Das dritte Türchen

Dec 03, 2011 09:33

Dies ist ist mein Beitrag am 3. Dezember zu cricri_72's Adventskalender.

Titel: Marzipanherzen
Inhalt: Boernes Plan, Thiel und sich einen schönen Abend zu bereiten, droht zu misslingen ...
Länge: ca. 1200 Wörter
Genre: etablierte Beziehung, h/c (zumindest à la Boerne)
Rechtserklärung: Thiel und Boerne gehören dem WDR. Ich habe sie mir nur mal kurz ausgeliehen.

Vielen lieben Dank an cricri_72 und notcolourblind für ihre Anmerkungen und Korrekturen.


Marzipanherzen

Als Polizist hatte Thiel einen guten Instinkt für heikle Situationen und dramatische Stimmungen, und als er nach seinem Feierabend die Tür zu Boernes Wohnung aufschloss, konnte er spüren, wie die schiere Verzweiflung aus der Küche in den Korridor drang.

Rasch stellte er die beiden Flaschen Bier ab, die er sich für ihren gemütlichen Fernsehabend mitgebracht hatte, atmete tief durch und öffnete die Küchentür.

Der Anblick, der sich ihm bot, war sogar noch schlimmer, als er befürchtet hatte.

Ein Orkan hatte in der Küche gewütet. Eine feine Schicht Mehl bedeckte alle Oberflächen, Marzipangeruch hing schwer in der Luft wie Weihrauch nach dem Hochamt im Münsteraner Dom, ein zerschlagenes Ei tropfte vom Küchentisch auf den Boden, und sämtliche Backutensilien, die die Welt je gesehen hatte, lagen dick verkrustet auf dem Küchentisch und der Arbeitsplatte herum.

Inmitten der Verwüstung saß Boerne.

Auch sein Anzug war von oben bis unten mit Mehl bestäubt, seine Haare standen wirr vom Kopf ab, und auf seiner Wange waren Spuren von Teig.

Er bot ein jämmerliches Bild.

Normalerweise hätte Thiel trotzdem eine amüsierte Bemerkung gemacht, aber ein nochmaliger Blick auf Boernes leicht gesenktes Gesicht hielt ihn davon ab.

Stattdessen fragte er nur leise: „Boerne?”

Aber Boerne stierte auf den Küchentisch und blickte nicht auf.

„Boerne”, sagte Thiel noch einmal, während er zugleich nach dessen Hand griff. „Was ist passiert?”

Langsam sah Boerne auf, und Thiel blickte in Augen, die eine Mischung aus Frustration und Enttäuschung ausdrückten.

Boerne nahm seine Hand unter Thiels weg und verschränkte seine Arme.

„Wonach sieht es denn aus?” sagte er schließlich, und in seiner Stimme klang Geringschätzung mit. „Ich dachte, ich backe uns einige Marzipanherzen, aber es hat sich wieder einmal gezeigt, dass ich völlig unbegabt in der Küche bin.”

„Na ja, Kekse brennen ganz schnell an. Das passiert fast allen, die zum ersten Mal ...” Thiel brach ab, als ihm bewusst wurde, dass es in der Küche zwar penetrant nach Marzipan roch, aber eben nicht nach verbranntem Teig.

Boerne schüttelte den Kopf. „Das ist nicht das erste Mal. Backen gehörte bei uns zu Hause in der Vorweihnachtszeit zum guten Ton. Aber meist hat mich meine Mutter auf mein Zimmer geschickt, bevor überhaupt das erste Backblech fertig war, weil sie meinte, ich würde ja doch nur alles ruinieren.”

Thiel hielt vorsichtshalber den Mund. Das hatte er gelernt, seitdem sie zusammen waren. Auch wenn Boerne sich oft beschwerte, dass Thiel so wortkarg sei, gab es Momente, in denen es besser war zu schweigen.

Thiel griff mit spitzen Fingern nach dem vom Teig verklebten Backbuch und warf einen Blick auf die Zutatenliste für die Plätzchen. Mehl, Zucker, Mandeln, Marzipan, Butter und Ei. Das las sich doch ganz überschaubar, aber trotzdem sah die Küche aus, als ob Boerne versucht hatte, eine zehnstöckige Torte zu backen.

Wenn Thiel ehrlich war, hatte er selbst kaum Erfahrung im Backen. Aber er erinnerte sich daran, dass seine Ex-Frau mit Lukas auch jedes Jahr Weihnachtsplätzchen gebacken hatte. Und das hatte immer recht unkompliziert ausgesehen. So schwer konnte es also nicht sein.

Er tauchte seinen Zeigefinger in die Teigmasse in der Rührschüssel. Sie war sehr flüssig. Klar, dachte er, das Mehl war ja auch nicht im Teig, sondern überall sonst in der Küche. Es dürfte schwer sein, Kekse auszustechen, aber ansonsten sah der Teig beinahe genießbar aus.

Vorsichtig leckte er seinen Finger ab. „Hmm, für einen ersten Versuch ist der Teig aber doch ganz ordentlich.”

„Du brauchst mich nicht zu trösten”, sagte Boerne. Seine Arme waren immer noch verschränkt, aber Thiel hatte den Eindruck, dass seine Stimme wieder etwas munterer klang.

„Nein, wirklich.” Thiel beugte sich vor und drückte einen Kuss auf Boernes teigverschmierte Wange. Sie schmeckte süß, und er küsste sie ein zweites Mal.

Boerne wollte ihn von sich weg schieben, aber Thiel gab nur wenige Zentimeter nach.

„Hast du den Teig denn überhaupt probiert?”, fragte er.

Als Boerne den Kopf schüttelte, zog Thiel ihn an sich und küsste ihn auf den Mund. Ihre Zungen berührten sich für einen Moment, bevor Thiel sich wieder löste. „Und, was sagst du?”

„Man schmeckt die Mandeln raus.”

„Mmh, mmh”, machte Thiel und presste seine Lippen wieder auf Boernes.

Boerne öffnete seinen Mund, und Thiel vertiefte den Kuss. Er drängte sich enger an Boerne und vergrub seine Hände in dessen Nacken und Haar.

„Nicht, ich bin doch von oben bis unten mit Mehl …”, gelang es Boerne zu sagen, aber zugleich schlang er seine Arme um Thiel.

„Macht nichts”, murmelte Thiel und verlor sich in Boernes Armen und in der Sanftheit seiner Lippen.

Erst als Thiels Genick sich schmerzhaft bemerkbar machte, beendete er ihren Kuss mit einer letzten leichten Berührung und richtete sich auf.

Er fühlte sich etwas benommen. Daran musste der Marzipanduft Schuld sein, der immer noch in der Luft lag. Er ging zum Fenster, stellte es auf Kippe und atmete ein paar Mal tief durch.

Dann wandte er sich wieder zu Boerne um. „So, und jetzt räumen wir zusammen auf”, sagte er, packte Boerne an der Hand und zog ihn vom Stuhl hoch.

Boerne lächelte stumm. Seine Lippen waren geschwollen, und Thiel konnte sich nicht erinnern, ihn in den drei Monaten, die sie zusammen waren, je so gelöst gesehen zu haben.

Ohne ein weiteres Wort griff Boerne nach der Rührschüssel und leerte ihren Inhalt in den Abfalleimer.

Zu zweit gelang es ihnen überraschend schnell, wieder Ordnung in die Küche zu bringen.

Boerne stand am Spülbecken und trocknete die letzten Backutensilien ab, als Thiel nach einer Flasche Schokoladensauce griff, die noch auf dem Küchentisch stand.

„Wolltest du die Plätzchen mit Schokolade überziehen? Dafür kannst du diese Sauce hier aber nicht nehmen.”

Boerne drehte sich zu ihm um. „Dessen bin ich mir wohl bewusst”, sagte er in einem Tonfall, den Thiel aus dem rechtsmedizinischen Institut kannte.

Aber von Boernes Attitüden ließ Thiel sich nicht mehr einschüchtern, denn mittlerweile hatte er ebenfalls gelernt, dass Boerne diesen Tonfall längst nicht nur benutzte, wenn er den allwissenden Professor heraushängen lassen wollte, sondern mindestens ebenso oft, wenn er jemanden von weiteren Nachfragen abhalten wollte.

„Wofür hast du sie dann gekauft?”, fragte Thiel daher.

Boerne antwortete nicht sofort, und als er es schließlich tat, war seine Stimme auffallend leise, und eine leichte Röte schlich sich auf sein Gesicht. „Ich hatte die Sauce als Dessert vorgesehen.”

Plätzchen und Nachtisch? Für ein paar Sekunden war Thiel verwirrt, aber als Boernes Gesichtsfarbe noch kräftiger wurde, bekam Thiel eine Ahnung von dem Dessert, das Boerne für sie beide geplant hatte.

Thiel grinste. Der Abend hatte zwar glücklicherweise schon eine deutliche Wendung zum Besseren genommen, aber das hieß ja nicht, dass er nicht noch steigerungsfähig wäre.

Thiel ging zu Boerne hinüber, nahm ihm das Trockentuch weg, ließ seine Hand aber nicht wieder los.

Als Boerne ihn fragend ansah, sagte Thiel: „Dann mache ich jetzt mal einen Vorschlag”, er beobachtete Boerne, dessen Pupillen sich bei jedem Wort mehr weiteten, „Morgen backen wir zusammen die Marzipanherzen, und heute Abend vergnügen, äh, begnügen wir uns mit der Schokoladensauce.”

Ohne auf Boernes Antwort zu warten, zog Thiel ihn in Richtung Schlafzimmer.

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