Team: Weiß (Titanic)
Fandom: The Umbrella Academy
Charaktere/Pairings: Eudora, Diego, Klaus
Wörter: ~2000
Prompt: Romantik/Intimität: Signifikante Größenunterschiede
Inhalt: Eudora will reden, Diego bräuchte jahrelange Therapie und Klaus will mitspielen.
Warnungen: Kitsch und Umarmungen und so.
Direkte Fortsetzung von
HIER.
Es gibt gar keine Worte dafür wie falsch es sich für sie anfühlt vor dem Blaulicht und den Sirenen wegzurennen, anstatt ihnen entgegen zu kommen. Eudora wird irgendwann später darüber nachdenken, wie es passieren konnte, dass sie so auf die schiefe Bahn geraten ist.
Diego.
Das ist alles Diegos Schuld.
Oder die von seinem Bruder. Sie hat sich da noch nicht entschieden.
Nachdem sie bei ihr angekommen sind, verfrachtet Diego Klaus in ihr Badezimmer, und danach steht er fünf Minuten mit geballten Fäusten und geschlossenen Augen vor der Tür und hört dem Rauschen der Dusche zu.
Eudora beschäftigt sich damit Waffeln aufzutauen und so zu tun, als bekäme sie nicht mit, dass er innerlich einen halben Nervenzusammenbruch abarbeitet.
So haben sie das früher auch schon gemacht.
Und vielleicht ist das auch ein Grund, wieso ihre Beziehung nicht funktioniert hat. Man kann einfach nicht unbegrenzt nicht über Dinge reden, bis sie einem alle um die Ohren fliegen.
Als er endlich fertig ist mit hyperventilieren, telefoniert Diego und einzelne Wortfetzen dringen zu ihr durch, wenn er die Stimme hebt.
„… Rausch ausschlafen. … vorher sowieso nicht …! Klaus… ausnahmsweise ist nicht er derjenige, der betrunken irgendwo … morgen wieder da. … muss reichen! Nein, wir werden jetzt nicht… Oh, halt einfach die Klappe, Luther.“
„Alles in Ordnung bei euch?“ fragt sie, als er aufgelegt hat und zu ihr ins Wohnzimmer kommt.
„Klar, alles ist super“, erwidert Diego bissig. „Ich habe einen Bruder, der haarscharf an einer Alkoholvergiftung vorbeigeschrammt ist, einen, der gekidnappt wurde und blutend unter der Dusche steht und einen der ein selbstgerechtes Arschloch ist. Also, alles wie immer.“
Er stapft wütend hin und her und er hat die Fäuste geballt. Generell sieht er aus, als würde er gerne damit gegen eine Wand schlagen, und reißt sich nur zusammen, weil ihre Tapeten ganz neu aussehen. So langsam kann sie verstehen, wieso er in einem Dojo übernachtet.
„Ich habe einen Boxsack im Schlafzimmer hängen“, informiert sie ihn. „Du siehst nämlich aus, als würdest du gerne jemanden verprügeln.“
Er schnaubt. „Wenn du für meine Familie verantwortlich wärst, würdest du auch permanent auf irgendwas einschlagen wollen.“
Sie zupft an einer Waffel und denkt ‚sag es nicht‘, aber dann sagt sie es doch, weil das nicht darüber reden bisher so ganz und gar nicht funktioniert hat. „Bist du das denn?“ fragt sie leise.
„Was?“
„Für sie verantwortlich.“
Er bleibt stehen. Seine Antwort, als sie kommt, ist knapp und wachsam. „Ja.“
„Deine Geschwister sind erwachsen, oder? Wieso denkst du immer, dass es deine Aufgabe ist alle Welt zu retten und zu beschützen?“
Diego verschränkt die Arme und hebt die Schultern, eine abwehrende kleine Geste, als ob er dabei ist, die Zugbrücke hochzufahren und die Burg hermetisch abzuriegeln. So beendet er Gespräche am liebsten, sie weiß das noch von früher. Gott, war streiten mit ihm frustrierend. Wenn jemand das menschliche Äquivalent einer undurchdringlichen Festung sein kann, dann Diego.
Sie deutet nach oben, wo noch immer die Dusche läuft. „Was ist mit ihm?“
Diego sieht ertappt aus. „Was soll mit ihm sein?“
„Vielleicht will er gar keine Hilfe.“
„Er ist mein kleiner Bruder!“ faucht er. „Er weiß eh nicht, was gut für ihn ist. Hat er noch nie.“
Eudora hebt die Augenbrauen. „Kleiner Bruder?“ wiederholt sie. „Ihr seid doch gleichalt.“
Ein Haufen widersprüchlicher Gefühle flackert in Windeseile über Diegos Gesicht, bevor es hilflos auf seiner Standardeinstellung stehenbleibt. Finstere Herablassung.
„Das würdest du nicht verstehen.“
„Klar, ich verstehe gar nichts. Weil ich doof bin.“
„Das habe ich nicht…“
„Denkst du ernsthaft, du bist der einzige Mensch auf der ganzen Welt, der Probleme mit seiner Familie hat? Bei dem es ‚kompliziert‘ ist?“ Sie macht aufgebrachte Gänsefüßchen mit den Fingern. „Entschuldige bitte, aber nur weil wir anderen langweiligen Normalos ohne Superkräfte sind, heißt das nicht, dass unsere Beziehungen weniger komplex oder seltsam oder schwer zu erklären sind, du Arsch. Also bitte behandele mich nicht, als sei ich zu doof, um sowas zu kapieren! Das habe ich nicht verdient und das weißt du auch.“
Diego öffnet den Mund und schließt ihn gleich wieder.
„Okay“, sagt er schließlich. „Das… ist fair.“
Überrascht von diesem leichten Sieg schweigt sie.
Schwerfällig lässt er sich auf der Couch nieder und reibt sich mit beiden Händen über das Gesicht. Mit einem Mal sieht er bodenlos erschöpft aus. „Wir waren Kinder.“
„Ich weiß.“
„Nein, ich meine … wir waren Kinder. Noch viel mehr als Superhelden waren wir einfach… Kinder.“
Das ist ein tragischer Satz, egal von welcher Seite man ihn betrachtet, und Eudora spürt wie ihr gerechter Zorn langsam aus ihr hinausblutet und nichts als stummes Mitleid zurücklässt.
Wortlos schiebt sie ihm den Teller Waffeln hin und wartet.
„Es war nicht willkürlich, weißt du? Er gab uns die Nummern basierend darauf wie er unsere Fähigkeiten einschätzte. Wie nützlich und wie relevant wir für ihn waren.“
Sie nickt und beißt die Lippen zusammen.
„Aber so haben wir sie nicht benutzt. Man kann nicht… Kinder können nicht aufwachsen und sich ewig lang als die Nummer zwei fühlen. Oder als die Nummer sechs. Nicht ohne, dass es einen auffrisst.“
Sie versteht.
Oh, sie versteht voll und ganz. Und ihr Herz bricht für ihn, der kleine Junge, der er war, mit der ewigen Nummer zwei auf dem Rücken, wie ein Fluch.
„Und wenn man sich nicht als der Zweitwichtigste fühlen kann, dann eben als der Zweitälteste. An unserem Geburtstag haben wir sogar die Geschenke in dieser Reihenfolge aufgemacht. Luther immer zuerst. Vanya zuletzt. Es war einfach… ein Ding.“ Er verzieht den Mund zu einem spöttischen kleinen Lächeln. „Ewig lange habe ich auf die falsche Seite gestarrt. Nach oben. Zu Luther. Ewig lange war ich besessen damit, ihn von seinem hohen Ross runterzuholen. Bis mir irgendwann klar wurde, dass die andere Seite… dass das die Wichtigere ist. Allison. Klaus. Fünf. Ben. Vanya.“
Er fährt sich mit der Zunge über die Lippen, den Blick konzentriert auf den Boden gerichtet, als kann er dieses Gespräch nur führen, wenn er sie nicht ansieht. „Irgendwann ist alles entgleist. Fünf ist abgehauen. Ben ist gestorben. Und Vanya hat ihr grässliches Buch geschrieben. Wir waren plötzlich nur noch zu viert. Und erst da… erst da wurde mir klar, wie sehr ich versagt hatte. Sie waren alle …“ Seine Stimme wird heiser und er bricht ab.
Sie waren alle kleiner als ich. Meine Verantwortung.
Sie fragt sich, ob das nicht die Wurzel von seinem epischen Beschützerkomplex ist. Ob das der Grund ist, wieso er als einziger seiner Geschwister immer weiter gemacht hat mit der Partisanennummer, der Rächer, der die Nacht durchflattert, Beschützer von Witwen und Waisen. Und sie fragt sich, ob Diego das überhaupt selbst weiß.
Wie viel Jahre Therapie bräuchte man, um das aufzuarbeiten?
„Aber Klaus ist besonders für dich“, sagt sie leise. Es ist nur geraten, reine Intuition, aber noch während sie es ausspricht, weiß sie, dass es die Wahrheit ist. Sie hat gesehen, wie Diego eben sein Gesicht in die Hände genommen hat. Sie hat gesehen wie er vor der Badezimmertür gestanden hat, mit geballten Fäusten und zitternden Schultern.
Diego streitet es nicht ab. Er sieht gequält aus. „Luther ist mehr P-Panzerwagen als Mensch, den killt so schnell nichts. Und Allison kann jeden nach ihrem Willen beeinflussen, sie ist 100% beängstigend. Fünf ist inzwischen ein Auftragskiller. Frag nicht. Aber Klaus…“ Er machte eine wortlose Geste in Richtung Badezimmer. „Ich hätte besser aufpassen müssen.“
Ihre Wohnzimmeruhr tickt schmerzhaft laut durch die entstehende Stille.
„Du hast nicht gemerkt, dass er weg ist“, vervollständigt sie leise, als er immer noch nichts sagt.
Er schüttelt den Kopf.
„Nun… ihr wart offensichtlich sehr eingespannt und auch wenn ich nur die Hälfte von dem verstehe, was hier vor sich geht…“
Er murmelt etwas.
„Was?“
Er hebt den Kopf. „Ich dachte, dass er sich irgendwo Stoff besorgt und eine Party gecrasht hat und anschließend irgendwo seinen Rausch ausschläft. Ich hätte tagelang nicht nach ihm gesucht. Sie hätten ihn umbringen können und ich hätte es nicht einmal gemerkt.“ Es klingt schmerzhaft, so als würden ihm die Worte mit Gewalt aus der Kehle gezerrt. Es klingt, als ob er erstickt.
„In Anbetracht seiner Geschichte, finde ich das mehr als verständlich.“
„Ich bin ein grässlicher Bruder“, flüstert er.
„Spielen wir grade eine Runde ‚Wer ist der schlimmste Bruder?‘ und kann ich noch einsteigen?“ sagte eine Stimme hinter ihnen.
Diego fährt herum.
Sogar Eudora, die sonst immer sehr wachsam ist, zuckt zusammen, so unerwartet ist Klaus in der Tür aufgetaucht.
Er lehnt am Türrahmen, ungewohnt scheu. Er trägt eine rosa Jogginghose, so niedrig auf der Hüfte sitzend, dass sie beinah passt, und ein wirklich enges, weißes T-Shirt. Beides ist aus Eudoras Schrank geklaut. Seine Haare sind noch feucht von der Dusche, dunkle Locken kringeln sich in seiner Stirn, und sein nacktes, abgeschminktes Gesicht sieht sehr jung und sehr verletzlich aus.
„Du wirst doch nicht einfach so ohne mich anfangen, oder? Denn dieses Spiel gewinne ich“, fährt Klaus fort, bevor Diego etwas sagen kann. „Direkt zum Einstieg könnte ich damit punkten, wie ich mit sechzehn deinen Laptop verscherbelt habe, um an Geld für Stoff zu kommen. Und habe ich erwähnt, dass ich Fünf neulich eine reingehauen habe? Er ist dreizehn, und er ist echt klein für sein Alter. Und vergessen wir nicht die Tatsache, dass ich Ben in einer Tour reinreibe, dass er tot ist. … Ja, ich weiß, dass das keine meiner Sternenstunden war, du musst es nicht wiederholen!“
Er steht immer noch in der Tür, und auch als er mit der Luft zu seiner Linken redet, ist sein Blick doch ununterbrochen auf Diego gerichtet. Suchend. Fragend. Unendlich verletzlich.
Er hat den gleichen Gesichtsausdruck, den sie schon im Revier an ihm gesehen hat, als seine Augen sich auf dem Gesicht seines Bruders festgesaugt haben, diese Mischung aus zärtlicher Ehrfurcht und ungläubiger Hoffnung. Diego, Diego, Diego.
Er wartet.
Er sieht aus, als hielte Diego sein Herz in den Händen. Und er wartet darauf, dass es zerquetscht wird, weil es das ist, was immer passiert.
Sei kein Idiot, denkt Eudora. Sei kein Idiot, Diego. Ein Gedanke, den sie schon sehr oft in seiner Gegenwart hatte. Ihr ist klar, dass Diego seinen Bruder mit einer einzigen, unbedachten Antwort am Boden zermalmen kann. Und das er vor lauter Selbstgeißelung vermutlich kurz davor steht genau das zu tun.
Aber vielleicht … vielleicht hat sie unterschätzt wie ausgeprägt seine Instinkte als großer Bruder sind. Es dauert eine halbe Ewigkeit bis Diego schließlich antwortet. „Dass du Fünf eine reingehauen hast, war ein Dienst an der Allgemeinheit.“
Klaus schnaubt. Seine Schultern sinken ein wenig nach unten. „Ja, vermutlich.“
„Können wir uns darauf einigen, dass du dich vorerst nicht mehr kidnappen lässt?“
„Oh ja bitte. Wo muss ich unterschreiben? Sie waren nicht nett und nicht mal besonders unterhaltsam.“
Diego seufzt. „Und tu mir den Gefallen und melde dich das nächste Mal ab, bevor du tagelang verschwindest. Ich habe keine Lust dann auf gut Glück Motels zu durchsuchen und Leuten den Schädel einzuschlagen.“
„Okay.“ Langsam kommt Klaus auf die Couch zu und lässt sich darauf nieder. Nur die vorsichtige Art, mit der er sich bewegt, verrät noch die Spuren von letzter Nacht.
Einen Moment lang sitzen sie sich gegenüber wie zwei besonders schweigsame Marmorstatuen und gucken aneinander vorbei, bevor Klaus endlich tief ausatmet.
„Was muss man hier eigentlich noch anstellen, bis man eine Umarmung kriegt?“ fragt er und streckt die Hand aus. Mit den Fingerspitzen zupft er an Diegos Pullover. Als sei das ein geheimes Zeichen zwischen ihnen, legt Diego eine Hand in seinen Nacken und zieht ihn zu sich.
„Du Idiot“, sagt er belegt.
„Ich finde, ich habe mich gut geschlagen, in Anbetracht der Tatsache, dass meine Fähigkeiten Null Komma Null effektiven Nahkampfwert haben“, erwidert Klaus. Sein Gesicht ist in Diegos Pullover vergraben und seine Stimme klingt undeutlich.
Diego gibt ein gedämpftes Lachen von sich.
Und möglicherweise haben sie jetzt nicht über ALLE Probleme geredet, die sich in den letzten dreißig Jahren angehäuft haben, aber Eudora findet, es ist doch wenigstens ein Anfang.