Grüne Augen Kapitel 1

Dec 16, 2017 01:05


Prompt: Weihnachtsfeier

Rating: P6

Genre: Slash, Freundschaft, Fluff, Humor;

Handlung: Thiel und Boerne wollen auf die Weihnachtsfeier der Münsteraner Polizei.

Länge: ca. 4000 Wörter

Anm: Türchen Nummer 16 im Tatort Adventskalender.

Hier meine erste Mehrteilige FF. Bis jetzt habe ich nur einen One Shoot veröffentlicht. Diese Geschichte besteht aus insgesamt 3 Kapiteln, heute kommt der 1. und voraussichtlich am 21.12.17 die anderen beiden. Wünsche euch viel Spaß beim lesen ;)

Ich hoffe sie gefällt euch, würde mich über Kommentare und Anregungen freuen.

Beta: Vielen dank, liebe cricri für deine Hilfe. Hat mir sehr geholfen.

Kapitel 1 - In Boernes Haus

"Thiel, aufmachen, ich bin da!!!"

"Jaaaaa Boerne, ist ja schon gut! Ich komm ja schon!", brüllte er der Tür entgegen, von der aus es Sturm klingelte. Ist ja kaum zu überhören, dass der da ist, dachte Thiel, während er auf dem Weg über seinen Müllsack stolperte. Ach verdammt, jetzt hatte er den extra mitten in den Weg gestellt, damit er ihn nachher nicht vergessen würde mit rauszunehmen, und jetzt flog er auch noch drüber.

"Thiel."

"Moinsn Boerne."



Oh man, musste ihn der andere schon wieder so anstrahlen. Und verdammt, heute sah er noch heißer aus als sonst schon. Thiel fand den anderen ja in seiner alltäglichen Garderobe schon mehr als interessant, aber das war verdammt sexy. Boerne spukte ihm schon einige Zeit im Kopf herum. Immer wieder schweiften seine Gedanken ab zu dem anderen, der gerade lässig vor ihm stand. In einem weinroten Hemd, ohne Krawatte. Und die oberen drei Knöpfe des Hemdes waren offen. Oje, nicht gut. Schlagartig überkam ihn bei dem Anblick eine Hitzewelle. Wegen des halb geöffneten Hemdes konnte er einige dunkle Brusthaare entdecken und die Clavicula zeichnete sich deutlich ab. Oh nein, jetzt färbte Boerne auch noch auf ihn ab. Niemals hätte er in seinem früheren Leben in Hamburg einen medizinischen Fachbegriff verwendet. Damals hatte er allerdings auch nicht gedacht etwas für Männer empfinden zu können. Genauer gesagt: Für einen ganz bestimmten Mann, der ihn gerade erwartungsvoll anstrahlte. Mit diesen großen grünen Augen. Besagte Augen waren wohl das größte Problem, wenn man den Geruch, die Stimme und den Körper des anderen außen vor ließ. Diese Augen hatten ihn schon bei ihrer ersten Begegnung völlig in den Bann gezogen. Augen in einem warmen Grünton, die sich zur Mitte hin leicht ins bräunliche oder gelbliche verfärbten. Wie lange war das jetzt her, dass er hier nach Münster gezogen war? Zehn Jahre mindestens, wohl eher vierzehn oder fünfzehn. Die Zeit war viel zu schnell vergangen, er erinnerte sich noch an ihre erste Begegnung, als wäre es gestern gewesen. Damals hatte er Boerne mit seinem neuen Lattenrost, den er mit dem Fahrrad quer durch Münster transportiert hatte, den vorderen Schneidezahn ausgeschlagen.

Wie sollte das nur weitergehen? Dem musste unbedingt Einhalt geboten werden. Aber wie? Das war die große Frage, nach deren Antwort er schon geraume Zeit suchte, bis jetzt leider erfolglos.

"Hab‘ ich irgendwo was, oder warum starren Sie mich so an?" Als keine Antwort kam fuhr Boerne fort: "Oder hat es Ihnen die Sprache verschlagen?"

"Mh, also ich..."

"Jetzt lassen Sie es mal gut sein mit dem Gestammel und lassen Sie mich lieber rein."

Immer noch leicht sprachlos trat er einen Schritt beiseite. Er musste den anderen wohl ziemlich lange angestarrt haben, offensichtlich war das nicht zu übersehen. Und jetzt hatte er auch noch das Gefühl rot anzulaufen. Bitte nicht. Warum musste das immer ihm passieren? Boerne hatte er noch nie rot werden sehen.

"Wo ist denn Ihre Krawatte?"

"Meine was?

"Ihre Krawatte, Thiel! Dieses Kleidungsstück, welches man sich für gewöhnlich um den Hals bindet."

"Sehe ich so aus, als ob ich eine Krawatte tragen würde?"

Boerne seufzte. "Haben Sie Ihre Einladung denn nicht gelesen?"

Naja gelesen war übertrieben, er hatte sie kurz überflogen, als Nadeschda sie ihm in die Hand gedrückt hatte.

"Thiel, da steht es doch schwarz auf weiß: Um festliche Garderobe wird gebeten!"

"Ja und…?"

"Festliche Garderobe! Da ist doch klar, dass Sie wenigstens eine Krawatte tragen müssen. Jetzt stellen Sie sich nicht dümmer als Sie sind."

Jetzt wo der andere das sagte, erinnerte er sich wieder daran. Die Idee hatte er von Anfang an bescheuert gefunden. Hätte ihn Nadeschda nicht die letzten fünf Tage genervt auch zur Weihnachtsfeier ins Kalinka zu kommen, wäre er vermutlich gar nicht hin gegangen.

"Eigentlich wollte ich so..." Thiel zeigte auf sein T-Shirt.

"Wo bleibt denn da der Spaß, Thiel?"

"Sie sehen doch auch aus wie immer!" Naja, wenn er ehrlich war, sah Boerne ganz und gar nicht aus wie immer. Sondern noch ansprechender als sonst, ihm fiel auf die Schnelle aber nichts besseres ein. Boerne stand eine Krawatte wenigstens. Bei ihm sah das immer eher lächerlich aus, fand Thiel. „Und Sie ham auch keine Krawatte an.“

"Also das finde ich ganz und gar nicht, dass ich aussehe wie immer und zu Ihrer Information, ich trage noch keine Krawatte, weil ich noch nicht vollständig bekleidet bin.“ Boerne hielt ihm zwei Krawatten entgegen. „Welche?“

Für Thiel sahen die beiden Krawatten fast genau gleich aus. Aber das behielt er lieber für sich, denn Boerne sah das offensichtlich anders. Beide hätten auf jeden Fall gut zu dem Hemd gepasst, denn in beiden war das selbe Weinrot wie in dem Hemd verarbeitet. Dieses Rot passte so gut zu ihm, zu den dunklen Haaren und zu diesen grünen Augen. Oh nein, nicht schon wieder. Thiel sah wieder diese grünen Augen vor sich. Irgendwann musste das doch aufhören. Theoretisch zumindest. Praktisch sah die Sache da ganz anders aus. Er hatte bereits alles versucht, was ihm eingefallen war. Er hatte versucht die Gefühle, die er für Boerne hatte zu ignorieren und zu verdrängen, war aber kläglich gescheitert, denn das machte alles nur noch schlimmer und die Gefühle für den anderen wurden noch stärker. Dann hatte er versucht Boerne aus dem Weg zu gehen, aber auch das war nicht von Erfolg gekrönt, denn Boerne ließ sich nicht so einfach abwimmeln. Er war immer da, immer präsent. Er sah ständig diese Augen, sie verfolgten ihn sogar in seine Träume. Er hatte sich sogar versucht einzureden, dass er gar keine Gefühle für Boerne hatte, sondern sich das nur einredete weil er einsam war. Was allerdings nicht unbedingt glaubwürdig war. Denn abgesehen davon, dass seine körperlichen Reaktionen auf Boernes Nähe immer deutlicher wurden, wurden sie auch häufiger. Sein erster Verdacht hatte ihn beschlichen, als ihm aufgefallen war, dass es ihm in Boernes Nähe ständig warm war. Aber mittlerweile hatte er Schweißausbrüche, wenn Boerne ihn mal wieder durch die Gegend zog. Oder zu nahe bei ihm stand. Er musste Boerne nur sehen und spürte ein Ziehen in seiner Magengegend. Morgens wachte er immer öfter mit einer Erektion auf, er hatte dann meist einen eindeutigen Traum gehabt, von Boerne. Was sollte er also tun? Boerne empfand nichts für ihn, da war er sich von Anfang an sicher, von daher war es ihm zu sagen auch nicht unbedingt die beste Idee. Es würde wohl nur ihre Freundschaft kaputt machen. Und die war Thiel wichtig. Die wollte und konnte er nicht einfach aufs Spiel setzen.

„Alles in Ordnung Thiel?“

Boerne sah ihn komisch an, er konnte diesen Blick nicht so genau deuten, aber offensichtlich war er wieder eine Weile ziemlich abwesend gewesen, das musste der andere auch bemerkt haben. Also nickte er nur.

„Die.“ Er zeigte spontan auf eine der beiden Krawatten um nicht wieder in dieses Gedankenchaos zu geraten. „Moment, bin gleich wieder da.“ Thiel drehte sich um und ging Richtung Schlafzimmer. Er hatte doch vor Jahren einmal eine Krawatte von Lukas zu Weihnachten geschenkt bekommen. Er kramte in seinem Schrank. Wo war die denn nur? Er hatte sie noch nie getragen. Er konnte ja nicht einmal einen anständigen Knoten binden.

Schließlich, nachdem er das letzte Fach durchsucht hatte, fand er die Krawatte. Bei den Socken… Oh, so bunt hatte er die gar nicht in Erinnerung. Aber er konnte jetzt auch nicht ohne zurückkommen. Eine andere hatte er nicht, also blieb ihm keine Wahl. Er lief wieder zurück ins Wohnzimmer. Boerne saß mittlerweile auf dem Sofa.

„Tada!“ Er hob die Krawatte hoch.

Boernes Gesichtsausdruck änderte sich in Sekundenschnelle von erwartungsvoll auf entsetzt. Vielleicht hätte er sie doch bei den Socken liegen lassen sollen. Aber dazu war es jetzt auch zu spät.

Boerne schien sich wieder gefasst zu haben. „Das, Thiel...“, er zeigte auf die Krawatte, „… das geht gar nicht.“

„Sie wollten doch, dass ich ne Krawatte anziehe.“

„Ja, aber doch nicht so ein Potthässliches …. Die sollten Sie besser entsorgen.“

Na so schlimm war die Krawatte jetzt auch nicht.

„Ach was, die geht noch.“

Außerdem war es ein Geschenk von seinem Sohn, aber das konnte Boerne ja nicht wissen.

„Haben Sie sich das Teil mal genauer angeschaut?“

„Hab ich, und …?“

„Also Thiel, wenn Sie das nicht sehen, empfehle ich Ihnen dringend einen Augenarzt aufzusuchen. Ich kann Ihnen da einen alten Studienkollegen empfehlen. Das ist eine weit über das Farbspektrum hinausgehende, um nicht zu sagen quietsch-bunte Krawatte, auf der ein nackter Homer Simpson mit einem Schwimmreifen zu sehen ist.“ Boerne schüttelte den Kopf.

Oh, so genau hatte er sie sich nicht angesehen. Thiel merkte wie er rot wurde. „Dann geh ich ohne, ist doch egal.“

„Kommt überhaupt nicht in Frage, Sie bekommen eine von mir.“

„Danke.“

„Apropos Kleidung Thiel, wollen Sie wirklich so auf die Weihnachtsfeier?“

Thiel sah an sich herunter, eigentlich sah er aus wie immer. Gut, das T-Shirt war schon ziemlich alt. Er hatte es gekauft kurz bevor er Boerne kennengelernt hat. Aber es war Kult. Das wusste jeder St. Pauli Fan. Weltpokalsiegerbesieger stand drauf. Damals hatte St. Pauli gegen den FC Bayern gewonnen und er war live im Stadion dabei gewesen. Mittlerweile hing es zwar mehr an ihm runter als dass es passend saß, aber es war eben sein Lieblings T-Shirt. Und wenn er ehrlich war, hatte auch die Hose schon bessere Zeiten gesehen, sie war recht verwaschen und ausgebeult. Aber sie war bequem. Allerdings waren seine anderen Jeans auch nicht besser, die waren in ähnlich derangiertem Zustand. Aber seine Kollegen wussten ja, wie er aussah. Und beeindrucken wollte er auch niemanden. Der einzige, den er möglicherweise beeindrucken wollen würde, saß ihm gegenüber auf dem Sofa und blickte schon fast etwas verzweifelt.

Boerne stand auf und lief an ihm vorbei ins Schlafzimmer. Oh verdammt, auf dem Nachttisch stand noch das Gleitgel von seinen gestrigen nächtlichen Aktivitäten. Hoffentlich sah der andere das nicht.

Mit einem resignierten Gesichtsausdruck kam Boerne aber schnell zurück.

„Eines steht jedenfalls fest, hier finden wir nichts Angemessenes.“ Boerne packte ihn am Handgelenk und zog ihn aus der Wohnung über den Flur in die andere Wohnung. Thiels Herz fing an laut zu pochen, er wollte der Berührung entkommen, damit Boerne nichts merkte, der aber dachte offensichtlich gar nicht dran ihn loszulassen. Selbst als sie schon in der Wohnung waren, hielt Boerne ihn noch fest und sah ihn direkt an. Wieder stieg die Hitze in ihm auf. Boerne hatte wieder dieses übermütige Funkeln in den Augen. Aber was sollte er denn hier. Von Boernes Klamotten würde ihm sicher nichts passen.

Boerne hielt immer noch sein Handgelenk.

„Setzen!“ Boerne zeigte aufs Sofa.

Thiel war gerade dabei sich zu setzen als er sich fragte warum zur Hölle er denn überhaupt alles mit sich machen ließ, jetzt setzte er sich schon aufs Sofa, wenn der andere das wollte. Er seufzte, während Boerne ins Schlafzimmer lief. „Ihre Sachen passen mir doch gar nicht.“

„Ob Sie‘s glauben oder nicht, da bin ich schon von selbst drauf gekommen“, rief Boerne zurück. Und schon war der andere wieder zurück, mit einem, genauer gesagt zwei Päckchen, die sehr edel verpackt waren. Das eine größer, das andere eher klein.

„Also eigentlich ist das Ihr Weihnachtsgeschenk, aber unter den gegebenen Umständen halte ich es für angebracht es Ihnen jetzt schon zu geben.“

Weihnachtsgeschenk? Sie hatten sich bis jetzt noch nie etwas geschenkt. Thiel war davon ausgegangen, dass es dieses Jahr nicht anders sein würde. Und jetzt hatte er gar kein Geschenk.

Er nahm die Päckchen entgegen. „Danke.“

Thiel fing an das kleine ganz vorsichtig auszupacken, so als könnte es jeden Moment zerbrechen. Als er den Inhalt sah, brach das ganze Gefühlschaos der letzten Zeit über ihn herein. Einerseits war er traurig, weil das zwischen Boerne und ihm nur Freundschaft war und nicht mehr. Er wollte dem anderen noch näher sein. Aber andererseits war es das schönste Geschenk, das er je bekommen hatte. Nicht irgendwelche nutzlosen Dinge wie DVDs, Schlüsselanhänger, die Krawatte von Lukas, Gutscheine oder sogar Socken. Susanne hatte ihm damals Socken geschenkt, damit er bei der Observation keine kalten Füße bekam. Die waren giftgrün und selbstgestrickt gewesen. Das war definitiv das bescheuertste Geschenk von allen gewesen, da war ja die Simpsons-Krawatte besser. Das was Boerne ihm geschenkt hatte, war persönlicher. Er betrachtete das Bild in dem geschmackvoll designten silbernen Bilderrahmen genauer. Das Bild war auf dem letzten Dienstjubiläum der Klemm entstanden. Er und Boerne waren darauf zu sehen, schräg einander zugewandt. Und sie lachten. Lachten richtig. Nicht so, wie man das auf Passbildern so macht. Bei Boerne erkannte man kleine Lachfältchen um die Augen. Die fand Thiel ja besonders niedlich. Leider bekam er sie nur selten zu sehen, denn Boerne lachte wenig. Eigentlich hatte er ihn nur lachen gesehen, wenn sie Abends nach Feierabend noch etwas zusammen unternahmen. Sie sahen glücklich aus auf dem Bild. Einfach gesagt und nur schwer zu erreichen. Was hieß eigentlich glücklich? Er hatte hier in Münster alles und doch nichts. Er hatte einen Job, auf den er stolz war und der ihm Spaß machte, eine Wohnung und genug zu essen. Jedenfalls wenn er nicht so faul wäre und endlich mal wieder einkaufen gehen würde. In seinem Kühlschrank sah es im Moment genaugenommen ziemlich bescheiden aus. Er hatte tolle Kollegen und hier einen Freund gefunden. Das war mehr als viele andere hatten, dachte er sich. Aber genau dieser Freund war das Problem. Er war ihm nah, doch auch wieder unglaublich weit weg. Aber glücklich war er nur mit Boerne. Wenn sie zum Beispiel kochten. Nur dann fühlte er sich vollständig. Andererseits machten es die mittlerweile fast täglichen Treffen noch schwerer für ihn. Denn jedes Mal, wenn er dann wieder alleine in seiner Wohnung war, fühlte er sich noch einsamer als zuvor. Lange hatte er gebraucht um sich das einzugestehen, aber irgendwann hatte er es nicht mehr ignorieren können. Ohne Boerne war er alleine. Ändern konnte er es aber auch nicht, es war einfach so. Zufrieden war er ja, aber nicht glücklich. Er wusste gar nicht was er jetzt sagen sollte. Danke, das würde seiner Gefühlslage nicht annähernd gerecht werden. Gut das Boerne wusste das er nicht unbedingt ein Freund großer Worte war. Er stellte das Bild vorsichtig auf den kleinen Tisch vor ihm und lächelte Boerne an.

Jetzt nahm er sich das zweite, größere Päckchen vor. Es war weich und auch dieses packte er genau so vorsichtig aus wie das kleine zuvor. Darin enthalten waren ein blau meliertes Hemd, das seiner Augenfarbe sehr nahe kam, eine schwarze Jeans und ein Jackett. Mit Sicherheit alles Designerteile.

Die Jeans war ok, ne Jeans halt. Das Hemd gefiel ihm. Beides sah recht bequem aus. Aber das Jackett? Es war schwarz und hatte ganz dünne, fast nicht sichtbare weiße Streifen. Das Muster gefiel ihm, aber meistens waren diese Kleidungsstücke dann doch recht unbequem. Würden ihm die Sachen denn überhaupt passen? Boerne kannte ja seine Größe nicht. Er war ja nicht unbedingt hochgewachsen. Und besonders schlank war er auch nicht.

„Wollen Sie‘s nicht anprobieren?“

„Mhm, doch.“

„Na dann, auf geht´s.“

Sollte er jetzt, hier vor Boerne? Andererseits sie hatten auch schon zusammen geduscht. Boerne wusste also wie er aussah.

Er fing bei der Jeans an. Thiel spürte, dass Boerne ihm zusah, er konnte den anderen im Moment aber nicht ansehen. Zu hoch wäre das Risiko, das sich etwas weiter unten was regte. Also zog er schnell die Hose aus und die neue an.

Als er sich des T-Shirts entledigte, sah er aus den Augenwinkeln, dass Boerne sich unruhig auf dem Sofa hin und her bewegte. Was war denn mit dem los? Als er sich gerade das Jackett anziehen wollte sah er auf der linken Innenseite ein Armani Logo eingenäht. Oh, das war mit Sicherheit alles ziemlich teuer gewesen. Er verspürte ein schlechtes Gewissen, obwohl er ja nichts dafür konnte. Boerne schien zu merken was er dachte, denn er sagte: „Keine Sorge, ich muss jetzt nicht den restlichen Monat hungern. Und selbst wenn dem so wäre, wäre es der Anblick mir auf jeden Fall wert gewesen.“

War das etwa ein Kompliment? „Ham se irgendwo‘n großen Spiegel?“

„Kommen Sie, im Schlafzimmer.“

Mhm, das sah ungewohnt aus, als er sich im Spiegel genauer betrachtete. So hatte er sich noch nie gesehen. Aber es gefiel ihm. War schon was anderes als seine verbeulten alten Hosen. Und bequem war das ganze auch noch. Er hatte nicht damit gerechnet, dass auch das Jackett perfekt saß. Alles passte wie angegossen. Erst jetzt sah er im Spiegel Boerne an, der ihn musterte. Er sah aus als wäre er mit den Gedanken wo ganz anders. Seine Pupillen waren leicht geweitet, und seine Augen funkelten. Oder bildete er sich das nur ein? Jetzt sah er ihn genauer an, nein die Pupillen waren wirklich geweitet. Bei ihrem letzten Fall, naja ein Fall wurde es dann doch nicht, denn der Mann hatte sich selbst umgebracht mit einer Überdosis, hatte Boerne ihm erklärt, dass die Gründe für geweitete Pupillen meist Drogenkonsum oder sexuelles Interesse waren.

Drogen wohl kaum, aber sexuelles Interesse wohl auch nicht. Es war wahrscheinlich nur eine Spiegelung in Boernes Brillengläsern gewesen.

„Und gefällt es Ihnen?“

„Ungewohnt, aber ja.“

„Freut mich. Ich habe mir gedacht, das Hemd passt gut zu Ihrer Augenfarbe.“

Dasselbe hatte er selbst vorhin auch gedacht. „Also Boerne, danke nochmal, aber das wäre echt nicht nötig gewesen.“

„Doch Thiel, das war es, dringend sogar. Schließlich hatte ich vorhin das Vergnügen mir den Inhalt ihres Kleiderschranks genauer anzusehen. Und jetzt würde ich sagen, wir trinken noch ein Glas Wein und dann machen wir uns auf den Weg.“

Thiel nickte. Er war schon auf dem Weg ins Wohnzimmer, als Boerne noch nach etwas in seinem Schrank kramte. Ein paar Sekunden später kam er mit einer blau weiß schwarz gestreiften Krawatte ebenfalls ins Wohnzimmer und drückte sie Thiel in die Hand.

„Danke, hatte ich fast vergessen.“ In seinem Innersten hatte er gehofft Boerne würde das vergessen, da er jetzt den anderen fragen musste, ob er sie ihm binden konnte. Da er selbst das nicht konnte. Thiel setzte sich und sein Blick fiel wieder auf das Bild, das noch da stand, wo er es abgestellt hatte. Was sollte er Boerne schenken? Er wollte ihm nichts nutzloses schenken. Es sollte eine Bedeutung haben, wie eben dieses Bild.

Aber was schenkte man einem Mann, der alles hatte?

Auf keinen Fall konnte er zugeben, dass er noch kein Geschenk hatte. Er musste anders herauskriegen, was Boerne sich wünschte.

Boerne kam mit zwei Gläsern und einer Flasche Wein aus der Küche und setzte sich neben ihn. Sehr nah neben ihn um genau zu sein. Ihre Oberschenkel berührten sich. Thiel wurde es immer wärmer und die Stelle, an der der andere ihn berührte, brannte mittlerweile regelrecht. Er musste sich schnell beruhigen, also setzte er sich anders hin. Jetzt saß er Boerne schräg zugewandt, so wie auf dem Bild.

„Boerne?“

„Mhm?“

„Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was würden Sie sich wünschen? Egal was es kostet? Wenn alles möglich wäre?“

Die Augen des anderen blitzten kurz auf und er lächelte. Schon wieder diesen grünen Augen. Wie in einer Endlosschleife. Immer wieder und das seit Monaten ...

Boerne legte seine Hand auf Thiels Oberschenkel und ließ sie dort liegen. Thiel verspürte mehrere elektrische Schläge und Hitzewellen gleichzeitig. Wusste der andere, was er hier gerade anrichtete? Nein, vermutlich nicht. Er sog Boernes Geruch in sich auf, der ihm so nah war. Wie gerne würde er den anderen jetzt in seine Arme ziehen und ihn küssen.

Bei dem Gedanken spürte er, wie sich etwas in seiner Hose regte, denn besagte Hose fing mittlerweile vorne verdächtig an zu spannen. Oh nein, verdammt. Bloß nicht jetzt. Thiel sah zu Boerne, der ihm direkt in die Augen sah. Er wirkte so verletzlich, das kannte er von dem anderen gar nicht. Normal war er taff und fast unantastbar. Alles prallte an Boerne ab. Boerne hatte sich durch die Art, wie er mit anderen Menschen umging, einen überdimensionalen Schutzpanzer zugelegt. Vermutlich musste er schon früh viel Einstecken und das war seine Art sich zu schützen. Das zumindest war Thiels Hypothese. Aber im Moment fehlte der Schutzpanzer und Boerne ließ Thiel an seinen Gefühlen teilhaben. Manchmal hatte Thiel schon fast vergessen, dass auch Boerne Gefühle hatte. Er zeigte sie nur nicht. Jetzt aber ließ er Thiel in sein innerstes blicken.

„Ach, Thiel...“, kam es erschöpft aus Boernes Mund. „Eigentlich habe ich nur einen wirklichen Wunsch. Und das kann man nicht einfach kaufen.“

Das Lächeln von gerade eben war verschwunden und machte einem anderen Blick platz. Sehnsucht und Traurigkeit. „Aber dieser Wunsch wird auch immer ein Wunsch bleiben, denn erfüllen wird er sich wohl nie.“

Wollte Boerne ihm gerade sagen, dass sie sich das gleiche wünschten? Boernes Hand lag immer noch auf Thiels Bein und Boerne sah ihn immer noch genau so bewusst an wie gerade eben.

„Sollte man es nicht wenigstens versuchen?“

Vielleicht konnte er so erfahren, ob sie sich wirklich dass gleiche wünschten.

„Glauben Sie mir, das wäre aussichtslos. Irgendwann kann ich es Ihnen vielleicht sagen, wenn es Sie dann noch interessiert, aber im Moment ist das keine gute Idee.“

Jetzt verstand Thiel gar nichts mehr. Wenn es so war, warum konnte Boerne es ihm nicht einfach sagen? Thiel schluckte. Naja, einfach war das ganz sicher nicht. Er selbst traute sich ja auch nicht. Denn alles würde sich ändern, entweder zum guten oder zum schlechten. Fest stand nur eines, nichts wäre dann mehr wie vorher. Aber so konnte er auch nicht weitermachen, die Nähe zu Boerne tat weh. Denn es war keine richtige Nähe, mehr eine platonische Nähe. Jedenfalls nicht die Nähe, nach der er sich schon so lange sehnte. Wie lange konnte denn das noch gut gehen? Wie lange würde er das noch durchhalten, ohne dass Boerne etwas merkte, wenn er dies nicht schon tat?

„Kommen Sie, wir sollten los.“

„Ja, komme. Mhm, Boerne…? “Thiel streckte ihm die Krawatte entgegen. „Könnten Sie…?“

Boerne seufzte. „Haben Sie das wirklich nie gelernt?“

Thiel schüttelte den Kopf. Er trug ja eh fast nie Krawatten und wenn, dann hatte früher Susanne das gemacht.

„Dann geben Sie mal her.“

Boerne legte sanft die Krawatte um Thiels Hals und fuhr mit einer zärtlichen langsamen Bewegung mit der Hand an Thiels seitlichem Hals hinab. Thiel spannte sich unweigerlich an. Er bekam Gänsehaut am ganzen Körper und ein Stromschlag durchzuckte ihn. Er spürte Boernes Atem auf seiner Wange. Der andere schien etwas schneller zu atmen als sonst. Er roch Boernes Aftershave. Der Geruch war auch so eine Sache, die Thiel wahnsinnig machte. Seine Erektion, die gerade wieder begonnen hatte sich zu legen, kam jetzt mit einer Heftigkeit zurück, dass Thiel fast die Luft wegblieb.

Der andere band gedankenverloren immer noch den Knoten. In Zeitlupe. Thiel musste hier weg, sonst konnte er für nichts garantieren. Thiel sah nach unten, er konnte den anderen nicht länger ansehen. Erst jetzt fiel ihm auf, dass Boerne zitterte. Ganz leicht nur. Aber warum? Bis jetzt hatte er ihn noch nie zittern sehen. Thiel versuchte sich zusammenzureißen und sah Boerne noch einmal an. Oh, die Pupillen waren riesig. Das grün war fast nicht mehr zu sehen. Hatte er sich das vorhin doch nicht eingebildet? Und die Berührung eben, zuerst hatte er gedacht das sei Zufall, aber war es das wirklich? Der andere wirkte abwesend. Hatte er das eben überhaupt mitgekriegt? Vermutlich nicht. Eine riesige Last fiel von ihm ab als Boerne sagte: „Wir können.“

Thiel brachte keine Antwort zustande, er hatte das Gefühl seine Stimme würde gleich komplett versagen, also nickte er nur.

Kapitel 2: https://irrelevantac.livejournal.com/1172.html

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