ersten Studienwoche in jeder einzelnen Veranstaltung auf den Platz neben deinem gesetzt hat und es für ihn danach anscheinend beschlossene Sache gewesen ist, dass ihr beste Freunde fürs Leben werdet.
Andererseits scheint es so, als wäre Kirsch ziemlich oft die Ausnahme von der Regel. Du weißt, wie er auf jeden Außenstehenden wirken mag, doch wenn man erst einmal ein bisschen hinter die Fassade geblickt hat, dann wird unheimlich schnell klar, dass er so anders als jeder Mensch - und, der Vollständigkeit halber, auch jeder Vampir - ist, den du jemals getroffen hast. (Aber vielleicht bildest du dir das auch nur ein - du bist ehrlich genug, um dir einzugestehen, dass du das wohl über jeden sagen würdest, in den du dich irgendwann einmal verliebt hast.)
Als du um die letzte Ecke biegst, siehst du ihn schon von weitem. Niemand sonst steht um diese Uhrzeit auf der Straße herum. Während du näher kommst, hebt er die Hand und lässt sie dann wieder fallen. „Hey, Kumpel“, begrüßt er dich und macht dieses komische Ding, bei dem er einen Arm halb um deine Schulter legt und dir auf den Rücken klopft und dann zwei Schritte zurückgeht, so als wäre jeder Körperkontakt zu viel tödlich. (Womit er in deinem Fall je nach Art des Kontaktes sogar richtig läge, aber das kann er unmöglich wissen.)
Du glaubst, dass das sein Äquivalent einer Umarmung zur Begrüßung ist, aber sicher bist du dir nicht. Irgendwie fällt es dir schwer auseinanderzuhalten, was irgendwelche Handzeichen und Rituale sind, die er sich anscheinend zu Schulzeiten mit seinen damaligen Freunden ausgedacht hat, und was eventuell einfach die Kirsch-Variante irgendeines normalen Verhaltens ist.
Aber gerade interessiert dich das auch herzlich wenig. Ohne Umschweife kniest du dich vor die Haustür und hebst die Fußmatte an. Kirsch tritt von hinten näher an dich heran und schnaubt. „Da ist er nicht, im Kellerfenster nicht, am Baum nicht“, zählt er seine Lieblingsverstecke auf.
Die Sache ist nämlich, dass Kirsch den Ersatzschlüssel nicht wie jeder normale Mensch einfach irgendjemandem geben kann, der ihn verwahrt. (Was in diesem Fall wohl du wärst, weil du der Einzige bist, der auch mitten in der Nacht jedes Mal vorbeikommt, wenn Kirsch anruft und dich darum bittet.)
Nein, Kirsch verlässt jeden Tag aufs Neue das Haus, sieht sich um und entscheidet sich dann, den Ersatzschlüssel an irgendwelchen absurden Orten zu verstecken, bis er ihn abends wieder mit in die Wohnung nimmt. Du verstehst nicht so ganz, wieso er das tut, und er weigert sich, es zu erklären. Selbst Alkohol ändert daran nichts - nicht, dass du das wirklich ausprobiert hättest. Oder besser gesagt hast du ihm nicht extra dafür Alkohol eingeflößt - er ist sowieso betrunken gewesen und du hast lediglich eine beiläufige Frage fallen lassen, an die er sich am nächsten Morgen nicht mehr erinnern konnte, das ist alles.
Fluchend erhebst du dich vom nassen Asphalt. Die Orte, die Kirsch aufgezählt hat, sind genau genommen nicht nur seine Lieblingsverstecke - sie sind auch die einzigen in der ganzen Straße. Es gibt einfach keine andere Möglichkeit, einen Schlüssel so abzulegen, dass keiner der vorübergehenden Studierenden ihn zufällig finden und mitnehmen könnte. Was wohl bedeutet, dass Kirsch zum dritten Mal in diesem Jahr sein Schloss austauschen und du dir irgendetwas einfallen lassen musst, wie du das vor Mutter verheimlichen kannst.
Sie hat immerhin gerne ein Auge auf ihre Studierenden. Aus irgendeinem Grund liebt sie es, über sie alle informiert zu sein - „für den Fall des Falles“, pflegt sie zu sagen. Deswegen bist du dir auch sicher, dass diese Universität kein bisschen größer wäre, wenn es den verdammten Fisch nicht gäbe. Je mehr Studierende hier leben, desto mehr Zeit muss Mutter dafür aufwenden, Fortschritte zu überprüfen und sich über den Lebenswandel zu informieren.
Doch da ihr nach all den Jahren noch immer eine recht überschaubare Anzahl darstellt, wird es nicht so einfach, Kirschs verlorene Schlüssel noch länger vor Mutter geheim zu halten. Sie hasst nichts so sehr wie Dummheit und Verschwendung und wie sie darüber denkt, wenn beides zusammenfällt - und anders würde sie Kirschs Art nicht interpretieren -, willst du nicht herausfinden. (Vor allem, weil Carmilla doch so eindrucksvoll bewiesen hat, dass nicht einmal Bitten etwas bringt, wenn Mutter über das Schicksal eines Menschen entschieden hat.)
„Will“, reißt Kirschs Stimme dich aus deinen Gedanken und dir wird bewusst, dass du ihn vermutlich einfach nur angestarrt hast, ohne irgendetwas zu sagen. „Alles in Ordnung, Kumpel?“
„Klar. Sorry, ich hab nur nachgedacht, ob wir vielleicht was vergessen haben.“ Die Lüge geht dir viel zu leicht über die Lippen. Kirsch sieht dich mit diesem leicht verwirrten Blick an, der in dir den Wunsch auslöst, ihn zu schütteln, bis er sich an seine verdammte Idee von heute Morgen erinnert, und gleichzeitig möchtest du ihn an den Schultern packen und gegen die Wand drängen und -
„Der Briefkasten!“ Abrupt drehst du dich um, noch bevor Kirsch das Wort zu Ende ausgesprochen hat, und steuerst auf den Baum zu. Zur Straße hin ist ein uraltes Vogelhäuschen an ihm angebracht, das schon seit Ewigkeiten nicht mehr von wirklichen Vögeln benutzt worden ist, und irgendwann hat Kirsch es im Vollrausch umgetauft. Der Name ist hängen geblieben und der langsam, aber sicher auseinanderfallende Kasten wird ab jetzt immer der erste Ort sein, an dem du nach Kirschs verdammten Zweitschlüsseln suchen wirst. Auch, wenn du eigentlich überhaupt nicht erpicht darauf bist, deine Hand dort hineinzustecken.
Aber du überlebst es natürlich, ertastest das weiche, raue Holz, fährst mit den Fingerspitzen über den Boden und bekommst schließlich das kalte Metall des Schlüssels zu fassen. Die Anspannung der letzten Minuten kommt dir mit einem Mal so überzogen vor, aber gleichzeitig ist sie auch noch nicht verpufft - und du stürmst zielstrebig an Kirsch vorbei, um die Tür aufzuschließen, während du zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor presst: „Du bist so dämlich, wirklich, ich glaub’s einfach nicht.“ Er folgt dir stumm, während du die Treppen hinaufsteigst, immer zwei Stufen auf einmal nehmend, und weiter vor dich hin schimpfst.
„Will“, unterbricht er dich irgendwann leise und sehr ruhig und du hältst inne, nur um festzustellen, dass du beinah an seinem Zimmer vorbeigelaufen wärst. Die Lippen fest aufeinander gepresst schließt du auch diese Tür auf und dann stehst du einen Moment einfach stumm da, ehe du sie aufstößt und eintrittst.
In Kirschs Zimmer herrscht das gleiche Chaos wie immer. Seine Kleidung ist über Boden, Bett und den Stuhl verteilt, auf dem Tisch liegen die Ordner durcheinander, an der Wand hängen schief Urlaubsbilder und Telefonnummern. Du lässt den Schlüssel in die Schale auf dem Tisch fallen, in der zwei Feuerzeuge, sein Handyladekabel und Haupt- und Autoschlüssel liegen.
In der anschließenden Stille hörst du Kirsch viel zu laut atmen. Mit einem Moment Verspätung drehst du dich um und siehst ihn an. Er betrachtet dich, ein bisschen verwirrt und unsicher, fast so, als sei er hilflos, und wirklich, du verstehst es nicht. Deine Worte können ihn gar nicht so sehr aus dem Konzept gebracht haben - er weiß doch, dass du es nicht so meinst. „Also“, sagst du schließlich und hebst die Schultern, als du diesem Blick nicht mehr länger standhalten kannst.
„Also“, wiederholt Kirsch und lässt dich nicht aus den Augen. „Danke, dass du vorbeigekommen bist und meinen Schlüssel gefunden hast.“ Seine Stimme klingt belegt und während er auf dich zutritt und wieder dieses Ding macht, von dem du nicht sicher bist, ob es eine Umarmung sein soll, denkst du daran, wie gut es ist, dass du nicht krank werden kannst. Denn hundertprozentig hörst du da die Erkältung, die sich bei Kirsch anbahnt.
Als er schließlich zurücktritt, zuckst du mit den Schultern. „Kein Problem. Obwohl es echt einfacher wäre, wenn du mir einfach den Zweitschlüssel geben würdest.“
„Ja … nein“, winkt Kirsch im nächsten Moment ab und sieht zum Fenster. „Du, äh, kannst übrigens auch hier schlafen, wenn du möchtest. Also, ich meine, es ist schon so spät und draußen ist es echt ungemütlich, das wäre überhaupt kein Problem.“
Es ist nicht das erste Mal, dass er das anbietet, aber du bist immer wieder aufs Neue überrascht davon, und dementsprechend ungeplant fällt deine Reaktion aus. Während du dich noch gar nicht wirklich entschieden hast, ob du diesen Vorschlag großartig oder zu gefährlich finden sollst, schüttelst du bereits den Kopf und wirfst seinem winzigen Sofa einen skeptischen Blick zu. „Das Ding ist viel zu klein, um darauf zu schlafen.“
Kirsch atmet tief ein und weicht deinem Blick aus, aber er sagt auch nach ein paar Sekunden des Schweigens nichts mehr, also nickst du nur und gehst an ihm vorbei zur Tür. „Keine Sorge, das macht mir nichts aus.“
„Klar“, murmelt er und hebt eine Hand zum Abschied, als du dich ein letztes Mal umdrehst und dir ein schiefes Lächeln nicht verkneifen kannst. „Also. Dann bis morgen.“
„Bis morgen“, antwortest du und beißt dir auf die Zunge, um ihn nicht zu bitten, sich bis dahin aus Schwierigkeiten herauszuhalten. (Und während die Tür hinter dir ins Schloss fällt, bleibst du nicht stehen und flüsterst: „Ich liebe dich.“ Du denkst es nicht einmal. Aber du gehst den Gang entlang und danach die Treppe hinunter, nur ein winziges bisschen langsamer als normalerweise, und du kannst es tief in deinem Herzen fühlen. Ein schwaches, warmes Glühen, das dich in einem unvorsichtigen Moment lächeln lässt.)