of snow & scars (graveyard visits 01 - caedes & aurelia)

Jun 09, 2021 23:22

Story: RPG storyverye (probably canon)
Genre: hurt without the comfort
Rating: 16+
Charaktere: Caedes & Aurelia

Ficathon: daswaisenhaus

CN: Gedächtnislücken, Tod, Mord, Matrizid, vage Andeutungen auf Abuse und Trauma

Anmerkung: Irgendwie lag dieser Text fast 4 Jahre auf meinem PC rum und ich habe ihn jetzt erst überarbeitet?

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Ich stehe an ihrem Grab, zum ersten Mal überhaupt. In meinem Kopf wirbeln etliche Fragmente meiner Erinnerung umher, ziellos, unzusammenhängend. Ich könnte nicht sagen, wie ich hierhergekommen bin, geschweige denn wieso, selbst wenn mein Leben davon abhinge.

Aurelia del Álvarez. Meine Mutter, mit der ich nichts gemeinsam hatte außer das Blut in unseren Adern; am Ende nur noch das Blut an meinen Händen und die verschwommene Wirklichkeit dieser alles entscheidenden Nacht, in der mit ihr auch mein früheres, besseres Ich gestorben ist.

Ich setze mich in den Schnee und schließe die Augen. Wahrscheinlich sollte ich mehr fühlen als das, doch in mir macht sich nichts als vage Enttäuschung breit; das dumpfe Gefühl, etwas verloren zu haben, was ich nie wirklich kannte. Meine Lider heben sich wieder, Wimpern blinzeln Schneeflocken fort, und ich starre auf die Inschrift auf ihrem Grabstein. Im Stillen frage ich mich, ob jemand das Grab pflegt, ob jemand hin und wieder Blumen bringt, wenn es nicht gerade zugeschneit ist, doch mir fällt beim besten Willen niemand ein, dem sie dafür genug bedeuten könnte.

Auf eine gewisse Art ist es befriedigend, zu wissen, dass sie hier liegt, und das nicht zuletzt meinetwegen - auf einem Friedhof für das einfache Volk, unter einem simplen Grabstein, der nur ihren Namen und die Daten ihrer Geburt und ihres Todes trägt, nichts weiter, weil niemand mehr in ihre Stätte der ewigen Ruhe investieren wollte als absolut nötig. Ich komme mir selbst ziemlich abstoßend vor bei so viel Schadenfreude, aber vielleicht ist es normal, so über jemanden zu denken, den man aus Verzweiflung eigenhändig getötet hat.

(Abgeschlachtet, hat Alyssé es genannt. Jahrzehnte später, als wir endlich darüber reden konnten. In der Nacht, in der es passiert ist, hat sie mich schweigend fortgebracht, kein einziges Wort verloren, während sie das Blut von mir abgewaschen hat. Danach wurde diese Nacht zu einer Wahrheit, die lange niemand auszusprechen wagte. Wie fragt man jemanden: Was hast du damals gesehen? Was genau ist passiert, als ich meine eigene Mutter getötet habe? Ich kann mich nicht erinnern. Wie sagt man jemandem: Das, was ich damals gesehen habe, hat mein Leben für immer verändert. Hat mich verändert.)

Ich frage mich, ob ich mit ihr reden sollte. Ob ich irgendetwas hätte mitbringen sollen - Blumen, Kerzen, einen Brief, oder vielleicht wenigstens genug Wut, um die Grabstätte zu verwüsten. Doch in meinem Inneren ist nichts, was ich geben könnte. Keine Vergebung, kein immerwährender Hass. Nur diese unangenehme, alles einnehmende Leere, die bedeutet, dass ich sie zwar nicht mehr ertragen, aber mit mir selbst und meinen Taten leben muss. Ich habe mich und die Welt von ihr erlöst und dafür so viel von mir selbst hergegeben, dass ich manchmal nicht weiß, ob es sich überhaupt gelohnt, ob es mich wahrlich befreit oder mich doch bloß von einer Art der Gefangenschaft in die nächste getrieben hat.

Der Schnee, der sich wie ein weißer Schleier über die Wirklichkeit legt, verdeckt die Narben, die sie in mein Herz geschlagen hat. Er verdeckt jede Erinnerung, die ich noch daran habe, wer meine Mutter wirklich war, und dort, auf dem winterlich weißen Friedhof in einem Land, das meine Heimat nie ersetzen konnte, wage ich es für einen flüchtigen Moment davon zu träumen wie es wohl gewesen wäre, eine Mutter zu haben, die ich nicht ertragen - überleben - musste, sondern vielleicht hätte aufrichtig lieben können.

2021, challenge: graveyard visits, oc: caedes, ficathon: waisenhaus, rpg storyverse canon, rpg storyverse, ficlet

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