TITEL: Mutterlos
CHARA: Mrs. Norris, Argus Filch
WORD COUNT: ~1'500
RATING: P12
PROMPT aus
daswaisenhaus :: 2535 :: Niemand weiss, dass Mrs. Norris in Wirklichkeit ein Animagus ist und nur auf den passenden Moment und den passenden Menschen wartet, um ihre wahre Gestalt zu offenbaren.
DAS IST ein Oneshot, den ich 2017 angefangen habe, als ich noch mit meinem Sohn schwanger war, und in den letzten Jahren immer mal wieder geöffnet habe, um ein paar Sätze hinzu zu fügen. (Ich glaube, ursprünglich war er für den HP Adventskalener gedacht.) Kein Meisterstück, aber ein Anfang.
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M U T T E R L O S
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Manche Menschen sollten keine Kinder bekommen.
Sie hat nur nie gedacht, selber einer eben dieser Menschen zu sein.
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Sie hat den Verdacht schon früh; noch bevor Argus sprechen kann, lange bevor er versteht, was mit ihm nicht stimmt.
(Was mit ihr nicht stimmt. Wenn er nicht genau richtig ist so, wie er eben ist, dann trägt sie die Schuld daran; sie, die einen Fehler sieht, wo es keine Fehler geben sollte, nicht für sie.)
Wo seine älteren Brüder vor ihm bei Langeweile Spielsachen über sich schweben liessen, heimtückisch dem Laufgitter entkamen und ungeliebte Gemüsebreie verschwinden liessen, unschuldige und noch unbewusste Versuche im Gebrauch der eigenen Magie, tut Argus nichts anderes, als zu weinen. Weint, damit er beachtet und beschäftigt wird, weint aus Frust darüber, hinter weissbemalten Gittern gefangen zu sein, weint voller Ärger über den Erbsenbrei. Durch nichts lässt er zeigen, ein Zauberer zu sein, einer der Grossen von morgen vielleicht obendrauf.
(Könnte nur wenigstens einer ihrer Jungen, was sie kann. Niemand würde sie an Herd und Kinderbett ketten, wie man es mit ihr getan hat. Ihren Söhnen wäre gestattet, das ihnen gegebene Potenzial auszuschöpfen.)
Er ist bloss ihr Jüngster, kleiner Argus Filch mit den stets etwas zusammengekniffenen Augen, aus denen er hoffnungsvoll und so unsäglich hilflos zu ihr aufblickt.
Er ist kaum mehr als ein Muggel.
Er ist weniger.
Eine Verschwendung.
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Sie versucht, ihn zu lieben, oder zumindest den Schein zu wahren; doch ihr Beschämen darüber, einen Squib geboren zu haben, ist mächtiger als alles.
Ihre Lehrer waren voll des Lobes für sie, sahen für sie die Zukunft, die sie sich schon als kleines Kind erträumt hatte; nur ihr Vater was blind und taub dafür (und ihre Mutter war stumm, schreiend geboren, zum Schweigen erzogen). Deine Aufgabe, sagte er, und da auch sie von Anfang an gelernt hatte, den Mund zu halten und Folge zu leisten, war es damit beschlossen, deine Aufgabe wird es sein, einem Mann eine gute Frau zu sein und dich um seine Kinder zu kümmern. Deine Hirngespinnste da, mit Fortbildungen und Arbeit, die lässt du schön deinen Söhnen.
Sie hatte nur eine Chance auf Leben, das Leben durch ihre Söhne, die aus der Masse herausstechen und das Interesse auf sie lenken würden, sie, die sie erzogen und gelehrt hatte, die ihnen Verstand und Talent gegeben hatte.
Die ersten drei Söhne sind schlecht geraten, stumpfsinnig wie ihr Vater, fern von jener Raffinesse und der Findigkeit, für die sie einst bewundert wurde, ganz und gar durchschnittlich. Argus dagegen ist eine menschliche Hülle und nicht mehr; nicht der geringste Funke Magie findet sich in ihm. Er besiegelt ihr Versagen.
Sie ist endgültig niemand. Alles, was sie hat, hat in ihr eine Sackgasse gefunden und wird nutzlos bleiben, verrotten und mit ihr sterben.
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Er geht viel ins Dorf, treibt sich herum, prügelt sich vermutlich mit den Kindern auf dem dreckigen Boden, wie ein Hund, wie ein Muggel.
Er hat es verdient, sagt sie sich, wenn sie Gründe findet, um ihn anzuschreien, die Enttäuschungen, mit denen das Leben sie bedacht hat, an ihm auszulassen, all den Kummer und Schmerz und diese riesengrosse Vergeudung ihres Seins. Er hat es verdient.
An irgendetwas hat er immer Schuld.
Doch im Dorf gibt es eine alte Muggel, die Argus ganz anders sieht, die ihn einen wohlerzogenen jungen Mann nennt und gar nicht genug davon erzählen kann, was für ein Schatz er ist; fast jeden Nachmittag, so sagt sie, kommt er nach dem Unterricht zu ihr und hilft ihr mit der Gartenarbeit, repariert ihren Zaun, trägt ihre schweren Einkäufe, leistet ihr Gesellschaft. Die Alte strahlt, als sie ihr erzählt, was für ein Segen ihr Junge ist. Sie sind bestimmt unheimlich stolz auf ihn, Mrs Filch.
(Sie ist so wütend und verzweifelt und voller Abscheu über sich selbst, so voller Hass auf die Mutter, die in ihrem Kind keinen Segen sieht, sondern ein Versagen, sie hätte sich ein glückliches Leben aufbauen können, hätte man sie nur gelassen, sie hätte sich um sich selbst gekümmert und wäre einen eigenen Weg gegangen, wäre sie nur nicht so schwach gewesen, das zu tun, was man ihr beigebracht hatte, den Protest und das Ich zu schlucken und sich zu beugen, und jetzt ist sie Schwärze und Abgründe und ein Monster, Monster, Monster.)
Später an diesem Abend schlägt sie Argus zum ersten Mal. Sie reisst den Zauberstab runter, einmal, zweimal, dreimal, leuchtend rote Linien einer unsichtbaren Peitsche auf seinem schmalen Rücken.
Diese Frau versucht ihm einzureden, dass er kein Abschaum ist.
Dass nicht er der Fehler ist, sondern seine Mutter.
Das muss sie unterbinden. Sie muss.
Du wirst diese Muggel, ein Schlag, nie wieder sehen! Schlag. Halt dich fern von Mrs Norris!
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Er blickt sie mit der selben Mischung aus Hoffnung und Hilflosigkeit an wie schon sein ganzes Leben lang (und voller Angst, seine Augen sind schon lange voller Angst), als er ihr berichtet, in Hogwarts, der Schule, die er nie betreten hat, eine Anstellung gefunden zu haben. Er versucht gleichermassen, den Posten als Schlosswart auf- wie abzuwerten; er will ihr Lob, er fürchtet ihren Zorn; immerhin wird er Geld verdienen und vielleicht sogar etwas davon nach Hause schicken können, aber er wird putzen, mit seinen eigenen Händen, das ist ohne jede Frage würdelos für jemanden, der von einer begabten Hexe wie ihr abstammt.
Sie nickt nur knapp.
Soll er doch gehen, verschwinden, was will er hier, er ist Fehl am Platz, sie hätte ihn schon weggeben sollen, als sie die ersten Ahnungen hatte, mit ihm einen Squib geboren zu haben. Es schert sie nicht, was aus ihm wird, vielleicht wird sie dann ihren Frieden finden.
Und besser für ihn ist es ohnehin.
Sein Vater, der einschritt, wenn die Schläge zu viel wurden (als wäre nicht jeder Schlag für immer zu viel), ist tot, seine Brüder, die ihn zu einem der ihren machten, wenn sie sich von Mutter unbeobachtet fühlten, sind in die Welt gezogen, führen ihr eigenes Leben. Es gibt nur sie und ihn und all die Fehler, die sie begangen und er büssen muss.
Er scheint noch etwas sagen zu wollen, Worte des Abschieds vielleicht, und aus ihr bricht heraus: Geh! Geh, geh, geh! Verschwinde!
Sie will ihn niemals wiedersehen.
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In dem Moment, in dem die Tür hinter ihm zugefallen ist, fällt alles in ihr auseinander.
Jede Rechtfertigung, die sie sich zurechtgelegt hat, jeder Schrei, jeder Schlag, alles ist Gegenwart, alles ist genau jetzt, alles auf einmal. Sie hat das Kind, das sie gebraucht hätte, ihren inneren Dämonen zum Frass vorgeworfen, hat es dem Grauen vorgesetzt, das in ihr eine willige Wirtin gefunden hat. Er hätte eine Mutter gebraucht und sie brauchte einen Sündenbock.
Sie kann nicht ohne ihn sein, sie kann nicht, kann nicht.
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Es ist siebenundzwanzig Jahre her, seit sie zuletzt sie selbst war.
Überdurchschnittlich, begnadet, voller Möglichkeiten.
Sie sinkt in sich zusammen, sie schrumpft, sie krümmt sich. Aus Haut wird Fell, aus Händen Pfoten.
Den Zauberstab lässt sie liegen.
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Sie erreicht ihn noch, bevor der Zug eintrifft. Völlig verloren steht er am Gleis, klammert sich an seinen Koffer.
Sie miaut. Er blickt auf sie herunter.
Zuerst der Anflug eines Lächelns, er kann diese Reaktion nicht unterdrücken. Dann das Misstrauen, die Angst davor, dass ihm jede kleine Freude nur zuteil wird, um ihm gleich darauf wieder genommen zu werden.
Aber dieses Mal nicht. Sie wird nicht gehen. Sie wird ihn nicht verlassen. Er muss sie entweder mitnehmen oder umbringen.
(Doch so weit hat sie ihn nicht getrieben. Noch nicht.)
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Monster werden nicht geboren.
Sie kann dabei zusehen, wie die Welt beendet, was sie begonnen hat; was sie zugelassen hat.
Sie hätte die Mutter sein können, die ihren Sohn darauf vorbereitet, Teil einer Welt zu sein, in der er immer ein Aussenseiter sein wird; in der man ihn verspotten und bespucken wird. Sie hätte ihn stark machen können, ihm zeigen, dass er genau richtig ist und es nichts an ihm gibt, das es zu ändern gilt. Sie hätte ihm das Zuhause geben können, in dem er Liebe und Wärme findet, wann immer ihm der Mut sinkt, ihm die Rückendeckung sein, der Fels in der Brandung.
Sie hätte das sein und tun müssen.
Doch sie hat sich entschieden, die Mutter zu sein, die ihm die erste und tiefste Wunde zufügt, das klaffende Loch in seiner Seele, durch die der ganze Schmerz und Hass von aussen in ihn hineinsickern kann. Sie hat ihn geöffnet für den Spott der Schüler, die ihn auslachen, wenn er mit seinem Mopp um die Ecke kommt, für die geringschätzigen Blicke der Lehrer, für das Mitleid anderer, die Unrecht sehen und nachts ruhig schlafen können, weil sie nicht selbst spotten.
Natürlich will er anderen weh tun. Natürlich erscheint dieses böse Grinsen auf seinem Gesicht, wenn er einen Schüler bestrafen darf.
Sie hat ihn erschaffen.
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Seine rauen Finger sind so behutsam, wenn sie in ihrem Nacken liegen oder über ihren Kopf streicheln, obwohl sie so danach gieren, sich zur Faust zu schliessen und einem dieser magiebegabten Bälger Schmerz zu zufügen. Sein hasserfüllter Blick klärt sich auf, wenn er abends die Tür hinter sich schliesst, füllt sich mit Wärme, wenn er ihr ihr Futter hinstellt und zuschaut, wie sie sich ungestüm wie ein junges Kätzchen draufstürzt. Seine Stimme, rau und zittrig von den wütenden Drohungen und Flüchen, die er den Schülern den ganzen Tag hinterherschreit, ist voller Liebe und Dankbarkeit, wenn sie in seine offenen Arme springt und er sie fragt: Wie geht es uns heute, Mrs. Norris?
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Sie sieht, wie viel er zu geben gehabt hätte, hätte er nur eine Mutter gehabt.
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