Teil
1 Teil
43 Phil ist sich ziemlich sicher, dass er Clint noch nie derartig friedlich schlafen gesehen hat.
Er ist sich außerdem sicher, dass er sich niemals von dem Anblick erholen wird, Clint Barton mit einem Kleinkind im Arm schlafen zu sehen. Das Erschreckendste an der Situation ist vermutlich, dass er Clint Barton dieses Kleinkind höchstpersönlich in die Arme gedrückt hat.
Aber Clints Reaktion auf die Feststellung, dass Phil ein Onkel ist, dass er Nichten und Neffen hat - die beinahe unausweichliche Konsequenz, wenn man mit einer jüngeren Schwester und zwei Brüdern gesegnet ist - war zu hinreißend, als dass Phil hätte widerstehen können.
Hierfür hat er Clint nach New Jersey gebracht und ihn seiner Familie vorgestellt. Genau hierfür.
Phils Nichte Joanna war von der ersten Sekunde an in Clint verliebt, hat aus großen grauen Augen zu ihm aufgestarrt, zu schüchtern, um sich ihm aufzudrängen - ganz anders als der Rest ihrer Verwandtschaft.
Sie und Clint sind unzertrennlich, Clint hat ihr und den anderen Kindern Jonglieren beigebracht, und Klettern, hat mit Argusaugen über sie gewacht und nicht einmal versucht, Bogenschießen in auch nur irgendeiner Weise in ihre Freizeitaktivitäten einzubringen. Stattdessen hat er mit ihnen Fangen und Verstecken gespielt, hat ihnen vorgelesen ... Joanna will ihn heiraten, wenn sie groß ist. Clint ist ganz offiziell der coolste Onkel in der Nachbarschaft.
Kein Wunder, denkt Phil, dass Clint auf dem Sofa eingeschlafen ist. Zwei Wochen zusammen mit seiner Familie würden vermutlich sogar Steves Energiereserven auf eine harte Probe stellen, und Clint ist kein Supersoldat. Clint ist ein ganz normaler Mensch ... Wenn man bereit ist, die allgemein gültige Definition für „normal“ ein wenig zu dehnen.
Phil seufzt, als er sich der hilflosen Wärme in seiner Mitte bewusst wird, und verlässt seinen Platz im Türrahmen. Eine Hand an seinem Ellenbogen hält ihn auf.
„Lass ihn schlafen“, erklingt die Stimme seines Vaters. „Es war ein langer Tag für ihn.“
„Ich hatte nicht vor, ihn zu wecken“, erwidert Phil leise, sieht seinen Vater über die Schulter an und begegnet einem wissenden Lächeln.
William Coulson ist ein drahtiger Mann, seine ehemals breiten Schultern leicht gebeugt durch Zeit und harte Arbeit, sein einst braunes Haar inzwischen beinahe völlig weiß. Einzig der adrett gestutzte Bart zeigt noch ein paar Spuren seiner ursprünglichen Farbe. „Natürlich hattest du das nicht.“
Phil mag sein vierzigstes Lebensjahr vor geraumer Zeit hinter sich gelassen haben, aber unter den Augen seines Vaters wird er sich vermutlich immer fühlen wie ein kleiner Junge.
Er lässt sich von William aus dem Wohnzimmer und in die Küche ziehen, setzt sich an den Tisch, und nimmt dankbar die Tasse Kaffee entgegen, die ihm gereicht wird.
„Du bist seit zwei Wochen hier“, sagt William und wirft Phil einen ernsten Blick unter buschigen grauen Brauen zu. „Deine Mutter fängt an, die Wände hoch zu gehen.“
Phil räuspert sich, starrt auf die Tasse zwischen seinen Fingern hinab und dreht sie auf der zerkratzten Tischplatte, ein Relikt aus den Tagen seiner Kindheit. „Sie behauptet, sie hätte mich gerne hier.“
William lehnt sich an die Küchenzeile, verschränkt die Arme vor der Brust. „Wir alle haben dich gerne hier, Phillip. Das bedeutet nicht, dass es uns keine Sorgen macht, wenn du ohne Ankündigung hier auftauchst - mit einem Lebensgefährten, von dem wir noch nie etwas gehört haben - und sehr viel länger bleibst, als wir es von dir gewöhnt sind. Luisa hat Verschwörungstheorien darüber aufgestellt, dass du in diese merkwürdige Angelegenheit in New York vor ein paar Monaten verwickelt warst.“
Luisa ist Phils Schwester, Joannas Mutter, und offenbar zu scharfsinnig für ihr eigenes Wohlergehen. Sein Vater hingegen ist wahrscheinlich der einzige Mensch auf Gottes weiter Erde, der eine Alieninvasion als merkwürdige Angelegenheit abtun würde.
„Ich war involviert“, gibt Phil leise zu. Die komplette Nichtreaktion seines Vaters deutet an, dass diese Information ihn nicht sonderlich überrascht. Phil mag die Einzelheiten seiner Missionen nie mit seiner Familie geteilt haben, aber sie wissen, dass er für SHIELD arbeitet - wenn auch nicht, in welcher Form und Funktion.
„Hm“, macht sein Vater schließlich. „Das erklärt so Einiges. Ich nehme an, Clint ist der rüpelhafte Agent, von dem wir über die Jahre immer mal wieder etwas gehört haben? Der mit dem unerklärlichen Hang zur Farbe Lila?“
Phil wird rot, ohne etwas dagegen unternehmen zu können. „Genau der, ja.“
„Deine Mutter hat dir schon vor Jahren dazu geraten, ihn an die Leine zu nehmen. Hast du dich wirklich erst jetzt dazu überwinden können, ihn uns vorzustellen?“
Phil schluckt trocken. „Nein. Ich habe mich tatsächlich erst vor Kurzem dazu überwinden können ihn ... an die Leine zu nehmen.“
William grinst ein wenig. „Als Belohnung dafür, dass er die Welt gerettet hat, ja?“
Phils Blick zuckt in die Höhe und er starrt seinen Vater scharf an. „Was?“
„Er war im Fernsehen, Phillip. Ich mag alt sein, aber ich bin weder blind noch senil.“
Stille hängt für einen Moment zwischen ihnen im Zimmer, dann atmet Phil tief durch. „Ich wollte euch nicht mit all dem überfahren.“
„Oh bitte.“ William macht eine wegwerfende Handbewegung. „Die Zwillinge haben uns für so ziemlich alles abgehärtet. Die Tatsache, dass du mit einer Bande Superhelden zusammenarbeitest, kommt, im Vergleich zu dem, was deine Brüder sich über die Jahre geleistet haben, nicht weiter erschreckend. Ich bin sicher, keiner deiner Schützlinge würde es sich einfallen lassen, auf den Schrank im Flur zu klettern und nichts ahnende Passanten mit Eiern zu bewerfen.“
Phil hebt eine Augenbraue. „Ich denke, du hast mir zugehört, als ich vom rüpelhaften Agenten erzählt habe.“
Sein Vater lacht auf, und Phil wird sich eines warmen Kribbelns in seinem Nacken bewusst. Als er sich umdreht, steht Clint im Türrahmen, Joanna in seinen Armen und grinst ihn verschlafen an. „Es waren keine Eier. Es waren Wasserbomben.“
„Du hast mir einen meiner besten Anzüge ruiniert“, erinnert Phil ihn streng. Clints Grinsen wird noch ein wenig breiter.
Phils Mutter taucht neben Clint auf und nimmt ihm die schlafende Joanna aus den Armen. „Ich bringe sie nach Hause. Ich nehme an, Luisa sucht sie bereits.“
Sophia Coulson ist genau so groß wie ihr Mann, hält sich mit einem ruhigen Selbstbewusstsein, das in gleichen Maßen Respekt und Zuneigung einfordert, und ihr Haar ist von einem würdevollen Silber. Sie trägt es in einem festen Dutt hoch am Hinterkopf - es sei denn, es handelt sich um einen Feiertag. Dann trägt sie es offen, lässt es in weichen Wellen über ihren Rücken fließen, nur unzureichend gebändigt von der silbernen Spange, die sie schon bei ihrer Hochzeit getragen hat.
Drei Tage lang hatte Clint schreckliche Angst vor ihr, dann hat sie ihn beiseite genommen, ihm gesagt, dass er sie Mama nennen soll, und ihn in ihre Schulter schluchzen lassen, als sich herausgestellt hat, dass ein solches Angebot ein wenig zu viel für den Lebensgefährten ihres Sohnes ist. Phil ist sich ziemlich sicher, dass Clint für sie durchs Feuer gehen würde. Seine Mutter hat einen derartigen Effekt auf ihre Mitmenschen.
„Luisa“, wendet Phil trocken ein, nachdem er sich nachdrücklich geräuspert hat, „weiß ganz genau, wo ihre Tochter ist.“
Sophia hält ihr Kinn hoch und misst ihn mit einem strengen, schrecklich liebevollen Blick. „Trotzdem wird es Zeit, dass sie ins Bett kommt.“
Clint hilft ihr, Joanna in ihren Armen zu arrangieren, und sie tätschelt seine Hand und verspricht ihm Pudding zum Nachtisch des nächsten Tages, ehe sie sich aus der Küche zurückzieht. Sophia füttert Clint, als sei es ihre Mission.
Phil kann ihr nicht wirklich einen Vorwurf daraus machen. Clint sieht viel zu oft viel zu traurig aus, wenn er nicht von den Kindern der Familie umgeben ist.
Die Angelegenheit mit Loki wiegt viel zu schwer auf seinem Herzen.
Es ist einer der Gründe, warum Phil ihren Aufenthalt im Haus seiner Eltern derartig verzögert hat. Die Stimmung in der Villa wurde zu erdrückend, zu erstickend. Er wollte Clint und sich selbst die Möglichkeit geben, auf andere Gedanken zu kommen - wenigstens ein paar Tage lang.
Aber Clint weigert sich, zu vergessen, lässt Phil jeden Abend in der Villa anrufen und nachfragen, als würde man sie nicht sofort informieren, sollte sich etwas an Lokis Zustand ändern.
Es ändert sich nichts. Loki schläft weiter, liegt im Koma seit er das Zepter deaktiviert hat und zusammengebrochen ist. Betty und Bruce gehen davon aus, dass es an einem plötzlichen Energiedefizit liegt, dass das Deaktivieren des Zepters Lokis Körper in einer Form geschwächt hat, die langfristige Regeneration verlangt.
Es ist nur eine von vielen Theorien, aber ist diejenige, die Phil bevorzugt. Wenigstens legt sie nahe, dass Loki irgendwann wieder aufwachen wird. Weder Odin noch Frigga konnten ein derartiges Versprechen machen. Der Allvater hat die Erzählung vom aufopferungsvollen Handeln seines Sohnes still aufgenommen, ohne erkenntliche Emotionen. Frigga hingegen hatte Tränen in den Augen.
Erst, als Odin Thor in seine Arme geschlossen und ihn viel länger festgehalten hat als nötig, ist Phil klar geworden, welche Angst der Göttervater davor hat, seine Söhne zu verlieren. Wie sehr ihm davor graut, die Ewigkeit ohne sie zu verbringen.
Clint, ausnahmsweise zu erschöpft und zufrieden, um sich mit unglücklichen Gedanken herumzuschlagen, gähnt und hebt die Hand vor seinen Mund, drängt sich in Phils Arme. „Wie spät ist es?“
Phil spürt den wohlwollenden Blick seines Vaters auf sich ruhen und zieht Clint enger an sich. „Hast du meine Mutter nicht gehört? Zeit fürs Bett.“
Clint näselt an seinem Hals herum. „Ja. Für eine Fünfjährige.“ Er gähnt ein weiteres Mal.
Phil blickt amüsiert auf ihn hinab. „Wohingegen du völlig fit bist.“
Clint räkelt sich wie eine zufriedene Katze. „Genau das.“
Phil streichelt ihm über den Kopf. „Dann muss ich wohl allein ins Bett gehen.“
Clint grunzt leise und schmusert sich dichter an ihn heran. „Ach na gut. Ehe du in Tränen ausbrichst.“
Phil richtet ihn sanft auf. „Ich wusste, dass ich mich auf dich verlassen kann.“
Clint nickt und lässt sich verdächtig bereitwillig aus der Küche und die Treppe hinauf manövrieren. Phil dirigiert ihn ins Gästezimmer, schließt die Tür hinter ihnen und fängt ohne Ankündigung damit an, Clint auszuziehen.
Clint macht ein entzücktes Geräusch am Grund seine Kehle, dann hängt er sich mit beiden Armen an Phil. „Er ist immer noch nicht aufgewacht.“
Er klingt entsetzlich hilflos, viel zu jung, unglaublich traurig.
Phil nimmt einen tiefen Atemzug. Ihr Leben war tatsächlich sehr viel einfacher, als Clint und er dazu in der Lage waren, Loki blind zu hassen. Aber Loki hat sich für Clint geopfert. JARVIS hat aufgezeichnet und entschlüsselt, was das Zepter zu Loki gesagt hat. Phil fühlt sich nicht länger dazu in der Lage, Loki zu hassen.
„Er ist immer noch nicht aufgewacht“, stimmt er leise zu, seine Stimme bewusst frei von jeglicher Emotion. „Soll ich anrufen?“
Clint deutet ein Kopfschütteln an, und Phil runzelt die Stirn. Clint hat bisher derartig vehement darauf bestanden, dass Phil seinen täglichen Kontrollanruf in der Villa tätigt, dass es Phil völlig aus dem Gleichgewicht bringt, ihn jetzt verneinen zu sehen.
„Sie hätten sich gemeldet, wenn sich was geändert hätte“, murmelt Clint in die etwaige Richtung von Phils Brust. Er hebt seinen Kopf, und Phil sieht ihn sich auf die Unterlippe beißen, sieht seinen Blick einen Moment lang unsicher werden, ehe er sich zu etwas zu entschließen scheint. „Phil?“
Phil legt seine Hand an Clints Wange, streicht ihm mit dem Daumen über die Schläfe. „Clint?“
Clint schließt die Augen und schmiegt sich an seine Hand. „Wann … wann fahren wir nach Hause?“
Phils Herz setzt ein paar Schläge aus, nutzt seinen Magen als Trampolin und setzt sich in seiner Luftröhre fest, als es zurück in die Höhe federt. „Du willst … nach Hause?“
Clint deutet ein Nicken an. „Ich … ich habe eine gefestigte Ahnung - ich meine ich weiß wieso wir her gefahren sind, aber … aber … ja. Ich will nach Hause.“
Phil blinzelt ihn an, und Clint fängt hastig wieder an zu sprechen. „Ich meine … ich mag deine Familie. Deine Familie ist großartig. Und ich … ich hätte nie gedacht, dass du mich ihnen tatsächlich vorstellen würdest, aber ich -“
„Du möchtest nach Hause“, unterbricht Phil ihn sanft.
Clint nickt, sein Gesichtsausdruck irgendwo zwischen verletzlich und sehnsüchtig. Dann macht er sich gerade, strafft seine Schultern. „Wir können die anderen nicht einfach sitzen lassen.“
„Wir haben sie nicht sitzen gelassen“, stellt Phil behutsam klar. Er wird keinesfalls zugeben, dass er sich mit ganz ähnlichen Vorwürfen herumplagt. Sie mussten für ein paar Tage aus der Villa raus. Sie mussten.
Aber Clint blickt ihn an, sieht ihm direkt in die Augen, und Phil hat keinerlei Abwehrmechanismen gegen diesen Blick. Schon lange nicht mehr. So sehr Clint Phils Familie auch mag - er vermisst seine eigene.
„Was hältst du von übermorgen?“ fragt Phil leise, seine Stimme sanft und beinahe schon zu liebevoll. Ein hilfloses Lächeln gleitet über seine Züge. „Dann haben wir zumindest ein bisschen Zeit, Joanna emotional vorzubereiten.“
Clint zieht prompt eine gequälte Grimasse, gefolgt von dem wohl schlimmsten, grausamsten Hundeblick, den er je erfolglos auf Phil losgelassen hat. „Können wir sie nicht mitnehmen?“
„Wir werden keinesfalls das Kind meiner Schwester entführen, Clint“, erwidert Phil mit strenger Stimme, und fürchterlich liebevollen Augenbrauen.
„Es wäre keine Entführung!“ widerspricht Clint prompt. „Ich bin sicher, sie käme gerne mit!“
„Natürlich käme sie gerne mit! Und meine Schwester wird ihr nur zu gerne folgen! Samt ihres Ehemannes und den anderen zwei Sprösslingen. Und ich liebe meine Familie, Clint, ich liebe sie wirklich, aber ehe ich zulasse, dass sie in näheren Kontakt mit Tony Stark gelangt, riskiere ich die Tränen meiner liebeskranken Nichte.“
Clint schiebt seine Unterlippe vor, als er das hört. „Tony ist nicht hier, Phil. Wir müssen keineswegs so tun, als würden wir ihn nicht mögen.“
Phil hat sich schon längst daran gewöhnt, dass sein Herz sich die merkwürdigsten Momente überhaupt aussucht, um ihn mit lächerlicher Intensität darauf aufmerksam zu machen, dass er Clint Barton liebt, aber er wird einen Teufel tun und Tony Stark als Auslöser eines solchen Moments tolerieren.
„Du machst es schon wieder“, hört er Clint murmeln, ehe er übergangslos am Saum von Phils Pullover zu ziehen beginnt.
„Was mache ich?“ erkundigt Phil sich gedämpft, während er seine Arme hebt und sich den Pullover über den Kopf ziehen lässt.
„Dich der unumstößlichen Wahrheit verweigern, dass du Tony magst“, erwidert Clint schnippisch, wirft den Pullover aufs Bett und legt seine Hände auf Phils Schultern. Phil spürt seine Wärme durch den dünnen Stoff des weißen T-Shirts, das er unter dem Pullover getragen hat.
Er ist sich vage bewusst, dass sein Gesicht einen geradezu vernarrten Ausdruck der hilflosen Zuneigung angenommen haben muss. Es kümmert ihn nicht wirklich. Er wäre nicht mit Clint zusammen, wenn er nicht wollte, dass Clint (und der Rest der Welt) weiß, was er für ihn empfindet.
„Gut, ich mag Tony“, gibt er also zu, und weil er Clint bisher ebenfalls nicht mehr als seinen Pullover ausgezogen hat, macht er sich nützlich und knöpft Clints Jeans auf.
Clint gibt einen zustimmenden Laut von sich, dann breitet sich ein unverschämtes Grinsen auf seinem Gesicht aus. „Heißt das, wir nehmen Joanna mit?“
Phil zieht ihm den Reißverschluss auf. „Das heißt nichts Dergleichen. Joanna hat sich auf den ersten Blick in dich verliebt - Tony wird ihr unweigerlich das Herz brechen.“
Clint verschränkt die Arme vor der Brust und schiebt die Hüfte nach vorn, das unverschämte Grinsen nach wie vor an Ort und Stelle. „Wird er nicht.“
„Wird er wohl“, gibt Phil geistesabwesend zurück. Clint, halbnackt und mit offenen Jeans sollte seine Gedankengänge vielleicht nicht mehr ganz so sehr aus dem Kurs bringen, aber Phil findet, dass er sich nach all den Jahren, in denen er sich verboten hat, genauer hinzusehen, ein gewisses Maß an Hilflosigkeit verdient hat.
„Wird er nicht“, wiederholt Clint stur, und seine Hände gleiten auf Phils Hüften, ziehen sie an seine eigenen heran.
Phil atmet tief durch, dann sieht er Clint fest in die Augen. „Tony Stark hat keinerlei Abwehrmechanismen gegen Unschuld, ehrliche Zuneigung und große Augen. Dementsprechend würde Joanna ihn innerhalb von zehn Sekunden um ihren kleinen Finger wickeln, er würde sie noch mehr verhätscheln als die vermaledeiten Hunde - und wie soll ein Mädchen in ihrem Alter bitte mit sowas umgehen? Wesentlich ältere Mädchen könnten und können nicht mit sowas umgehen.“
„Pepper würde schon darauf Acht geben, dass es nicht ausartet“, wendet Clint grinsend ein, während seine Hände wie von selbst auf Phils Hintern gleiten.
„Pepper, so unfehlbar sie sonst auch ist, würde nichts dergleichen tun“, widerspricht Phil betont ruhig. „Du hast doch gesehen, was mit Steve passiert ist. Sie hat ihn sehenden Auges in sein Verderben rennen lassen.“
Clint zieht die linke Augenbraue in die Höhe. „Hast du Captain America gerade mit einer verliebten Fünfjährigen oder mit einem Welpen verglichen?“
Phil zuckt mit den Schultern und weigert sich, sich festzulegen. „Du hast ihn mit Tony zusammen erlebt, oder?“
„Schon, aber ich dachte, dir sei nicht klar, wie lächerlich dein Held sich bei diesen Gelegenheiten macht.“
„Oh, es ist mir völlig klar“, erwidert Phil trocken. „Das tragische Ausmaß seiner Vernarrtheit ist mir voll und ganz bewusst.“
„Armer Phil“, sagt Clint spöttisch.
Seine Finger streichen mit mehr Nachdruck über Phils Hintern, und Phil räuspert sich leise. „Haben wir jetzt genug über Tony und Steve gesprochen?“
Clint legt den Kopf schief und zieht eine spekulierende Schnute, und Phil neigt sich vor und drückt ihm einen Kuss auf. „Denk nicht mal darüber nach, eine unverschämte Antwort zu geben, Clint Barton.“
„Aber ich habe einen Ruf zu wahren!“ behauptet Clint und reckt die Nase in die Luft. Seine Hände liegen nach wie vor auf Phils Hintern, warm und präsent und unglaublich angenehm. Phil neigt sich ein weiteres Mal vor, um ihn zu küssen.
„Dein Ruf ist bei mir völlig sicher“, wispert er gegen Clints Lippen, die Augen halb geschlossen. Clint gibt einen schnurrenden Laut von sich und drängt sich mit dem ganzen Körper an ihn heran. „Können wir jetzt endlich ins Bett gehen, Phil?“
Phil schnaubt und dreht sie herum, schlingt beide Arme fest um Clint und lässt sich fallen. Sie landen mit einem dumpfen Laut, die Bettfedern quietschen, und Clint ächzt.
„Auch wieder nicht richtig?“ erkundigt Phil sich mit betont unschuldiger Stimme, und Clint packt seine Schultern. „Ganz im Gegenteil.“
Er drückt Phil auf den Rücken und kniet sich über ihn, und für einen Moment lang verschlägt es Phil die Sprache. Clint Barton ist eine Ansammlung von Widersprüchen: kindisch und ernst, heiter und traurig, aufgeschlossen und einsam, mutig und verängstigt. Er ist außerdem einer der attraktivsten Menschen, die Phil Coulson kennt - und er kennt die Avengers. Einer davon ist ein Halbgott. Ein weiterer ist Captain America. Natasha bricht Männerherzen als seien sie aus Zuckerglas.
Man könnte meinen, dass Clints Attraktivität im Vergleich ... leiden würde. Aber das tut sie keineswegs. Phil liebt Clints widersprüchliche Gesichtszüge - die absolut unelegante Nase, die vollen Wangen, seine überraschend offenen Augen.
Just in diesem Augenblick starren sie auf ihn hinab, noch offener als sonst, verletzlich, glücklich, und voll ungezügelter Lebensfreude. „Ich liebe dich, Phil Coulson.“
Phil legt seine Hände auf Clints Oberschenkel und streichelt an ihnen auf und ab. „Ich liebe dich auch, Clint Barton.“
Der nächste Morgen kommt unerwartet früh, und Phil drückt Clint einen Kuss auf die Schläfe, ehe er sich aus dem Bett rollt und duschen geht. Die Dusche im Badezimmer ist zu klein, als dass er mit Clint gemeinsam duschen könnte - nicht, dass sie es nicht versucht hätten. Abgesehen davon betrachtet Clint den Aufenthalt in Phils Elternhaus ganz klar als Urlaub, und nichts in der Welt würde ihn dazu bringen, das Bett vor Zehn Uhr zu verlassen; nicht, seit er die Nacht ohne fremde Alpträume durchschlafen kann. Es ist nicht Zehn Uhr. Es ist noch nicht mal Sechs Uhr.
Also lässt Phil ihn schlafen, duscht und zieht sich an und geht in die Küche hinunter. Das nervöse Surren in seinem Unterbewusstsein kommt zu einem überraschten Stopp, als er seine Mutter im Morgenmantel auf der Küchenbank sitzen sieht, den Blick unfokussiert auf etwas außerhalb des Küchenfensters und der allgemein zugänglichen Daseinsebene gerichtet.
Phil bleibt in der Tür stehen und betrachtet sie einen Moment lang. Sie hält sich aufrecht, dreht eine Tasse Tee in ihren Fingern. Er hofft, dass er ihre Haltung, ihre ruhige Selbstverständlichkeit geerbt hat. Wenn es jemanden gibt, der in Würde gealtert ist, dann ist das seine Mutter.
Und wenn es jemanden gibt, der spürt, wann er beobachtet wird, dann ist das ebenfalls seine Mutter. „Guten Morgen, Phillip“, sagt sie leise, ohne ihm den Blick zuzuwenden, und er duckt leicht den Kopf und setzt sich zu ihr an den Tisch. „Guten Morgen.“
Sie dreht den Kopf vom Fenster weg, als er spricht, und beehrt ihn mit einem Lächeln, warm und mütterlich. „Was treibt dich zu dieser Stunde aus dem Bett?“
Er bildet sich ein, ein gewisses Innuendo in ihrer Stimme zu hören, und beißt sich auf die Unterlippe, unfähig ein Grinsen zu unterdrücken. Er weiß, dass sie seine Beziehung zu Clint nicht einfach nur toleriert, sondern dass sie voll und ganz hinter ihnen steht. (Und das nicht nur, weil sie mitgeholfen hat, die Hochzeitsfeier des Sohnes einer ihrer Nachbarinnen zu organisieren. Elanor Williams ist eine von Sophias besten Freundinnen, und sie hätte mitgeholfen, diese Hochzeitsfeier zu organisieren, hätte Elanors Sohn eine Leselampe heiraten wollen. Es war keine Leselampe; es war ein Navy SEAL.)
Denn seine Mutter, und darauf wird Phil bis ans Ende seiner Tage fürchterlich stolz sein, ist eine Aktivistin. Sie setzt sich für die Umwelt ein, will alles retten, was auch nur ansatzweise vom Aussterben bedroht ist - und sie setzt sich für die Gleichberechtigung von ... so ziemlich jedem ein.
Phil erinnert sich nur allzu gut an die Nacht, als er seine Mutter aus dem Gefängnis abholen musste, weil sie die Reifen eines etwas zu öffentlich homophoben Mitglieds der Gemeinschaft zerstochen hatte.
Sophia schiebt ihm ihre Teetasse zu, und er nimmt sie entgegen, hebt sie an seine Lippen und trinkt einen Schluck. „Nichts“, erwidert er schließlich. „Nichts hat mich aus dem Bett getrieben.“
Sie nickt weise. „Das hätte mich auch sehr gewundert. Clint macht einen anhänglichen Eindruck auf mich. Ihr fahrt morgen nach Hause?“
Manchmal, und Phil scheut sich keineswegs, das zuzugeben, macht seine Mutter ihm schlicht Angst. „So lautet der Plan“, sagt er langsam, starrt sie unter leicht gerunzelten Brauen an. „Hast du an der Tür gelauscht?“
Sie lächelt und holt sich ihre Teetasse zurück. „Nein. Aber der vage Ausdruck ist aus deinen Augen verschwunden.“
Sie fügt dem Nichts hinzu, und Phil begreift, dass seine Mutter das tatsächlich für eine angemessene Erklärung hält. „Der vage Ausdruck“, wiederholt er gedehnt, und sie nickt, trinkt einen Schluck Tee.
„Seit dem Augenblick, als du durch die Haustür gekommen bist, hast du unruhig gewirkt, als würdest du dich auf der Flucht befinden. Fliehen liegt dir nicht, mein Sohn. Eher stellst du dich einem Gegner entgegen, dem du beim besten Willen nicht gewachsen bist.“ Sie tätschelt seine Hand. „Du hast dich zum Gegenschlag entschieden, ja?“
Phil entlässt einen Atemzug, von dem ihm erst jetzt bewusst wird, dass er ihn angehalten hatte. „Clint will einfach nur nach Hause.“
Sophia legt leicht den Kopf schief. „Also seid ihr seinetwegen hier? Ist das hier seine Flucht?“
„Es ist keine Flucht, Mutter, ich wollte ihn einfach nur der Familie vorstellen.“
„Dann hättest du dir die Zeit genommen, uns vorzuwarnen.“
„Ich wusste nicht, dass ihr eine Vorwarnung braucht, wenn ich euch meinen -“
„Phillip, wir wussten weder, dass du vorhast, uns zu besuchen, noch dass du liiert bist. Versuch nicht, deinen Überfall als Überraschungsbesuch hinzudrehen. Abgesehen davon habe ich sehr wohl mitbekommen, dass bei euch Zuhause irgendwas vorgefallen ist, das euch ziemlich schwer im Magen liegt.“
„Das hast du mitbekommen, ja?“ wiederholt Phil trocken.
Sophia zuckt mit den Schultern und nickt. „Das habe ich mitbekommen. Aber da ich weiß, dass dein mürrischer Direktor dir Stillschweigen auferlegt, habe ich nicht gefragt. Ich wollte dich nicht in Schwierigkeiten bringen.“
Phil schnaubt amüsiert, verschränkt die Arme über der Tischplatte und vergräbt sein Gesicht darin. „Das ist sehr freundlich von dir.“
Sophia erwidert nichts, aber sie legt ihm die Hand auf den Kopf und tätschelt ihn liebevoll, lässt ihre Fingerspitzen durch sein Haar streichen. Stille breitet sich zwischen ihnen aus, vertraut und gemütlich, und Phil spürt eine gewisse Spannung aus seinen Schultern weichen.
„Bring Clint bald wieder her, ja?“ sagt seine Mutter dann leise. „Ich hab ihn gerne hier. Mit dir zusammen. Er tut dir gut.“
Phil hat das Gefühl, sein Brustkorb ist zu klein für sein Herz. Er dreht sein Gesicht zur Seite, so dass er sie ansehen kann. „Er ist was Besonderes“, vertraut er ihr an, flüstert es schon beinahe.
Sophia nickt, ein liebevolles Funkeln in den Augen. „Natürlich ist er das.“
Phil muss sich räuspern. Er richtet sich auf und hebt sein Kinn. „Ich glaube, ich lege mich noch einen Moment hin.“
Er steht vom Tisch auf, neigt sich vor und küsst seine Mutter auf die Wange. „Ich wollte dir keine Sorgen machen.“
„Phillip, du arbeitest für die Regierung“, erwidert sie faktisch. „Du arbeitest für einen äußerst unberechenbaren, viel zu oft sehr zornigen Mann. Also geh zurück ins Bett und genieß deine Zeit mit Clint, anstatt mir unnötige Entschuldigungen vorzubeten. Wir haben beide keine Zeit für sowas.“
Wie aufs Stichwort betritt William die Küche, zerzaust und verschlafen, und steuert zielsicher auf seine Frau zu. „Wieso zum Teufel bist du nicht im Bett?“ Seine müden Augen fixieren sich auf Phil. „Guten Morgen, Sohn.“
Phil tauscht einen flüchtigen Blick mit seiner Mutter, grinst, und tätschelt seinem Vater die Schulter. „Bis später.“
Das Letzte, das er sieht, ehe er die Küche verlässt, ist wie sein Vater sich neben seiner Mutter auf die Küchenbank fallen lässt, und sie mit den Fingerspitzen seinen Bart nachzeichnet, ein amüsiertes Lächeln auf den Lippen.
Clint schläft noch, als Phil sich zurück ins Bett legt, aber er rutscht ganz automatisch dichter an Phil heran, drückt sich an ihn und seufzt zufrieden.
Phil wird sich mit plötzlicher Schärfe bewusst, dass er das für immer haben will - Clint an seiner Seite, in seinem Bett, vertrauensvoll und friedlich und bei ihm.
Er hat Clint so lange gewollt, ohne jede Hoffnung das Gefühl zulassen zu können, dass er sich nie wirklich gestattet hat, an die Zukunft zu denken. Zu planen.
Zugegeben, ihr Lebensstil lässt nicht wirklich viel Raum für Pläne, aber er liebt Clint, liebt ihn mit allem, das er ist, und allem, das er hat; Clint hat sich so mühelos in seiner Familie eingefügt, als sei er in ihrer Mitte aufgewachsen - und in gewisser Hinsicht ist er das. Phil hat sich nie eingebildet, dass Clint kein Teil seines Lebens gewesen wäre. Er war immer da, war immer präsent, immer Teil einer Geschichte, die Phil Zuhause erzählen konnte.
Seine Eltern kannten Geschichten über Clint, Jahre bevor ihnen bewusst wurde, dass diese Geschichten immer vom selben rüpelhaften Agenten handelten.
„Wieso bist du schon geduscht und angezogen“, dringt Clints maulige Stimme in Phils Bewusstsein, unterbricht seine Gedanken. „Das ist keine Art und Weise, unseren letzten Urlaubstag zu begehen. Ich hatte einen Plan, Phil. Einen Plan. Ich wollte dich wachküssen, möglicherweise unter der Gürtellinie, und dann wollte ich deinen Guten-Morgen-Geruch genießen, mindestens eine Viertelstunde lang. Du hast mir praktisch den ganzen Tag ruiniert.“
„Heirate mich“, sagt Phil, ehe der Druck auf seinem Herzen und die Enge in seiner Brust ihn ohnmächtig werden lassen, oder ihm sämtliche Rippen brechen. Er ist sich bewusst, dass eine solche Frage eigentlich eine gewisse Vorbereitung braucht - Rosen und Kerzen und Romantik bei Kerzenschein, wenigstens einen Ring ... aber Clint würde schreiend wegrennen, wenn er das versuchte, und Phil will nicht, dass Clint schreiend wegrennt. Er will, dass Clint Ja sagt.
Clint starrt ihn an, unter der Bettdecke heraus, und seine blauen Augen sind zu gleichen Teilen fassungslos und misstrauisch. „Phil, ich höre Stimmen.“
Phil findet sich damit ab, dass Romantik in ihrer Beziehung niemals eine Rolle spielen wird. Er blickt ernst zurück. „Falls eine davon meine war, die dich darum gebeten hat, mich zu heiraten, dann ... hätte ich auf diese Bitte gern eine Reaktion.“
Clint blinzelt ihn an, das Misstrauen weicht, wird kurz zu Unglauben, und dann, glorreich, zu Begeisterung. „Phil“, sagt er heiser, und seine Stimme sagt Ja, seine Augen sagen Ja, und dann setzt er sich ruckartig auf, die Bettdecke fliegt beiseite, und er ist über Phil, klammert sich mit dem ganzen Körper an ihn, und Phil schlingt ganz automatisch seine Arme um ihn.
Sie verharren in dieser Haltung, etwa zwanzig Minuten lang, dann hebt Clint seinen Kopf und sieht Phil in die Augen. „Ich ... hab dir gar keine Antwort gegeben.“
Er grinst, während er es sagt, reuelos und voller Zufriedenheit, und Phil presst einen Kuss in seinen linken Mundwinkel. „Doch, hast du.“
EPILOG