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Jul 23, 2007 14:41



“Keine Sorge, meine Liebe, es wird sich alles zum Guten wenden. Selbst Ihm sind Grenzen gesetzt. Glaubst du etwa, er hätte noch eine rege Anhängerschaft, wenn er leichtfertig unsere Kinder ermorden würde?“

Wie hohl und leer klangen Lucius’ Worte in ihren Gedanken, sie fand keinen Trost mehr darin. Hatte sie überhaupt jemals welchen empfunden? Zwar wusste ihr Verstand, dass ihr Mann Recht behalten würde, dass dies nur ein harmloses Fragment eines viel älteren Rituals war, ein Relikt, eine Routine, die sie durchlaufen mussten, wie schon so viele Familien vor ihnen. Sie selbst und ihre Schwestern hatten es auch über sich ergehen lassen, damals als die Gemeinschaft des Lords noch klein war und im Verborgenen agierte. Sie hatten es alle drei unbeschadet überstanden und nun war ihr eigenes Kind an der Reihe. Trotzdem hätte sie am liebsten kehrtgemacht und wäre mit dem kleinen Draco auf dem Arm davongerannt, weit weg von diesem Ritual, weit weg von Ihm und seiner Finsternis.

“Aber er würde es tun, nicht wahr? Er verlangt von jedem seiner Anhänger bedingungslose Loyalität. Also könnte er auch von uns verlangen, die eigenen Kinder zu opfern.“

Doch sie krallte die Fingernägel in die Handflächen und blieb. Reglos wie eine Statue stand sie in den Gewölben ihres Hauses, ein Haus, das ihr in den acht Monaten, die sie darin verbracht hatte, schon mehr zu einem Heim geworden war, als jenes, in dem sie aufgewachsen war. Das letzte Dreivierteljahr war ihr wie ein Traum erschienen, fort von Vater und den Schwestern, fern von all den Kränkungen und Familienkriegen. Stattdessen ein eigenes Heim, wo sie die Herrin war und ein Ehemann, der sie wie eine Dame behandelte. Auch wenn es ihr noch nicht geglückt war, hinter seine kühle glatte Fassade zu blicken, so hatte sie doch gar keine Eile damit. Zum ersten Mal hatten Ruhe und Harmonie in ihr Leben Einzug gehalten und sie war nicht bereit, diese kampflos wieder aufzugeben.

“Er könnte es tun, ja. Wenn es seinen Plänen dienlich wäre. Also ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jeder Plan, der den Tod unseres Sohnes zur Folge hätte, ihm von vornherein keinen Gewinn einbrächte. Dafür aber jede Menge Schwierigkeiten.“

Jetzt jedoch, wirkte ihr Heim kahl und feindlich, von Grauen und Düsternis durchdrungen und sie war keine Herrin mehr, sondern wieder das verängstigte kleine Mädchen von damals. Schwarz und namenlos standen die Gestalten der Todesser vor ihr. Nein, nicht namenlos - unter den Roben konnte sie Vater’s verachtungsvollen Blick ebenso spüren wie das süße, giftige Lächeln ihrer Schwester. Sie alle warteten nur darauf, dass sie sich schwach zeigte, dass sie versagte und ihre Pflichten nicht erfüllte.

“Und ich verspreche dir, Narcissa, dass ich diese Aufgabe sehr sehr ernst nehme. Unserem Sohn wird nichts geschehen. Vertrau mir.“

“Meine Diener.“ Wie ein Geist trat der Dunkle Lord aus dem Schatten in das Dämmerlicht der Fackeln; eine schemenhafte Spukgestalt, nicht fassbar und doch so real. Einen Augenblick lang schien es, als seien die Lichter erloschen, als zöge die eisige Kälte der Dementoren durch die Gewölbe um alles Leben in frostklirrender Erstarrung einzuschließen und nie wieder freizugeben.

“Ich bin nicht zufrieden mit euch, meine Diener.“

Nicht einmal die Todesser selbst waren vor ihrer Furcht gefeit; ein Zittern lief durch ihre Körper, als sie auf die Knie sanken und demütig die Augen niederschlugen. Auch sie selbst kniete, ihren winzigen Sohn an ihre Brust gedrückt; sie näherte sich jedoch dem Meister nicht, um den Saum seiner Roben zu küssen. Dieses Privileg stand ihr nicht zu, denn sie war nicht eine seiner Gezeichneten.

“Ihr habt mich enttäuscht und das ist bitter, sehr bitter. Ich hätte Besseres von euch erwartet.“

Die Angst im Raum verdichtete sich wie eine zähflüssige, ekelerregende Brühe. Der Geruch von Schweiß legte sich hauchdünn über das gedrückte Schweigen; die flackernden Schatten an den Wänden fuhren ruhelos umher und zuckten über den alten Stein.

“Eure Unfähigkeit, meine Diener, zwingt mich dazu, meine Pläne zu ändern. Und so etwas tue ich nicht gern.“

Furcht kroch in ihr hoch und das Pochen ihres Herzschlages vertrieb jeden klaren Gedanken aus ihrem Geist. Seine Pläne ändern? Was meinte er damit? Ging es um Draco und seinen Initiationsritus? Was hatte der Dunkle Lord mit ihm vor?

Ihre Blicke suchten nach Lucius, doch da er sein Gesicht hinter der Maske verborgen hielt, war es ihr nicht möglich, Augenkontakt mit ihm herzustellen. Er hielt den Kopf gesenkt; vermutlich arbeiteten seine Gedanken fieberhaft, um herauszufinden, was geschehen sein mochte; wie er sich und seine Familie vor der Wut seines Meisters schützen konnte. Es war nicht gut, ihn jetzt zu stören; sie musste ihm vertrauen. Doch es fiel ihr schwer; sie kannte diesen Mann ja kaum. Was, wenn er nicht in der Lage war, Draco zu beschützen? Und was, wenn es ihm nicht wichtig genug war?

Als der Dunkle Lord seine Arme hob, blieb ihr schier das Herz stehen.

Doch er machte keinen Versuch, sich ihr zu nähern oder Draco an sich zu nehmen, ja er blickte nicht einmal in ihre Richtung. Seine Robenärmel begannen zu flattern, seine Hände zogen seltsame Schlangenlinien durch die Luft, seine langen dürren Finger schienen etwas aus dem Nichts zu formen. Grelle Lichtspiralen glommen zwischen ihnen auf, Rostrot, Kobaltblau, Schwefelgelb; ein funkelndes Farbenspiel, welches ihre Augen blendete.

Sie schirmte Draco’s Gesichtchen mit ihrer Hand ab, um sein Augenlicht vor der gleißenden Helle zu bewahren. Doch ihre eigene Wachsamkeit ließ nicht nach, sie zwang sich hinzusehen, während sich die Lichtgarben zu strahlendem Weiß vermengten, allmählich verblassten und stattdessen die Seiten eines Buchs durch die Luft wirbelten. Die Seiten fügten sich aneinander, und das Buch fiel dem Dunklen Lord in die Hände.

“Einer unter euch ist ein Verräter,“ sagte der Lord kalt. “Einer unter euch hat versucht, mir das Buch der Geheimnisse zu stehlen, und ihr anderen seid mitschuldig, da ihr zugelassen habt, dass sich ein solcher Abschaum in unserer Mitte eingenistet hat.“

“Ich kenne den Namen dieses Verräters.“ Sein Blick wanderte durch die Menge, schien jeden einzelnen von ihnen zu durchbohren. “Er wird beizeiten seine Strafe erhalten und bis dahin - “ Lord Voldemort hielt das Buch in die Höhe, so dass alle Anwesenden es betrachten konnten - “werde ich dafür sorgen, dass diese wertvolle Schrift an einem sicheren Ort aufbewahrt wird, solange bis ich sie wieder benötige.“

Zehn kreisförmige Sphären befanden sich auf dem schwarzen Einband des Buches, verbunden durch die zweiundzwanzig Pfade des Tarots, umringt von den vier Symbolen der Elemente. Das Schwert für das Feuer, der Zauberstab für die Luft, der Kessel für das Wasser, und das Amulett für die Erde. Die Sphären schoben sich auseinander, die Pfade blitzten wie Lichtstrahlen in alle Richtungen, und die Elemente schienen sich zu vervielfachen. Statt eines einzigen Buches hielt der Dunkle Lord nun derer drei in den Händen, die einander glichen wie ein Ei dem anderen und unmöglich zu unterscheiden waren.

Drei Gestalten traten vor, um die drei Exemplare des Buches in Empfang zu nehmen. Für viele der Todesser mochte es unmöglich sein, unter den Masken und Roben Gesichter zu erkennen, doch Narcissa brauchte kein Gesicht zu sehen, um zu wissen, wer die drei waren. Zwei von ihnen hatte sie ihr Leben lang gekannt, mit dem dritten würde sie, wenn alles gut lief, den Rest dieses Lebens verbringen. Sie fragte sich, ob es wirklich klug war, ein so wichtiges Buch aus der Hand zu geben, aber vermutlich steckte irgendein Plan dahinter, dessen Ausmaß sie im Augenblick nicht absehen konnte.

“Eure Treue bezweifle ich nicht, doch ich will euch eine Warnung aussprechen.“ Die Wut war aus der Stimme des Dunklen Lords verschwunden; er klang nun gelassen, beinahe heiter. “Nur das echte Buch besitzt die wahre Macht. Die beiden Kopien sind ein wenig verändert worden und darum wertlos. Solltet ihr auf den Gedanken kommen, mit den Zaubern darin herumzuspielen, so gewinnt ihr nichts, aber ihr setzt mehr als nur euer Leben aufs Spiel.“

Er lachte leise vor sich hin. “Und wer von euch hält nun das wahre Buch in seinen Händen?“

Keiner der drei wagte es zu antworten, doch eine Antwort schien der Lord auch nicht zu erwarten. Er warf seinen drei auserwählten Dienern einen letzten undurchdringlichen Blick zu, bevor er sich abwandte und seinen Zauberstab zog. “Kommen wir nun zu dem eigentlichen und weitaus erfreulicherem Zweck unserer Zusammenkunft. Lucius und Narcissa, ich hoffe für euch, dass ihr nicht vergessen habt, was ihr mir vor acht Monaten, am Tage eurer Vermählung geschworen habt.“

Ehrerbietend traten die Maskierten auseinander, als ihr Meister in die Mitte des Raumes schritt. Der erhobene Zauberstab zog drei flackernde Kreise über den Boden, welche sich an ihren Seiten überlappten und sich alle drei in einem Dreieck mit gebogenen Seitenlinien schnitten. In die Zentren der Kreise zeichnete der Dunkle Lord drei weitere Dreiecke, jeweils ein schwarzes und ein weißes mit der Spitze nach oben, und ein weiteres schwarzes mit der Spitze nach unten. Die Getreuen versammelten sich um die seltsame Figur und harrten der Dinge, die da kommen sollten.

“Aleph, die erste Mutter. Sie regiert über die Luft.“

Ein Strom feinen Sandes schoss aus der Spitze des Stabes und malte einen Buchstaben in die Schnittmenge zweier Kreise. Einen Buchstaben, der aus drei Zeichen bestand, einem Schrägstrich in der Mitte und zwei kleinen Tupfen jeweils darüber und darunter. Aus der Ferne hätte man ihn fälschlicherweise für ein X halten können.

In gleichem Maße wie der Buchstabe Gestalt annahm, leuchtete der gegenüberliegende Kreis in gelbem Licht auf, und ein leichter Wind begann sich darin zu regen. Er durchwirbelte sacht das schwarze Dreieck, welches die Spitze nach oben trug, verließ dieses jedoch nicht.

“Mem, die zweite Mutter. Sie beherrscht das Wasser und die Erde.“

Der Sand formte einen zweiten Buchstaben in der nächsten Schnittmenge, ein Zeichen ähnlich einem D, denn es bestand aus einem Strich, einem Bogen daran und einem Tupfen links darüber. Der gegenüberliegende Kreis verfärbte sich blau und feiner Erdenstaub bedeckte das schwarze Dreieck mit der Spitze nach unten. Ebenso füllte das mittlere Dreieck, das die Schnittmenge aller drei Kreise bildete, sich mit Wasser.

“Shin, die dritte Mutter. Sie gebietet über das Feuer.“

Während der dritte Kreis in rotem Licht zu schimmern begann und feine Flämmchen in dem weißen Dreieck züngelten, schrieb der Dunkle Lord einen dritten Buchstaben, der ein wenig an einen dreiarmigen Leuchter erinnerte. Er bestand aus drei Strichen, die an der der Wurzel durch einen vierten, waagrechten verbunden waren und aus drei Tupfen darüber, die wie Blütenköpfe auf ihren Stängeln ruhten.

Narcissa erschauerte, als Voldemort zurück trat und in unverhohlener Selbstbewunderung sein Werk betrachtete. Die uralten Buchstaben schimmerten in den bunten Farben der drei Kreise; mächtige und heilige Buchstaben, noch lange bevor ein Dunkler Lord sie für seine schwarze Magie korrumpiert hatte. Der Legende nach stammten sie noch aus den Anfängen des Universums, als alle Seelen miteinander eins waren und es keinen Unterschied zwischen Geist und Materie gab. Doch diese Legenden waren unwichtig, jetzt zählte nur die Gegenwart und die verzweifelte Frage, wie sie diese Nacht überstehen würde, ohne vor Angst um ihr Kind zu vergehen.

Allein wäre sie nicht in der Lage gewesen, auf ihren Herrn zuzugehen, doch Lucius trat an ihre Seite und ging den Weg mit ihr. Er machte keinerlei Versuche, auf sie einzureden oder gar Draco an sich zu nehmen, er legte nur eine Hand auf ihre Schulter und diese Geste hatte etwas überaus Beruhigendes an sich. Was auch immer sie tat, sie musste einen kühlen Kopf bewahren und durfte nicht die Nerven verlieren. Gemeinsam würden sie die Nacht überstehen und am nächsten Morgen würde all dies nicht mehr als ein Alptraum sein.

Reglos stand sie da; widerstand jeder Versuchung zu schreien oder wegzulaufen. Sie hielt den Kopf gesenkt; wagte es nicht, in diese seelenlose roten Augen zu blicken. “Sieh’ ihm nie in die Augen,“ hatte Lucius sie gewarnt, “er liest sonst in deinen Gedanken. Und deine Kräfte werden nicht ausreichen, ihn zurückzuhalten. Dazu ist er zu mächtig.“

’Er ist weitaus mächtiger, als du glaubst,’ hatte sie bei sich gedacht, doch sie hatte geschwiegen. So wie der Meister es ihr aufgetragen hatte. Lucius durfte nicht erfahren wie oft und auf welche Weise sich der Dunkle Lord bereits Zugang zu ihren Gedanken verschafft hatte. Immer und immer wieder...

Ein leichter Druck auf ihrer Schulter erinnerte sie daran, niederzuknien. Gehorsam sank sie an Lucius’ Seite zu Boden und drückte Draco ein letztes Mal an ihre Brust. Da sie wusste, dass sie nicht in der Lage sein würde, ihren Sohn an dieses Ungeheuer zu geben, legte sie ihn ihrem Ehemann in die Arme und hoffte von ganzem Herzen, dass dieser mit seinen Worten Recht behalten würde.

Und hoffte, dass es bald vorüber war...

Kein Zittern der Hände, kein nervöses Flackern der Augen, kein heftiger Atemzug verriet Lucius, als er die Arme hob und seinen Erstgeborenen dem Dunklen Lord entgegenhielt. Narcissa sah wie die langen spinnenartigen Finger sich um den winzigen Körper des Babys schlossen und es mit sich fort nahmen.

“Nun sag’ mir, Lucius, wen hast du zum Paten deines Sohnes bestimmt?“

“Mein Lord, als euer treuester Diener würde ich Euch darum bitten, dass Ihr mir diese Ehre erweist...“
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