Wetteifer

Mar 07, 2011 23:10

Boerne ist eifersüchtig auf Thiel. Echte Freunde spannen einander nicht die Herzensdame aus ...

Genre: Humor
Rating: PG
Wörter: 8.624 (Oneshot)
Warnungen: Bisschen slashig und so.

Disclaimer: Bin bloß ein verrückter Fan, mir gehört nichts davon.
Inspiration: tatort_community Kink Meme #2: Boerne ist eifersüchtig und will Thiel zeigen, dass er die bessere Wahl ist als ... Thiel.
Beta und Danksagung: Aller Dank geht an die liebe nipfel , ohne deren freundliche und überaus geduldige Unterstützung dieses Geschichtchen niemals seinen Weg ins Netz gefunden hätte. Vielen Dank fürs Betalesen, für die hilfreichen Kommentare und besonders die aufmunternden Worte! ♥
Feedback: Immer gerne, es motiviert und hilft beim Verbessern. :)


Wetteifer

Noch nie hatte Boerne sich so über einen Wolkenbruch gefreut wie an diesem Morgen. Es hatte die ganze Nacht über geschüttet und als er nun zum regenbesprenkelten Küchenfenster herausschaute, fiel ihm der kleine See auf, der sich auf dem Asphalt vor seinem Wohnhaus gesammelt hatte. Das Ende der Straße war nicht zu sehen, es verschwand hinter einem Regenvorhang. Sicherlich war das einer der Tage, an dem die meisten Leute sich wünschten, es wäre Sonntag: man müsste nicht aus dem Haus und zur Arbeit oder in den Supermarkt und könnte es sich stattdessen mit einer Tasse Tee vor dem Fernseher gemütlich machen. Boerne war wohl der einzige Mensch, den es freute, dass heute nicht Sonntag, sondern Montag war.

Er zog seinen schwarzen Mantel über und griff nach Hut und Regenschirm. Mit grimmiger Befriedigung verließ er seine Wohnung. Während er die Treppe zum Ausgang hinuntereilte, hörte er hinter sich das vertraute Quietschen der ungeölten Nachbarstür.
„Morgen, Boerne.“

Er sah sich nicht um.

„Boerne? Äh … Boerne! Jetzt warten Sie doch mal!“

Die quietschende Tür fiel ins Schloss, dann hörte er Schritte hinter sich. Thiel folgte ihm hastig die Treppe hinab, einen Arm halb in der Jacke hängend, in der Hand den Wohnungsschlüssel. „Sagen Sie“, begann er atemlos, „können Sie mich vielleicht mitnehmen? Bei dem Mistwetter bin ich ja durchgeweicht, bis ich auf dem Präsidium bin.“

Boerne öffnete die Haustür. Draußen rauschte der Regen vom Himmel herab und saugte alle übrigen Geräusche aus der Umgebung. Der schwarze Porsche parkte genau vor dem Haus. Boerne spannte den Regenschirm auf, dann wandte er sich zu Thiel um und lächelte breit, wobei er sich nicht die geringste Mühe gab, seine Gehässigkeit zu verbergen. Ein Schritt reichte, schon stand er auf der anderen Seite der Haustür und zog sie schwungvoll zu. Sie fiel ins Schloss mit einer Wucht, die das ganze Haus zum Erzittern brachte. Das Letzte, was er sah, war Thiels verdattertes Gesicht: er stand am Fuß der Treppe und starrte ihn mit offenem Mund hinterher.

Das geschah ihm recht!

Boerne klammerte sich an seinem Schirm fest und hastete strammen Schrittes zu seinem Auto. Im Inneren des Wagens fühlte er sich sicher, es war trocken und der Geruch nach Leder empfing ihn wie einen alten Freund. Von außen trommelte der Regen auf die Karosserie. Mit einem Lächeln schaltete Boerne die Sitzheizung an und versuchte, sich vorzustellen, wie man bei diesem Wetter Fahrrad fuhr: nass, kalt und nur langsam wegen des Flüssigkeitsfilms auf der Straße.

Thiel geschah es recht. Wenn man sich mit Karl-Friedrich Boerne anlegte, musste man damit rechnen, stets den Kürzeren zu ziehen. Vorbei war’s mit der Herzlichkeit. Boerne hatte Thiel immer als einen Freund betrachtet, aber echte Freunde spannten einander nicht die Herzensdame aus. Denn genau das hatte Thiel getan. Auch wenn er natürlich keine Ahnung hatte, dass Boerne darüber genauestens im Bilde war.

Für wie dumm hielt Thiel ihn eigentlich? Dachte er, er hätte seine heimliche Liaison vor Boerne verbergen können? Dieses Haus gehörte ihm. Karl-Friedrich Boerne und Frank Thiel und Anna Fiedler wohnten unter demselben Dach - und er, Boerne, bekam alles mit, was in seinem Haus passierte. Alles. Wenn Frank Thiel und Anna Fiedler sich abends hinter seinem Rücken zum Nudelkochen trafen, dann bekam er auch das mit.

Und er gehörte nicht zu den Menschen, die leicht verziehen.

****

Gegen Abend hatte es sich ausgeregnet und der Himmel klarte auf. Nachdem Boerne seinen Wagen vor dem Haus geparkt und ihn abgeschlossen hatte, warf er einen kurzen Blick zu Thiels Wohnung hinauf. In seiner Küche brannte Licht. Boerne betrat das Wohnhaus, lud seinen Regenschirm und den Mantel in seiner eigenen Wohnung ab und kontrollierte noch einmal sein Auftreten im Spiegel, bevor er den Flur durchquerte und an der Nachbarstür klingelte.

Thiel öffnete sofort. Kaum hatte er Boerne gesehen, da wurde sein Mund auch schon schmal und eine steile Falte bildete sich auf seiner Stirn. „Was wollen Sie’n hier?“

„Zuerst mal reinkommen“, sagte Boerne.

„Vergessen Sie’s.“ Thiel wollte die Tür wieder zuschlagen, aber Boerne war schneller und stemmte sich ihm mit seinem ganzen Gewicht entgegen. Das Überraschungsmoment wirkte. Thiel war so verblüfft, dass er einen halben Schritt zurückwich, so dass Boerne sich an ihm vorbei durch die offene Tür schieben konnte. „So einfach geht das nicht“, erklärte er bestimmt. „Sie werden sich jetzt genau anhören, was ich Ihnen zu sagen habe.“

Thiel schaute ihn an, als sei er des Wahnsinns. „Ich - Ihnen zuhören? Von Ihnen will ich überhaupt nichts mehr hören! Ich bin heute Morgen klatschnass im Präsidium angekommen!“

„Was Sie auch verdient hatten“, erwiderte Boerne.

„Sie sind ein richtiger Dreckskerl, Boerne! Sie konnten sich ja den ganzen Weg über in Ihrem schnieken Luxusschlitten den Hintern wärmen! Raus hier, aber sofort!“ Er deutete auf die offene Wohnungstür.

„Kommt nicht in die Tüte“, antwortete Boerne und wich ihm aus. Er tat ein paar Schritte tiefer ins Wohnzimmer, um klarzustellen, dass er nicht die Absicht hatte, sich so einfach vor die Tür setzen zu lassen. „Erstens erwarte ich von Ihnen eine Entschuldigung und zweitens müssen Sie versprechen, dass Sie Ihre Finger von Frau Fiedler lassen.“

„Bitte was?“ Thiel runzelte die Stirn. „Was hat die jetzt damit zu tun?“

„Hören Sie auf, den Unwissenden zu spielen!“ Boerne presste die Zähne aufeinander und zwang sich zur Ruhe. „Sie wissen genau, wovon ich spreche. Sie haben sich gestern Abend mit ihr getroffen.“

Mit einem genervten Seufzen versetzte Thiel der Wohnungstür einen Stoß, so dass sie zufiel. Anscheinend hatte er erkannt, wie sinnlos es war, dem Gespräch aus dem Weg gehen zu wollen. „Ist es jetzt verboten, sich in diesem Haus mit Frauen zu treffen? Das muss ich in Ihrem Mietvertrag wohl überlesen haben.“

„Frau Fiedler war gestern mit mir verabredet, Thiel. Mit mir! Das wussten Sie!“

Unbekümmert zuckte Thiel mit den Schultern.

„Doch, das wussten Sie“, wiederholte Boerne und machte einen Schritt auf ihn zu. „Am Freitag, als ich Sie so großzügig mit dem Wagen vom Präsidium abgeholt habe, da haben wir einen kleinen Zwischenstopp am Stadttheater eingelegt. Behaupten Sie nicht, Sie hätten das vergessen! Sie haben gesehen, wie ich die Karten abgeholt habe und ich habe Ihnen ausführlich von meinen Absichten erzählt, was Frau Fiedler anbelangt. Ich habe Ihnen alles erzählt!“ Er holte tief Luft, um seine Verärgerung unter Kontrolle zu bekommen. „Wann haben Sie sie gefragt, Thiel, hm? Am Freitag? Am gleichen Abend noch, damit Sie sicher gehen konnten, mir zuvorzukommen?“

„Ich kann zum Abendessen einladen, wen ich möchte“, entgegnete Thiel ungehalten. „Was kann ich dafür, wenn sie lieber bei mir vorbeischaut, als sich mit Ihnen irgendwelches Klaviergedudel im Stadttheater anzutun?“

„Sie weiß eben, was anständig ist. Sie haben sie als Erster gefragt - natürlich lehnt sie dann mein Angebot ab!“

„Ah ja, und? Fragen Sie sich mal selbst nach den Gründen.“

„Das haben Sie mit Absicht gemacht!“ Boerne war ihm mittlerweile so nahe, dass sie sich Auge in Auge gegenüberstanden und er piekste Thiel mit dem Zeigefinger in die Schulter, während er fortfuhr: „Sie! - Sie haben doch gar kein wirkliches Interesse an ihr - Sie wollten mir bloß ein Schnippchen schlagen, weil Sie eifersüchtig sind, Sie billige Imitation von einem Hosentaschencasanova!“

„He, he!“ Thiel machte einen Schritt zurück und wich Boernes Zeigefinger aus. „Jetzt werden Sie mal nicht handgreiflich, ja?“

„Ich hatte den ganzen Abend geplant. Und Sie wussten das genau!“ Boerne erinnerte sich an ihre Heimfahrt, an die eigenartig vertraute Stimmung, die zwischen ihnen geherrscht hatte. In einem Anflug von freundschaftlicher Verbundenheit hatte er Thiel erzählt, dass er sich mit Frau Fiedler verabreden wollte - hatte freimütig von Chopin und einem gemeinsamen Abendessen geplaudert. Wie hätte er auch ahnen können, dass Thiel dieses Wissen für sich nutzen würde? Vermutlich hatte er im Stillen sogar in sich hineingelacht und sich köstlich amüsiert, während er Boerne scheinbar so aufmerksam zugehört hatte.

Thiel seufzte. „Boerne, jetzt hören Sie schon auf. Sie benehmen sich ja wie der eifersüchtige Ehemann.“

„Ah ja? Wenn ich der eifersüchtige Ehemann bin, wer sind dann Sie? Der schneidige Liebhaber?“

„Was regen Sie sich überhaupt so auf? Wollten Sie die Frau heiraten, oder was? Sie kennen sie doch erst seit einer Woche.“

„Heiraten? Was reden Sie für einen ausgemachten Unsinn? Wir wollten uns Chopin anhören“, sagte Boerne würdevoll.

„Na und, das können Sie immer noch. Morgen, übermorgen, nächste Woche …“ Thiel hob die Schultern. „Ich hab bloß mit ihr Nudeln gegessen, Mann. Das ist doch kein Ding.“

„Nudeln gegessen! Dass sie sich darauf eingelassen hat!“ Boerne ließ von ihm ab und sah sich im Wohnzimmer um, auf der Suche nach Spuren, die ihm Hinweise auf den Verlauf des gestrigen Abends geben konnten. Aber Thiel schien aufgeräumt zu haben. Alles war an seinem Platz. Verärgert ließ Boerne seinen Blick über den übersichtlichen Couchtisch schweifen. „Wie man sich in Ihrer Wohnung mehr als fünf Minuten freiwillig aufhalten kann, ist mir ohnehin ein Rätsel.“

„Bitte, dann gehen Sie eben“, sagte Thiel und deutete zur Tür. „Ihre fünf Minuten sind gleich um.“

„Eins muss man klarstellen.“ Boerne wandte sich wieder zu ihm um. „Frau Fiedler ist eine vollendete Dame, Thiel - nur deswegen hat sie Ihre Einladung nicht abgelehnt. Bilden Sie sich also nichts auf diesen Abend ein. Jeder weiß, dass sie, vor die Wahl gestellt, mich bevorzugen würde.“

„Ah ja? Wie kommen Sie darauf?“

„Das versteht sich doch wohl von selbst. Was können Sie einer Dame schon bieten?“

Thiel verdrehte die Augen. „Wenn Sie’s unbedingt wissen wollen, wir haben Eierspätzle gegessen. Und uns anschließend sehr nett unterhalten. Hat ihr bestimmt besser gefallen, als es Ihr langweiliger Klavierabend könnte.“

„Eierspätzle“, wiederholte Boerne abfällig. „Wieso nicht gleich Dosenfleisch oder Pommes aus der Tüte?“

Sein Tonfall schien Thiel nicht sonderlich zu beeindrucken - er lächelte bloß. „Manche Frauen mögen es eben, wenn man sie bekocht.“

„Bei dem, was Sie so an Essen fabrizieren, kann ich mir das kaum vorstellen.“

„Im Gegensatz zu Ihnen kann ich wenigstens kochen. Sie, Sie können Frauen ja nur ins nächstbeste Restaurant abschleppen und dort zuquasseln.“

„Zumindest ist das, was man dort serviert bekommt, in der Regel essbar!“

Aber Thiel schüttelte bloß nachsichtig den Kopf. „Viel Geld kann jeder haben, Boerne. Das allein bringt’s nicht.“

„Was soll das heißen?“

„Das soll heißen, dass Sie außer Ihrem dicken Geldbeutel nicht viel vorzuweisen haben.“

„Das ist ja lachhaft!“

„Ich würd auch nicht mit jemandem ausgehen, der auf Fünf-Sterne-Köche und auf Schopäng angewiesen ist. Sie spulen immer das gleiche Standardprogramm ab. Was wirklich Eigenständiges kriegen Sie gar nicht hin.“

„Meinen Sie?“

„Ja, meine ich.“

Boerne verzog den Mund zu einem selbstsicheren Lächeln. „Das werden wir ja sehen! Kaufen Sie sich schon mal eine Packung Bandagen, mit denen Sie Ihren blutigen Kopf verarzten können. Gegen mich können Sie nur verlieren.“ Damit schritt er an Thiel vorbei und zog die Tür auf.

Für ihn war die Sache klar. Er schlug Thiel in allen Disziplinen. Eierspätzle konnte er zur Not auch kochen - und nicht nur das, er beherrschte noch viel mehr Gerichte, von denen Thiel mit Sicherheit die Hälfte nicht einmal mit Namen kannte. Von wegen Standardprogramm! Er war vielseitiger, variabler und versierter, als Thiel es auch nur im Traum sein könnte. Dieser Abend hätte ihm gehören sollen!

Er würde ihnen schon beweisen, dass er nicht alles mit sich machen ließ, ihnen beiden: Thiel und Frau Fiedler. Aber ganz besonders Thiel.

****

Boerne wischte seine salatsoßebeklecksten Finger am Küchenhandtuch ab und sah auf die Uhr. Noch zehn Minuten Backzeit. In Gedanken war er allerdings weniger bei seinem Strudelblätter-Auflauf, sondern mehr bei dem alten Mann, den er heute Mittag seziert hatte. Die vielfältigen Einstiche an seinem Körper ließen ihn nicht los, irgendetwas war seltsam an der Anordnung der Wunden. Es schien fast, als hätte der Täter zwei unterschiedliche Messer benutzt. Aber die Tatwaffe hatten sie bereits gefunden und sie passte auch zu allen vier Einstichkanälen. Überhaupt, hätte es nicht gereicht, nur einmal zuzustechen? Warum musste man denn immer so ein unappetitliches Blutbad anrichten?
Draußen tanzte das Licht eines Scheinwerfers über die Straße. Es war schwach und kaum sichtbar. Boerne lehnte sich vor, um einen Blick aus dem Küchenfenster werfen zu können: nein, kein Zweifel, das war ein Fahrrad. Thiel war nach Hause gekommen.

Hastig warf Boerne die Tomaten in die Salatschüssel und hängte das Handtuch zurück, dann schlich er zu seiner Wohnungstür. Ohne zu atmen presste er sein Ohr gegen das Holz. Er hörte, wie die Haustür zufiel, jemand schlurfte die Treppen hinauf. Schritte. Boerne zählte in Gedanken die Stufen: achtzehn Stück waren es in den ersten Stock bis zu ihren Wohnungen. … Sechzehn, siebzehn, achtzehn … Pause … neunzehn, zwanzig …

Er riss die Tür auf. „Thiel!“

Thiel erstarrte auf der Treppe zum zweiten Stock. „Äh … n’Abend, Boerne …“

„Wo wollen Sie hin?“, fragte Boerne streng. „Ihre Wohnung ist dort, wenn ich mich nicht irre!“ Er deutete auf die Tür ihm gegenüber.

Thiel beantwortete die Frage nicht und das musste er auch gar nicht. Schließlich kannte Boerne die Namen und die Stockwerke aller seiner Mieter. Frau Fiedler wohnte ganz oben unterm Dach. Aber diesmal hatte Boerne Thiels Pläne durchkreuzt und er würde dafür sorgen, dass sich an diesem Abend kein heimliches Tête-à-tête hinter seinem Rücken ergeben würde. Er würde Thiel im Auge behalten, wenn es sein musste die ganze Nacht. „Wollen Sie nicht reinkommen?“ fragte er.

„Was?“ Thiel starrte ihn verstört an. Verspätet bemerkte Boerne, dass er nicht das beste Bild abgab, wie er hier in der Tür lehnte: in Hemdsärmeln und vermutlich nach Petersilie oder Zimt riechend. Sei’s drum. Er machte eine auffordernde Geste in seine Wohnung hinein.

„Jetzt kommen Sie schon rein, Thiel. Oder haben Sie keinen Hunger nach dem langen Tag?“

„Doch, schon.“ Thiel sah ihn skeptisch an. „Aber ich wüsste nicht …“

„Sie können bei mir essen, dann müssen Sie nicht mehr kochen. Ist das ein Angebot?“

Für einen Moment verharrte Thiel noch auf den Treppenstufen, dann stieg er zögerlich hinab und folgte Boerne in seine Wohnung, wo er ins Esszimmer geführt wurde. „Wollen Sie mich jetzt aus Rache vergiften mit Ihrem Essen?“, fragte er stirnrunzelnd.

„Sie behaupten doch, ich könne nicht kochen.“ Boerne legte die Hand auf Thiels Schulter und drängte ihn zum Tisch herüber. „Überzeugen Sie sich selbst vom Gegenteil. Hinsetzen.“

„Ja, aber -“

„Sht! Hinsetzen!“, wiederholte Boerne und drückte ihn energisch in den nächsten Stuhl. „Ich gehe jede Wette ein, dass Ihnen nicht ein Krümelchen Kritik einfallen wird, nachdem Sie von meinem griechischen Strudelblätter-Auflauf gekostet haben. Dagegen schmeckt Ihr Eierspätzle-Gericht nach einer Handvoll trockenem Laub.“ Er wandte sich um und suchte im Schrank neben der Tür nach einem passenden Tischgedeck. Teller, Löffel, Geschirr - natürlich achtete er darauf, dass er das beste Service wählte.

Während er den Tisch deckte, beobachtete Thiel ihn mit einer Mischung aus Skepsis und Belustigung. Er sprach kein Wort und selbst als Boerne zwei schmale Silberständer mit brennenden Kerzen vor ihm abstellte, zog er bloß die Augenbrauen hoch. Boerne interpretierte seinen Gesichtsausdruck als angenehme Überraschung und ließ Thiel alleine, um nach seinem Auflauf zu sehen. Die zehn Minuten waren mittlerweile um und der Strudelteig hatte eine schön knusprig-braune Farbe angenommen. Boerne streifte ein Paar Küchenhandschuhe über, um die heiße Auflaufform aus dem Backofen zu ziehen. Auch der Salat war soweit fertig, er musste nur einmal umgerührt werden.
„Was ist das?“, fragte Thiel neugierig, als Boerne den dampfenden Auflauf vorsichtig vor ihm auf dem Tisch abstellte.
„Das ist heiß“, sagte Boerne, während er die Handschuhe abstreifte. „Moment, der Wein darf nicht fehlen.“

Thiel wartete nicht auf den Wein, sondern begann bereits damit, den Strudelteig auseinander zu nehmen und sich von der darunterliegenden Mischung aus Fleischstückchen, Käse und Kräutern auf den Teller zu laden. „Riecht gut“, sagte er anerkennend. Er probierte von dem Fleisch und ließ vor Schreck fast die Gabel fallen. „Ah, verdammt - das kocht ja noch!“

„Sag ich doch.“ Boerne reichte ihm ein volles Weinglas. „Hier. Und vergessen Sie den Salat nicht. Meine Salate sind ein einzigartiger Genuss - diesen Ruf hatte ich mir schon auf Studentenfeten eingeholt. ‚Karl-Friedrich ist für die Salatbar zuständig‘, hieß es immer, darüber gab es nie eine Diskussion.“

Nachdem Thiel seine Zunge mit dem Wein gekühlt hatte, folgte er Boernes Aufforderung nur zu gerne und nahm sich von dem Salat. Zwischendurch kostete er immer wieder von dem Auflauf, der inzwischen ein wenig abgekühlt war. „Das ist echt lecker“, meinte er. „Besonders der Käse.“ Er spießte einen der Schafkäsewürfel auf seine Gabel. „Wusste nicht, dass Sie so gut kochen können.“

„Ihnen fehlt noch immer der spezielle Blick für Menschen, Thiel“, sagte Boerne und setzte sich zu ihm an den Tisch. Aber das Lob tat dennoch gut und er musste lächeln, als er zuschaute, wie Thiel seinen Teller mit Begeisterung leerte. „Geben Sie jetzt zu, dass ich von uns beiden der bessere Koch bin?“

„Hm.“ Thiel schien darüber nachzudenken, doch dann hob er die Schultern. „Kann ich noch nicht beurteilen. Ich brauch erst noch mal Nachschlag.“ Damit griff er nach dem Löffel und füllte seinen Teller erneut.

Boerne schenkte ihm Wein nach und dann sich selbst, weil sein Glas bereits halb leer war. Es war ein heller, noch recht junger Wein, mit Bedacht ausgewählt, und auch wenn Thiel keine so feine Zunge haben mochte, so war sich Boerne sicher, dass seine Sorgfalt sich am Ende bezahlt machte. Er überlegte, ob er Thiel von seinen Gedanken und Spekulationen zu den Obduktionsergebnissen berichten sollte, während er ihm beim Essen zusah. Aber dann erinnerte er sich daran, dass sein Nachbar auf medizinische Themen übertrieben empfindlich reagierte. Boerne fand das albern, aber Thiel den Appetit zu verderben war das Letzte, was er wollte, also schwieg er lieber.

Schließlich lehnte Thiel sich mit einem zufriedenen Seufzen zurück. Boerne füllte sein Glas zum zweiten Mal nach und es gelang ihm kaum, seine Genugtuung zu verbergen. Thiels satter Gesichtsausdruck sprach Bände. Sieg auf der ganzen Linie. „Na?“

„Sehr gut“, sagte Thiel ohne zu zögern. „Von mir aus ess ich ab jetzt jeden Tag bei Ihnen.“

„Pah. Träumen Sie weiter. Ich verschwende meine Talente doch nicht an jemanden, dessen Geschmackssinne dermaßen von Currywurst und Bier geschädigt sind. Geben Sie’s jetzt zu?“

„Was?“

„Ihre Niederlage. Bei Ihnen sind Eierspätzle das Höchste der Gefühle. So etwas wie ich können Sie Frau Fiedler nicht bieten.“

Thiel antwortete nicht gleich. Er schien nachzudenken. Dann zuckte ein schwaches Lächeln über seinen Mund. „Stimmt. Kann ich wohl nicht.“

Triumphierend lächelte Boerne.

„Aber“, wandte Thiel ein, „selbst wenn Frau Fiedler von Ihren Kochkünsten wüsste, würde sie trotzdem mich und meine Eierspätzle vorziehen.“

„Bitte?“ Eine solche Antwort hatte Boerne als Letztes erwartet. „Und wie kommen Sie zu der irrigen Annahme? Welcher Mensch isst denn schon Ihre armselige Hausmannskost, wenn er mit meinem Auflauf einen lukullischen Genuss vom allerfeinsten haben kann?“

„Das sagt doch gar nichts“, meinte Thiel. „Zu einem netten Abend gehört mehr als ein gutes Essen. Kochen können Sie, meinetwegen, aber Sie sind niemand, der unterhält, mit dem man Spaß haben kann oder der zum Lachen bringt.“ Er überlegte. „Na ja, abgesehen davon, wenn Sie sich mal wieder so lächerlich machen, dass man über Sie lacht. Aber das meinte ich nicht.“

„Das sagen ausgerechnet Sie? Was wollen Sie mir denn von Spaß und Unterhaltungen erzählen?“

„Ich dachte eigentlich, das gehört zu der angenehmen Atmosphäre dazu.“

Dazu fiel Boerne nichts ein. Es stimmte ja auch. Kein Abendessen war vollkommen ohne die höfliche Konversation, die Unterhaltung, das Amüsement. „Sie - Sie hatten doch permanent Petersilie in den Backentaschen!“, wehrte er sich. „Da konnten Sie ohnehin nicht zeitgleich reden oder - igitt! - lachen.“

„Ich hab nur die ganze Zeit gegessen, weil wir kein Gesprächsthema hatten“, stellte Thiel klar. „Das nennt man auch verlegenes Schweigen, glaube ich.“

Boerne zog die Augenbrauen zusammen. „Wenn Sie sich über mich lustig machen wollen -“

„Nein, nein“, unterbrach ihn Thiel sofort. Er verzog keine Miene, aber seine Augen leuchteten schelmisch. „Ich erklär Ihnen nur, woran’s liegt, dass Sie keinen Erfolg bei den Damen haben.“

Verärgert stand Boerne auf. Thiel wollte ihn an der Nase herumführen, doch das würde er nicht mit sich machen lassen. „Also, von Ihnen brauche ich ganz bestimmt keine Hilfe!“, antwortete er eingeschnappt.

„Schön.“ Thiel hob die Schultern. „Mir doch egal. Ich hab’s bloß mal erwähnt.“

„Wenn ich Sie so sehr langweile, können Sie ja auch gehen.“ Boerne packte Thiels Teller und sein Weinglas und zog sie ihm unter der Nase fort. „Den Weg zur Tür kennen Sie ja.“
 Thiel erhob sich ebenfalls. Boernes schlechte Laune schien ihn nicht zu berühren. „Danke für das Essen“, sagte er. „Aber mal ehrlich: dafür kann man auch in ein Restaurant gehen. Die Unterhaltung mit den Kellnern dort ist sicher genauso spannend wie mit Ihnen.“

Boerne sah ihn fassungslos an. Und dabei hatte er sich doch mit Absicht zurückgehalten und nicht von der Arbeit gesprochen, damit Thiel in Ruhe seinen Auflauf genießen konnte! Jetzt machte ihm Thiel genau diese Rücksichtnahme zum Vorwurf. „Sie sind doch gar nicht in der Lage, das zu bewerten!“, entgegnete er. „Thiel, Sie haben von galanter Konversation ungefähr so viel Ahnung wie eine Schildkröte vom Fliegen!“

„Sie aber auch, wie man sieht“, gab Thiel zurück. Er lächelte betont höflich und wandte sich der Tür zu. „Schönen Abend noch, Herr Professor. Und arbeiten Sie mal an Ihrer Kritikfähigkeit.“

Boerne hätte ihm am liebsten die Auflaufform an den Kopf geschmissen und allein der Gedanke, dass er mit einer Delle im Parkett weiterleben musste, wenn er nicht traf, hielt ihn von diesem Impuls ab.

( >>> Fortsetzung)

rating: pg, *oneshot, thiel/boerne, #fiction, kink meme, humor, slash

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