Ich erinnere mich spontan an nichts Relevantes, dass ich über vergangene Abschiede vor Reisen sagen könnte. Klar, bevor ich nach Amerika fuhr gab es eine Abschiedsparty im Schrebergarten von Mones Eltern, und die war auch ziemlich tränenreich und legendär, wie übrigens auch der Abschied am Flughafen. Ich hatte, man sieht es noch auf allen Fotos, das ganze Frühstück über geheult wie ein Schlosshund, und es waren alle, alle da am Flughafen! Das war toll, das war damals auch ganz wichtig und schön, und eben traurig - im Nachhinein ist es verblasst vor all den Erlebnissen abroad, und vor allem vor der fiesen Erkenntnis, dass der Abschied nach zu Hause hin viel schlimmer, weil (bis jetzt immer) endgültig ist. Wen habe ich nicht alles zurückgelassen!
Im Ernst, ich habe schon mit so vielen Leuten Schluss gemacht auf diese Weise, dass es für ein Leben eigentlich reicht. Das ist ganz normal heutzutage, das tut man auch jedes Mal, wenn man in eine andere Stadt zieht zum Arbeiten. Es ist bloß leichter die Illusion des Kontaktes oder in gewisser Weise tatsächlich Kontakt zu halten mit den neuen Medien.
Es mangelt dann bloß an Zeit. Na ja, kommt auf die Definition von Kontakt an. Wenn es nur darum ginge, an wen man denkt, dann habe ich den engsten Kontakt zurzeit mit toten weißen katholischen Männern die ich nie kannte.
Die werden mir später nicht fehlen, wohl aber die Menschen, die mich in der Fremde aufnehmen. Ich lasse mich auf die zeitlich begrenzte Fremde, vor allem auf die Fremde mit lauter fremden Leuten viel rückhaltloser, intensiver ein als, sagen wir, auf Frankfurt (Oder) oder Heidelberg.
In meinem Kopf werden die Tage zu einem Verabschiedungsmarathon. Ich habe mein Testament gemacht (ehrlich wahr). Das ist sehr allgemein gehalten. Dafür versuche ich jetzt alle Leute abzutelefonieren, die mir jeweils bei den letzen Telefonaten gesagt haben, „Na ja, bevor Du fährst, reden wir ja sicher noch mal, nicht?“ Die sich nicht vor der Zeit verabschieden wollten, und sei es aus Höflichkeit. Unter der Woche habe ich kaum Zeit und Muße zum Telefonieren. Am Wochenende habe ich viele Anrufbeantworter erwischt. Das genügt mir zur Not. Es ist nicht so, dass ich allen letzte Worte sagen möchte. Oder letzte Worte hören. Eher Pflichtgefühl. Ein selbst ausgedachter Zwang. Wahrscheinlich ernstgemeint: Alle sagen, ich soll viel schreiben. Meine Chefin wünscht sich wieder Wochenberichte. Da müssen jetzt alle durch.
Von Heidelberg muss ich mich nicht verabschieden, ich komm ja wieder, und zwar bald. Ein bisschen alten Winter werde ich verpassen, um den reut es mich nicht. Eben bin ich entlang der Hangackerhöfe spazieren gegangen. Der Weg ist halt naheliegend. Hässlich aber naheliegend. Auf der anderen Seite (der Erde in diesem Fall) erscheint einem das Gras grüner, aber das ist um diese Jahreszeit unvermeintlich. Überall sonst erscheint einem das Gras grüner, ich möchte behaupten, es ist empirisch belegbar, dass es dort grüner ist, eine vegetative Konstante.
Jedenfalls macht einen diese Witterung fertig. Die Wolkendecke verhindert die Ansicht des lebenswichtigen Blaus, und des Laufs der Sonne, der einem beweisen würde, dass die Zeit noch da ist. So wie sich das darstellt, kann man sich da nicht sicher sein. Das hier in Rohrbach ist andere Art der Dämmerung, eine die nicht anfängt oder aufhört, eine die nicht Tag und Nacht verbindet sondern zwei scheinbar identische Zustände, hinter denen auch kein Ende absehbar ist. Das Licht scheint gefangen in der wohl reichlich bemessenen, aber eben doch nach oben und unten begrenzten Luftschicht zwischen Erde und Wolken. Es kommt von oben, entlockt dem Zeug hier unten schwache Farben, ein anämisches Glimmen in den Grashalmen, eine trockene Reibung auf dem ewigen Beige und Grau menschlicher Bauten. Reflektiert. Steigt langsam wieder nach oben wo es die Wolkendecke nicht durchdringen kann sondern von dem Nebel höchstens noch einmal ein- und wieder ausgeatmet wird, und dann, immer wieder, immer verbrauchter, wieder nach unten sickert.
Ja, da fährt man doch gerne mal weg.
Was ganz wunderbar ist: Eli hat mir angeboten, mich zum Flughafen zu fahren. Macht ihr nichts aus, sagt sie. Und ich, nach längerer Abwehr der Umständlichkeit halber komme doch endlich zu der Einsicht, dass ich das ganz furchtbar lieb und schön finde! Weggewunken werden! Auch wunderbar: die Telefonate denn doch, und die Post, danke!