titel: the face that is used to telling lies
fandom: la haine
charaktere: nordine, samir
prompt: your hand around mine like a fact, like it’s not the most impossible thing i could imagine. / i recognise the divinity within me. / i burn it too. von
pik_in_aspik Er lief hinunter zum Fluß, stolperte um ein Haar über einen Stein, hielt kurz inne, um sich zu orientieren. Er verspätete sich, etwas hatte ihn aufgehalten. Im Supermarkt war ihm ein Glas eingelegter Gurken hingefallen - sein Hemd roch nach Essig - und sein Chef hatte schlechte Laune gehabt und ihn eine halbe Stunde länger arbeiten lassen. Er konnte sich nur verschwommen erinnern. Tagsüber musste es geregnet haben. Das Gras war feucht und die Erde weich und nachgiebig unter seinen Füßen. Er atmete die warme, dunstige Luft tief ein, strich sich das Haar aus der schweißnassen Stirn und ging die letzten Schritte langsamer. Sah auf das wilde, graue Wasser der Seine und die Gestalt, die, ihm den Rücken zugewandt, am Ufer wartete, die Hände tief in den Taschen einer schwarzen Lederjacke vergraben, blieb wieder stehen und -
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Nordine öffnete die Augen. Diffuses Frühsommerlicht leckte durch die halbgeschlossenen Jalousien ins Zimmer und einen Moment war er wie geblendet. Er zwinkerte, verschlafen genug, daß er noch das entfernte Echo des Wasserrauschens zu hören glaubte. Als er sich aufsetzen wollte, stellte er fest, daß Samir ihm im Schlaf den Arm um den Oberkörper geschlungen hatte. Halb verärgert und ein wenig grober als notwendig schob er ihn von sich. Samir machte ein unwilliges Geräusch, nuschelte: »Wie spät ist es?« - »Gleich sechs«, antwortete Nordine nach einem kurzen Blick auf die Wanduhr, die seit dem letzten Oktober auf der Kommode stand. Samir vergrub stöhnend das Gesicht im Kopfkissen, »Da weckst du mich an meinem freien Tag vor neun?« Nordine kletterte aus dem Bett, dankbar, daß er wenigstens Unterwäsche trug. »Du hast mich halb zerquetscht«, sagte er. »Hätte sich nicht gut gemacht, in deiner Akte.«
Er sammelte seine Klamotten ein, die achtlos verstreut auf dem Boden lagen. Seine Wangen glühten, als er an den Vorabend dachte. Wie um die Erinnerung abzuschütteln, straffte er die Schultern und ging er über den Flur in das winzige Badezimmer. Er nahm sich die Zahnpastatube aus dem Schrank über dem Waschbecken, bemüht, die noch verpackte Ersatzzahnbürste nicht zu berühren, drückte eine traubengroße Portion in den Mund und verteilte sie notdürftig mit der Zunge, ehe er sie wieder ausspuckte. Im Spiegel bemerkte er einen winzigen bläulich roten Fleck an seinem Schlüsselbein und musste unwillkürlich lächeln.
Gerade zog er sich das Unterhemd über den Kopf, als er hinter sich ein amüsiertes Räuspern hörte. Samir lehnte im Türrahmen, die Arme vor der Brust verschränkt, und grinste. »Zahlt ihr eure Wasserrechnung nicht mehr?«, fragte er, und fügte gleich hinzu: »Du musst nicht mit mir schlafen, nur damit du hier duschen kannst.« Nordine zeigte ihm den gereckten Mittelfinger, »Komm' halt mit rein.«
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Er war selbst erschrocken über seine Anzüglichkeit und wandte das Gesicht ab, während Samir sich nach kurzem Zögern mit seltsam eckigen Bewegungen auszog. Bei Tageslicht, in dem winzigen Badezimmer, zwischen den kalten Fliesen. nicht von Erregung benebelt, ohne sich mit Küssen ablenken zu können, fühlte er sich hilflos in seiner eigenen Nacktheit. Nacheinander stiegen sie in die enge Wanne. Samir zog den Duschvorhang zu, nahm die Brause vorsichtig aus der Halterung und drehte sich zu ihm um und sah ihm direkt in die Augen. Nordine musste alle Selbstbeherrschung aufbringen, sich nicht unter seinem Blick zu winden. Er hätte gerne einen blöden Witz gemacht, Duschst du immer trocken?, sowas. Stattdessen sagte er: »Es tut mir leid«, und noch einmal, »Es tut mir leid, Samir.«
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Sie hatten auf dem Dach der Sporthalle gefeiert. Irgendein Nachbar musste die Polizei angerufen haben, wegen Ruhestörung. Natürlich waren sie fast alle high gewesen und hatten das Gras offen herum liegen lassen. Aber es war keine große Sache gewesen, keine Schlägerei, oder so. Die Lage war seit Wochen angespannt und niemand wollte mehr Öl ins Feuer gießen. Man hatte sie gebeten, das Dach zu verlassen und nach Hause zu gehen.
Keine große Sache. Aber.
An der Treppe wäre er beinahe gestolpert und Samir hatte ihn wie aus Reflex am Handgelenk gefasst, ihre Finger hatten sich kurz berührt, ganz sicher hatte es keiner gesehen, aber Nordine war ausgeflippt. Er hatte Samir von sich gestoßen, »Pack' mich nicht an, Du Wichser«, er hatte gespuckt vor Wut, es war ihn einfach überkommen - die Angst, erwischt zu werden, seine Mutter, die ihn nach der geheimnisvollen Freundin fragte, wenn er über Nacht nicht nach Hause kam, die Vorstellung, wie sie ihn ansehen würden, wenn sie es wüssten - wie ein zurückschnappendes Gummiband, und hätte Hubert ihn nicht in den Schwitzkasten genommen -
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»Gewalt erzeugt Gewalt. Hass führt zu Hass.«
Das hatten sie in der Schule gelernt, aber natürlich war das bullshit, Es gab Menschen, die einen Schlag in die Fresse verdienten. Und nichts würde besser werden, bloß weil man ständig die andere Wange hinhielt.
»Aber der Punkt ist«, hatte er zu Saïd gesagt, »Du bist nicht schneller als eine Kugel.«
Saïd hatte gelacht, »Du hast mich nie laufen sehen«, und war knapp seiner Hand ausgewichen.
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Samir stellte das Wasser an und gab ihm die Duschbrause, während er nach der Shampooflasche griff. »Es ist okay. Ist ja nichts passiert«, sagte er, »Aber tu' das nie wieder.« Er stand da, den Rücken gekrümmt, die Schultern vorgeschoben. Nordine hätte gerne sein schiefes Gesicht berührt. »Es ging nicht -«, setzte er an, stockte, spülte ungelenk seine Haare, »Ich wollte nicht dich -«, aber Samir unterbrach ihn. »Tu' das nie wieder vor einem Polizisten, Nordine«, er legte ihm die linke Hand auf die Schulter, »Gib' ihnen nie einen Grund.«
Sie sprachen selten von seiner Arbeit. Am Anfang, noch vor seiner Ausbildung, waren sie ein paar Mal aneinander geraten. »Ohne eine Polizei würde Chaos ausbrechen«, hatte Samir gesagt. Nordine hatte die Augen verdreht, »Mit 'ner Waffe werden die alle früher oder später korrupt.« Aber spätestens seit Pasqua vor zwei Jahren erneut zum Innensenator ernannt worden war, seit sie den Jungen auf dem Kommissariat erschossen hatten, mieden sie das Thema. Samir wusste, was Nordine von seinem Job hielt, und Nordine wusste, daß er ihm zunehmend schwer fiel. Was gab es da groß zu reden.
Das Wasser prasselte zwischen ihnen in die Wanne. Irgendwann drehte Samir den Hahn zu. Er gab ein wenig Shampoo in seine Hand und begann Nordines Haare einzuseifen, zaghaft in der ungewohnten Intimität, mit kreisenden Bewegungen massierte er die Kopfhaut, ließ die Finger in Nordines Nacken gleiten und dort verweilen.
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Nordine war siebzehn gewesen, als er Samir zum ersten Mal geküsst hatte, nicht bloß auf die Wange, zur Begrüßung, sondern auf den Mund. Siebzehn und nicht einmal annähernd so high wie er sich selbst eingeredet hatte. Vor Schreck hatte er zu lachen begonnen und die Augen geschlossen, um nicht Samirs Gesicht zu sehen. Danach war er ihm über einen Monat aus dem Weg gegangen, Himmel, er hatte überlegt, auszuwandern, um ihm bloß nie wieder zu begegnen.
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Niemand durfte es wissen.
»Triffst du ein Mädchen?«, hatte seine Mutter ihn vor Monaten gefragt, weil er doch so oft auswärts schliefe, und - halb im Scherz - hinzugefügt: »Wenn du sie schwängerst, wirst du sie heiraten.« - »Ach, Maman. Er ist doch schon ein großer Junge. Er weiß, was sich gehört«, hatte Saïd eingeworfen, »Er würde sich nie mit einem Mädchen treffen, bevor er sich nicht von Samir getrennt hat.«
Manchmal, in seinen schlimmsten Tagträumen, stellte er sich vor, wie sie einmal unvorsichtig sein würden. Wie sein Vater nie wieder ein Wort mit ihm sprechen würde und seine Mutter in Tränen ausbrach. Wie es im Viertel die Runde machen würde, irgendein Arschloch würde es vielleicht mit Edding an Aufzugwände schreiben, Nordine T. macht die Beine breit für Bullen. Und schlimmeres, vermutlich. Wie Saïd und Farah ihn ansehen würden.
Bevor Samir zu Hause ausgezogen war, hatten sie sich außerhalb getroffen, auf einem Schrottplatz und am Flußufer. Hatten sich in Nordines Zimmer eingeschlossen und einen Joint angezündet, damit man dachte, sie würden bloß kiffen. Absurd, daß man sie nie erwischt hatte. Sein Puls raste, wenn er bloß daran dachte.
Niemand durfte je davon erfahren.
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Die Angst. Die Vorstellung, wie sie ihn ansehen würden, wenn sie es wüssten.
Aber das hatte ihn nicht davon abgehalten, Samir erneut zu küssen, mit achtzehn, nur um ihn gleich wieder von sich zu stoßen und wegzulaufen. Und er war nicht einmal high gewesen. Es hatte ihn nicht davon abgehalten, sich von ihm eines Nachts gegen die Matratze in seinem Zimmer drücken zu lassen, sich auf die Unterlippe zu beißen, während er seine Finger in Samirs Haar gekrallt hatte, damit sie niemand hören würde. Und nicht davon, kleine, besitzergreifende bläulich rote Flecken an seinen Schultern zu hinterlassen.
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Gewaschen und in frischen Klamotten saßen sie nebeneinander auf dem Bett.
»Es tut mir leid«, sagte Nordine noch einmal, er setzte an, etwas hinzuzufügen, alles, was unausgesprochen zwischen ihnen hing, die Fragen, die Angst und das Andere. (Das Andere, Die Eine Sache, die er sich nicht einmal zu denken traute.)
Aber Samir schüttelte ganz leicht den Kopf und griff nach seiner Hand.