Grüne Augen Kapitel 2

Dec 21, 2017 12:52


Prompt: Weihnachtsfeier

Rating: P6

Genre: Slash, Freundschaft, Fluff, Humor;

Handlung: Thiel und Boerne auf der Weihnachtsfeier im Kalinka.

Länge: ca. 3.400 Wörter

Anm: Türchen Nummer 21 im Tatort Adventskalender. Dieses Jahr gibts im Adventskalender am 25.12.17 ein Zusatztürchen, an dem Tag wird der 3. Teil der FF gepostet. Würde mich rießig über Kommentare freuen. Vielen Dank Cricri für Beta 😀

Warnungen:Keine, abgesehen von etwas kitsch ;)

Kapitel 2 - Im Kalinka

„Wow Chef, schick sehen Sie aus“, begrüßte Nadeschda ihn fröhlich.

„Finden Sie?“

„Ja, steht Ihnen gut.“

„Das finde ich allerdings auch Thiel“, mischte Boerne sich ein.

„Sind schon alle da?“

„Die Klemm und Ihr Vater fehlen noch.“

„Vaddern? Was will den der bei der internen Weihnachtsfeier der MK?“

„Begleitet die Klemm.“

Mit Boerne und Alberich arbeiteten sie ja eng zusammen, da war es selbstverständlich, dass die kamen, aber Vaddern? Musste das denn sein?

In diesem Moment öffnete sich die Tür und die Staatsanwältin trat mit Vaddern im Schlepptau herein.

„Frankie, was ist denn mit dir passiert?“

„Respekt Herr Thiel, hätte ja nicht gedacht, dass Sie auch was anderes als St. Pauli T-Shirts besitzen. Und wie ich sehe, konnte der Herr Professor Ihnen eine seiner besten Krawatten borgen. Sollten Sie öfters tragen.“ Sie drehte sich zu Boerne um. „Gut gemacht.“

Dieser wirkte jetzt etwas verlegen. „Ich habe nur ein wenig Beratungsarbeit geleistet.“



Thiel selbst war das alles mehr als unangenehm. Er mochte es nicht im Mittelpunkt zu stehen. Die Klemm hatte sofort gemerkt, dass er das nicht selbst ausgesucht und gekauft hatte. Naja, normalerweise hätte er das auch nicht. Aber warum sagte Boerne nicht die Wahrheit? War es ihm genauso unangenehm wie ihm im Moment? Nein, Boerne hatte für gewöhnlich nichts dagegen im Mittelpunkt zu stehen, im Gegenteil. Peinlich war es ihm mit Sicherheit auch nicht. Boerne kannte offenbar nicht einmal die Bedeutung des Wortes. Ihm war nichts peinlich, egal was er anstellte, er wirkte immer souverän und eloquent. Wie machte der das nur. Er selbst lief immer nur rot an und ihm war so ziemlich alles peinlich.

„Kommen Sie Thiel, wir gehen an die Bar.“

„Gute Idee.“

Sie drehten sich um und liefen in die andere Richtung. Wenigstens konnte er so dieser unangenehmen Situation entkommen. Jetzt brauchte er was Hochprozentiges. Während sie auf ihren doppelten Wodka warteten, sah sich Thiel genauer im Raum um. In der Mitte des Lokals war eine Stelle frei geräumt worden. Wohl eine Tanzfläche. An den Wänden entlang standen die Tische. Und Nadeschdas Vater hatte eine große Musikanlage aufgebaut und durchsuchte dort gerade die CDs.

An den Tischen saßen schon einige Kollegen, unter anderem die beiden Maiers. Bulle war auch gekommen. Seit er die Abteilung gewechselt hatte, hatte er ihn nur noch selten gesehen.

Nach dem sie ihren Wodka getrunken hatten, gingen sie zu einem kleinen Tisch in der Ecke. Hier war wenig Platz, deshalb würde wohl niemand auf die Idee kommen sich dazuzusetzen. Allerdings hielt die Hoffnung nicht lange an, denn Thiel sah wie Alberich, die Klemm und Vaddern auf sie zukamen. Boerne rutschte ein Stück näher zu ihm, so dass die andern auch Platz hatten. Verdammt, der Plan war schief gegangen, jetzt hatten sie nicht nur die anderen am Hals, Boerne saß ihm auch fast auf dem Schoß.

Ihre Oberschenkel lagen jetzt dicht aneinander und auf dem Tisch berührten sich ihre Arme. Boerne saß ganz entspannt da. Thiel wurde allerdings immer unruhiger. Lange würde er das nicht aushalten. Ihm wurde immer wärmer. Er spürte sein eigenes Herz schlagen und hörte nur noch ein Rauschen im Kopf. Boerne schien seine Unruhe zu bemerken, denn er legte seine Handfläche auf Thiels Bein, wahrscheinlich um ihn zu beruhigen, und nickte ihm leicht zu. Sollte wohl so was wie alles in Ordnung bedeuten. Für Thiel war aber im Moment ganz und gar nichts in Ordnung, die Hand machte alles nur noch schlimmer. Er musste hier weg.

„Ich organisier uns noch ne Runde.“ Thiel stand auf und lief zur Theke, an der Nadeschda Bier zapfte.

„Alles ok, Chef?“

„Ja, machen Sie doch noch ne Runde.“

„Klar, Sie können schon rüber, ich bring das Bier dann an den Tisch.“

„Danke.“

Zurück konnte er noch nicht. Er musste erst irgendwo tief durchatmen. Also ging er erst mal zur Toilette. Als er wieder zurück zum Tisch kam, standen die Biere bereits auf dem Tisch.

Er setzte sich wieder auf seinen Platz. Eigentlich hatte er vorgehabt etwas Abstand zu halten, allerdings war das schwerer als gedacht. Denn dann hätte er halb stehen müssen und bequem war das nicht. Jetzt reiß dich mal zusammen, sagte er in Gedanken zu sich und rutschte wieder an Boerne. Blöderweise noch näher als vorhin schon. Er wollte gerade wieder ein Stück wegrutschen, als er eine Hand an der Innenseite seines Knies spürte, die ihn festhielt. Boerne sah ihn an und lächelte. Wäre er doch nur sitzengeblieben, jetzt war alles noch schlimmer als vorher. Glücklicherweise hatte Boerne seine Hand wieder weggenommen. Warum musste Boerne ihn auch immer anfassen. Jetzt legte er seine Hand auf seinem Bein ab. Wenigstens hatte er ein neues Bier.  Plötzlich spürte er, wie Boernes Hand seine berührte und die Finger sanft in seine glitten. Zum Glück unter dem Tisch.  Thiel spürte wieder diese Wärme in sich aufsteigen. Schnell vergewisserte er sich, ob das auch keiner gesehen hatte. Aber niemand schien etwas Ungewöhnliches zu bemerken. Und eigentlich war das jetzt auch ein schönes Gefühl, ein Gefühl von Nähe, das ihn beruhigte.

Sollte das bedeuten, dass Boerne auch etwas für ihn empfand? Sonst würde er wohl kaum händchenhaltend mit ihm hier sitzen, oder? Er spürte wie der Daumen des anderen sanft seinen Handrücken auf und ab streichelte. Jetzt entspannte er sich sogar. Das musste der andere gemerkt haben, dennoch ließ er seine Hand nicht los. Zwischendurch wurde Thiel immer wieder von Boerne angelächelt. Er selbst trug zur Konversation nur wenig bei, das meiste erledigten Frau Haller und Frau Klemm. Auch Boerne äußerte sich gelegentlich, aber bei weitem nicht so häufig und ausführlich wie sonst.

„Chef, kommen Sie, wir tanzen“, rief Alberich quer über den Tisch.

„Später Alberich, okay?“

„Nein Chef, das ist mein Lieblingslied, also los jetzt.“

Boerne seufzte. „Also gut Alberich.“ Und dann, zu Thiel gewandt, halblaut: „Entschuldigung. Ich bin gleich wieder da.“

Musste das denn ausgerechnet jetzt sein?

„Ich besorge noch ein Bier, Thiel.“ Die Staatsanwältin drehte sich um und lief zur Theke.

Er selbst sah zur Tanzfläche. Boerne überstrahlte die ganze Tanzfläche. Er hatte Spaß, zumindest sah es so aus. Und er? Jetzt saß er hier ganz alleine. Und fühlte sich einsam, was ziemlicher Unsinn war zwischen all den Leuten. Er hatte sich einfach zu sehr daran gewöhnt, daß Boerne immer da war. Boerne war der einzige auf den er sich immer zu 100 Prozent verlassen konnte. Sie hatten schon vieles gemeinsam erlebt und das schweißte natürlich zusammen. Boerne würde ihn nie im Stich lassen, das wusste er. Komisch. Anfangs hatte er gedacht, der andere könne ihn nicht leiden. Und wenn er ehrlich war, hatte er Boerne damals für ein egoistisches arrogantes Arschloch gehlten. Bis er ihn näher kennengelernt hatte. Aber hinter dieser verdammt harten Schale steckte ein weicher Kern, das hatte er in den Jahren herausgefunden. Ja, Boerne konnte ein riesen Arschloch sein, aber auch genau das Gegenteil. Fast schon liebevoll. Anfangs hatte er nicht verstehen können, wie ein Mensch so widersprüchlich sein konnte. Und trotz seiner anstrengenden Art hatte der andere etwas Besonderes an sich. Was, das konnte Thiel nicht genau benennen. Er hatte eben das gewisse Etwas. Das, was ihn so faszinierte, von dem er aber nicht wusste, was es war, abgesehen von den offensichtlichen Faktoren.

Sogar von hier aus sah er Boernes Augen strahlen. Der andere sah des öfteren zu ihm herüber und lächelte ihm zu. Und er lächelte zurück. Boerne konnte ihn in wenigen Sekunden zur Weißglut bringen, aber auch genau so schnell wieder beruhigen. Meist reichte schon eine Berührung. Und dann waren da noch diese Augen. Grüne Augen…. Die waren sehr selten. Nur zwei bis vier Prozent der Weltbevölkerung hatten grüne Augen. Das hatte Boerne ihm vor langer Zeit in Zusammenhang mit einem Fall erzählt.

Egal zu welcher Uhrzeit, Boerne sah immer perfekt aus. Sogar morgens. Wie machte der andere das nur? Er selbst sah jeden Morgen wie überfahren aus. Und heute, das war etwas Besonderes. Das rote Hemd. Thiel mochte rot. Und noch mehr an Boerne, er sollte das öfter tragen. Boernes Bart hatte er anfangs gewöhnungsbedürftig gefunden, mittlerweile konnte er sich Boerne aber gar nicht mehr ohne vorstellen. Und auch die neue Brille stand ihm ausgezeichnet. Besser als die alte. Sportlicher irgendwie. Er selbst merkte zwar, das er nah auch nicht mehr so gut sah wie vor einigen Jahren, aber er war zu eitel um sich eine Brille machen zu lassen. Ging ja noch so. Außerdem fand er, das ihm nicht mal Sonnenbrillen besonders gut standen, warum sollte das das mit einer normalen anders sein. Boerne hingegen, dem stand einfach alles.

„Na Thielchen, wen himmeln Sie da so an?“

Kacke, die hatte er gar nicht kommen hören. Wie lange stand die Klemm schon da? „Was, Wie?...“ Erstmal alles abstreiten. „Wie kommen Sie denn darauf?“

„Für wie blöd halten Sie mich Thiel, ich habe schließlich Augen im Kopf. Und so wie das gerade aussah, ist der Herr Professor das Objekt Ihrer Begierde. Ich hab doch immer gewusst, dass da zwischen ihnen was läuft.“

Mist, jetzt dachte sie auch noch, dass sie zwei tatsächlich was am Laufen hatten. Offensichtlich hatte er Boerne ziemlich lange angestarrt. Abstreiten ging also nicht mehr. Er musste ihr das ausreden, bevor Boerne das mitbekam. Maier 2 stand mittlerweile ziemlich nah bei ihnen.

„Wollen wir nicht was für Ihren Nikotinspiegel tun?“ Er deutete mit dem Kopf leicht auf Maier 2.

„Ja, das ist eine sehr gute Idee, kommen Sie mit raus Thiel?“

„Ja.“

Dann lieber draußen weiterreden, als hier drinnen, wo die Wahrscheinlichkeit hoch war dass es jemand mitbekam. Vor allem wenn man mit lauter Polizisten in einem Raum war.

Die kühle Abendluft tat gut sie machte den Kopf wieder frei. „Das ist ein Missverständnis. Zwischen uns läuft nichts.“

„Thiel, das ist die schlechteste Ausrede die ich je gehört habe. Sogar unsere Kunden sind da kreativer.“

„Frau Klemm. Es ist keine Ausrede.“

Jetzt schien sie zu begreifen. Plötzlich war ihr Gesichtsausdruck nicht mehr belustigt, sondern eher interessiert.

Oh nein, das konnte er ihr jetzt doch nicht erzählen. Sein Fluchtinstinkt meldete sich.

„Das heißt er weiß nichts von seinem Glück?“

Thiel seufzte. Weg kommen würde er hier so schnell nicht mehr. Und stehen lassen konnte er sie auch nicht, schließlich war sie sowas wie seine Chefin.

„Nein“, sagte er resigniert und hörte selbst, wie traurig sich seine Stimme anhörte.

„Und warum sagen Sie es ihm nicht?“

„Muss ich Ihnen das wirklich erklären? Es würde alles kaputt machen. Boerne empfindet nichts für mich, zumindest nicht auf diese Art. Unsere Freundschaft könnte ich vergessen, ebenso wie eine vernünftige Zusammenarbeit. Und als ob das noch nicht genug wäre, ist er auch noch mein Vermieter und wohnt gegenüber.“

Am wichtigsten war ihm die Freundschaft nicht zu gefährden. Seit er nach Münster gezogen war bestand sein Leben aus Arbeit und Boerne. Heute hatte er sich schon öfters eingebildet, dass Boerne eventuell auch Gefühle für ihn haben könnte. Aber da lag auch das Problem, er hatte es sich wohl eingebildet, weil er es selbst mehr wollte als alles andere. In der Realität hatte er bei Boerne wohl nicht den Hauch einer Chance. Außerdem war er sich sicher, dass der andere nicht auf Männer stand.

Die Staatsanwältin hatte sich in der Zwischenzeit ihre zweite Zigarette angezündet. „Sind Sie sich da sicher?“

„Womit?“

„Das Sie, wenn sie es ihm sagen, alles kaputt machen?“

Thiel seufzte „Ziemlich!“

„Ist er wirklich das, was Sie wollen Thiel?“

„Ja.“ Das war das einzige bei dem er sich sicher war. Er wusste nicht wie es weiter gehen sollte und auch nicht wann es angefangen hatte und warum gleich gar nicht. Er wusste nur, dass er Boerne wollte. Boerne war genauer gesagt das einzige, was ihm wirklich wichtig war. Die Klemm schien sich ihre nächsten Worte genau zu überlegen.

„Sagen Sie es ihm.“

„Ich habe Ihnen doch gerade erklärt, warum das nicht geht.“

„Thiel, hören Sie mir jetzt gut zu, denn ich werde Ihnen das nicht noch einmal sagen.“ Sie warf ihm einen ernsten Blick zu. „Boerne ist nicht annähernd so desinteressiert wie Sie vielleicht glauben.“

Was? Wie kam die denn jetzt darauf? Oder wollte sie ihn nur verarschen? Nein, ihn vor Boerne bloßzustellen, das würde sie nicht tun. So gut kannte er sie inzwischen. Boerne aber hatte ihr das wohl kaum erzählt.

„Woher…?“ Weiter kam er nicht.

„Wie gesagt Thiel, ich bin weder dumm noch blind.“

„Ah.“

So wirklich eine Erklärung war das jetzt aber auch nicht. So ganz verstand er das nicht. Er war immer noch dabei die Information zu verarbeiten. Zum Glück waren sie rausgegangen um das zu besprechen, so konnte es wenigstens keiner mitkriegen.

„Ich kenne Boerne seit mindestens 20 Jahren, wahrscheinlich sogar noch länger. Ist Ihnen nie aufgefallen wie oft er Sie berührt, oder wie er Sie ansieht? So was merkt man doch, Thiel.“

Man vielleicht, er offensichtlich nicht. Das mit den Berührungen war ihm aufgefallen, aber er er hatte es für eine von Boernes Eigenarten gehalten.

„Sicher?“

„Ziemlich. Ich wünsche Ihnen viel Glück.“

„Danke.“ Er zog fröstelnd die Schultern hoch. „Wir sollten wieder rein. Langsam wird es kalt.“

Frau Klemm schnippte ihre mittlerweile fertig gerauchte Zigarette in den Schnee und sie gingen wieder rein auf ihre Plätze. Boerne tanzte noch mit Frau Haller.

Thiel hatte immer noch Zweifel. Sollte er auf den Instinkt der Staatsanwältin vertrauen? Sollte er wirklich alles auf eine Karte setzen? Um dann möglicherweise alles zu verlieren, was ihm etwas bedeutete? Nein, das Risiko war zu hoch. Außerdem war er nicht unbedingt gut in Liebesdingen. Frau Klemm musste ihm ansehen, über was er nachdachte, denn sie sagte: „Bin in zwei Minuten wieder da. Und unterstehen Sie sich weg zu gehen.“

Selbst wenn er es gewollt hätte, im Moment hätte er nicht die Kraft dazu gehabt. Er fühlte sich vollkommen erschlagen. Als er sich im Raum umsah, sah er Frau Klemm mit Nadeschdas Vater reden. Was hatte sie denn vor? Aber ehe ihm eine Antwort darauf einfiel, zog die Staatsanwältin ihn auf die Tanzfläche. Das war auch so eine Eigenart von Boerne, ihn immer am Handgelenk hinter sich herzuziehen.

„So, jetzt tanzen wir!“

Den Zeitpunkt sich zu wehren hatte er sowieso verpasst. Jetzt musste er da durch. Wenigstens die Musik war gut. Es lief Highway to Hell von ACDC. Thiel mochte die Band. Früher hatte er viele Platten von denen besessen. Als das Lied fast zu Ende war, drehte sich die Klemm von ihm weg zu Boerne und Frau Haller.

„Würden Sie eine Runde mit mir tanzen, Frau Haller?“

„Gerne.“

„Chef“, sagte die kleine Frau „Sie haben ja jetzt Ersatz für mich gefunden.“ Und sie zeigte auf Thiel.

Was? Tanzen? Hier und jetzt? Mit Boerne? Vor allen Kollegen? Auf keinen Fall, jeder würde ihn anstarren. Und am Montag wäre er Gesprächsthema Nummer eins.

Boerne hatte da offensichtlich weniger Bedenken als er. Er hatte schon seine Hand genommen und zog ihn zu sich rüber. Ihm wurde schlagartig warm. Der neue Titel begann. Oh nein, etwas Langsames. Das hatte die Klemm vorhin eingefädelt! Am liebsten hätte er ihr die Meinung gesagt, aber wem hätte das geholfen. Zurück konnte er jetzt auch nicht mehr. Warum hatte er auch nicht besser aufgepasst, als er Boerne angesehen hatte. Das Lied kannte er, im Moment konnte er es nur nicht zuordnen, bis der Sänger anfing zu singen. Oh nein, dabei musste er immer an Boerne denken. Revolverheld - Deine Nähe tut mir weh. Das Lied beschrieb ihn genau. Er kannte Boerne mittlerweile in und auswendig. Verstand ihn sogar ohne Worte. Auf der einen Seite waren sie sich sehr nah, aber andererseits auch wieder ganz weit weg. Boernes Nähe tat ihm weh. Das traf den Nagel auf den Kopf. Boerne hatte ihn jetzt ganz zu sich herangezogen und legte seine Arme um Thiels Hals. In seinem Bauch kribbelte es. Er hatte das Gefühl, dass ihm gleich die Knie weg knicken würden. Er brauchte etwas zum Festhalten. Das einzig greifbare war im Moment Boerne. Also legte er seine Arme auf Boernes Hüften. Jetzt standen sie in einer sanften, aber sehr engen Umarmung und wiegten langsam im Takt. Als Boerne die Arme um ihn geschlungen hatte, hatte sich sein ganzer Körper unwillkürlich angespannt, aber unter der Berührung auch genau so schnell wieder entspannt.

Thiel konnte nicht mehr. Im Moment hatte er keinen klaren Kopf mehr, alles war nur noch schemenhaft zu erkennen. Ohne nachzudenken legte er seinen Kopf seitlich auf Boernes Brust. Zum Glück war der andere größer als er. So war es perfekt. Jetzt spürte und hörte er den Herzschlag des anderen. Er war etwas schneller als gewöhnlich. Es war ein schönes Gefühl, diesen Herzschlag zu spüren. Das ließ ihn immer mehr zur Ruhe kommen. Jetzt konnte er den Tanz genießen. Das Lied war schon zur Hälfte vorbei. Hoffentlich kam noch etwas Langsames. Bei seinem Glück würde jetzt aber KISS oder so etwas in der Art kommen. Unter anderen Umständen hätte er KISS gut gefunden, aber jetzt würde er doch etwas Langsames bevorzugen. Und tatsächlich, entgegen seiner Erwartungen hatte er Glück. Das Lied war noch langsamer als das Letzte. Hallelujah. Im Original von Leonard Cohen. Es gab mittlerweile so viele Versionen des Songs, aber das Original stellte sie alle in den Schatten. Thiel schloss die Augen, er genoss die Wärme, die Boerne ausstrahlte und lehnte sich noch weiter gegen ihn, soweit das überhaupt noch möglich war. Er genoss den Duft des Aftershaves und die Nähe. Er wollte alles in sich aufsaugen, um sich später noch daran erinnern zu können. Erst als er kurz aufsah, bemerkte er, dass auch Boerne seine Augen geschlossen hatte. Das war auch besser, also tat er es ihm gleich. In dem Moment existierten nur noch sie beide. Alles um sie herum blendete Thiel aus. Für ihn zählten in dem Moment nur Boerne und er und diese Vertrautheit. Zuerst merkte er gar nicht, dass ein neues Lied lief. Diesmal Bryan Adams mit Everything I do.

Thiel ließ sich treiben. Dachte an Dinge, die sie zusammen erlebt hatten. Wie er Boerne am ersten Tag einen Zahn ausgeschlagen hatte. An Boerne wie er brannte, weil ihn dieser britsche Ex-Soldat in Brand gesetzt hatte, an den gemeinsamen Motorrad Trip durchs Münsterland, zu dem Boerne nicht ganz freiwillig mitgekommen war. Daran wie Boerne sich vor langer Zeit Butter aus seinem Kühlschrank geliehen hatte. An ihre gemeinsamen Abende, wenn sie zusammen kochten oder Musik hörten. Wie Boerne vor kurzem in der Sanus Klinik auf der Onkologie gelegen und er sich Sorgen gemacht hatte. Er dachte an die Momente, in denen er Angst um Boerne gehabt hatte. Als Boerne im Verbindungshaus niedergeschlagen worden war oder als er aus der Kartoffelschälmaschine geklettert war. Daran wie Hanke Helmhövel ihn mit einem Gewehr verfolgt hatte und daran, wie Boerne neben seinem toten Doktorvater gekniet hatte. Er erinnerte sich daran zurück, wie Boerne bei ihm gewohnt hatte, weil eine Rechtsmedizinerin während eines Kongresses seine Wohnung belegt hatte. Und daran wie Boerne zur gleichen Zeit entführt worden war. Daran, wie Boerne sich beide Arme gebrochen hatte, und daran, wie diese Ärztin Boerne eine Spritze gegen die Halsschlagader gedrückt hatte.

Sie hatten viel erlebt.

Anfangs hatte es ihn ja ziemlich genervt, dass Boerne sich ständig in seine Ermittlungen einmischte, aber mittlerweile war auch das normal geworden, und anders konnte er sich das jetzt auch gar nicht mehr vorstellen. Und jetzt? Jetzt tanzten sie seit einer Weile eng aneinander gekuschelt zu einem schnulzigen Lied, welches dem Ende zuging.

Die anderen hatten offenbar genug von dieser Art Musik, denn als nächstes kam Wolfgang Petry. Sie verharrten noch einen Moment länger in der Position, bis Boerne das Wort ergriff.

„Thiel, es tut mir Leid, aber bei Schlager bin ich raus. Das ist Folter!“

„Wollen wir nach Hause?“

„Gute Idee, Thiel.“

Boerne nahm seine Hand und zog ihn von der Tanzfläche. Er steuerte auf die Klemm und Alberich zu. Die Staatsanwältin grinste verdächtig. Um sich zu bedanken nickte Thiel ihr kurz zu. Anfangs war er ja sauer gewesen, aber mittlerweile war er ihr wirklich dankbar.

Boerne hielt immer noch seine Hand als sie draußen waren. Draußen war es kalt und es hatte angefangen zu schneien. Die frische Luft half Thiel dabei seine Gedanken wieder zu sortieren. Schlagartig fühlte er sich wieder nüchtern. Boerne war still, also liefen sie schweigend nebeneinander her, jedoch ohne die Hand des anderen loszulassen.

Hier geht's zu Kapitel 3: https://irrelevantac.livejournal.com/1298.html

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