Weiße Schlange Teil 1

Jun 08, 2012 12:08

Fandom: Viewfinder
Pairing: Mikhail/Fei Long
Warnungen: M/M, Yaoi
Fortsetzung zu Taifun und Russisches Roulette.



Mikhail sog die frische Luft ein und streckte sich, als er aus seinem Privatflieger ins Freie trat. Es war kein langer Flug gewesen, nicht einmal drei Stunden, jedoch hatte er die ganze Zeit über kaum stillsitzen können.

So wie die ganze letzte Woche.

Er hatte weiß Gott genug damit zu tun gehabt hatte, sämtliche Termine, die er für das Wochenende gehabt hatte, zu verschieben und Arbeit im Voraus zu erledigen trotzdem hatte jede freie Minute gefürchtet. Kaum saß er still, wurde ihm wieder bewusst, was vor ihm lag und sein Herz begann so sehr zu rasen, dass er innerhalb von Sekunden wieder aufsprang, außerstande, Ruhe zu finden, und sich wieder in Arbeit stürzte.

Der Gedanke, ein Wochenende mit Fei Long zu verbringen, wäre schon genug gewesen um ihn außer Fassung zu bringen- doch es ging um viel mehr, so war ihm bewusst, es ging um ihr Verhältnis, ihre Zukunft, um alles. Sie hatten miteinander geschlafen, hatten einen wunderschönen Tag miteinander verbracht, doch schließlich waren sie beide keine hitzigen Schuljungen mehr. Sie waren Geschäftsmänner, beide Oberhaupt einer millionenschweren Organisation. Es war nicht mehr so einfach, jemanden in ihr Leben zu lassen.

Was Mikhail anging, so hätte er dennoch keine Sekunde gezögert. Fei Long war alles, was er sich je erträumt hatte- stark, mutig, waghalsig, wunderschön, verführerisch- und weit mehr. Keine Frau und kein Mann hatten ihn jemals so sehr in seinen oder ihren Bann gezogen, ihn derart süchtig gemacht.

Obwohl er wusste, was es bedeuten würde, ihn an seiner Seite zu haben. Obwohl er die Gefahr sah, die das für beide darstellen würde. Aber das wäre es ihm wert gewesen.

Doch wie stand es um Fei Long?

Der Mann war voller Rätsel, ein ungelöstes Mysterium. Mikhail war bereits überrascht gewesen, als sich ihr kleines Abenteuer in der Nacht des Taifuns als mehr als das herausgestellt hatte- er hätte sich nie erträumen lassen, dass Fei Long mehr von ihm wollte als ein wenig Ablenkung ohne Verpflichtungen. Doch von ihm auf ein gemeinsames Wochenende eingeladen zu werden war etwas ganz anderes als eine unverbindliche Verabredung zum Mittagessen und anschließendem Kaffee. Es schien beinahe, als wäre es Fei Long tatsächlich ernst.
Doch Mikhail war vorsichtig, eine Eigenschaft, die ihn sonst nicht gerade auszeichnete, aber in Bezug auf Fei Long schien es ratsam. Alle seine Instinkte rieten ihm, nicht zu viel aufs Spiel zu setzen, denn er spürte, dass der Mann, der ihn bereits so sehr vereinnahmte, die Macht hatte, ihm ernsthaft weh zu tun.

Er wurde zur Limousine geführt, die eigens auf ihn wartete. Die Luft war angenehm, nicht so heiß und schwül wie in Hong Kong, aber bereits sommerlich warm. Keine einzige Wolke stand am Himmel. Als er eingestiegen war, ließ der Fahrer den Motor an.

Mikhail hatte sich die Freiheit genommen, ein wenig früher als verabredet in Hangzhou anzukommen. Fei Long wurde erst um vier Uhr nachmittags da sein, bis dahin hatte er die Stadt für sich. Es war ihm nicht klar, weshalb er das gewollt hatte, aber irgendetwas in ihm wollte das Revier erkunden, wollte einen strategischen Vorsprung erlangen.

Auch, wenn das natürlich Blödsinn war. Wenn es nichts gab, wofür er sich potentiell hätte fürchten müssen. Aber es war ihm wohler so- vielleicht würde er so auch ein wenig seinen Kopf freibekommen.

Der Verkehr war dicht und der Wagen glitt nur langsam und Stück für Stück voran. Gedankenverloren ließ Mikhail seinen Blick über die Szenerie draußen schweifen. Es war immer wieder faszinierend, wie schnell man merkte, dass man sich auf dem Festland und nicht mehr in Hong Kong oder Macao befand. Er konnte nie wirklich den Finger darauf legen, was es war- die im Fortschritts- und Bauwahn nachlässig hingepflanzten Gebäude, die holprigen, überall ausgebesserten Straßen, das muntere Gebrabbel des Fahrers, der ein südlich gefärbtes Mandarin in sein Handy brüllte, ja sogar die Luft schien anders, sie hatte diesen eigenen, speziellen Geruch, den sie nur hier hatte, nur in China, nirgendwo sonst. Die Straßen voller Autos und Menschen, die wie Ameisen hin und her wuselten, sich in einer geheimen Synchronisation durcheinander schlängelten, als herrschte in ihren Köpfen ein übereinstimmender Plan. Ununterbrochenes Hupen, ab und zu ein Fahrrad oder ein Motorroller, die an seinem Fenster vorbeiglitten.

Er kam nur selten nach China, es gefiel ihm nicht. Es verstand das Land und die Menschen nicht, tat sich schwer mit ihrer Mentalität. In Hong Kong ging es nur ums Geschäft, kein ewiges Hin- und Her, kein Ringen mit der Etikette die ganze Zeit. Die Menschen dort waren Ausländer gewohnt, kamen auf den Punkt, trugen ihr Anliegen vor, knallten einem ohne Worte einen Vertrag vor die Nase und warteten auf seine Unterschrift. Geld wurde rasch und problemlos verschoben, auf sein Konto, von seinem Konto. Sobald er seinen Fuß aufs Festland setzte, fühlte er sich verloren in einer Welt, die er nicht kannte, in der er verloren war. Alles folgte ungeschriebenen Gesetzten, die ihm völlig unverständlich waren.
Sie brauchten ein wenig mehr als eine Stunde zum Hotel, das Fei Long im Vorfeld für sie ausgesucht hatte. Mikhail hatte seine Wahl nicht in Frage gestellt und daher nicht überprüft- und er wurde auch nicht enttäuscht. Das Gebäude strahlte Professionalität, Luxus und Prestige aus, so wie er es gewohnt war. Zufrieden stieg er aus dem Wagen, nachdem seine Tür von einem Pagen geöffnet worden war und betrat die Lobby durch die imposante Tür. Seine Aktentasche wurde ihm sofort abgenommen.

Auch die Suite war für ihn von Fei Long reserviert worden. Zufrieden sah sich Mikhail in dem riesigen Zimmer um, während seine Koffer neben ihm im Raum abgestellt wurden. Die breite Fensterfront bot einen atemberaubenden Blick auf den Westsee, der die Stadt so bekannt und zu einem der beliebtesten Reiseziele des Landes machte. Mikhail musste sich eingestehen, dass er tatsächlich eine gewisse Anziehungskraft besaß, wie er dalag, still und geheimnisvoll unter der frühsommerlichen Sonne, gesäumt von grünen Hügel und Teeplantagen.

„Wünschen Sie Hilfe beim Auspacken, Herr Arbatov?“

Er schüttelte den Kopf. „Vielen Dank. Sie können mich nun alleine lassen.“

Der Bedienstete nickte kurz. „Falls Sie irgendeinen Wunsch haben, rufen Sie bitte den Zimmerservice. Einen angenehmen Aufenthalt, Herr Arbatov.“

Endlich schloss sich die Türe und er war allein. Den ganzen Tag hatte er schon auf diesen Moment gewartet, endlich einmal durchatmen und einen klaren Gedanken fassen zu können. Sein Blick ruhte auf dem See, dem stillen, klaren Wasser, auf dem sich die Nachmittagssonne spiegelte und einige Boote schaukelten. Vielleicht war es das Beste, wenn er ein paar Schritte ging, ein bisschen Bewegung und frische Luft würde ihm sicher guttun. Und jetzt, wo er daran dachte- wie lange war es her, dass er sich einen sorglosen, gemächlichen Spaziergang gegönnt hatte? Dank seines vollen Terminplanes war ihm dies schon lange nicht mehr vergönnt gewesen. Er atmete tief durch und griff dann nach seinem Jackett, das er abgelegt hatte. Auspacken konnte er später noch.

###

Hangzhou.

Fei Longs Herz begann zu klopfen, als er den ersten Fuß auf den Boden setzte.
Ein leiser Windhauch strich ihm übers Gesicht und spielte mit einigen Haarsträhnen, die sich aus dem Zopf verirrt hatten. Ein seltsames Gefühl überkam ihn- ein bekanntes und doch lange vergessenes Gefühl. Als würde ihn etwas hier willkommen heißen, etwas Bekanntes, Vertrautes.
So viel würde sich hier entscheiden.

War es richtig, zurückzukommen? Er würde es sicher noch bereuen. Ein Moment der Schwäche, der Sentimentalität, der Nostalgie. Kam das mit dem Alter? Vielleicht hatte er sich nur etwas beweisen wollen, dass er stark war, gefühlskalt, dass er dies tun konnte, dass es ihm nichts ausmachte. Aber was, wenn er scheitern würde? Was, wenn er nach all den Jahren herausfinden würde, dass hinter seinem kühlen, kalkulierenden Verstand, seinem makellosen Äußeren, seinem emotionslosem Handeln, völlig immun gegen Kritik und Entmutigung, dieser vollkommenen Fassade, von anderen bewundert und beneidet, er doch ein schwaches, sentimentales, verwundetes Herz besaß?

Und noch dazu Mikhail mitzunehmen. War das nicht die größte Schwäche gewesen? Dieser eine Moment, in seiner Wohnung, an diesem Nachmittag in Hong Kong. Als sie sich geküsst hatten und Fei Longs ganzer Körper und Verstand nach diesem Mann geschrien hatte. Nun hasste er sich dafür, doch es war zu spät. Dieser verzweifelte Wunsch, Mikhail könne verstehen. Der Mann, der ihn betrogen hatte, dem er misstrauen sollte.

Sein Wagen setzte sich in Bewegung und er betrachtete gedankenverloren das Treiben außerhalb der Scheibe. Er kam in letzter Zeit oft nach Festlandchina, das wirtschaftlich immer wichtiger wurde, manchmal flog er zweimal die Woche nach Shanghai oder Peking. Nach Hangzhou hingegen hatte er mehrere Jahre keinen Fuß mehr gesetzt. Er sah die Veränderungen auf den ersten Blick- wie alles in China war die Stadt modern geworden, modern und luxuriös. Starbucks an jeder Ecke, Porsche, Lamborghini, Chanel, Louis Vuitton, Prada, sehr wenig Chinesisches, sehr wenig Chaos, sehr viel Grün. Viele sorglose Touristen, die gemütlich am See entlang schlenderten. Die meisten Menschen kamen schließlich zum Urlaub hierher, nicht so wie er- in einer absurden Reise in die Vergangenheit mit einem Mann, von dem er nicht wirklich wusste, wie viel er ihm bedeutete. Wie viel er ihm bedeuten sollte.

Fei Long seufzte und schloss die Augen. Er hatte es mehrfach versucht, aber es war ihm nicht gelungen- die Erinnerung aus seinem Kopf zu tilgen. Und so sehr sich sein verräterischer Körper nach dem des Russen sehnte, so war da noch etwas anderes- ein vages, sehnsüchtiges Gefühl, das sein ebenso verräterischer Verstand nicht auslöschen konnte. Das Gefühl, das ihn überwältigt hatte, als er die heißen Lippen Mikhails auf seinen gespürt hatte, voller Verlangen, voller Sehnsucht, voller Leidenschaft. Es war etwas, was er vorher noch nie so erfahren hatte- dies war ihm völlig unbekannt. Er kannte besitzergreifende, dominierende Küsse, beruhigende Küsse, Küsse voller unreiner Begierde doch Mikhail Arbatov- dieser Mann hatte ihn geküsst wie kein anderer. Und deshalb hatte Fei Long nachgegeben. Deshalb hatte er ihn gebeten, mitzukommen. Weil er ihm in seinem Kuss etwas mitgeteilt hatte, was Worte nicht ausdrücken konnten.

Nun hatte er keine Wahl, als abzuwarten.

Und auf einen guten Moment zu hoffen, um Mikhail zu sagen, dass er doch nicht wegen seinen Geschäften hergekommen war.

###

Die Sonne war etwas tiefer gesunken und tauchte das Zimmer in einen sanften, goldenen Schein. Mikhail hatte die Augen nur halb geöffnet und lag auf seinem Bett, alle Glieder von sich gestreckt. Er konnte sich nicht erinnern, sich das letzte Mal so gefühlt zu haben- nach seinem Spaziergang war er in einen merkwürdigen Zustand zwischen tiefer Entspannung und Aufregung geglitten, der seinen ganzen Körper mit einer seltsam prickelnden Vorfreude durchflutete.

Gleich würde er Fei Long sehen. Die schwarzhaarige, exotische Schönheit, die ihn jede Nacht in seinen Träumen heimsuchte- genaugenommen nicht nur in der Nacht. Und egal wie ihr Treffen enden würde, zu welchem Zweck es dienen und wie es verlaufen würde, so änderte das nichts an dem Kribbeln, das sich von seinen Haar- bis in seine Fußspitzen zu erstrecken schien.
Der Spaziergang hatte ihm, wie erwartet, gut getan. Das Hotel lag an einem recht ruhigen Abschnitt des Seeufers, doch nach einer Weile war er mehr in Richtung Innenstadt gelangt und die Menschen waren immer mehr geworden. Er hatte sich immer noch nicht an die neugierigen und, seines Empfinden nach, aufdringlichen Blicke gewöhnt, die die Chinesen Ausländern zuwarfen- erst recht natürlich, wie er sich voller Stolz eingestehen musste, gutaussehenden Westlern wie ihm. Seine blonden Locken zeichneten ihn schon von Weitem als Fremdling aus und dank seiner Sprachkenntnisse schmunzelte er mehrmals über das aufgeregte: „Shuai Ge!“ das ihm von überall entgegengerufen wurde. Dennoch, es war warm gewesen, und trotz seines leichten Leinenanzugs hatte er schon bald zurückkehren müssen, um noch genug Zeit zu haben, um zu duschen- schließlich hatte er keine Lust, Fei Long seinen verschwitzten Körper zuzumuten.

Nun lag er da, nur in seinem Morgenmantel, und genoss die lauen Sonnenstrahlen, die durch das geöffnete Fenster auf das Bett fielen. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln- Fei Long hatte angekündigt, er würde etwa um vier Uhr landen und nun war es bereits kurz nach fünf.
Und tatsächlich, nur wenige Minuten später ertönte die Klingel. Mikhail erhob sich seufzend aus dem Zustand der angenehmen Trägheit, rückte den Bademantel zurecht, um gerade genug und doch nicht zu viel zu enthüllen, dann ging er zur Tür.

Als er sie öffnete, stockte sein Atem. Obwohl er in seiner Erinnerung noch ein klares Bild von Fei Longs atemberaubender Schönheit hatte, so traf sie ihn jedes Mal wieder völlig unvorbereitet. Die schlanke, elegante Gestalt, die im Halbschatten vor ihm stand, das ebenmäßige Gesicht mit den mandelförmigen Augen, umrahmt von pechschwarzem Haar, das glatt und dicht über seine Schultern fiel.. Mikhail sog Luft ein. Alle Begrüßungsfloskeln, die er sich zurechtgelegt hatte, waren mit einem Mal aus seinem Kopf gelöscht.

„Hallo“ sagte er also nur und ließ seinen Blick bewundernd über das makellose Bild schweifen, das sich ihm bot.

„Ich sehe, du bist beschäftigt. Soll ich dich erst fertig duschen lassen?“ fragte Fei Long in seinem üblichen ernsten, emotionslosen Tonfall, der sich Mikhail ein wenig enttäuscht fühlen ließ. Obwohl er sich natürlich nicht ernsthaft erhofft hatte, dass sie nun schon das Maß an Intimität erreicht hatten, dass Fei Long ihn mit etwas anderem begrüßen würde als puren Höflichkeiten.

„Ich bin gerade fertig, aber womöglich muss ich mich noch ein wenig in Schale werfen.“

Er sah Fei Longs Augen über seinen Körper wandern und an einigen Stellen etwas länger verweilen, etwa auf seiner halb entblößten Brust und an seinen Oberschenkeln. Sein Adamsapfel hüpfte kaum merklich und Mikhail konnte sich ein schwaches Grinsen nicht verkneifen.
„Du darfst aber gerne reinkommen und dich setzen.“

„Nein danke, ich werde in meinem Zimmer warten.“

„Es dauert nur wenige Minuten- außerdem gibt es sowieso nichts, was du nicht schon gesehen hast.“

Bildete er sich es nur ein oder huschte ein schwacher Rotschimmer über das schöne Gesicht, das immer noch keinerlei Emotionen offenbarte? Der Blick seines Gegenübers blieb fest und Mikhail fühlte, wie ihn der maßlose Schwindel ergriff, den er immer in der Nähe Fei Longs verspürte.

„Ich kann reinkommen aber ich würde es dennoch bevorzugen, wenn du dich in deinem Bade- oder Schlafzimmer umziehen würdest.“

Mikhail trat grinsend zur Seite, um ihm Platz zum Eintreten zu machen. „Nun gut, ich werde Anstand wahren.“

Es schien, als hätte Fei Long gänzlich zu seiner professionellen, unnahbaren Ausgangsattitüde zurückgefunden. Weshalb? An diesem Tag in Macao schien er sich ihm so sehr geöffnet zu haben, mehr, als Mikhail es jemals erwartet hatte. Nun jedoch schien er wieder eine Abwehrhaltung einzunehmen, um nicht zuzulassen, dass der Russe ihm zu nahe kam. Wieso diese Veränderung?
Fei Long trat ins Zimmer, wobei sein einzigartiger Duft an Mikhail vorbeiwehte, und ließ sich im Wohnzimmer der Suite auf einem der Sessel nieder.

„Hattest du eine gute Reise?“ fragte Mikhail, als er ihm folgte und sich neben ihm niederließ
.
„Ich kann nicht klagen“ entgegnete sein Gegenüber beiläufig und sah ihn stirnrunzelnd an. „Wolltest du dich nicht umziehen?“

„Warum so hastig? Macht es dich etwa nervös, mich im Bademantel zu sehen?“

Fei Long behielt sein Pokerface auch weiterhin, als er entgegnete: „Ich empfinde es lediglich als unhöflich. Menschen in meiner Umgebung pflegen sich zu bekleiden, wenn sie mit mir sprechen.“

„Du müsstest dich doch bereits daran gewöhnt haben, dass ich mich nicht so zu verhalten pflege wie andere Menschen in deiner Umgebung“ entgegnete Mikhail schlicht. „Also lass mir doch den Spaß und führe ein wenig Smalltalk zur Begrüßung mit mir. Danach werde ich mich züchtiger kleiden, versprochen.“

Fei Long seufzte genervt. „Nun gut, von mir aus. Meine Reise war sehr angenehm, vielen Dank der Nachfrage, Herr Arbatov. Und bei Ihnen?“

„Auch sehr gut. Ich habe mich auch bereits ein bisschen umgesehen… die Stadt ist wirklich sehr schön. Du solltest öfter hier Geschäfte machen.“

Fei Long hielt einen Moment inne, ehe er antwortete und es erschien Mikhail, als wolle er etwas sagen, hätte sich aber dagegen entschieden.

„In China sagt man: Die schönsten Frauen kommen aus Hangzhou.“

Mikhail lachte kurz. „Ich habe schon einige schöne Frauen hier gesehen, doch keine kann es mit dir aufnehmen.“

Wenn sich Fei Long von dieser Bemerkung geschmeichelt fühlte, so versteckte er es perfekt. Das vollkommene Gesicht verzog keinen Muskel, die tiefbraunen Augen offenbarten keinerlei Gemütsregung.

„Ich bin froh, dass dir die Stadt gefällt. Es wundert mich, dass du noch nie hier gewesen bist.“

„Ich komme selten aufs Festland.“

„Das wirst du in Zukunft immer weniger vermeiden können.“

Mikhail seufzte. „Ich weiß. Vor allem mein Vater spricht andauernd davon, mehr in China zu investieren. In letzter Zeit erwähnt er immer häufiger, dass er mich nach Shanghai schicken will, um dort zu expandieren.“

War da etwa ein kleines Aufflackern in Fei Longs Gesicht gewesen? Nein, er hatte es sich sicher nur eingebildet. Schon begegnete er seinem Blick wieder mit derselben stoischen Miene.

„Schön. Shanghai ist nett.“

„Nett?“

Ein kleines Lächeln zog sich über Fei Longs Lippen. Na endlich.

„Ich mag Shanghai überhaupt nicht. Jedes Mal bin ich froh, wenn ich wieder in den Flieger steigen kann. Aber dir könnte es dort gefallen.“

Mikhail blickte ihn abschätzend an. War es ihm wirklich so egal, wie er tat? Und wenn ja, warum war er, Mikhail, dann überhaupt hier?

„Vielleicht. Nun gut, ich glaube ich habe dich lange genug mit Belanglosigkeiten belästigt. Ich werde mich umziehen.“

###

Fei Long hatte die Organisation des Abendessens übernommen und nachdem sie sich eine Weile bei Tee unterhalten hatten, zog er sich zurück, um sich frisch zu machen- obwohl Mikhail bezweifelte, dass der Mann überhaupt in irgendeiner Weise nur ein Quantum seiner Perfektion verloren hatte, selbst nach langer Reise.

Um kurz vor sieben fand sich Mikhail in der Eingangshalle ein und wartete auf sein „Date“ wie er es spöttisch in seinem Kopf nannte. Er war sich immer noch nicht sicher, wen oder was er für den Chinesen darstellte. Eine Begleitung, zweifellos- als Freund? Als Liebhaber? Oder womöglich doch als Geschäftspartner? Vielleicht wollte er ihm lediglich einen Deal vorschlagen. Er hätte ihm solch unerwartetes Handeln durchaus zugetraut.

All die düsteren Gedanken wurden schließlich mit einem Mal aus seinem Kopf gewischt, als Fei Long in die Halle trat. Er trug kein traditionelles Gewand und auch keinen Anzug, wie so oft, denn dafür war es zu warm. Stattdessen war er schlicht in einer maßgeschneiderten beigen Leinenhose und einem schwarzen Polohemd gekleidet, das Jackett hatte er locker über seine Schulter geworfen. Seine langen, seidigen Haare waren immer noch in einem schweren Zopf geflochten. Mikhail fragte sich, wie er selbst in so unspektakulärer Garderobe schaffte, ihm den Atem zu rauben.

„Du siehst gut aus“ begrüßte er ihn kühn, was ihm von Fei Long nur ein abschätzendes Lächeln einbrachte.

„Danke. Wollen wir?“

„Bist du ganz alleine?“

„Wenn du die Bodyguards meinst, ich habe mich entschlossen, sie zu Hause zu lassen.“

„Ist das nicht leichtsinnig?“

Fei Long lächelte schwach und zuckte mit den Schultern. „Manchmal steht mir der Sinn nach etwas Risiko. Es wissen nicht viele Leute, dass ich hier bin, und außerdem bin ich im Notfall gut in der Lage, mich selbst zu verteidigen. Oder möchtest du gerne beim Essen von einem Haufen grobschlächtiger Kerle umringt sein?“

Mikhail schüttelte lachend den Kopf.

„Außerdem scheinst du ja auch ohne Begleitung zu reisen, Mikhail“ fügte er noch hinzu.
„Ich reise hingegen zum Vergnügen, nicht geschäftlich.“

„Was deine Widersacher sicher berücksichtigen werden“ entgegnete Fei Long spöttisch. „Lass uns gehen, mein Wagen wartet draußen.“

Sie stiegen in die Limousine, die vor dem Hotel auf sie wartete. Während der Wagen eine Straße am See entlang glitt, fiel Mikhail in weiter Ferne eine hell erleuchtete Pagode auf, am anderen Ende des Sees.

„Was ist das dort?“ fragte er und deutete darauf.

„Die Pagode?“ Fei Long senkte den Kopf leicht, um besser durch die verdunkelte Scheibe sehen zu können. Mikhail nickte.

„Sie heißt ‚Lei Feng- Pagode‘. Die ursprüngliche war sehr alt, aber natürlich wurde sie zerstört und wieder aufgebaut. Um sie rankt sich eine bekannte Geschichte… die der weißen Schlange. Baishe. Hast du davon gehört?“

„Von Baishe? Du meinst…“

Fei Long lachte. „Ich meine damit nicht die Organisation, deren Oberhaupt ich bin. Ich meine die Geschichte der weißen Schlange. Baishe Zhuan.“

Mikhail schüttelte den Kopf. „Nie davon gehört.“

Fei Long seufzte. „Du musst noch viel lernen. Jedes Kind in China kennt sie.“

„Wie wäre es, wenn du mir davon erzählst?“

„Später vielleicht. Wir sind gleich da.“

Der Wagen bog von der Straße in einen schmaleren Weg ab, passierte ein Tor und fuhr weiter durch einen Bambuswald. Mikhail fragte sich verwundert, wie es sein konnte, dass sie sich gerade noch mitten auf einer belebten Straße befunden hatten und nun auf einmal um sie herum nur noch Urwald zu sein schien. Auf einmal tauchte am Ende des Weges ein Gebäude auf, das hell beleuchtet war. Es war im typischen Schwarzweiß der örtlichen Architektur gehalten, den Eingang bildete ein traditionell chinesisches, rundes Tor.

Ein Angestellter lief sofort herbei, um ihnen die Tür zu öffnen. „Herr Liu, wir haben sie schon erwartet.“

Mehrere Frauen in Qipao eilten herbei, um ihnen den Weg zu weißen.

„Das ist ein Restaurant?“ fragte Mikhail ungläubig, als sie von ihnen die Treppe herauf geleitet wurden.

„Man muss nur wissen, wo“ entgegnete Fei Long mit einer Spur Selbstzufriedenheit. „Ich habe uns für heute Abend ein separates Zimmer reserviert, das heißt, wir werden nicht gestört werden.“

Mikhail hatte schon immer gewusst, dass Fei Long Sinn für Stil hatte, doch er musste zugeben, dass er mit seiner Wahl fürs Abendessen mehr als beeindruckt war. Obwohl er Luxus und Prestige natürlich gewohnt war. Die Eingangshalle war großzügig im chinesischen Stil ausgestattet und Mikhails Blick blieb an einer Frau hängen, die an den Seiten eines Guzhengs zupfte. Der ruhige Klang des Instruments schwang durch den Raum und entspannte ihn auf eine seltsame Art. Es war, als wären sie in einer anderen Welt gelandet.

Eine außergewöhnlich hübsche Frau in formeller Kleidung eilte auf sie zu, kaum hatten sie den Raum betreten und stellte sich als stellvertretende Geschäftsführerin vor. Erhobenen Hauptes folgte Fei Long ihr in ein mit Kronleuchter und teuren Möbeln ausgestattetes Zimmers, wo ein Tisch für sie bereitstand. Sie ließen sich auf gegenüberstehenden Stühlen nieder und Mikhail musste unwillkürlich schmunzeln- so oder so sah das Ganze nicht nach einem Geschäftsessen aus.

„Das ist ein wenig anders als das letzte Mal, als wir Essen waren“ kommentierte er, während er sich umsah.

Fei Long lächelte. „Ich bevorzuge eine breite Palette an Erfahrungen. Das Menü habe ich im Vorfeld zusammengestellt- es ist traditionelle chinesische Küche, ich hoffe, das ist in Ordnung für dich.“

„Ich liebe chinesisches Essen“ entgegnete Mikhail. „Nur in Hong Kong habe ich so meine Schwierigkeiten.“

„Keine Sorge, dies hier ist keine kantonesische Küche- in Hangzhou isst man in der Regel weder Schlange noch Taube oder andere Absurditäten. Ich habe es mir allerdings erlaubt, dir ein paar lokale Spezialitäten zu bestellen.“

„Ich vertraue deinem geschulten chinesischen Gaumen.“

Fei Long sah seinem Gegenüber zu, wie er gekonnt nach seinen Stäbchen griff, während die ersten Gerichte bereits aufgetischt wurden.

„Deine Wahl sieht äußerst interessant aus“ meinte er, während er das Essen beäugte.

„Fang ruhig an“ antwortete Fei Long lächelnd. Er konnte sehen, dass Mikhail hungrig war und sich nur aus Höflichkeit zurückhielt. Zugleich war er von der Fähigkeit des Russen fasziniert, mit seiner Selbstsicherheit jeden Raum zu dominieren, wann immer er ihn betrat.

„Und du hast heute Abend noch keine geschäftlichen Verpflichtungen?“ fragte Mikhail und angelte nach einem Stück Lotuswurzel.

Fei Long schüttelte den Kopf. „Heute bin ich ganz frei, nur für dich.“ Er sprach die Worte ein wenig spöttisch aus, ironisch beinahe, aber trotzdem ließen sie Mikhails Herz schneller schlagen. Wie sehr hatte er sich danach gesehnt, nur sie beide, ungestört. Die Kellner ließen sie die meiste Zeit alleine, kamen nur herein, wenn sie ein neues Gericht brachten. Fei Long bemerkte amüsiert, wie Mikhails Blick neugierig über all die Teller huschte und beantwortete geduldig alle seine Fragen über diese oder jene Zutat oder Zubereitung.

Er bestellte ihnen noch Wein dazu, untypisch und eigentlich nicht zum Essen passend. Ihm war jedoch nach ein wenig Alkohol, und Bier und Reisschnaps waren so gar nicht nach seinem Geschmack.

Sie unterhielten sich ein wenig über ihren Alltag, während Fei Long merkte, wie ihn der Alkohol ein wenig gelöster machte. Mikhail, so fiel ihm wieder einmal auf, war ein unglaublich angenehmer Gesprächspartner- keiner von diesen aufgeblasenen, neureichen Dummschwätzern, mit denen er in seinem Gewerbe so oft zu tun hatte. Er war geduldig, intelligent und interessiert und nicht darauf bedacht, bei jedem Satz seinen Reichtum und Einfluss zu betonen. Die Zeit verstrich unglaublich schnell und ehe er sich’s versah saßen sie mit vollen Bäuchen da, die Weinflasche beinahe geleert, die Teller, die gegen Ende aufgetischt worden waren, kaum angerührt.

„Ich schwöre, wenn du noch ein Gericht mehr bestellt hättest, wäre ich geplatzt“ stöhnte Mikhail.

„Hat es dir denn wenigstens geschmeckt?“ fragte Fei Long und nippte an dem letzten Schluck Wein in seinem Glas.

„Zu gut“ kam es von Mikhail. „Ich fühle mich, als könnte ich mich nie wieder bewegen.“

„Das musst du auch erst einmal nicht. Auch, wenn ich gehofft hatte, dass wir noch einen kleinen Spaziergang am See machen würden. Abends ist er wunderschön und es ist nicht mehr so heiß wie am Tag.“

„Ein Spaziergang am See… wie romantisch“ kam es von Mikhail. „Das kann ich ja fast nicht abschlagen.“

Fei Longs Augen blitzten ein wenig gefährlich und er musste wieder an die Episode im Hotelzimmer denken.

„Glaube ja nicht, wir werden Händchen halten“ gab er ernüchternd zurück und musterte sein Gegenüber kalt.

„Das müssen wir nicht, aber ich hatte ehrlich gesagt gehofft, ein wenig mehr von dir berühren zu dürfen als deine Hand“ entgegnete Mikhail, ohne jeglichen Spott oder Herausforderung in seiner Stimme, eine simple Feststellung.

„Freu dich nicht zu früh, Arbatov.“

„Schade. Denn ich hatte den Eindruck, dass es dir ziemlich gefallen hat damals. Wem möchtest du etwas vormachen? Worum geht es dir, Fei Long? Ich habe den Eindruck, dass du mich nicht wirklich an dich heranlassen willst. Aber um Sex scheint es dir auch nicht zu gehen. Also- warum bin ich hier?“

Schwupps, hier waren sie auf einmal, viel schneller am ernsthaften Gespräch angelangt, als Fei Long beabsichtigt hatte. Er hatte sich natürlich gedacht, dass Mikhail diese Frage im Verlauf ihres gemeinsamen Wochenendes aufbringen würde- doch so schnell hatte er nicht damit gerechnet. Normalerweise wäre er bei so einer Formulierung wütend geworden, nicht viele Menschen wagten es, so mit ihm zu reden. Doch seltsamerweise wurde er es nicht- er hatte das Gefühl, als würde Mikhail dies wirklich und ernsthaft wissen wollen. Und er hatte eine Antwort verdient.

„Wir sitzen hier, reden, haben ein nettes Abendessen. Das ist es, was ich unter Kennenlernen verstehe. War es nicht das, was du gewollt hast? Es gibt viele Seiten an mir, die du noch nicht kennst.. und ich verspreche dir, es lohnt sich, jede einzelne davon kennenzulernen.“

Er sah, wie Mikhail verstummte und ihm etwas klarzuwerden schien.

Fei Long hatte natürlich über ihn recherchiert, hatte jede Information, derer er habhaft werden konnte, gesammelt. Er wusste nicht viel über sein Liebesleben, doch es schien sich auf belanglose, rein körperliche Beziehungen zu beschränken. Kein Mann, mit dem man sich einlassen sollte, wenn man Angst davor hatte, verletzt zu werden, das hatte er begriffen. Doch trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, übte Mikhail Arbatov eine unglaubliche Faszination auf ihn aus.

Was er mittlerweile verstanden hatte, war, dass Mikhail auf dem Feld, auf dem sie sich momentan bewegten, ebenso unsicher war wie er selbst. Dieses vage, regelrecht beängstigende Gefühl, von einer Person so sehr und mehr als nur körperlich angezogen zu werden, war ihnen fremd und ließ sie wie Schuljungen zögern. Die Zurückhaltung, nachzugeben, die Angst, sich dem Anderen so hinzugeben, wie man es ersehnte, schien sie beide in einer Art Schwebezustand zu halten.

Mikhail wählte die körperliche Anziehung als Ventil, als Umweg, wollte der sexuellen Spannung nachgeben, um damit von den anderen Spannungen zwischen ihnen abzulenken.
Er, Fei Long, wollte die Sache weiterhin in der Schwebe halten, hatte Angst, das fragile Gleichgewicht aufzulösen.

„Glaube nicht, dass mir der Sex mit dir nicht gefallen hat“ fuhr er kühl fort. „Du weißt das selbst. Aber, und korrigiere mich bitte, sollte ich falsch liegen, so ist das zwischen uns mehr als nur Befriedigung körperlicher Lust. Ich möchte mich gerne über einige Dinge klarwerden, bevor ich wieder blindlings mit dir ins Bett hüpfe, so verlockend das auch scheinen mag. Es gibt einige Seiten an dir, die ich tatsächlich kennenlernen möchte, damit ich besser verstehe, was das zwischen uns ist. Deswegen, Mikhail Arbatov, bist du hier.“
Er begegnete Mikhails tiefem Blick, der nun weder spöttisch noch herausfordernd war, sondern ruhig und fest. In diesem Moment spürte er, wie etwas zwischen ihnen an seinen richtigen Platz fand, wie ein Gelenk, das eingerenkt oder eine herausgehüpfte Fahrradkette, die wieder aufgespannt wird.

„Verstehe“ murmelte Mikhail und nickte leicht.

„Ich hoffe du verstehst, dass ich dir damals in dieser Nacht nicht nachgegeben habe, wegen dem, wer du bist, sondern wegen dem, was du mir gegeben hast. Ich brauchte Trost und Zuneigung und beides hattest du für mich. Später wurde mir allerdings klar, dass du mir dies nur geben konntest, weil du der bist, der du bist… ach, das klingt alles sicher furchtbar wirr für dich, nicht wahr?“

Er rieb sich ein wenig hilflos die Stirn und die Augen, als wäre er furchtbar müde. Mikhail schüttelte den Kopf.

„Ich weiß, was du meinst. Ich müsste lügen, wenn ich behaupten wollte, dass ich in irgendeiner Weise besser verstehe, was zwischen uns geschehen ist. Natürlich war es am Anfang dein Körper, den ich wollte, deinen Stolz, wollte, dass du mir nachgibst… aber seit dieser Nacht bist du ständig in meinen Gedanken, Fei Long. Ich will, dass du mir immer wieder nachgibst. Und will dir nachgeben.“

Fei Long sah das Feuer in seinem Blick, das ihm gleichzeitig Angst machte und ihn erregte. Wieder einmal wurde ihm bewusst, warum er so sehr zögerte nachzugeben- und warum er spürte, dass Mikhail ebenso zögerte. Weil das, was zwischen ihnen war, viel zu groß war, um es zu begreifen und weil er nicht sicher war, welche Ausmaße es annehmen würde, sollten sie ihm freie Bahn lassen.

Er seufzte. Es war noch zu früh, um darüber zu entscheiden. Und so schwer es ihm fiel, er musste Mikhail noch eine Weile zappeln lassen.

„Kaffee, Arbatov?“ sagte er also nur, während er einen Kellner herbeiwinkte.

###

Die Nachtluft war, wie Fei Long versprochen hatte, angenehm kühl. Die Menschen waren auch um einiges weniger geworden und Mikhail genoss den ruhigen Abschnitt des Sees, an dem nur einige wenige Paare ihrem gedankenverlorenen, langsamen Trott nachgingen. Auch Fei Long schien in Gedanken, seit sie das Restaurant verlassen hatten und schwieg.

Es war dunkel, doch im See spiegelten sich die Lichter der umstehenden Gebäude, weit weg die modernen Hochhäuser der Stadt, am anderen Ende die Pagode, die immer noch hell beleuchtet war.

„Willst du mir denn jetzt endlich davon erzählen?“

„Wovon?“ Fei Long hob überrascht den Kopf.

„Von der weißen Schlange.“

Fei Long lächelte, während sein Blick ebenfalls zu der Pagode wanderte, deren Lichter sich im Wasser spiegelten. Er hatte geglaubt, Mikhail hätte die Geschichte längst vergessen.

„Nun gut. Die Geschichte handelt von einer weißen Schlange, die sich in einen Menschen verwandelt- ihr Name ist Bai Suzhen. Und es kommt wie es kommen muss- sie verliebt sich in einen Menschen, Xu Xian.“

„Und lass mich raten, die Geschichte geht nicht gut aus.“

Fei Long lachte kurz und freudlos. „Natürlich nicht. Die beiden heiraten und sie bekommt ein Kind, aber ein Mönch namens Fahai will ihre Verbindung verhindern.“

„Warum?“

„Weil sie ein Dämon ist und er ein Mensch und sie deswegen nicht zusammenleben können. Also zwingt der Mönch die Schlange dazu, ihre wahre Gestalt zu zeigen. Als er sie so sieht, erschrickt Xu Xian zu Tode, aber er akzeptiert sie trotzdem als seine Frau.“

„Wie romantisch.“

„Natürlich. Darum geht es in der Geschichte.“

„Und dann?“

„Sie ist geschwächt und deshalb schafft es Fahai schließlich, sie gefangen zu nehmen und in eben jene Pagode einzusperren, die du dort siehst.“

„Verstehe. Sie ist also ihr Gefängnis? Ich dachte, es wäre ein Ort eines romantischen Rendezvous oder so etwas.“

„Tut mir leid, dich enttäuschen zu müssen.“

Fei Longs Schritte verlangsamten sich und er sah nachdenklich auf den See. Sie hatten eine kleine Brücke überquert und gingen nur am Ufer einer Art Insel entlang, auf die sie geführt hatte. Mikhail genoss die kühle Abendluft auf seiner Haut. Sie begegneten vereinzelt Menschen, meistens Paaren, die am Ufer entlang schlenderten. Am liebsten hätte er nach der Hand gegriffen, die nur Millimeter von seiner entfernt, locker neben Fei Longs Körper hin und her schwang. Dennoch hielt er sich zurück, denn er konnte sich ausmalen, wie dessen Reaktion auf eine derartige Aktion ausfallen würde.

„Hat diese Geschichte… denn wenigstens am Rande etwas mit dem Namen deiner Organisation zu tun?“

„Mit Baishe?“ Fei Long blieb stehen und sah ihn direkt an. Der Blick aus seinen mandelförmigen Augen traf Mikhail wieder einmal vollkommen unerwartet und er wurde, wie schon so oft, von dem merkwürdigen Schwindel ergriffen, den nur Liu Fei Long in ihm auslösen konnte.

„In der Tat“ fuhr der Chinese fort. „Angeblich benannte mein Großvater sie damals nach dieser Legende. Anscheinend war er sehr traditionell… damals gehörte Hong Kong noch zu Großbritannien und es war ihm kaum möglich, China und Hangzhou zu besuchen. Aber offenbar machte ihm diese Geschichte großen Eindruck. Er meinte immer, Xu Xians Entschlossenheit, Bai Suzhen so anzunehmen wie sie ist und die Bereitschaft der beiden, für ihre Liebe zu kämpfen… das sei die Einstellung, die wir bräuchten. Auch, wenn es uns dabei nur ums Geschäft geht.“

Mikhail war nun ebenfalls stehen geblieben. Ihm war bewusst, wie viele der Leute sich trotz der Dunkelheit nach ihnen umdrehten. Was sicher nur teilweise daran lag, dass er ein Ausländer war- selbst im dimmen Schein der Straßenlaternen war Fei Long eine atemberaubende Erscheinung. Er musste sich schwer zurückhalten, den anderen Mann nicht an sich zu ziehen und seinen anbetungswürdigen Körper in Besitz zu nehmen.

„Das ist in der Tat eine bewundernswerte Einstellung“ flüsterte er und spürte, dass Fei Long ganz genau wusste, was er damit sagen wollte.

Er löste seinen Blick von der unwirklich schönen Ansicht Fei Longs vor den Lichtern, die sich im See spiegelten, um nicht völlig von ihr überwältigt zu werden.

„Wusste ich doch, dass dich mit diesem Ort mehr verbindet als ein paar Geschäfte“ fuhr er fort, nun mit lauterer Stimme und drehte sich zum Weitergehen um. Doch Fei Longs leise Stimme hielt ihn zurück.

„Es verbindet mich noch viel mehr mit diesem Ort, Mikhail.“

Mikhail drehte sich erneut zu ihm um. Er konnte das Rasen seines Herzens kaum mehr ertragen. Den ganzen Tag war er dieser wunderschönen Kreatur hilflos ausgeliefert gewesen und nun betrug ihn sein letztes bisschen Selbstbeherrschung. Seine Kraft begann zu schwinden. Alles, was er wollte, war endlich diesem Drängen in seinem Inneren nachzugeben.

Er wartete darauf, dass Fei Long noch etwas sagte, dass er seine Aussage noch weiter erklären würde, doch alles, was er hinzufügte, war: „Deshalb habe ich dich hierhin mitgenommen.“

Noch während er den Satz aussprach trat er auf Mikhail zu, nahe, gefährlich nahe. Mikhail hielt den Atem an, als der Chinese so dicht bei ihm stand, wie den ganzen Tag noch nicht.
Es war ihm nicht klar, ob es das war, was Fei Long wollte, doch er konnte nicht mehr, er verlor völlig die Beherrschung und gab dem unbändigen, lodernden Feuer in seinem Inneren nach. Seine Hände umschlossen das Gesicht, das seinem so nahe war, tauchten in die langen Strähnen aus dichtem, schwarzem Haar ein.

„Fei Long, ich schwöre bei Gott, du bist das schönste Wesen, das mir je begegnet ist“ entfuhr es ihm und es entlockte Fei Long kein Lächeln, sondern nur ein verneinendes Kopfschütteln.

„Mikhail, du weißt nicht was du sagst.“

Das war der Moment, in dem ihm klar wurde, dass Worte nicht reichten, um zu Fei Long durchzudringen, also tat er, was er eventuell hinterher bereuen würde. Seine Lippen fanden ihr Ziel, endlich, und ein sehnsuchtsvoller Seufzer entfuhr seinem Mund, als er endlich wieder tat, wonach er sich seit Tagen, seit Wochen, womöglich schon immer sehnte- er küsste Fei Long, den Drachen der Baishe.

Er überstürzte nichts, wollte dem anderen Mann sein Begehren nicht in seiner rohesten Form aufdrängen. Seine Lippen waren sanft zunächst, liebkosten Fei Longs Mund, pressten sich liebevoll darauf. Seine Zunge war zaghaft, drang ein wenig fragend zwischen die Lippen des anderen. Doch schon bald spürte er das lodernde Feuer, dass unter Fei Longs Haut brodelte, er spürte, dass sich der Andere selbst nur mühsam zurückhalten konnte.

Er wusste, dass es Fragen gab, die er hätte stellen müssen. Was es war, was Fei Long mit Hangzhou verband. Ob die Geschichte der Schlange und ihres Geliebten hier wirklich zu Ende war. Doch in diesem Moment gab es kein Halten mehr. Die Leute, die an ihnen vorbeigingen und ungläubig ausriefen, ignorierend, warf er seine Arme um die schlanken Hüften und zog Fei Long an sich, presste seinen Körper der Länge nach an seinen eigenen, ließ seine Zunge ungestümer und leidenschaftlicher in seinen Mund dringen und gab endlich dem qualvollen Drängen nach, ließ sich von dem Rausch überwältigen.

Gott, und wie Fei Long küsste! Jeder Kuss, den sie geteilt hatten, schien auf einmal bedeutungslos zu sein im Vergleich dazu, wie sie sich jetzt einander hingaben. Vorher war es Leidenschaft gewesen, körperliche Begierde- doch nun schien da etwas Neues zu sein, das Mikhail erst jetzt bemerkte. Fei Long schien ihm mehr von sich zu geben als je zuvor. Er merkte es an der Art, wie sich seine Hände mit seinen Locken verflochten, wie sich der schlanke Körper an seinen presste, als wolle er eins mit ihm werden, wie die heiße und fordernde Zunge seine liebkoste, wie ihm immer wieder ein ungeduldiges Stöhnen entkam, das nichts mit sexueller Erregung zu tun hatte. Fei Long wollte ihn. Nicht nur Ablenkung, nicht nur seinen Körper, nicht seinen Trost. Er wollte ihn, Mikhail Arbatov, und er zeigte es mit allem, was er hatte.

Mikhail konnte nicht anders, als dem Kuss zu unterbrechen, um nicht völlig die Beherrschung zu verlieren.

„Fei,“ flüsterte er atemlos und lehnte seine Stirn an die seines Gegenübers. „Manchmal glaube ich, du bist ebenfalls ein Dämon, der sich in einen Menschen verwandelt hat und mich ins Verderben stürzen will.“

Die mandelförmigen Augen sahen ihn spöttisch an.

„Ein Drachendämon, erstanden aus den Wassern des Westsees, einzig und allein um den großen Feldherrn Mikhail Arbatov zu vernichten“ spottete er. „Abgesehen davon habe ich dir doch noch gar nicht so viel Verderben gebracht, oder?“

Wenn du nur wüsstest dachte Mikhail bei sich, dachte an all die schlaflosen Nächte, die unruhigen Tage, dachte an seinen Körper und seinen Geist, die sich beide nach Fei Long verzehrten und ihn zu seinem willenlosen Spielball machten. Egal, was dieser Mann von ihm verlangte- er würde Alles geben, um seine Wünsche zu erfüllen. Was dieser natürlich niemals erfahren durfte, denn das, so fühlte Mikhail, würde sein Ende sein.

Um diese Antwort zu vermeiden, küsste er Fei Long erneut, diesmal langsamer und weniger heftig, den Geschmack seines Mundes genießend, nach dem er jetzt schon süchtig war. Er spürte, dass er niemals genug davon bekommen würde, von diesem Gefühl, diesen weichen, vollen Lippen auf den seinen, von dieser Hingabe, die neu war für Fei Long und die ihn jetzt schon verrückt machte vor unerfülltem Begehren. Er zog seinen Körper eng an den eigenen, verfluchte die mehreren Stoffschichten zwischen ihnen. Ließ seine Zunge wieder in die fremde Mundhöhle ein, nahm sich alles, was er bekam.

Diesmal war es Fei Long, der sich schweratmend von ihm löste. Seine Brust hob und senkte sich rasch, die dunklen Augen verschleiert, dennoch nicht minder eindrucksvoll. Mikhail legte sein Gesicht in seine Halsbeuge, zog seinen betörenden Duft ein und presste seine Lippen gegen die goldgelbe Haut.

„Fei Long, ich werde verrückt, wenn ich heute nicht mit dir schlafen darf“ raunte er in sein Ohr und fühlte, wie der Körper an seinem erschauerte. Er spürte, wie Fei Long seinen Kopf ein wenig zu ihm neigte.

„Glaubst du, ich nicht?“ flüsterte er zurück. Sie hatten auf Russisch gesprochen, um niemanden von den Leuten, die hin und wieder an ihnen vorbeigingen, an ihrem Gespräch teilhaben zu lassen. Diese Worte in seiner Muttersprache aus Fei Longs Mund zu hören, ließ es Mikhail heiß und kalt über den Rücken wandern und es unangenehm eng in seiner Lendengegend werden.

„Gehen wir zurück zum Hotel?“ konnte er lediglich heißer flüstern. Sein Verlangen nach diesem Mann war auf einmal so übermächtig, dass er es nicht zustande brachte, irgendetwas anderes zu denken.

Er fühlte Fei Longs Nicken an seiner Wange.

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Fei Long konnte sich nicht erinnern, dass ihm je ein Weg so lang vorgekommen war. Jeder Schritt war eine Qual, ein weiterer Akt der Selbstbeherrschung. Obwohl er so lange widerstanden und sich davon überzeugt hatte, dass er ganz gut in der Lage war, dem Begehren nicht nachzugeben, das ihn zu überwältigen drohte, war er nun an seinen Grenzen angelangt. Es gab keinen Grund mehr, Mikhail Arbatov zu widerstehen, zumindest nicht körperlich. Sie hatten es schließlich schon getan, hatten bereits miteinander geschlafen, und alles, was außerhalb der überwältigenden Spannung und körperlichen Anziehungskraft zwischen ihnen lag, erlaubte er sich, aus seinen Gedanken zu verbannen, zumindest für heute Nacht. Er spürte den unbändigen Wunsch, sich endlich diesem Mann hinzugeben, der seinen Puls rasen ließ und ihn willenlos seinem Verlangen auslieferte.

Sie berührten sich kein weiteres Mal, bis sie den scheinbar endlosen Weg zu Hotel zurückgelegt hatten. Das machte es einfacher, sich zu beherrschen. Schon so war es schwer genug, Mikhail auf Abstand zu halten. Stattdessen bemühten sie sich um Smalltalk, redeten über die angenehme Temperatur, das gute Abendessen, die angenehme Atmosphäre am See, nur nicht über das, was sich tatsächlich in ihren Köpfen abspielte.

Selbst im Aufzug hielten sie noch einen Meter Sicherheitsabstand, doch nun verstummte ihr Gespräch. Das Bewusstsein darüber, was sie im Begriff waren zu tun, stand wie eine dunkle Gewitterwolke über ihnen. Fei Longs Herz begann zu rasen und seine Hände umfassten hilfesuchend die Griffe, die am Rand des Aufzugs angebracht waren. Er drückte den obersten Knopf und wartete, von leichtem Schwindel ergriffen, bis ein sanftes Klingel ankündigte, dass sie angekommen waren.

Er sah Mikhail nicht an, als sich die Aufzugtür öffnete, sondern ging schnellen Schrittes den Korridor entlang zu seiner Suite. Es war in der Tat ungewöhnlich, nicht von einer Schar Bodyguards begleitet zu werden. Möglicherweise hatte Mikhail Recht und es war leichtsinnig- doch er wollte auf dieser Reise alleine sein. Er hatte kaum jemanden etwas von seinem Ausflug erzählt, kaum jemand wusste, dass er sich in Hangzhou aufhielt, mit Ausnahme von Yoh und Tao, allen anderen hatte er lediglich über eine private Angelegenheit informiert, um die er sich würde kümmern müssen.

Ihm fiel auf, dass seine Hand kaum merklich zitterte, als er die Karte gegen den Sensor hielt und mit einem Piepen ein grünes Licht aufleuchtete. In diesem Moment fühlte er auf einmal die überwältigende Präsenz Mikhails hinter sich und starke Arme schlangen sich um seine Hüften.
Sein Zittern wurde heftiger ohne dass er etwas dagegen tun konnte, er fühlte sich erregt und ausgeliefert zugleich und sein Körper betrug ihn, ließ die Illusion von Beherrschtheit, die er bis zu diesem Augenblick aufrecht erhalten hatte, gnadenlos in sich zusammenfallen.
Er stieß die Tür auf und zog den Russen mit sich ins Zimmer. Ehe er sich versah wurde er auch schon von dessen kräftigem Körper an die Wand gedrückt und sein Mund abermals mit gieriger Leidenschaft verschlungen, während er am Rande wahrnahm, wie Mikhail der Tür einen Stoß gab und sie ins Schloss fiel.

Er spürte heiße Lippen an seinem Hals, harte Muskeln unter dem Leinen der Kleidung, fühlte die groben Hände die sich ohne Rücksicht unter den Stoff seines Hemdes gruben.
„Mikhail“ stöhnte er rau, den Namen, der seit Wochen seine Träume beherrschte. Er wurde von seinem Begehren überwältigt, wollte diesen Mann, spürte dessen Begehren, seine harte Erregung an der seinen. Besinnungslos schlang er die Arme um den kräftigen Körper.

Vielleicht sollte er ihn von sich stoßen, seine Beherrschung aufrecht erhalten, so wie an diesem Tag in Hong Kong. Ihren Kuss damals zu unterbrechen, Mikhails dazu zu zwingen, seine Hände von ihm zu nehmen, waren einige der schwierigsten Dinge gewesen, die er je hatte tun müssen. Doch damals war er hierfür noch nicht bereit gewesen. Nun hingegen war er vollkommen an dem Punkt angelangt, sich Mikhail bedenkenlos hingeben zu können. Er war ihm nach Hangzhou gefolgt, hatte seine Bedingungen angenommen und ihm dadurch gezeigt, dass es ihm wichtig war, was zwischen ihnen war, in welcher Form auch immer. Und deshalb konnte er ihn nicht mehr von sich stoßen. Er konnte endlich dem Feuer nachgeben, sich von seinen Flammen verzehren lassen.
Er presste sich an Mikhail, zerrte an dessen Hemd und wurde mit einem ungeduldigen Keuchen belohnt.

„Fuck, Fei, wenn wir so weitermachen, wird das hier nicht lange dauern.“

„Wir haben die ganze Nacht, Mikhail.“

Die Leidenschaft in den stahlblauen Augen raubte ihm wieder einmal den Atem und er fühlte sich ein Stück weit zurückversetzt in die Nacht des Taifuns- nur, dass dies hier so viel mehr war. Mikhail hielt einen Moment inne, um ihn zu betrachten, seine fester Griff lockerte sich etwas und eine seiner Hände wanderte nach oben, um eine von Fei Longs pechschwarzen Haarsträhnen aus seinem Gesicht zu streichen.

„Ich hoffe, du hast nicht vor, besonders viel zu schlafen“ raunte er mit einem vielsagenden Lächeln.

Anstatt einer Antwort verflochten sich Fei Longs Hände mit seinen blonden Locken und presste seine Lippen wieder auf den Mund des Russen. Sein Körper bebte erwartungsvoll. Er wollte, konnte nicht mehr reden, all seine Sinne waren vernebelt, schrien nach dem anderen Mann.
Mikhail war grob, wenn auch auf eine sanfte Art. Doch genau das war es, was Fei Long ihm so hilflos auslieferte- er wollte gleichzeitig kämpfen und kapitulieren. Starke Hände zogen ungeduldig an dem störenden Stoff seines Hemdes, dann, als dieses beseitigt war, fuhren sie über die feine Haut an Fei Longs Hüfte, gruben sich hinein. Fei Long stöhnte, die Berührung elektrisierte ihn.

Sie hatten aufgehört, sich zu küssen, es erforderte zu viel Konzentration, ihre Kleider zu entfernen. Fei Long griff nach dem Saum von Mikhails Hemd und zog es in einer raschen Bewegung über seinen Kopf, während er dem heftigen Atem lauschte. Sofort legte er seine Hände auf die kräftigen Muskeln, fühlte die raue Festigkeit unter seinen Fingern, fuhr durch das kaum merkliche Brusthaar. Das Begehren raubte ihm den Atem. Der Körper vor ihm war ein Meisterwerk, stark, männlich, wunderschön, und er konnte nicht anders, als seine Lippen auf die helle Haut zu pressen, daran zu saugen und ihren leicht salzigen Geschmack aufzunehmen.
Mikhail stöhnte laut, als er Fei Longs Zähne spürte, die sich in seine Halsbeuge gruben. Seine Hände pressten Fei Long an sich, als wolle er ihn nie wieder gehen lassen, sie fuhren über die nackte Haut seines Rückens, durch sein langes Haar, lösten das Band und damit den Zopf, so dass die langen Strähnen lose durch seine Finger glitten.

Fei Long drängte den anderen Mann zur Couch, als er fühlte, dass seine Beine ihn nicht mehr lange tragen würden. Schon jetzt fingen sie an, nachzugeben, wann immer sich Mikhails heißer Mund auf seine Lippen oder seine entblößte Haut pressten und erst recht, als seine Hände den Gürtel und den Reisverschluss an seiner Hose öffneten und von sich von hinten um seinen Hintern schlossen.

Mikhail verstand, wohin er ihn dirigierte und ließ sich auf der Couch nieder. Fei Long blieb einen Augenblick vor ihm stehen, sein Schritt auf Augenhöhe mit Mikhails Gesicht, unsicher, was er tun sollte. Dann spürte er die rauen Hände des Russen, wie sie langsam den Bund seiner Hose über seine Hüften schoben. Als er nach unten sah, traf sein Blick ein Paar blauer Augen.

„Fei, du solltest dich sehen können“ kam es von Mikhail, aufrichtige Bewunderung in seiner Stimme.

Das brauche ich nicht, dein Anblick genügt mir, dachte Fei Long und ließ seine Hände liebevoll durch die blonden Haare wanderten, wickelten eine Locke um seinen Finger, während die Hose von seinen Hüpften glitt und seine bereits schmerzhaft aufgerichtete Erektion befreit wurde.

Einen Augenblick lang tat Mikhail nichts, sah ihn nur weiter mit diesem Blick an, der es ihm unmöglich machte, auch nur einen Atemzug zu tun, aus Furcht, er könnte irgendetwas an der Perfektion dieses Momentes zerstören. Dann schlossen sich seine Hände wieder fest um die erhitzte Haut von Fei Longs Hintern und zogen ihn mit einem Ruck an sich.

Fei Long schrie fast auf, als sich die heißen Lippen um sein Glied schlossen. Seine Hände wanderten zu Mikhails Schultern, um sich abzustützen, denn nun gaben seine Beine endgültig nach. Er warf den Kopf nach hinten, sein Haar schwang zurück, während er seine Augen schloss, nur noch fühlte.

„Mikhail, oh scheiße…“ war alles, was er noch von sich geben konnte. Sein Atem beschleunigte, als er seine Lust hinausschrie. Sein ganzer Körper erschauerte und endlich, zum ersten Mal in seinem Leben, hatte er das Gefühl, sich beim Sex komplett hingeben zu können. Vorher war da immer ein winziges bisschen an Selbstkontrolle, eine dünne Mauer von Beherrschung gewesen, die er einfach nicht hatte fallen lassen können. Doch nun gab er alles von sich, ohne Zurückhaltung und er spürte, dass Mikhail Arbatov der einzige Mann war, mit dem dies möglich war. Dem er bereit war, sich selbst in seiner rohesten und ursprünglichsten Form zu geben.
Und dies ließ ihn Lust erleben, wie er sie noch nie gefühlt hatte.

Das Verlangen in ihm war nun unbändig. Er wollte mehr von Mikhail, er wollte alles. Ungeduldig gruben sich seine Hände in die blonden Locken, zogen den Kopf von sich.
„Mikhail“ keuchte er atemlos. „Ich will dich jetzt. Ich will nicht mehr warten.“
Gott, das Feuer in den Augen des Russen machten ihn völlig besinnungslos. Genau, das war es, was er wollte, als der Mann aufstand und ihn zu Boden drückte, sich der schwere Körper über seinen senkte. Es blieb keine Zeit mehr, ins Schlafzimmer zu gehen, sie würden es hier tun, auf dem Boden des Wohnzimmers.

Ungeduldig schlangen sich Fei Longs Arme und Beine um den Körper des Anderen. Die heißen Lippen fanden wieder seinen Hals und trafen genau die Stelle, die ihn besinnungslos aufstöhnen ließ.

„Fei“ murmelte er an seiner Haut, seine rauen Wangen kratzten kaum merklich. „Ich will dich so sehr…“

„Dann nimm mich!“ rief Fei Long beinahe ungeduldig.

Er fühlte die unbändige Kraft des Russen, die er nur mühsam zurückzuhalten schien, doch er wollte sie, er wollte nicht, dass er sie zurückhielt! Ungeduldig wanderten seine Hände zum Reisverschluss von Mikhails Hose und befreiten ihn endlich davon. Nach dem zu urteilen, was seine Hände ertasteten, musste sie unglaublich schmerzhaft gewesen sein. Mikhail stöhnte unbeherrscht, als sich Fei Longs Finger in seine Unterhose schoben und um sein bloßes Glied schlossen. Es war groß und hart in seiner Hand. Fei Long schluckte.

„Tu das nicht, Fei, oder ich werde es nicht mehr schaffen, dich zu nehmen“ keuchte er, half ihm dann endlich, den Stoff loszuwerden und legte sich, nun endlich gänzlich nackt, auf den Mann unter ihm.

Endlich, sein bloßer Körper, rau und kräftig und hart auf seinem, in seiner ursprünglichsten Form, nur sie und ihre primitivsten Bedürfnisse. Fei Long presste sich an ihn, fühlte wie sich ihre steifen, aufgerichteten Glieder berührten und stöhnte laut auf. Er schlang seine Beine wieder um die Hüften des anderen Mannes, suchte seine Nähe, zeigte ihm sein Verlangen. Es würde sicher wehtun, das wusste er, doch schon jetzt erschauerte er in Erwartung, ihn in sich zu fühlen, so wie damals, in dieser Nacht.

„Ich will dich vorbereiten, Fei. Damals hat es dir wehgetan… ich will nicht, dass das wieder passiert“ murmelte Mikhail nach einem lauten Keuchen an Fei Longs Ohr.

Er hielt inne. Genau das war es, was Mikhail von jedem unterschied, mit dem er je Sex gehabt hatte- er kümmerte sich in erster Linie nicht um sich selbst. Jeder vor ihm hatte seinen Körper begehrt, war von seiner Schönheit überwältigt gewesen, doch nie hatte jemand seinen Bedürfnissen in gleicher Weise Aufmerksamkeit geschenkt. Er konnte nicht anders, seine Lippen verzogen sich zu einem glücklichen Lächeln, Mikhails Gesicht nur wenige Zentimeter von seinem. Gottseidank hatte er sich vorbereitet.

Seine rechte Hand wanderte zum Couchtisch, auf dem er zuvor eine Tube mit Gleitcreme deponiert hatte- hatte er das hier zwar nicht geplant, aber doch für möglich gehalten- und drückte sie Mikhail in die Hand.

„Dann bereite mich vor“ gab er zurück und sah gespannt zu, wie Mikhail, der seinen Blick dabei nicht von ihm nahm, die Tube öffnete und seine Finger mit der gelartigen Substanz bedeckte. Sein Körper fühlte sich merkwürdig kalt und einsam an, nun, da sich Mikhail ein wenig aufgerichtet und daher von ihm entfernt hatte. Seine Haut überzog mit einem Mal eine Gänsehaut und das leichte Zittern, das ihn ergriff, wurde nicht besser, als er Mikhails Finger an seinem Eingang fühlte, kalt und feucht und dennoch sanft, beruhigend.

„Heb deine Beine ein wenig“ wies er ihn an und selbst seine Stimme wirkte beruhigend auf Fei Long, der tat wie ihm geheißen. Er fühlte leichten Druck, irgendwo zwischen ungewohnt und unangenehm, und dann Mikhails Finger in sich. Wieder von dem aufregenden und gleichzeitig beängstigenden Gefühl des totalen Ausgeliefertseins ergriffen, warf er den Kopf zurück und presste seine Augenlider fest aufeinander.

„Ahhhh“ stöhnte er lange und gedehnt und versuchte sich an das Gefühl zu gewöhnen. Er musste nicht lange warten, denn Mikhail suchte und fand den Punkt in ihm, der im einen besinnungslosen Schrei entlockte. Seine Beine begannen zu zittern, und er drängte sich Mikhail entgegen, öffnete seine Augen wieder und hob den Kopf, betrachtete den anderen Mann, der ihn mit unverhohlener Faszination ansah.

Ihre Blicke trafen sich. Sein Name entkam Mikhails Lippen und Fei Long konnte nicht mehr anders, er streckte seine Arme nach ihm aus und flüsterte rau: „Komm endlich.“

Nun schien auf Mikhail sich endgültig nicht mehr zurückhalten zu können, sein Körper kam wieder über Fei Longs und endlich, endlich spürte er sein hartes, heißes Glied an seinem Eingang, das sich langsam in ihn schob.

Fei Long japste nach Luft, hatte das Gefühl, seine Lungen gar nicht mit genug Luft füllen zu können um so schreien zu können, wie er es gerne getan hätte. Stattdessen biss er in Mikhails Schulter, der einen Fluch auf Russisch zischte, während er langsam, unendlich langsam, in ihn eindrang. Starke Arme umschlangen ihn, hielten ihn fest.

Dann endlich war er ihn ihm.

„Beweg dich“ befahl Fei Long, der nicht mehr warten wollte, dem der immer noch heftige Schmerz egal war. Und als Mikhail sich mit einem weiteren, kräftigen Stoß in ihm versenkte, redeten sie nicht mehr. Alles, was Fei Long fertigbrachte, war ohnmächtiges Stöhnen, bis er endlich einer Lust erlag, die alles übertraf, was er je gefühlt hatte.

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Danach unglaubliche Erschöpfung.

Eine lähmende Trägheit, schmerzenden Glieder, ein dumpfes Brennen an der Stelle, wo Mikhail in ihn gedrungen war.

Und gleichzeitig eine unglaubliche Befriedigung.

Mikhails schwerer Körper lag noch auf ihm, machte ihm das Atmen schwer, doch er wollte auf keinen Fall, dass er sich von ihm rollte, er wollte diese neue Vertrautheit zwischen ihnen nicht zerstören.

Er küsste Mikhails Schläfe, der immer noch heftig atmete und sog seinen Geruch ein, den üblichen, männlichen Geruch nach Aftershave, nun gemischt mit einem Hauch von Schweiß.
Der Kopf auf seiner Brust hob sich langsam und Mikhails zufriedener Bick traf seinen.
Fei Long hatte mit unzähligen unbedeutenden Menschen geschlafen, mit Männern sowie mit Frauen, doch niemals hatte er auch nur annähernd etwas erfahren, was er als Befriedigung bezeichnet hätte. Er hatte körperliche Freuden erlebt, ohne Zweifel, doch hinterher war er immer genauso unzufrieden und hungrig nach mehr gewesen. Nun, nachdem er mit Mikhail geschlafen hatte, fühlte er sich zum ersten Mal ruhig- und gesättigt.

„Bett?“ murmelte der Russe mit trüben Augen.

Fei Long wäre am liebsten für immer so liegen geblieben, doch er nickte und sie erhoben sich, immer noch benommen, beide leicht schwankend.

Es war noch nicht sehr spät, doch Erschöpfung übermannte Fei Long, so dass er sich nur unter die Bettdecke legen und Mikhail an sich ziehen konnte.

„Ich würde gerne bis zum Morgengrauen weiter machen“ flüsterte Mikhail, als er seine festen Arme um ihn geschlungen hatte und gemächlich durch Fei Longs langes Haar strich. „Aber du hast es mit einem Mal geschafft, mich völlig zu erschöpfen. Normalerweise habe ich mehr Ausdauer…“

Fei Long ging es natürlich ähnlich, dennoch entgegnete er spöttisch: „Und was ist mit… ‚ich hoffe, du hast nicht vor, besonders viel zu schlafen…‘ und ‚wir haben die ganze Nacht?‘“

Die Brust des Russen bebte mit seinem Lachen.

„Gnade, Fei. Haben wir nicht noch morgen? Und übermorgen?“

„Ja“ entgegnete er flüsternd und auf einmal zog sich sein Herz zusammen, als ihm der morgige Tag wieder einfiel. Wenn Mikhail nur wüsste, dass er nicht an Morgen denken wollte, wenn er wüsste, wie sehr ihm dieser Tag Angst machte. Aber es war etwas, was er tun musste, was er viel zu lange aufgeschoben hatte. Wie gerne hätte er Mikhail davon erzählt, doch er wagte es immer noch nicht, zu viel von sich zu offenbaren. Er traute dem Russen nur zögernd, tat kleine Schritte. Dass er hier war, musste ihm vorerst genug sein.

Auf einmal überkam ihn eine Welle der Angst. Trotz seiner Müdigkeit begann sein Herz wieder wild zu schlagen und alles was er denken konnte, war, dass er den Trost des Anderen noch einmal brauchte. Mikhails Worte ignorierend, seinen eigenen Körper ignorierend, der erschöpft nach Ruhe schrie, presste er sich an den Mann neben sich, sein Mund wanderte fiebrig über die noch erhitzte Haut. Es dauerte nicht lange, bis Mikhail erneut nachgab und als die rauen Hände in der Dunkelheit über Fei Longs schweißnasse Haut glitten, konnte er endlich wieder vergessen, warum er gekommen war.

Ende Teil 1

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