Xell seufzte und starrte mit leerem Blick auf die Informationsblätter vor sich.
Schon von Natur aus ungeduldig, langweilte ihn Quistis’ Vortrag beinahe zu Tode.
Als wüsste er nicht selbst am besten, welche verheerenden Folgen der Gebrauch der Guardian Forces nach sich ziehen konnte.
Er verstand nicht, warum Squall den Vortrag zur Pflichtveranstaltung für sämtliche Seed des Balamb Garden erklärt hatte, und zog eine kleine Schnute.
Natürlich war das Thema nicht unwichtig, aber Quistis hatte eine Art an sich, die an Bevormundung grenzte, und wenn er sie auch ehrlich gern hatte, als Lehrmeisterin trieb sie ihn beinahe in den Wahnsinn.
Er wurde von diesen betrüblichen Überlegungen abgelenkt, als er registrierte, dass er beobachtet wurde, und als er den Kopf wandte, fand er sich Cifers stechendem Blick ausgeliefert.
Den schmalen Mund höhnisch verzogen, in den harten grauen Augen ein belustigtes Funkeln, bot ihm der Ältere einen vertrauten Anblick, und er stierte derartig erbost zurück, dass sich das Grinsen auf Cifers Gesicht zu einem Ausdruck höchster Herablassung steigerte, und ihn derartig in Rage brachte, dass er rot anlief.
Xell wandte den Blick ab, war sich jedoch unangenehm bewusst, dass der andere Seed ihn noch immer ansah, und versuchte Quistis zuzuhören, um sich von dem unangenehmen Prickeln im Nacken abzulenken, das dieser intensive Blick ihm verursachte.
Was hatte Squall sich bloß dabei gedacht, diesen Kerl wieder im Garden aufzunehmen, als wäre gar nichts passiert?
Xell wollte es nicht in den Kopf.
Cifer hatte sich kein bisschen verändert. Seine Rolle im Kampf gegen Artimisia mochte er bereuen, seinen Charakter hatte diese Reue aber auf keinen Fall geläutert - Squall war der Einzige, den er mit kühlem Respekt behandelte, alle anderen schien er noch immer genau so für unter seiner Würde zu befinden, wie vor drei Jahren.
Xell riskierte einen Blick und stellte fest, dass er noch immer im Zentrum von Cifers Aufmerksamkeit stand.
Der Ausdruck in den kalten Augen seines Intimfeindes hatte sich kaum merklich gewandelt, und als Xell seinen Blick eine Weile erwidert hatte, zwinkerte Cifer ihm doch tatsächlich zu!
Xell wurde noch röter als zuvor und richtete seinen Blick so hastig wieder nach vorne auf die Bühne, wo Quistis inzwischen zum Ende ihrer Rede kam, dass Selphie, die neben ihm saß, ihn vorwurfsvoll in die Rippen boxte.
Xell war erleichtert, dass er den stickigen Saal endlich verlassen konnte, und er tat es in einer Eile, die an eine Flucht erinnerte; ein Umstand, der Cifers Mundwinkel verdächtig zucken ließ.
Ohne jede Form von Ungeduld verließ der große Seed den Vortragsraum, schlängelte sich ruhig durch die Stuhlreihen und trat schließlich würdevoll Xells Verfolgung an.
Xell, der sich schnurstracks auf den Weg zu seinem Quartier gemacht hatte, blickte sich neugierig um, als er Schritte hinter sich vernahm, und blieb wie angewurzelt stehen, als er Cifer erkannte, dessen eleganter grauer Mantel sich leicht bauschte, als der Seed seinen Schritt beschleunigte und schließlich vor Xell zum Stehen kam, der vor Feindseligkeit praktisch erstarrt war.
In Cifers Gesicht spiegelten sich widerstreitende Emotionen, bevor sich sein Ausdruck schließlich glättete, und er Xell mit der üblichen Mischung aus amüsierter Überheblichkeit und Hohn musterte.
Xell steigerte sich unter diesem Blick beinahe in einen hysterischen Anfall hinein und stierte Cifer derartig finster an, dass dieser sich schließlich dazu genötigt sah, eine Erklärung abzugeben: „Squall hat wohl noch nicht mit dir gesprochen?“
Er nahm das Knurren, das Xell daraufhin von sich gab, als genügende Antwort hin und ließ sich dazu herab, weiter ins Detail zu gehen: „Er hat darum gebeten“, Cifer betonte diesen Aspekt, „dass du mich zum Trabia Garden begleitest.“
Xell starrte ihn daraufhin derartig entgeistert an, dass Cifer nur mit Mühe eine Gemütsregung unterdrücken konnte, die den Anderen wohl nur noch mehr verstört hätte, und er wartete geduldig darauf, ob Xell sich vielleicht doch noch zu der Angelegenheit äußern wollte.
Das wollte der Jüngere tatsächlich.
„Kann nicht -“ - „Nein“, wurde er von Cifer grob unterbrochen. „Du bist der Einzige, der zur Verfügung steht.“
„Na fein!“ platzte es aus dem Jüngeren heraus, der es gar nicht liebte, dass ihm so das Wort abgeschnitten wurde. „Dann fahr doch einfach alleine!“
„Das wäre zweifellos für alle Beteiligten das Beste“, gab Cifer offen zu und blickte Xell in einer Art an, dass dieser sich direkt danach sehnte, ihm eine Ohrfeige zu verpassen.
Dann wurde sein Blick plötzlich bitter, und Xell brauchte eine Weile, um den Grund dafür zu erkennen.
„Aber da es um den Trabia Garden geht, hält der gute Squall es für ganz unmöglich, dass ich die mir zugedachte Aufgabe allein erfüllen kann. Warum er mir ausgerechnet dich als Vermittler auserkoren hat, will mir in diesem Zusammenhang allerdings nicht ganz einleuchten.“
Xell legte den Kopf schief, überlegte eine Weile und nickte schließlich grimmig.
„Wenn es denn sein muss.“
Der nächste Morgen brachte das ungleiche Paar zum Trabia Garden, und da Cifer ungefragt die Rolle des Fahrers übernommen hatte, blieb Xell nicht viel anderes übrig, als gelangweilt aus dem Fenster auf die vorbeiziehende Landschaft zu starren.
Ein Knurren Cifers über die schlechte Straße ließ ihn seinen Blick dem markanten Profil des Älteren zuwenden, und während er das kalte Gesicht betrachtete, fragte er sich unwillkürlich, warum Cifer noch immer allein war.
So unausstehlich er ihn auch fand, Cifer sah nicht schlecht aus und irgendwer musste ihn schließlich mögen.
Sich des versunkenen Blickes des Anderen bewusst werdend, änderte sich der konzentrierte Ausdruck auf Cifers Gesicht, und er wandte seine Aufmerksamkeit kurz von der Straße ab, um Xell anzusehen. „Was ist?“
Xell fuhr leicht auf und starrte wieder aus dem Fenster. „Nichts.“
Cifer runzelte die Stirn, drang jedoch nicht weiter in den Jüngeren und konzentrierte sich wieder auf die von Schlaglöchern übersäte Straße.
Nach einigen weiteren Minuten des unangenehmen Durchschüttelns kam schließlich der schneebedeckte Trabia Garden in Sicht und Xell seufzte unbewusst auf.
Nicht nur hatte er langen Autofahrten noch nie etwas abgewinnen können, auch war die Gesellschaft, in der er sich befand, in keiner Weise dazu angetan, seine Stimmung zu heben.
Cifer parkte den Wagen und sie stiegen einmütig aus.
Mit Taschen beladen betraten sie das erst vor kurzem renovierte Gebäude und fanden sich nach einigen suchenden Blicken schließlich an der Information ein.
Der dort residierende junge Mann warf Cifer einen eiskalten Blick zu und fragte Xell dann unüberbietbar freundlich, ob er ihm behilflich sein könne.
Dieser erkannte in nur einem Wimpernschlag, wie richtig es von Squall gewesen war, Cifer nicht allein gehen zu lassen, und informierte den jungen Mann ebenso freundlich, was er für sie tun könne.
Sie wurden auf ein Doppelzimmer geleitet, und Xell erfasste schäumend, dass man offensichtlich von ihm erwartete, ein wachsames Auge auf den ja so unberechenbaren Cifer zu haben.
Die Unterkunft war bescheiden - wenn man sie nicht sogar als winzig bezeichnen wollte. Zwei schmale Einzelbetten standen sich an den Seitenwänden gegenüber, die Stirnseite des Raumes wurde von einem großen Fenster beherrscht, und in der Ecke neben der Tür stand ein winziger Schrank, in dem die beiden Seed mit Müh und Not die mitgeführte Kleidung unterbrachten, bevor sie sich zur Leitung des Garden aufmachten.
Xell, der sich bis jetzt nicht dazu bemüßigt gefühlt hatte, Cifer nach seiner Aufgabe zu fragen, wurde sich seiner Ahnungslosigkeit nun unangenehm bewusst, hatte jedoch keine Idee, wie er eine dahingehende Frage jetzt noch stellen konnte, ohne sich vollkommen lächerlich zu machen.
So folgte er dem großen Seed nur schweigend in die Räumlichkeiten des Direktors, nahm auf ein Geheiß des Selbigen in einem der beiden kleinen Sessel Platz, die seinem ausladenden Schreibtisch gegenüber standen, und harrte den Dingen, die da kommen mochten.
Cifer wurde kein Sessel angeboten, also blieb er stehen, sein Gesicht stolz und kühl, und zum ersten Mal verspürte Xell so etwas wie Bewunderung für ihn.
„Sie haben den Balamb Garden um Hilfe gebeten.“
Cifer brachte diese Feststellung derartig eisig hervor, dass der Direktor tatsächlich leicht zusammenzuckte und ihn endlich bat, sich zu setzen.
„Ja, das ist in der Tat der Fall“, erwiderte der Direktor, als er sich einigermaßen gesammelt hatte, und warf Cifer unter seinen buschigen Brauen einen Blick zu, der zwischen Respekt und Abscheu schwankte.
„Nun, was können wir für Sie tun?“ war die darauf folgende, aalglatte Frage, und selbst Xell stellten sich die Nackenhaare auf - der Direktor verfärbte sich leicht.
„Leider ist es uns in der langen Zeit, in der wir uns um den Wiederaufbau des Garden kümmern mussten“, Cifer traf ein hasserfüllter Blick, „nicht möglich gewesen, einen Spezialisten mit der Wiedereinrichtung der Technik zu betrauen. Wir hatten gehofft, dass der Balamb Garden uns einen solchen Spezialisten senden könnte.“
Die Linien um Cifers harten Mund vertieften sich noch, dann verzog er sich zu einem höhnischen Grinsen.
„Ganz recht. Dieser Spezialist bin ich.“
„Weißt du, du hättest ihn nicht so von oben herab behandeln müssen.“
Xell warf Cifer einen giftigen Blick zu, erntete jedoch nichts anderes, als ein ungeduldiges Schnauben.
Sie hatten das Büro des Direktors eben verlassen und befanden sich nun auf dem Weg zu einem der großen Vorlesungssäle, damit Cifer möglichst sofort seine Arbeit aufnehmen konnte.
„Ich wusste gar nicht, dass du dich mit solch technischem Kram auskennst.“, gab Xell nachdenklich zu und wünschte sich im nächsten Augenblick, er hätte nichts gesagt.
„Nein? Nun, aber du weißt sowieso nicht sehr viel, nicht wahr?“
Cifer traf ein flammender Blick und er lachte kalt auf. „Dieses ganze Unterfangen ist eine Farce!“
Dieser plötzliche Gefühlsausbruch überraschte Xell einigermaßen, und er folge dem Älteren ziemlich perplex in den leeren Vorlesungssaal.
Cifer begann verbissen schweigend, sich seiner Aufgabe zu entledigen, und die sonst so kalten Augen waren jetzt von so heißem Zorn erfüllt, dass Xell erschauderte.
Was war denn plötzlich los?
Seine himmelblauen Augen waren weit aufgerissen auf den zornigen Seed gerichtet und plötzlich richtete dieser sich zu seiner vollen Größe auf und fuhr zu ihm herum. „Jetzt hör endlich auf, mich anzustarren!“
Die hellen Augen sprühten vor Zorn, und als Xell verständnislos blinzelte, warf Cifer das Werkzeug, dessen er sich eben noch bedient hatte, von sich und kam mit gewichtigen Schritten auf ihn zu, packte ihn an den Schultern.
„Hör endlich auf damit, verdammt!“
Cifer schüttelte ihn, bis auch in ihm der Zorn erwachte, und er ihn wutentbrannt anwies, ihn gefälligst loszulassen - aber sofort!
Der Ältere kam dieser Aufforderung so umgehend nach, dass Xell gegen dessen breite Brust fiel und sich an den breiten Aufschlägen seines Mantels festhalten musste.
„Sag mal, spinnst du?“ japste Xell empört, blickte zu Cifer auf, und dessen Augen funkelten jetzt wieder so höhnisch, wie sie es schon immer getan hatten.
„Du hast keine Ahnung, nicht wahr?“ murmelte Cifer undeutlich, und Xells Herz setzte einen Schlag aus, als ihr Ausdruck mit einem Mal wild wurde.
Er packte Xells Kinn, zwang sein Gesicht zu sich hoch und starrte aufgebracht in die unschuldigen blauen Augen.
„Du hast nicht die geringste Ahnung.“ Cifers Stimme war so rau, dass Xell erschauderte, und als er der Ältere ihn plötzlich wieder losließ, taumelte er erneut; als er sich wieder gefangen hatte, war Cifer bereits wieder dazu übergegangen, am anderen Ende des Raumes am Hauptcomputer zu arbeiten.
In Xell tobte ein Kampf widerstreitender Gefühle.
Er war wütend über Cifers unmögliches Betragen, entsetzt über das, was er in den ausdrucksstarken grauen Augen gesehen hatte, und schockiert über das heiße Kribbeln, das ein einziger Blick in diese Augen ausgelöst hatte.
Was war nur plötzlich in Cifer gefahren?
Die grauen Augen hatten einen Moment lang stahlblau aufgeleuchtet, und Xell konnte sich beim besten Willen nicht erklären, was geschehen war, den anderen Seed derartig aus der Haut fahren zu lassen.
Man konnte über Cifer sagen was man wollte - er mochte unausstehlich sein - aber er hatte sich immer unter Kontrolle. Immer.
Xell legte den Kopf schief, und als er bemerkte, dass er schon wieder damit anfing, Cifer anzustarren, wandte er lieber den Blick ab.
Er wollte lieber nicht noch einen derartigen Ausbruch provozieren. Er hatte nicht das Gefühl, dass er diesem lodernden Blick noch einmal würde standhalten können.
Xell wurde aus diesen tiefschürfenden Überlegungen aufgeschreckt, als Cifer, ohne sich umzuwenden, ihn plötzlich ansprach.
„Was macht eigentlich dein Liebesleben?“
Die Frage war so uninteressiert hervorgebracht, wie es nur eben möglich war, und Xell blinzelte einmal irritiert, bevor er die Stirn kraus zog und die Arme vor der Brust verschränkte. „Was interessiert dich das?“
Der bissige Ton schien Cifer nicht zu kümmern, und Xell hörte an seiner Stimme, dass er grinste, als er antwortete: „Wollte bloß wissen, ob einer wie du eine abkriegt.“
Xell knurrte und schwieg
Er war ein junger Mann, der Mädchen zwar freundlich und aufgeschlossen gegenüber trat, sich aber bisher nicht sonderlich viel aus ihnen gemacht hatte.
Mit Quistis und Selphie verband ihn eine enge Freundschaft, er brachte den beiden aber keinerlei Gefühle entgegen, die sich von denen für Squall oder Irvine unterschieden.
Sein Leben bestand daraus, seine Fähigkeiten im Nahkampf zu verbessern, sich mit seinen Freunden zu amüsieren und die Cafeteria in der Hoffnung auf Hotdogs zu besuchen.
Liebe hatte ihn nie interessiert.
„Nicht?“ Cifers Stimme klang amüsiert. „Gefällst du den Damen etwa nicht?“
Xell schluckte eine barsche Antwort hinunter und erwiderte möglichst beherrscht: „Ich wüsste nicht, was dich das anginge!“
„Das geht mich natürlich rein gar nichts an, aber da du im Moment der Einzige bist, der mir Gesellschaft leistet, ignoriere ich das schlichtweg. Was tust du denn, um deine Anbeterinnen zu vergraulen?“
Xell wusste mit Cifers Tonfall nichts anzufangen und begann, sich ernsthaft zu fragen, ob der Ältere im Begriff war, endgültig den Verstand zu verlieren.
„Ich habe keine Anbeterinnen! Ich verstehe gar nicht, wie du auf so eine idiotische Idee kommst! Können wir jetzt vielleicht mal das Thema wechseln?!“
Cifer ignorierte das und wandte sich endlich zu ihm um.
„Idiotische Idee? Denkst du so schlecht von dir selbst?“
Jetzt war Xell sich endgültig sicher, dass etwas entschieden nicht stimmte.
Den Ausdruck in Cifers Augen konnte man nicht anders als sanft bezeichnen.
Zu Xells Beruhigung ging das ebenso schnell vorüber wie es gekommen war.
„Naja, wahrscheinlich hast du Recht damit.“
Cifer, der ihm mit diesen Worten erneut den Rücken zugedreht hatte, setzte seine Arbeit in aller Seelenruhe fort und ignorierte den schäumenden Seed in seinem Nacken.
„Ich frage mich, was diese alte Runkelrübe jetzt schon wieder will.“
Xell warf Cifer einen strafenden Blick zu und konnte sich eine Zurechtweisung nicht verkneifen.
„Er ist immer noch der Direktor - du könntest dir wirklich ein wenig Mühe geben, ihn mit Respekt zu behandeln.“
Cifers Gesicht blieb ausdruckslos, als er erwiderte, dass er niemanden mit Respekt behandeln würde, der das nicht auch verdiene, und da Xell keine Antwort darauf wusste, setzten sie ihren Weg zum Büro des Direktors schweigend fort.
Als sie es betraten, wunderten sie sich ein wenig, den Direktor nicht allein anzutreffen - in seiner Gesellschaft befand sich ein vielleicht 18jähriges Mädchen mit langen braunen Haaren, die ihr in weichen Wellen über den Rücken fielen und großen, ausdrucksstarken dunkelbraunen Augen, die die beiden Seed nun interessiert musterten.
„Sie haben nach uns geschickt?“
Cifers Frage mochte höflich formuliert sein, sein Ton war es entschieden nicht, und die Augenbrauen des Mädchens zogen sich unwillkürlich zusammen.
Auch der Blick des Direktors hatte sich verfinstert, und Xell hatte irgendwie das Gefühl, einspringen zu müssen. „Was können wir für Sie tun?“
Der Direktor, dem bereits eine barsche Antwort auf der Zunge gelegen hatte, wandte sich ihm zu, Cifer absichtlich ignorierend und lächelte wohlwollend.
„Ich habe eine Bitte an Sie. Da es kaum praktikabel wäre, jedes Mal nach Ihnen zu schicken, wenn wir mit unserer Technik nicht weiter wissen, möchte ich Sie darum ersuchen, die anwesende junge Dame derartig einzuweisen, dass wir Ihre Hilfe in Zukunft nicht mehr benötigen werden.“
Xell zog die Augenbrauen hoch und wandte sich fragend an Cifer, dessen Miene eisig war.
„Gern“, lautete dessen einsilbige Antwort, und Xell verstand nicht, warum dieser Vorschlag dem anderen so zuwider war. Ihm erschien es recht vernünftig.
Das Mädchen stellte sich als Naimy vor und während sie Cifer mit kühler Höflichkeit behandelte, bedachte sie Xell derartig verschwenderisch mit Zuneigung, dass der arme Junge vollkommen aus dem Konzept geriet.
Das hingegen schien Cifer derartig zu amüsieren, dass er ein gutes Stück seines kalten Hochmuts abwarf und Naimy verdächtig freundlich behandelte.
Er unterstützte sie in ihren Bemühungen um Xell, war auch zu diesem plötzlich widerlich freundlich und erklärte Naimy doch tatsächlich darüber auf, dass er und Xell sich schon seit frühester Kindheit kannten.
„Wirklich?“ fragte diese einigermaßen überrascht.
Sie hatte die beiden jungen Männer begleitet, um Cifer bei seiner Arbeit über die Schulter zu schauen, und dieser lächelte nun auf eine Art und Weise, dass Xell beinahe schlecht wurde.
„Oh ja … wir sind praktisch zusammen aufgewachsen. Er war ein ganz bezaubernder kleiner Junge: stur, frech und dabei ein unglaublicher Hasenfuß - er ist einem unbeschreiblich auf die Nerven gefallen.“
Cifer schaffte es irgendwie, diese Beschreibung nett klingen zu lassen, und sowohl Naimy als auch Xell blickten ihn irritiert an.
Das schien den Blonden nicht weiter zu kümmern und er fuhr diabolisch grinsend fort: „Wenn ich es mir recht überlege, hat er sich nicht großartig verändert.“
Dann blickte er über die Schulter und sah Xell in die Augen. „Hab ich nicht Recht?“
Naimy, die das beobachtet hatte, setzte plötzlich ein Lächeln auf und wandte sich ebenfalls Xell zu. „Ihr Freund scheint es zu genießen, Sie zu foppen.“
Xell, der das unheilvolle Glitzern in Cifers Augen sah, konnte nur nicken. Diese Situation war einfach zu viel für ihn.
„Oh ja - wir foppen uns ständig gegenseitig!“ griff Cifer das Stichwort auf und wandte sich wieder dem Computer zu, „Manchmal könnte man glatt meinen, dass wir einander nicht ausstehen können.“
Xell schluckte.
Irgendwie war ihm gar nicht gut.
Cifers Ton war zwar freundlich, aber dennoch hatte er das Gefühl, das eine große Gefahr im Verzug war. Er konnte sich das nicht erklären. Cifer war auch sonst ein beunruhigender Charakter, aber heute war er geradezu verstörend.
Naimy, die davon nichts mitbekam, schien ihre Aversion gegen Cifer nach und nach abzulegen und behandelte diesen gegen Abend ebenso freundlich wie Xell. Dennoch konnte kein Zweifel bestehen, dass der Jüngere ihr Favorit war. Das Lächeln in ihren Augen, wenn sie ihn ansah, sprach Bände.
Die Fluchttendenzen, die er den ganzen Nachmittag verspürt hatte, verstärkten sich um ein Vielfaches, als die Tür hinter Xell ins Schloss fiel.
Jetzt mit Cifer allein im Zimmer zu sein, erschien ihm leichtsinnig bis sogar lebensmüde.
„Da scheint dich jemand ins Herz geschlossen zu haben“, schnurrte der Ältere soeben, und Xell bekam beinahe eine Gänsehaut.
„Warum hast du sie so ermuntert? Was hast du dir dabei gedacht?“ fragte er schwach, und als Cifer sich zu ihm umdrehte und ihn voll ansah, war er augenblicklich in den spöttischen, eiskalten grauen Augen gefangen.
„So wie du das sagst, klingt das so negativ“, höhnte er voller Verachtung. „Da du mir ja verraten hast, dass du bisher keine Verehrerinnen hast, wollte ich dich zumindest hier in den Genuss weiblicher Bewunderung kommen lassen.“
Xell sah eine Sekunde lang Stahlblau das Grau verdrängen und wandte hastig den Blick ab.
„Manchmal bist du richtig widerlich“, murmelte er und erschrak, als Cifer auf ihn zukam und sein Gesicht zu sich anhob.
„Nur manchmal? Dann war ich in der letzten Zeit wohl zu nachlässig.“
Xell konnte sich kaum bewegen, so unwirklich erschien es ihm, als Cifer sein Kinn losließ und mit dem Zeigefinger die Tätowierung auf seiner Wange nachzog.
„Manche Dinge sind schließlich zu wertvoll, um sie einfach aufzugeben, findest du nicht auch?“
Damit ließ er von ihm ab, wandte ihm den Rücken zu und schälte sich aus seinem Mantel. Es dauerte eine Weile, bis wieder Leben in Xell kam, und als es soweit war, fiel eben die Tür hinter Cifer ins Schloss, der sich auf den Weg zu den Waschräumen gemacht hatte.
Xell überlegte, dass Cifer die faszinierendsten Augen hatte, die er je gesehen hatte, und wurde rot. Dann sagte er sich, dass faszinierende Augen ganz und gar keine sympathische Eigenschaft waren, und beruhigte sich wieder.
Cifers Augen mochten schön sein - aber sie machten ihm auf eine sehr beunruhigende Weise Angst.
Xell sammelte seine Waschsachen zusammen und machte sich auf, Cifer zu den Waschräumen zu folgen.
„Dämonischer Kerl …“
Irgendwie konnte er sich noch nicht einmal über Cifers unmögliches Betragen aufregen - es war viel zu irritierend.
Als er den Waschraum betrat, fand er sich erneut allein mit dem Älteren und seufzte unwillkürlich. Er hätte wissen müssen, dass Cifer in einer Stimmung war, in der er auf jede seiner Äußerungen reagierte.
„Denkst du an deine neue Freundin?“ fragte er beißend, während er sein Hemd feinsäuberlich zusammenfaltete und in ein Fach zu seinen anderen Kleidungsstücken legte, bevor er sich unter eine der Duschen begab.
Xell drehte sich zu ihm um, wollte etwas sagen - aber ihm blieb das Wort im Hals stecken.
Cifer hatte ihm den Rücken zugewandt und auf dem rechten Schulterblatt verunzierte eine Brandnarbe die sonst makellose helle Haut - eine Brandnarbe in Form eines Schriftzeichens und Xell hatte unwillkürlich das Gefühl, dass sie nie aufhören würde, zu schmerzen, denn das Zeichen leuchtete so klar, als würde es aus flüssigem Feuer bestehen - Sünder.
Ein gequälter Laut entrang sich seiner Kehle, und Cifer sah ihn über die Schulter an, verfolgte seinen Blick, und dann hätte Xell am liebsten geweint.
„Gefällt es dir?“
Obwohl es ein Ding der Unmöglichkeit zu sein schien, schaffte Cifer es tatsächlich, den folgenden Tag für Xell noch weitaus quälender zu gestalten. Als sie gemeinsam in der Kantine frühstückten, lud der Seed Naimy an ihren Tisch ein und versüßte sich den Morgen damit, ihr ein geradezu einmaliges Schauspiel zu bieten.
In unnachahmlichem Ernst behauptete er zunächst, er sei ihr ernstlich böse, da sie Xell angeblich derartig betört habe, dass der Junge in der vergangenen Nacht keinerlei Schlaf habe finden können und ihn mit seinen verliebten Seufzern an den Rand eines Nervenzusammenbruchs getrieben habe.
Da Xell sich nicht helfen konnte und bei seinen Worten hochrot anlief, war Naimy geneigt, Cifer zu glauben und himmelte den jungen Mann über den Tisch hinweg derartig offensichtlich an, dass Xell gar nicht wusste, wo er hinsehen sollte.
„Sehen Sie ihn sich an!“ meinte Cifer schließlich honigsüß und lächelte hinterhältig. „Ich bin schon beinahe geneigt, eifersüchtig zu werden.“
Naimy kicherte hilflos, und Xell spürte das starke Verlangen, Cifer unter dem Tisch einen Tritt zu versetzen.
„Ich muss wirklich sagen, dass ich ihn noch nie so gesehen habe“, fuhr Cifer erbarmungslos aber wahrheitsgetreu fort und warf Xell einen spöttischen Blick zu. „Eine ganz neue Form des Glücks, nicht wahr, mein Lieber?“
Xells Augen schossen giftige Pfeile, und Cifer grinste bösartig.
„Ich hab mir schon lange gewünscht, dass du endlich jemanden findest.“
Das war jetzt beinahe zuviel für Naimy, also gönnte Cifer ihr und Xell eine kleine Verschnaufpause und trank in aller Ruhe eine Tasse Kaffee.
Xell schaffte es irgendwie, seine Verlegenheit zu überwinden und das Mädchen in ein unverfängliches Gespräch zu verwickeln, und gerade, als Naimy sich mit einem Lächeln darauf einließ, zerstörte ein einziger Satz Cifers die Idylle so nachdrücklich, dass peinliches Schweigen entstand.
„Wenn ich euch allein lassen soll, müsst ihr nur Bescheid sagen - ich will dem jungen Glück nicht im Wege stehen.“
Xell dachte sich allerlei Schimpfwörter für den Älteren aus, aber er kam nicht dazu, sie anzubringen.
„Nein?“ Cifer schaffte es, unschuldig zu seufzen. „Nun gut, dann werde ich für euch den Tugendwächter spielen.“
Er goss sich Kaffee nach, trank einen Schluck, stellte seine Tasse zurück auf den Tisch und lächelte Naimy entschuldigend an. „Bitte machen Sie doch nicht so ein Gesicht - ich wollte Sie bestimmt nicht in Verlegenheit bringen.“
Das Absurde war, dass sie ihm glaubte.
Fortsetzung