Staub von 1000 Jahren : Die Hausbesichtigung

Jan 29, 2010 18:25

In einem Alptraum wacht der graue Mensch mit Atemnot in seinem Bett auf. Staub fliegt durch die Luft und verschluckt alle Geräusche außer den seinen: raue Atemnot, perlender Schweiß auf der Haut, das Rauschen der wild flatternden Wimpern, knistern der Laken, kreischende Stille.



Als die Stille wieder die Geräusche überlagert, streckt er zögerlich seine langen, grauen Körper lang auf dem Bett und befreit sich dabei aus den nun stummen Laken. Die aschblonden Wimpern verkleben im Schlaf, ruhiger flatternd nun, wie das eines ausruhenden Schmetterlings. Beim Atmen mischen sich kleine Scherben in jeden Atemzug, die seinen Hals zu zerreißen drohen. Er ist nackt - wieder - obwohl er die Schere der Kleider noch auf seiner Haut spürt. Die Laken sind kalt, wie eine abgestreifte Schlangenhaut sandig.

Er lauscht auf Schritte, lauscht, ob sie da ist, seine Frau. Die Frau mit dem schönen Gesäß und dem hässlichen Herzen. Er wünscht das Haus wäre leer, er fürchtet er ist hierher - sei's nur im Traum - zurückgekehrt. Er weiß dass er schläft, sein Herz weiß es nicht. Er möchte jetzt aufwachen, doch er muss den Traum abwarten. Vielleicht war es viel zu unerhört in das Haus zurückzukehren, das der Staub vor 1000 Jahren gefressen hat? Er fühlt sich in dem Staubschleier so leer, so verängstigt und traurig, dass ihn nicht einmal die Laken trösten könnten.

In diesem Haus ist niemand. Nur schwerer Bleistaub, der unaufdringlich Musik in die Stille malt. Warum wachte er in seinem Bett auf, schlief er nicht sonst unter dem Küchenfenster und war er nicht auf der Wiese vor dem Haus eingeschlafen? Wachte man vielleicht nur in Alpträumen auf, wenn man ohne Illusionen schlafen ging? Er wusste es nicht.

Alles aus der anderen Welt vor dem Fenster liegt noch wie ein Traum oder wie die Berührung des Regens kalt auf seiner Haut. DAS, diese Berührung, ist das einzige was ihn in diesem Alptraum unter all der Atemnot und den Scherben Luft bekommen lässt. Fast so, als würde die Luft nur als ein dünner Luftzug unter dem Dreck, durch seine rein gewaschene Haut sickern, unsichtbar daran kleben bleiben. Er tatstet seinen Körper ab, seine Fingernägel glitzern im Staublicht, er ertastet nicht die Kiemen, die ihm Luft verschaffen.

Von einem Herzschlag auf den anderen - zeitlos in diesem Alptraum - seht er sich zurück nach dem Man auf der roten Decke, nach dem Geruch der Wiese, nach den Farben, die vor dem Küchenfenster sicherlich lauerten. Er war vielleicht nicht stark genug, ohne ihn zu leben. Aber er hatte hier gelebt, im Staub geatmet, von der Liebe zu seiner Frau geträumt, zu einem Stern. Es war Zeit aufzuwachen.

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Er schlug die Augen auf, irgendwo in dem Zwischenraum von tiefster Nacht und Zeit für den Sonnenaufgang.

Die Farben schliefen wie unsterbliche Tiere neben ihnen, die rote Decke war weich gegen seinen schmerzenden Rücken, niedergepresstes Gras und kleine Stöcke pressten Aufmerksamkeit heischend durch den Stoff seiner Kleider. Die Sterne schickten teilnahmsloses Licht gemeinsam mit kalter Luft nach unten.

Der Andere schlief - er selbst weinte stumm, wollte niemanden wecken, das altbekannte Gefühl der Einsamkeit wollte er mit niemanden teilen. Am morgen, müde, würden die Farben schwierig zu erkennen sein, die Berührung gefürchtet; aber am Morgen würde offensichtlich, was durch den Traum nur all zu deutlich war: Dass seine Frau das Haus endlich verlassen hatte. Vielleicht war sie zu ihren Nachbarn gezogen? Vielleicht schon weiter, graues Haus zu grauem Haus, die ganze Nachbarschaft trocken durchgefickt, ohne Liebe, ohne Regen.
Nun, es wurde offensichtlich. Der letzte Rest Sorge und der letzte Rest Trauer konnte am morgen nun dem Staub übergeben werden, er konnte endlich weg, nun da er sich um das Haus, in dem er so lange gelebt hatte, gekümmert hatte, ein letzter Kontrollgang. Die Zeit konnte weiter laufen, er war frei zu gehen.
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