was bleibt II

May 06, 2017 00:59

Fandom: Doctor Who

Content Note: Sterben/Tod



was bleibt

1

Dein Name ist Wilfred Mott und das Wichtigste, das es über dich zu wissen gibt, ist: Du lebst.

2

Am letzten Abend, als die Welt noch in Ordnung ist und du guten Gewissens in den Spiegel sehen kannst, setzt du dich im Wohnzimmer auf deinen alten Sessel und siehst aus dem Fenster. Du betrachtest das Leuchten der Sterne und die Nachtschwärze um sie herum. Draußen ist es leise und friedlich und nichts erinnert an die sich überschlagenden Ereignisse der letzten Jahre. Nichts in dieser sternenklaren Vorweihnachtsnacht weist darauf hin, dass irgendwo dort draußen der Doctor in seiner Tardis ein Auge auf die Erde hat, um im Zweifelsfall helfend eingreifen zu können.

Dennoch musst du an ihn denken. Es ist merkwürdig: Während du eigentlich nur aus der Küche Fetzen von Sylvias und Donnas Streit über das Dessert mitbekommst und dich so fühlst, als hättest du bereits Ewigkeiten auf dieser Welt verbracht, fällt dir dieser bemerkenswerte Mann ein. Vielleicht, weil du dir neben ihm nicht so alt vorkommst, sondern eher so, als seist du gerade erst ein kleines Kind, das noch viel zu lernen und zu entdecken hat.

Vermutlich bist du das auch. In seinen Augen seid ihr wohl alle jung und unreif, jeder Mensch auf dieser ganzen weiten Welt. Wenn du so darüber nachdenkst, hältst du es für ein kleines Wunder, dass er euch überhaupt mögen und sogar respektieren kann, wo ihr ihm doch in manchen Belangen unheimlich primitiv und unfertig vorkommen müsst. Und langsam natürlich - Donna hat dir genug über den Doctor und seinen brillanten Verstand erzählt, während sie auf der Suche nach ihm gewesen ist, dass du dich so manches Mal gefragt hast, wieso er ihr angeboten hat, mit ihm zu reisen. Wird es denn nicht frustrierend, auf Dauer von Leuten umgeben zu sein, die so viel länger zum Denken und Verstehen brauchen als man selbst?

Das ist nur eine der unzähligen Fragen, die du dir selbst immer wieder stellst. Eine von vielen, die doch letztendlich auf dieselbe Grundfrage hinauslaufen - wie es wohl ist, er zu sein. Wie er es schafft, mit seiner immensen Menge an Erinnerungen und Fertigkeiten und Erfahrungen zurechtzukommen, ohne darüber den Verstand zu verlieren. Wenn du dich schon hin und wieder alt fühlst, wie muss es dann erst ihm gehen?

Das ist eine Sache, über die du viel nachgedacht hast. Vielleicht ist es auch ganz anders und im Angesicht von Regeneration und Unsterblichkeit bleibt man für immer jugendlich - unwissend und neugierig auf das Leben, wie es ist und wie es sein kann. Aber eigentlich glaubst du nicht wirklich daran.

Da ist etwas an ihm, das dieser Möglichkeit widerspricht. Ein leiser Unterton in seiner Stimme, wenn er vor dir sitzt und redet - eine Nuance seines Blicks, irgendwo zwischen verwirrt, vorsichtig und skeptisch, als ob er gar nicht vorgehabt hätte, überhaupt so viel von sich preiszugeben. Und dabei ist es doch so wenig, das er tatsächlich erzählt. Ihr seid nicht mehr als Bekannte, die sich hin und wieder über den Weg laufen - immer dann, wenn der Doctor jemanden braucht, den er nach Jahreszahl und Uhrzeit fragen kann, oder wenn du jemanden brauchst, den du um Donnas Erinnerungen anflehen kannst.

Ihr führt nicht die Art von Gesprächen, die dich eigentlich interessieren würden. Treffen mit dem Doctor entwickeln viel zu schnell eine Eigendynamik, die, wenn man nicht aufpasst, rasch in den Hintergrund geraten lässt, worum es ursprünglich gegangen ist. Er sieht einen an und gleichzeitig durch einen hindurch - und im nächsten Moment befindet man sich auf den Straßen Londons und versucht, ihn nicht aus den Augen zu verlieren.

Er ist so schwer greifbar, kaum zu verstehen, immer in Bewegung. Sein Leben streift das der Menschen stets nur - und bei Gott, es müssen im Laufe der Jahrtausende so viele gewesen sein. Der Gedanke versetzt dir einen Stich. Denn manchmal, an ruhigen Tagen, wenn du dich einfach still fühlst, fragst du dich, wer von ihnen sich an diesen Mann erinnern wird, wenn er eines Tages nicht mehr auftauchen, einst gar sterben sollte.

Sogar an dich werden Menschen denken - Sylvia und Donna, deine Freunde, Nachbarn und Kunden. An jeden Toten auf dieser Welt erinnert sich jemand, und sei es auch nur für eine einzige Generation oder gar ein paar Minuten. Da kann es doch nicht sein, dass ausgerechnet der Doctor einfach leise in Vergessenheit geraten wird, oder?

(Aber: Er sieht nicht so aus wie jemand, der irgendwohin zurückkehren könnte. Er wirkt einsam.)

3

Dein Name ist Wilfred Mott und das Wenigste, das du jemals gewollt hast, ist: Dass dein Überleben einen Preis fordert, der so schwindelerregend hoch ist.

4

Am ersten Abend, nachdem deine Welt in sich zusammengebrochen ist und du die Schuld mit jedem Atemzug auf deinen Schultern lasten fühlst, weißt du, dass du Verantwortung trägst. Du darfst dieses schreckliche Geschenk, das der Doctor dir gemacht hat, nicht wegwerfen und nicht vergeuden.

Denn er stirbt und jetzt ist die Zeit deiner vagen, ungemütlichen Überlegungen vorbei. Aus der Unwahrscheinlichkeit ist eine Gewissheit geworden, die zu schwer ist, um sie stumm zu ertragen, und du willst diese Ungerechtigkeit in die Welt hinausschreien, wie er es getan hat. Denn du musstest dort hineingehen, nicht wahr? Du musstest dort hineingehen und dich einsperren, oh ja! Seine Stimme klingt laut und deutlich in deinem Kopf. Du hörst den Unglauben, die Vorwürfe - und du prägst sie dir mit aller Macht ein.

Du maßt dir nicht an, den Doctor in seiner Gänze verstehen oder auch nur komplett wahrnehmen zu können. Vielleicht hast du nur einen winzigen Bruchteil von ihm kennengelernt, vielleicht nur die unwichtigsten Nebensächlichkeiten. Aber das reicht schon aus, um zu erkennen, dass er der außergewöhnlichste aller Männer ist, die du je kennenzulernen das Vergnügen hattest - und du hast so viele von ihnen getroffen, nicht nur in deiner Zeit in der Armee, sondern auch danach.

Doch keinen wie ihn, niemals. Er verdient es, dass du dir jedes Wort, jede Geste in deine Erinnerung brennst.

5

Dein Name ist Wilfred Mott und dein offenes Geheimnis ist: Es gibt Tage, an denen du dich fühlst, als hättest du ihn umgebracht. Es gibt Tage, an denen du morgens kaum aufstehen kannst, sondern an die Decke starrst und Gott dafür dankst, dass er dich nach der Hochzeit nie wieder besucht hat.

Es gibt Tage, an denen du dir darüber nicht sicher bist und im Gesicht jedes Passanten nach einem Hauch von Wiedererkennen, nach Wut oder Schuld oder Enttäuschung suchst.

6

(Dein Name ist Wilfred Mott und die Wahrheit ist: Es wird leichter und vielleicht ist das in Ordnung so.

Vielleicht ist es richtig.)

rating: p12, character: ten, character: wilfred mott, fandom: doctor who

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