„Es ist zum kotzen!“
Timo weiß, was er meint, diese ganze beschissene Fernbeziehungskiste, in die sie sich manövriert haben und die mit jeder Sekunde unerträglicher wird, trotzdem schleicht sich ein Lächeln auf seine Lippen, es ist selten, dass Phil solche Ausdrücke benutzt.
„Ach, du bist also auf Malle und willst mir erzählen, dass es zum kotzen ist?“
Aus dem Hörer dringt einige Sekunden lang Stille, bis ein quietschendes Geräusch die Stille zerbricht. Phil hat sich gesetzt, nein er hat sich fallen lassen, auf sein Bett. Timo versucht das Bild zu vertreiben, dass in seinem Kopf entsteht, schließt einen Moment die Augen, um sich zu sammeln.
„Du weißt wie es ist. Es ist toll, den ganzen Tag trainieren, mit den anderen Jungs flachsen, an nichts anderes denken zu müssen, an nichts außer Fußball… aber ohne dich…“
Kurzzeitig brennt der Schmerz in ihm auf, der Schmerz über die Enttäuschung, das Gefühl versagt zu haben… die Sehnsucht in diesem Moment bei Phil sein zu können.
„Scheiße! Wenn ich wenigstens verstände, warum! Manchmal bin ich drauf und dran Jogi den Hals umzudrehen…oder irgendwem halt, der es verdient hat!“
Die Worte zaubern das Lächeln zurück auf Timos Lippen. Wie oft hatten sie schon über dieses Thema gesprochen, es war müßig über etwas nachzudenken, wo man doch keine zufrieden stellende Antwort fand. Aber Phil konnte unglaublich stur sein und er wusste, dass er keine Ruhe geben würde, bis er die Antwort gefunden hatte. Das war eine Seite an seinem Freund, die beinahe nur er kannte und die er gerade deshalb fast noch mehr liebte, als alles andere an ihm.
„Lass das lieber! Ich will dich noch an einem Stück wieder bekommen und auch wenn Teile von mir anders denken, bitte doch erst nach dem EM-Finale… außerdem möchte ich mich nicht auch noch um deinen Hals sorgen müssen. Mit dem hab ich nämlich noch ganz andere Sachen vor!“
Wieder drängt sich ein Schwall von Bildern in sein Bewusstsein, wie Phil den Kopf zur Seite biegt, wenn er ihn am Hals küsst, der leicht salzige Geschmack, der sich wie eine Süßigkeit in seinem Mund verteilt. Schier überwältigend ist der Wunsch genau das jetzt in die Tat umzusetzen.
„Timo…!“
Er zieht scharf die Luft ein, als ihm die Sehnsucht, die in diesem einen Wort enthalten ist, schier zu verschlucken droht.
„Ich würde dich jetzt gerne berühren, dich küssen…“
Schneller sind die Worte über seine Lippen gerutscht, bevor er sie noch aufhalten kann.
Wieder eine Pause.
„Timo, es ist mitten am Tag und ich bin im Mannschaftsquartier.“
Der Einwand ist nur eine Phrase, das weiß er, hört es aus den Worten heraus. Ein letzter Versuch Vernunft walten zu lassen, den Timo mit einer einzigen Bemerkung wegwischen kann, auch das weiß er.
„In Basel hat uns das auch nicht abgehalten.“
Ein Seufzer dringt durch die Leitung und er weiß, dass Phil an genau dasselbe denkt wie er.
„Nein…“
Vom ersten Moment an, als sie aufeinander getroffen waren, hatte er das Gefühl gehabt sich nicht mehr beherrschen zu können. Hatte es in ihm gebrannt und kaum waren sie zwei Sekunden allein gewesen, hatte er ihn auf das Bett gedrückt und ihm die störenden Klamotten entledigt. Er liebt das Gefühl seine Hände über den Körper des anderen wandern zu lassen, wie die Muskeln sich unter seinen Berührungen zusammenziehen, wie es den Kleineren in Ekstase versetzt und.
„Ich liebe deinen Bauch! Jeden einzelnen Muskel! Jede Faser deines Körpers, wie sie sich zusammenzieht, wenn ich sie berühre, wie sie schmecken.“
Er spürt seine eigene Erregung wachsen, lässt sich tiefer in seine Vorstellung sinken und beginnt sich zu streicheln.
„Und ich liebe es, wenn du mich so berührst!“ Phils Stimme ist heiser, unterbrochen durch schnelle Atemzüge, Timo weiß, dass er sich selbst berührt, die Hände seinen drahtigen Körper hinunterwandern lässt. Eine Vorstellung, die es ihm schwer macht, Worte zu finden.
„Und du liebst es noch mehr, wenn ich dich woanders berühre, tiefer…“
Stöhnen ist die Antwort und schickt tausende kleiner Schauer seinen Rücken hinab.
Er will ihm nahe sein, jetzt, seinen Körper an seinen eigenen geschmiegt spüren, wie er ihn so nahe an sich presst, bis keinen Hauch Luft mehr zwischen sie passt.
„Spürst du mich?“
„Lass mich noch mehr spüren!“
Vor seinem Auge spielen sich Szenen ab, wie Phils Körper sich ihm entgegenbeugt, seine Nähe sucht, ihm immer das Gefühl gibt nicht mehr atmen zu können, nicht mehr atmen zu brauchen, einzig die Nähe des anderen, die zählt, reicht aus, um zu existieren.
Seine Bewegungen werden schneller, lassen ein Stöhnen über seine Lippen gleiten, beinahe im Einklang mit dem, was über Phils Lippen den weiten weg durch Telefonkabel zu ihm finden lässt.
„Phil!“
„…Timo!“
Seine Stimme zittert, als sein Körper von der Welle des Höhepunktes erfasst wird.
Augenblicke lang ist Phils Atem alles, was er hört, was er wahrnimmt, das einzige, was er wahrnehmen will. Klammert sich geradezu daran fest. An die verzerrte Realität, die in seinem Kopf herrscht, die er sich herbeisehnt. Und doch weiß er, dass sie nicht existiert, dass Kilometer sie trennen, Wochen, die er irgendwie verbringen muss, in denen er versuchen wird sich abzulenken und doch seine Gedanken gefangen sein werden von einer einzelnen Person, die unerreichbar ist. Deren Nähe er erst wieder spüren kann, wenn es beinahe schon wieder zu spät sein wird, weil es immer zu spät ist. Und je später es ist, desto schmerzhafter wird es. Doch er wird es überstehen, weil er es muss, weil er versucht seinen Egoismus von sich zu schieben, immer wieder.
„Ich wünschte du wärst hier!“
Nur ein Flüstern und doch lauter wie jeder Paukenschlag.
Und plötzlich droht ihn die Sehnsucht zu überwältigen, nur ein einziger Satz, das weiß er, würde genügen.
„Zeig es ihnen und gewinn die EM!“
Alles, was jetzt zählt, was zählen muss, auch wenn jede Faser seines Herzens etwas anderes will, ihm sagt, dass es keinen Moment länger zu ertragen ist.
„…ja“
Er drückt den Knopf, der die trügerische Bindung zwischen ihnen trennt.