Titel: „… braucht solche Freunde“
Autor: Seshât
Beta: Mein Dank gebührt
turelietelcontaFandom: Tatort Stuttgart
Charaktere: Thorsten Lannert, Sebastian Bootz
Pairing: Thorsten Lannert/Sebastian Bootz
Kategorie: Oneshot, Slash, First Time, Fluff
Rating: PG-13
Warnung: None
Spoiler: None
Prompt:
de_bingo: Kissen/Kuscheliges
Sprache: Deutsch
Wörter: 5600
Disclaimer: Mir gehört nichts, außer der Fehler und ich verdiene damit auch nichts, außer vielleicht ein bisschen Feedback. So, please don’t sue.
Inhalt: Thorsten und Sebastian sind an Heiligabend gemeinsam nicht alleine. Das jedenfalls war der Plan…
Das 24. Türchen des
Tatort-Adventskalenders 2018 Kommentar: So, viel gibt es dazu nicht zu sagen. Es ist die Fortsetzung zu
dieser Geschichte vom 14. Dezember. Sie ist viel länger geworden, als ich ursprünglich geplant hatte und auch nur ein erster Entwurf, weil das RL leider letzte Woche nochmal voll zugeschlagen hat. Von daher bin ich froh, dass ich überhaupt etwas fertig bekommen habe. Ich werde es nach Weihnachten nochmal in Ruhe überarbeiten und den letzten Schliff verpassen.
Ansonsten sage ich einfach mal: Schöne und entspannte Weihmachten euch allen!
„… braucht solche Freunde“
Vorsichtig zündete Thorsten die letzte Kerze am Weihnachtsbaum an. Dann blies er das Streichholz aus und trat einen Schritt zurück. Er ließ seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen, überprüfte noch einmal, ob er auch nichts vergessen hatte. Der Esstisch sah gut aus. Das gute Geschirr, der Tischläufer und die schlanken, hohen Kerzenständer mit den roten Kerzen gaben der Tafel einen festlichen Anstrich. Das Adventsgesteck auf dem Sideboard und die große Schale mit Nüssen und Apfelsinen auf dem Couchtisch verbreiteten eine weihnachtliche Atmosphäre und die Kerzen am Tannenbaum tauchten alles in ein heimeliges, goldenes Licht. Aus der Küche schwebte der Duft des Weihnachtsessens herüber und aus der Stereoanlage drang leise Musik. Alles war perfekt für ein schönes Weihnachtsfest mit Sebastian - naja, fast alles. Vielleicht sollte er die Kerzen am Adventskranz noch anzünden. Dann lag der Couchtisch nicht so im Dunkeln, ohne dass er die Deckenlampe einschalten musste.
Er zog noch ein Streichholz aus der Schachtel und riss es an. Knisternd flammte das kleine Hölzchen auf und der Geruch von Schwefel kroch ihm in die Nase. Einer der Gründe, warum er lieber Streichhölzer verwendete als Feuerzeuge. Er beugte sich über den Couchtisch und entzündete die erste Kerze. Der Docht war ein bisschen störrisch, wollte nicht wirklich richtig Feuer fangen. Die Kerze war ja auch noch ganz neu, hatte noch nicht ein einziges Mal gebrannt. Eigentlich hatte er ja auch gar keinen Weihnachtsschmuck gewollt, dieses Jahr - bis er dann Anfang des Monats Sebastian für den Heiligen Abend eingeladen hatte. Da war er dann doch noch ganz schnell losgegangen und hatte einen Adventskranz besorgt - den letzten, den sie noch hatten, sogar schon reduziert - und zwei kleine Weihnachtsgestecke, für das Sideboard und die Küche. Sogar einen Tannenbaum hatte er besorgt - nur wegen Sebastian. Endlich brannte die Kerze. Er bewegte die Hand weiter zur nächsten - und hielt mitten in der Bewegung inne.
Was veranstaltete er hier eigentlich? Das Essen, die Kerzen, die Musik - er tat ja gerade so, als hätte er ein Date mit Sebastian. Er schüttelte den Kopf. Was für ein Unsinn. Sebastian kam doch nicht hierher, weil er den Heiligen Abend so gern mit ihm verbringen wollte, geschweige denn, weil er das Bedürfnis nach einem romantischen Abend mit ihm hatte. Hätte er die Wahl gehabt, Sebastian würde den Heiligen Abend ganz sicher anders verbringen. Aber er hatte keine Wahl gehabt, jedenfalls keine echte. Die einzige Alternative wäre gewesen, allein zu Hause zu hocken und das hatte Sebastian nicht gewollt. Er kam nicht seinetwegen, er war nur besser als die Alternativen, das war alles. Etwas anderes anzunehmen wäre eine Illusion, nichts weiter als ein völlig unrealistischer Wunschtraum.
„Ahh…“
Mit einem Mal waren seine Fingerspitzen schmerzhaft heiß. Reflexhaft schüttelte er das Streichholz aus und ließ es fallen. Verdammt, jetzt hatte er sich auch noch verbrannt. Und alles nur für seinen albernen Versuch, hier den Eindruck eines Dates zu erwecken, dass er nicht einmal hatte. Die kleinen Sünden bestrafte der liebe Gott eben doch sofort. Er schüttelte den Kopf und blies die Kerze entschlossen wieder aus. Dann sammelte er das Streichholz wieder auf und ging hinüber zu Stereoanlage. Die Musik war auch völlig übertrieben. Vor allem schrie sie doch mehr als alles andere, dass das hier für ihn weit mehr als nur eine Notlösung unter Freunden war. Das durfte auf gar keinen Fall sein. Er drückte die Power-Taste und Leonard Cohen verstummte mitten im „Haleluja“. Er ging zum Tisch hinüber, wollte auch dort die Kerzen löschen.
In diesem Augenblick klingelte es an der Tür. Thorsten hielt einen Augenblick inne, debattierte mit sich, was er jetzt am besten tun sollte. Wenn er nicht wollte, dass Sebastian Verdacht schöpfte, musste er dringend die Kerzen löschen. Aber wenn er sich jetzt erst noch die Zeit nahm, alle Kerzen auszupusten, dann würde Sebastian sich wundern, warum er so lange gebraucht hatte, die Tür zu öffnen und dann womöglich Fragen stellen. Außerdem würde Sebastian dann riechen, dass die Kerzen noch bis eben gebrannt hatten und dann erst recht Fragen stellen. Es klingelte abermals. Er sollte sich beeilen. Wahrscheinlich war ein Kompromiss das Beste. Die auffälligsten Kerzen mussten weg, dann würde Sebastian den Rest bestimmt übersehen.
Er eilte zum Tisch hinüber und blies die drei Kerzen aus. Er schnappte sich die Kerzenleuchter und eilte aus der Tür. Auf dem Weg hinaus, knipste er noch schnell das Deckenlicht an. Es war grell und wenig gemütlich, aber so fielen Sebastian die Kerzen am Weihnachtsbaum vielleicht nicht auf. Er stellte die drei Kerzenleuchter schnell um die Ecke auf das Sideboard im Schlafzimmer und zog die Tür zu. Er zog sein Hemd noch einmal glatt, wischte sich die Hände an der Hose ab und eilte zur Wohnungstür. Jetzt, wo Sebastian vor der Tür stand hatte er doch mit einem Mal ein flaues Gefühl im Magen. Ob das wirklich so eine gute Idee gewesen war? Die Frage war so berechtigt wie müßig, es war längst zu spät, Sebastian stand ja schon vor der Tür. Er konnte nur noch hoffen, dass er den Abend überstand, ohne größere Dummheiten zu machen. Er atmete tief durch und öffnete die Tür.
* * *
Es war schon recht spät am Nachmittag, als Sebastian vor Thorstens Wohnung aus dem Auto stieg. Er griff seine Tasche vom Beifahrersitz und schlug die Autotür zu, dann hielt er einen Moment inne und genoss diesen herrlichen klaren Winterabend. Die Sonne war bereits vor geraumer Zeit untergegangen. Der Himmel war schon fast ganz dunkel, nur die Lichter der Stadt ließen ihn in einem fast unwirklichen orange-violetten Licht erstrahlen. Es war ungewöhnlich mild, fast schon warm für Dezember. Sein Atem kondensierte kaum und mehr als eine leichte Winterjacke war auch nicht notwendig. Dennoch war er der einzige Mensch weit und breit. Still und verlassen lag die sonst so geschäftige Straße im Licht der Weihnachtsbeleuchtung. Kein Fußgänger, kein Auto war unterwegs und sogar die ewig rauschende Hauptstraße hinten an der Kreuzung schien in diesem Augenblick zu schweigen. Natürlich, jeder der konnte hatte sich längst zum Feiern zurückgezogen, saß mit der Familie am festlich gedeckten Tisch oder war noch in der Christmette. Eine tiefe, heimelige Ruhe schien über der Stadt zu liegen. Es war fast, als gönnte sich die Stadt einen Augenblick der Ruhe, eine kleine Auszeit, bevor der Einkaufs- und Planungsstress der Vorweihnachtszeit in den Familienstress der Weihnachtsfeiertage überging. Sebastian legte den Kopf in den Nacken und atmete tief durch. Es war nur eine Illusion, das wusste er. Hinter verschlossenen Türen war der Heilige Abend kaum friedlicher und heimeliger als Tage davor und danach, aber für den Moment war es eine schöne Illusion und sie versetzte ihn in eine unerklärliche Hochstimmung. Er schloss den Wagen ab und ging hinüber zur Haustür.
An der Tür kam ihm die ältere Dame entgegen, die die Wohnung im Erdgeschoss bewohnte. Wahrscheinlich war sie auch noch auf dem Weg in die Christmette. Mit einem Lächeln hielt sie ihm die Tür offen. Sebastian erwiderte das Lächeln, wünsche ‚Frohe Weihnachten‘ und trat in den Hausflur. Während er die Treppen zum dritten Stock hinaufstieg, wunderte er sich über sich selbst. Eigentlich hatte er doch wirklich überhaupt keinen Grund so guter Laune zu sein. Heute war Heiligabend, ein Tag, der für ihn der Inbegriff von Familie gewesen war, seitdem er denken konnte. Aber er war nicht bei seiner Familie. Weil seine Familie mit jemand anderem feierte, weil Julia ihn rausgeschmissen hatte, weil sie fast 15 Jahre Beziehung einfach weggeworfen hatte.
Fast der gesamte Dezember war ein einziger, riesiger Streit zwischen ihm und Julia gewesen. Wann die Kinder wo sein sollten, wer welchen Weihnachtstag bekommen sollte, wie sie das mit den Geschenken machen wollten und so weiter und so fort. Und immer wieder hatte Julia ihm vorgeworfen, dass er mit seinem ‚egoistischen Beharren‘ darauf, die Kinder an Weihnachten auch zu sehen, allen nur unnötig Stress machen würde. Am Ende hatte er es selbst fast geglaubt. Dann hatte Thorsten sich Julia einmal zu Brust genommen. Danach war plötzlich keine Rede mehr davon, dass er Weihnachten auf die Kinder verzichten sollte. Überhaupt hatte danach jede Diskussion um die Weihnachtsplanung aufgehört und Julia war wie selbstverständlich zu ihrer ursprünglichen Planung zurückgekehrt. Er hatte keine Ahnung, was Thorsten Julia eigentlich gesagt hatte - darüber schwiegen sie sich beide eisern aus - aber Thorsten hatte Weihnachten für ihn gerettet - und das gleich in mehrfacher Hinsicht.
Endlich erreichte er den Treppenabsatz vor Thorstens Wohnung. Entschlossen verbannte er alle Gedanken an Julia, die Trennung und die regelmäßigen Streitereien aus seinem Kopf und drückte auf den Klingelknopf. Zunächst passierte gar nichts. Niemand öffnete ihm und in der Wohnung rührte sich nichts. Eine seltsame Unruhe erfasste ihn. Mit einem Mal schien sein ganzer Körper zu kribbeln und da war so ein nervöses Flattern in seinem Magen. Hatte Thorsten es sich womöglich doch noch anders überlegt? War er gar nicht da? Oder war womöglich etwas passiert? Sebastians Hand zuckte zu seinem Gürtel, doch dann besann er sich auf das Datum und die Umstände und schalt sich mental einen Narren. Es war später Nachmittag, am Heiligen Abend, da hatte es mit Sicherheit ganz harmlose Gründe, warum Thorsten die Tür nicht sofort öffnete. Vielleicht war er auf der Couch eingenickt oder er war noch in der Küche mit dem Essen beschäftigt und hatte ihn einfach nicht gehört. Der Duft, der auf dem Treppenabsatz hing war jedenfalls sehr gut.
Sebastian klingelte noch einmal. Ein bisschen länger und entschlossener dieses Mal. Es dauert einen Moment, doch dann hörte er Geräusche aus der Wohnung. Schritte kamen näher, hielten kurz an und eine Tür wurde zugezogen, dann setzten sich die Schritte fort. Eine Gestalt zeichnete sich schemenhaft hinter den kleinen, milchigen Glasscheiben in der Wohnungstür ab. Sie kam näher, blieb schließlich direkt hinter der Tür stehen. Die Kette wurde zurückgezogen, dann ging die Tür auf.
„Hallo Thorsten!“
„Hey! Komm rein.“
Thorsten lächelte leicht und gab die Tür frei. Es wirkte irgendwie verlegen, fast schon schüchtern. Sebastian schüttelte innerlich den Kopf, als er an ihm vorbei in die Wohnung trat. Thorsten und schüchtern. Das passte ungefähr so gut zusammen wie Weihnachten und Osterhasen. Er projizierte seine eigene Unsicherheit, das war alles. Das Flattern in seinem Magen hatte sich immer noch nicht wirklich beruhigt und er fühlte sich nach wie vor irgendwie kribbelig. Vorsichtig stellte er die Tasche auf der Kommode im Flur ab, zog seine Jacke aus und hängte sie an die Garderobe. Dann streifte er noch seine Schuhe von den Füßen und stellte sie neben den Schuhschrank. Thorsten hatte derweil die Tür geschlossen und die Kette wieder vorgelegt. Er wandte sich um und beäugte die Tasche, die Sebastian in der Hand hielt.
„Ist das für mich?“, fragte er.
„Ja, … nein, ….“ Sebastian zuckte mit den Schultern. „Nur eine Kleinigkeit für später.“
Sein Mund war mit einem Schlag viel zu trocken. Natürlich war das kleine Päckchen in der Tasche für Thorsten, aber das konnte er doch jetzt nicht sagen. Das war doch peinlich. Sie hatten gar nicht über Geschenke gesprochen oder darüber, was der Abend eigentlich bedeutete, aber in diesem Moment hatte Sebastian das Gefühl, dass er mit einem Geschenk viel mehr daraus machen würde, als es eigentlich war. Thorsten hatte ihn doch nur eingeladen, weil er ihm gesagt hatte, dass er Weihnachten noch nie allein gewesen war. Mitleid war das gewesen, sonst nichts. Er presste die Tasche gegen seine Brust. Am besten ließ er sie gleich hinter dem Sofa verschwinden. Da sah Thorsten sie nicht mehr und würde sie mit Sicherheit schnell vergessen.
Einen Augenblick standen sie stumm voreinander, schauten sich nur an. Thorsten sah gut aus, bemerkte Sebastian. Die dunkle Hose betonte seinen ziemlich knackigen Hintern und das weiße Hemd hob seine wohldefinierten Schultern hervor. Hatte er sich extra schick gemacht für Weihnachten? Oder für ihn? Das nervöse Kribbeln in seinem Magen wurde noch intensiver. Sein Mund war längst so trocken, dass seine Zunge am Gaumen klebte. Unschlüssig wippte er von einem Fuß auf den anderen, wusste nicht recht, was er sagen sollte. Thorsten räusperte sich, setzte an, die peinliche Stille zwischen ihnen zu beenden.
„Möchtest du-“ Ein schrilles Rappeln aus der Küche unterbrach ihn. „Oh, ich sollte nach dem Braten sehen. Sonst verbrennt er noch.“
Er wandte sich um und ging in Richtung Küche. Sebastian sah ihm nach. Was sollte er jetzt tun? Thorsten nach gehen? Schon mal ins Wohnzimmer gehen? Einfach hier stehen bleiben? Obwohl er inzwischen schon so oft hier gewesen war, fühlte er sich mit einem Mal irgendwie befangen, fast schon wie ein Eindringling. Er verschränkte die Finger in den Griff seiner Tasche und hoffte, dass Thorsten möglichst schnell mit dem Essen fertig werden würde. In der Küchentür hielt Thorsten noch einmal inne und schaute zu Sebastian zurück.
„Ich hab’ im Wohnzimmer gedeckt. Geh schon mal rüber.“ Er deutete in Richtung der Wohnzimmertür. „Möchtest du etwas trinken?“
Sebastian nickte leicht. Trinken war gut. Dann war sein Mund hoffentlich nicht mehr so trocken. „Gerne, am liebsten Wasser.“
Thorsten nickte und setzte seinen Weg in die Küche fort. Sebastian hörte ihn rumoren. Ein Schrank wurde geöffnet, Töpfe schepperten gegeneinander, dann das Geräusch der Ofenklappe. Der feine Geruch des Bratens in der Luft wurde mit einem Mal um ein vielfaches intensiver. Sebastian atmete tief ein. Es roch gut, sehr gut. So gut hatte der Weihnachtsbraten bei Julias Mutter nie gerochen. Ein feines Lächeln schlich sich auf seine Lippen und er fasste einen Entschluss. Mochte Thorsten in diesem Abend sehen was er wollte, er würde ihn genießen. Es war schließlich Weihnachten. Sofort beruhigte sich das Kribbeln in seinem Bauch etwas und er fühlte sich wesentlich weniger wie ein Eindringling. Er entknotete seine Finger aus dem Griff der Tasche und ging hinüber ins Wohnzimmer.
Er ließ den Blick durch das Wohnzimmer schweifen. Es wirkte irgendwie merkwürdig. Da war der festlich gedeckte Tisch, die hübschen Adventsgestecke, der Adventskranz auf dem Couchtisch und der wundervoll geschmückte Tannenbaum mit den dicken roten Kugeln, aber nur die Kerzen am Weihnachtsbaum brannten. Die Kerzen am Adventskranz waren nur leicht angebrannt, auf dem Tisch standen überhaupt keine Kerzen und das grelle Deckenlicht machte jeden Anflug von Weihnachtsstimmung schon im Ansatz zunichte. Es wirkte ein wenig, als sei Thorsten unterbrochen worden. Von seinem Klingeln? Wahrscheinlich. Sebastian löschte das Deckenlicht. Schon viel besser, nur ein bisschen dunkel. Aber wenn er noch die Kerzen am Adventskranz anzündete und dann vielleicht auf dem Tisch noch …
„Thorsten?“, rief er. „Hast du mal Streichhölzer? Und noch ein paar Kerzen?“
„Du musst nicht so schreien. Ich stehe hinter dir.“
Sebastian zuckte zusammen, als Thorstens Stimme direkt neben seinem Ohr erklang. Thorstens Aftershave stieg ihm in die Nase. Sein Herz schlug plötzlich ein paar Takte schneller und das Kribbeln in seinem Bauch gewann wieder an Intensität. Verdammt sei dieser Mann und seine Fähigkeit, sich nahezu lautlos zu bewegen. Sebastian atmetet tief durch und versuchte seinen Körper wieder unter Kontrolle zu bekommen.
„Also, hast du jetzt Streichhölzer oder ein Feuerzeug? Und Kerzen?“
„Wozu?“
„Na, so ist es ein bisschen dunkel, findest du nicht?“ Sebastian wies mit der Hand durch das dämmrige Wohnzimmer.
„Mach halt das Licht an.“, erwiderte Thorsten und deutete zum Lichtschalter.
„Nein.“ Sebastian schüttelte den Kopf. „Das ist so hell. Überhaupt nicht weihnachtlich. Kerzen sind viel schöner.“
Thorsten sagte einen Moment nichts. Er zog die Augenbrauen zusammen, rieb sich durch den Nacken und vermied es, Sebastian anzusehen. Sebastian musterte ihn verwundert. So sah Thorsten sonst nur aus, wenn er eine extrem schwierige Entscheidung zu treffen hatte. Aber was war an der Frage wo die Streichhölzer waren oder ob er noch Kerzen hatte so schwierig? Eigentlich gar nichts, sollte man meinen. Schließlich atmete Thorsten tief ein, ließ die Luft ganz langsam durch die Nase entweichen und nickte zögerlich.
„Streichhölzer sind in der Schublade unter dem Couchtisch“, sagte er ohne wirklich Begeisterung. „Kerzen hole ich eben.“
Während Thorsten das Wohnzimmer verließ, ging Sebastian zum Couchtisch hinüber. In der Schublade fand sich tatsächlich eine Schachtel extralanger Streichhölzer. Er nahm eins heraus und riss es an. Knistern flammte es auf, verbreitete den typischen, schwefligen Geruch. Sebastian hielt das Hölzchen an die erste Kerze. Sie war die einzige, die schon einmal gebrannt hatte und ließ sich leicht entzünden. Die anderen waren schwieriger zu entzünden, wie das bei ganz neuen Dochten so oft der Fall war. Trotzdem schaffte er es mit nur einem Hölzchen alle Kerzen zu entzünden. Er blies das Streichholz aus und betrachte sein Werk. Ja, das sah doch schon viel besser aus.
Hinter ihm kam Thorsten wieder in den Raum. Sebastian drehte sich um. Thorsten hielt drei hohe, silberne Kerzenständer in der Hand, in denen schon schlanke, rote Kerzen steckten. Er stellte sie auf dem Tisch ab. Sebastian kam zum Tisch hinüber. Er riss ein weiteres Streichholz an und entzündete die Kerzen. Die Dochte waren schon angesengt, aber lange konnte keine der Kerzen gebrannt haben. Höchstens ein paar Minuten. Es sah fast ein wenig so aus, als hätten sie schon einmal auf dem Tisch gestanden und wären dann wieder abgeräumt worden. So schnell wie Thorsten sie jetzt zur Hand gehabt hatte, das war schon auffällig. Und das Rot der Kerzen passte auch exakt zu dem am Adventskranz und am Weihnachtsbaum. Dann noch der halb angebrannte Adventskranz … War er womöglich nicht der einzige, der sich nicht so ganz sicher war, was er aus diesem Abend machen sollte? Sein Herzschlag beschleunigte sich mit einem Mal und das Kribbeln wurde fast übermächtig. Wie gut, dass er noch mit den Kerzen beschäftigt war und Thorsten nicht anschauen musste.
Er blies das Streichholz aus und rückte die Kerzen noch ein wenig zurecht. Dann trat er einen Schritt zurück und schaute sich im Wohnzimmer um. Ja, doch, so war es perfekt. Es war hell genug, dass sie kein Licht mehr brauchten und die Kerzen verbreiteten eine wundervoll heimelige Atmosphäre.
„Wollen wir dann essen?“ Thorstens Stimme klang fast ein bisschen belegt. „Die Gans sollte jetzt fertig sein.“
„Gern. Soll ich dir helfen?“
* * *
„Boah, jetzt bin ich aber auch so richtig pappsatt!“ Mit einem tiefen Seufzer ließ Sebastian sich in seinem Stuhl zurücksinken. „Aber das war mal so richtig lecker. Ich glaube so gut habe ich Weihnachten lange nicht mehr gegessen.“
„Freut mich.“
Thorsten lächelte leicht. Wie sollte er auch sonst auf dieses Kompliment reagieren? Er konnte Sebastian ja schlecht sagen, dass er sich diese Mühe nur seinetwegen gemacht hatte. Normalerweise sah sein Abendessen am Heiligen Abend auch nicht anders aus, als an jedem anderen Abend. Das letzte Mal, dass er richtiges Weihnachtsessen gehabt hatte, war Jahre her.
„Ich räum’ eben ab, dann ist es gemütlicher.“
Er erhob sich und begann die Teller zusammenzustellen. Sebastian sprang natürlich sofort auf und half ihm. Er versuchte gar nicht erst, ihn davon anzuhalten. Es hätte sowieso nichts gebracht. Dazu war Sebastian viel zu gut erzogen. Gemeinsam schafften sie es, das gesamte Geschirr und die Schalen in nur einem Gang hinüber in die Küche zu bringen.
Thorsten stellte die Schalen auf der Arbeitsfläche neben dem Herd ab. Er warf einen kritischen Blick auf die Reste. Viel war es nicht, sie hatten beide ganz gut zugelangt, aber für ihn allein würde es morgen noch reichen. Sebastian hatte in der Zwischenzeit bereits die Spülmaschine aufgemacht und wollte gerade anfangen, sie einzuräumen. Den ersten Teller hatte er schon in der Hand.
„Lass, das mach’ ich schon.“ Er nahm Sebastian den Teller aus der Hand. „Guck du mal lieber nach den Kerzen und räum unsere Gläser um auf den Couchtisch.“
Sebastian zögerte einen kurzen Augenblick, doch dann schlich sich ein leichtes Lächeln auf seine Lippen.
„Okay.“ Er nickte kurz und ging wieder hinüber ins Wohnzimmer.
Thorsten sah ihm kurz nach. Eigentlich hatte er mit deutlich mehr Widerstand gerechnet. Sebastian mochte es normalerweise gar nicht, wenn er seine Hilfsangebote ablehnte und normalerweise resultierte das in einer Diskussion, die oft länger dauerte als die eigentlich zu erledigende Sache. Normalerweise ließ er Sebastian einfach machen, aber jetzt gerade konnte er ein paar Minuten für sich ganz gut gebrauchen. Naja, vielleicht war er auch einfach nur überspannt und maß dem viel zu viel Bedeutung bei.
Er fuhr fort damit, das Geschirr einzuräumen. Die Ruhe in der Küche und das helle, ganz und gar unweihnachtliche Licht halfen ungemein, wieder ein bisschen runterzukommen. Ohne Sebastians Gegenwart, den Klang seiner Stimme, den herben Duft seines Aftershaves, seine strahlenden Augen, beruhigte sich sein Herzschlag so langsam wieder und das Kribbeln in seinem Bauch ließ nach.
Natürlich war Sebastian der Weihnachtsbaum mit den brennenden Kerzen trotz des grellen Deckenlichts sofort aufgefallen und er hatte sofort nach Streichhölzern und Kerzen gefragt, um auch den Rest des Wohnzimmers festlich zu beleuchten. Also hatte er die Kerzen, die er vorher extra weggeräumt hatte, wieder hervorgeholt. Natürlich hatten die Kerzen für eine viel schönere Stimmung gesorgt, aber das war ja genau das gewesen, was er zu verhindern versucht hatte. Es hatte aus dem Abend viel mehr gemacht, als es doch eigentlich war. Ja, sie hatten sich gut unterhalten, es war eine wundervoll vertraute Stimmung da gewesen zwischen ihnen, aber er durfte sich davon nicht täuschen lassen. Es war eine Notlösung, nichts weiter. Sebastian war nur hier, damit er nicht alleine sein musste. Alles andere wäre eine Illusion. Er sollte dringend zusehen, dass er sich wieder unter Kontrolle bekam. Vielleicht war es doch keine gute Idee gewesen, auf das Sofa umzuziehen, wo sie unweigerlich eng beisammen sitzen mussten.
Ach verdammt, das war doch nicht das erste Mal. Und so ein paar Kerzen sollten jawohl nicht ausreichen, um ihn seiner gesamten Selbstbeherrschung zu berauben. Mit einem Ruck schlug er die Klappe der Spülmaschine wieder zu. Er würde diesen Abend schon irgendwie überstehen. Er war ein erwachsener Mann, kein hormongesteuerter Teenager. Er atmete noch einmal tief durch, dann löschte er das Licht in der Küche und ging zurück ins Wohnzimmer.
Sebastian hatte es sich schon in der Couchecke gemütlich gemacht. Vor ihm auf dem Couchtisch stand der Weihnachtsteller mit den Nüssen und er knackte fleißig Walnüsse.
„Hm, ich liebe Walnüsse, weißt du das?“, nuschelte er zwischen zwei Nussstückchen, die in seinem Mund verschwanden.
Natürlich hatte Thorsten das gewusst. Sebastian hatte es ja oft genug erwähnt. Deswegen standen sie ja da. Aber auch das sagte Thorsten jetzt lieber nicht.
„Jetzt, wo du es sagst, du hattest da mal was erwähnt.“
Er ging hinüber zu Sofa, ließ sich neben Sebastian aufs Sofa sinken und lehnte sich gemütlich zurück. Vielleicht war es ja wirklich nicht so schlimm. Wenn er ihm nicht so nahe kam, dass er sein Aftershave riechen konnte und ihn nicht die ganze Zeit anschaute, dann würde er diesen Abend schon irgendwie überstehen. Trotz Sebastians Nähe, romantischem Kerzenlicht, dem Duft von frisch geknackten Nüssen und Weihnachtsgeschenken. Vielleicht sollte er mal schauen, ob nicht irgendetwas nettes im Fernsehen …
Moment mal, Weihnachtsgeschenke? Thorsten schaute den Weihnachtsbaum noch einmal genauer an. Doch, da unter dem Baum stand ein kleines Päckchen, das da ganz sicher noch nicht gestanden hatte, als er eben in die Küche gegangen war. Es war liebevoll eingepackt in grün-goldenes Geschenkpapier und mit einer goldenen Schleife versehen. Ein Weihnachtsgeschenk, ganz eindeutig.
„Ich dachte, das war nicht für mich.“
„Ach ja, naja, ist nur ’ne Kleinigkeit.“
Sebastian war plötzlich sehr konzentriert bei der Sache, die nächste Nuss zu knacken, wo er doch eben noch quasi gar nicht hingeschaut hatte. Also doch, ein Weihnachtsgeschenk. Er wollte es nur nicht zugeben. Verdammt, und er hatte sich extra zurückgehalten und nichts besorgt. Dabei hatte er es so oft überlegt.
„Erhm, ich … ich hab’ jetzt aber nichts. Ich … also, ich dachte, wir schenken uns nichts.“ Gott, wie das klang. Wie ein altes Ehepaar.
„Sieh’s halt als Gastgeschenk. Immerhin hast du dich ums Essen gekümmert und um den Wein“, erwiderte Sebastian.
Thorsten nickte leicht. Er stemmte sich aus dem Sofa hoch, ging zum Weihnachtsbaum hinüber und holte das Paket. Es war nicht ganz leicht und das Papier fühlte sich edel an. Was auch immer darin war, war bestimmt keine Kleinigkeit und auch nicht billig gewesen. Er wollte dem nicht zu viel Bedeutung beimessen, aber es war lange her, dass er zuletzt ein Weihnachtsgeschenk bekommen hatte. Vorsichtig löste er die Klebestreifen und schlug das Papier auseinander.
Ein edler schwarzer Karton mit goldenen Buchstaben kam zum Vorschein. Thorsten hob den Karton von dem Papier und drehte ihn ein wenig, um die Aufschrift lesen zu können. Ein Irish Whiskey und nicht irgendeiner. Sein Lieblingswhiskey. Woher hatte Sebastian das gewusst? Das hatte er doch nur einmal vor ewigen Zeiten erwähnt. Hatte Sebastian sich das wirklich gemerkt?
Er musterte Sebastian scharf. Der war immer noch dabei, den Walnüssen zu Leibe zu rücken, als gelte es einen Preis zu gewinnen. Ganz konzentriert schaute er nur auf die Nüsse in seiner Hand und vermied es ganz eindeutig, Thorsten anzusehen. Doch, er hatte ganz genau gewusst, welchen Whiskey er da mitgebracht hatte und er hatte es ganz bewusst getan. Das war kein Gastgeschenk, das war ein Weihnachtsgeschenk und es sollte auch gar nichts anderes sein. Thorsten schluckte trocken. Verdammt, warum musste Sebastian ihn so in Verlegenheit bringen?
„Sebastian, das kann ich nicht…“
„Doch, das kannst du!“ Er drückte den Nussknacker mit viel mehr Kraft zusammen als nötig gewesen wäre. Die Splitter der Walnussschale flogen in alle Richtungen. „Ich möchte es dir schenken, also nimm’ es bitte an.“
„Aber ich hab’ doch-“
„Thorsten, es ist ein Geschenk!“ Die nächste Nuss knackte, wieder flogen die Schalen quer über den Tisch. „Und wenn du dich unbedingt revanchieren willst: Wie wäre es mit noch einer Flasche von deinem guten Rotwein und einem richtig schönen, kitschigen Weihnachtsfilm.“ Noch eine Nuss erlitt das gleiche Schicksal. „Dann betrachte ich diesen Abend als dein Geschenk.“
Thorsten schaute Sebastian einen Moment wortlos an. Er hatte ihn ja schon ein paar Mal wirklich aufgeregt oder wütend erlebt, aber noch nie wegen so einer Kleinigkeit. Es traf Sebastian, dass er überhaupt erwog, das Geschenk abzulehnen. Und Sebastian verletzten war nun wirklich das letzte, was er wollte.
„Danke!“, sagte er schließlich. Die kleine Stimme in seinem Hinterkopf, die darauf beharrte, dass es jawohl mehr als nur Freundlichkeit unter Kollegen sein musste, wenn Sebastian sich so viel Mühe mit einem Weihnachtsgeschenk machte, ignorierte er gekonnt. „Ich denke, an Wein und einen Film können wir kommen. Was hättest du denn gerne?“
„Was hast du denn?“ Endlich schaute Sebastian ihn an und hörte auf, die Walnüsse zu malträtieren. Sein Blick war noch sehr skeptisch, aber als Thorsten lächelte, entspannten sich seine Gesichtszüge merklich.
„‚Drei Haselnüsse für Aschenbrödel‘, ‚Der kleine Lord‘, Sis-“
„‚Der kleine Lord‘!“, sagte Sebastian sofort. „Ich liebe diesen Film.“
„In Ordnung. Ich suche eben die DVD.“ Thorsten stellte den Whiskey wieder unter den Weihnachtsbaum und ging zum DVD-Schrank. „Der Wein steht in der Küche. Holst du eben die Flasche?“
Sebastian erhob sich mit einem Nicken und ging Richtung Küche. In der Wohnzimmertür drehte er sich nochmal kurz um.
„Woher hast du eigentlich so eine Sammlung von Weihnachtsfilmen?“
„Staatsgeheimnis.“ Thorsten grinste. „Wenn ich dir das erzähle müsste ich dich erschießen!“
* * *
Anfangs hatte Thorsten Sebastians enthusiastischen Ausruf für den kleinen Lord für übertrieben gehalten, aber je länger der Film dauerte, um so offensichtlicher wurde, dass Sebastian genau das gemeint hatte, was er gesagt hatte. Er ging völlig in dem Film auf. Seit Thorsten die DVD in den Player geschoben und dem Film gestartet hatte, hatte Sebastian nicht ein Augen vom Fernseher gewandt. Dafür hatte er selbst kaum einen Blick darauf geworfen - aber das musste er auch nicht. Abgesehen davon, dass er den Film fast auswendig kannte, spiegelte sich auch jede Szene in Sebastians Mimik wieder. Es war viel schöner, ihm zuzuschauen, als den Schauspielern.
Thorsten ließ sich ein wenig tiefer ins Sofa rutschen, streckte die Beine aus und legte den Arm auf der Rückenlehne ab. Sebastian hatte schon vor geraumer Zeit, die Beine angezogen und sich mit der Wolldecke in die Sofaecke gekuschelt. Jetzt lachte er gerade leise und schob sich noch eine Walnuss in den Mund. Thorsten lächelte leicht. Wenn ihm jemand noch vor ein paar Tagen erzählt hätte, dass er heute einen fast perfekten Heiligabend verleben würde, dann hätte er denjenigen vermutlich ausgelacht, aber jetzt gerade fiel ihm keine bessere Beschreibung ein. Hier gemütlich auf dem Sofa zu sitzen, mit einer guten Flasche Rotwein und einem kitschigen Weihnachtsfilm, neben sich Sebastian, dessen kindliche Begeisterung für diesen Film so ansteckend war, das war einfach perfekt.
Sebastians Locken glitten weich durch seine Finger , als er Sebastian den Nacken kraulte. Vorsichtig, um Sebastian nicht zu stören, beugte er sich leicht vor und griff nach seinem Weinglas. Er schaffte es tatsächlich, das Kunststück zu vollbringen, sich einen Schluck Wein zu gönnen, und das Glas wegzustellen, ohne seine Finger aus Sebastians Nacken nehmen zu müssen. Der quittierte das ganze mit einem wohligen Brummen und sank ein wenig tiefer ins Sofa - und kippte leicht zur Mitte.
Thorsten zuckte zusammen. Verdammt, was machten seine Finger in Sebastians Nacken? Wie konnte er sich so wenig unter Kontrolle haben? Warum hatte er das gar nicht mitbekommen? Er wollte seine Hand sofort zurückziehen, doch dann besann er sich eines besseren. Wenn er seine Hand jetzt hektisch zurückzog, würde das womöglich Fragen aufwerfen. Fragen, die er nicht beantworten konnte. Nein, besser einfach da liegen lassen, weiterkraulen als sei das vollkommen normal.
Er atmete nur noch ganz flach, beobachtete Sebastian aus dem Augenwinkel. Für den Bruchteil einer Sekunde meinte er zu erkennen, dass Sebastian seinen Blick vom Fernseher löste und zu ihm herüberschielte. Da lag mit einem Mal so eine Spannung in der Luft. Aber dann lachte Sebastian wieder über eine Szene im Film und der Moment brach. Aber vielleicht war es auch nur Einbildung gewesen. Die Kerzen waren längst so weit heruntergebrannt, dass die ersten schon von selbst ausgegangen waren und in der Dunkelheit waren Sebastians Augen kaum zu erkennen. Aber er zeigte keine Zeichen der Abwehr und so beließ Thorsten seine Finger wo sie waren, malte mit den Fingerspitzen weiterhin sanfte Kreise auf Sebastians Kopfhaut.
Sebastian rutschte mit jedem Schluck Wein ein bisschen tiefer ins Sofa und ein bisschen näher zu ihm. Irgendwann berührten sich ihre Schultern und schließlich ruhte Sebastians Kopf an Thorstens Brust. Ein warmes Gewicht auf seinem Schlüsselbein. Seine Hand war längst aus Sebastians Nacken über dessen Schulter und Oberarm zu seinem Bauch gewandert und das Kraulen hatten sie auch schon längst aufgegeben. Spätestens als Sebastians Finger sich zwischen seine geschoben und ihre Hände verschränkt hatten, wäre das ohnehin unmöglich geworden. Sebastian hatte die Decke über sie beide gezogen und so saßen sie eng aneinander geschmiegt auf dem Sofa.
Thorsten starrte stur auf den Fernseher, wagte es nicht, Sebastian anzusehen. Sein Herz hämmerte in seiner Brust und wo Sebastian ihn berührte schien sein Körper in Flammen zu stehen. Sebastians Daumen strich zärtlich über seinen Handrücken, seine Haare kitzelten an seinem Kinn und das warme, lebendige Gewicht auf seiner Brust versicherte ihm, dass er doch nicht träumte. Seinetwegen hätte der Film ewig weitergehen können und er hätte bis in alle Ewigkeit mit Sebastian aneinander gekuschelt hier auf dem Sofa gesessen. Doch viel zu schnell kam der Film zu seinem zuckersüßen Ende und der Abspann rollte über den Bildschirm.
Damit hatten sie keinen Grund mehr so hier zu sitzen, ja in Anbetracht der Uhrzeit hatte Sebastian nicht einmal mehr einen guten Grund noch hier zu sein, doch keiner von ihnen schien bereit, die Situation aufzulösen. Sie blieben einfach sitzen und starrten und starrten noch auf den Fernseher als längst schon das DVD-Menü dort erschienen war. Irgendwann schließlich fasste Thorsten sich ein Herz.
„Sebastian?“, fragte er leise.
Sebastian bewegte sich leicht. Hob den Oberkörper an, drehte den Kopf ein wenig herum, so dass sie einander anschauen konnten. Und plötzlich war Sebastians Gesicht ganz nah vor seinem. Die sonst so hellen, grünen Augen waren dunkel und riesig, die Lippen leicht geöffnet und sein Atem streifte an Thorstens Wange entlang. Es lagen nur noch wenige Zentimeter zwischen ihnen. Mit einem Mal schien da diese fast Spannung zwischen ihnen zu sein, die man sonst nur aus Filmen kannte. Sebastian biss sich auf die Unterlippe und in diesem Moment warf Thorsten alle Zurückhaltung über Bord.
Er überbrückte die letzte Distanz zwischen ihnen und berührte Sebastians Lippen mit seinen eigenen. Ganz eben nur, mehr ein flüchtiges Streifen als ein richtiger Kuss. Im ersten Augenblick reagierte Sebastian gar nicht und Thorsten glaubte schon, alles zerstört zu haben, doch dann schloss Sebastian die Augen und öffnete die Lippen. Dann lag plötzlich Sebastians Hand in seinem Nacken, Sebastians Zunge drängte zwischen seine Lippen und aus der zarten Berührung wurde ein Kuss. Vorsichtig erst, dann leidenschaftlich und intensiv, schon ein bisschen beduselt und sehr feucht, mit dem Geschmack von Rotwein und Walnüssen, aber doch einfach perfekt. Sebastian bewegte sich neben ihm, drehte sich herum, ohne den Kuss zu unterbrechen. Ehe Thorsten sich versah war Sebastian über ihm, drückte ihn rücklings in die Kissen. Der Kuss glitt von seinen Lippen über sein Kinn den Hals hinab und ein paar fahrige Finger machten sich am Kragen seines Hemds zu schaffen. Ein heißes Kribbeln kroch durch seinen ganzen Körper, sammelte sich in seinem Unterleib und er stöhnte leise aus.
„Sebastian? Was soll das werden?“, fragte er leicht außer Atem.
„Geschenk auspacken“, nuschelte Sebastian gegen seinen Hals.
„Ich dachte der Abend wäre dein Geschenk.“
Die fummelnden Finger hielte inne. Sebastians Lippen lösten sich von Thorstens Schlüsselbein und er stemmte sich wieder ein bisschen hoch, bis sie einander ins Gesicht sehen konnten.
„Gehört das nicht dazu?“
Unsicherheit spiegelte sich in seinen Augen. Thorsten zögerte einen Moment. Es war alles das, was er schon so lange wollte, aber wusste Sebastian das? Und wollte er das auch? Doch dann gewann das Begehren die Oberhand über seine Zweifel und er ignorierte die mahnende Stimme in seinem Hinterkopf, die ihn daran erinnerte, das seine letzten Versuche von Beziehungen allesamt in der Katastrophe geendet hatten. Weihnachten war schließlich das Fest der Liebe und warum sollte er nicht auch einmal Glück haben. Er nickte leicht und zog Sebastian wieder zu sich.
„Doch … doch, das gehört es.“
*** FIN ***