Language: German
Title: Amicus Draconis: 2nd Cycle - Cycle of the Snake
Rating: R
Warnings: Het, Slash, Character Death
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Hauptseite Trailer14. Sprung From My Only Hate I:
/Teil A/ /Teil B/ /Teil C/ /Teil D /Teil E/ ***
January 1999, Gegenwart
Wo bist du jetzt?
Was geschieht mit dir?
Noch immer starre ich hinunter in die wirbelnden Schwaden aus milchigweißem Rauch und kann nicht begreifen, was ich getan habe. Was ich dir angetan habe. Was ich immer noch tue. Dein ganzer verdammter Plan kann überhaupt nicht funktionieren, er ist purer Wahnsinn!
Ich hätte mich nie darauf einlassen dürfen...
Seit wann können Gryffindors überhaupt Pläne schmieden? Den Kopf verlieren und sinnlos drauflos stürmen, das ist doch alles, was ihr könnt! Meinst du, du kannst einfach so in eine Drachenhöhle hineinspazieren und unbeschadet wieder rauskommen? Denkst du, du bist schon bereit, ihm gegenüber zu treten? Und glaubst du tatsächlich, dass du es auch noch überlebst?
Natürlich, du hast deine ach-so-tollen Freunde und du verlässt dich felsenfest darauf, dass sie heldenhaft auf weißen Pferden angaloppiert kommen und dich retten werden. Was aber, wenn sie versagen?
Du unterschätzt ihn. Du weißt nicht, welche Macht er besitzt. Du weißt nicht, wozu er imstande ist.
Aber wahrscheinlich mache ich ganz genau denselben Fehler. Ich bilde mir ein, ich könne ihn belügen, könne ihm etwas vormachen, so wie ich mir selbst und allen anderen etwas vormache. Was ist, wenn ich noch nicht bereit bin? Wenn er mir in die Augen sieht und mich durchschaut?
Er würde mich töten. Mich und meine ganze Familie...
Und was, wenn er dich tötet?
Nein, verdammt, ich darf keine Angst haben. Ich habe gelernt, meine Gedanken und Gefühle in mich einzuschließen, ich weiß, wie ich sie vor neugierigen Blicken verbergen kann. Ich kann ihn täuschen. Verdammt, ich kann ihn täuschen. Ich hab’ es schon einmal getan und ich kann es wieder tun. Er hat keinen Grund, mir zu misstrauen und wenn er es trotzdem täte, würde er mich ganz sicher nicht in seinen inneren Kreis aufnehmen.
Wird es wehtun, wenn er sein Zeichen in meinen Körper brennt?
Wird er irgendetwas von mir verlangen? Eine Mutprobe vielleicht, ein Zeichen meiner Treue?
Wenn ich jemanden töten soll, dann muss ich es diesmal wirklich tun. Ich kann nicht riskieren, in seiner Gegenwart einen falschen Todesfluch zu benutzen. Er würde mich sofort durchschauen und alle meine Vorbereitungen, meine sorgfältigen Irreführungen und Täuschungsmaneuver wären vergebens gewesen. Und es ist ja nicht so, dass ich noch nie in meinem Leben getötet hätte; nicht jeder meiner Flüche kann so funktioniert haben, wie er sollte, aber ich hab’ noch nie...
Nein, ich werde jetzt ganz sicher nicht schlapp machen. Nicht, nachdem ich schon so weit gekommen bin.
Lange Zeit hab’ ich mich von ihm fernhalten können, um mich vorzubereiten, um die Mauern um mich herum immer höher, immer stärker, immer undurchdringlicher aufzubauen. Und ich habe diese Zeit genutzt. Dank meiner Gerissenheit habe ich jetzt eine eigene kleine Armee unter mir, eine Armee, die auf mein Kommando hört, nicht auf das meines Vaters oder das irgendeines anderen. Damit besitze ich bereits größere Macht, als ein Großteil der Zauberer in seinem Rat.
Es ist an der Zeit, den nächsten Schritt zu gehen, ganz egal, was er mich kosten wird. Jeder Schritt scheint mir, als müsse ich auf der Schneide eines Messers laufen, doch ich werde den Weg weitergehen. Bis zum bitteren Ende.
Denn es ist der einzige Weg, der mich zurück zu dir führt...
Morgen Nacht werde ich ein Mitglied seines Dunklen Rats. Ich werde an meines Vater’s Seite in seinem inneren Kreis sitzen, ich werde endlich Genaueres über seine Pläne erfahren und ich werde ihn ebenso täuschen wie ich alle anderen getäuscht habe. Ich werde...
Oh, verdammt, was hast du nur getan?
Du hasst mich dafür, dass ich dich verraten habe...
Aber du hast mich dazu gezwungen, dich noch ein weiteres Mal zu verraten und dafür hasse ich dich.
*
Opening Credits:
Author’s Note: Es ist leider absolut unmöglich, einen durchgehenden Kalender oder eindeutige Stundenpläne vom dritten Band aufzustellen, da der guten Jo beim Schreiben ein paar Fehler unterlaufen sind. Offenbar hat sie die Tage und Fächer immer so hingedreht, dass sie den Plot unterstützen, ohne darauf zu achten, dass auch alles zusammenpasst und einen Sinn ergibt.
So fällt der erste Schultag (2. September 1993) auf einen Donnerstag, aber im Buch heißt es: “Malfoy didn’t reappear in classes until late Thursday morning when the Slytherins and Gryffindors were halfway through Double Potions.“ Selbst wenn es Draco gelungen wäre, eine komplette Woche im Krankenflügel zu verbringen, warum haben die Schüler am ersten Donnerstag Divination und Care of Magical Creatures und am zweiten Donnerstag plötzlich Potions? Und warum ist am 16. Oktober (dem Karnickeltag) Unterricht, wo der Tag doch auf einen Sonntag fällt? Und warum liegt Divination in der ersten Hälfte des Buchs immer vor Magical Creatures und in der zweiten Hälfte plötzlich danach?
Ich hab’s aufgegeben und stattdessen heimlich noch mal den Kalender von 1992 hergenommen, damit wenigstens die Wochentage einen Sinn ergeben. Jetzt kommt der Karnickelbrief an einem Freitag, Hallowe’en/Hogsmeade liegt brav auf einem Samstag und Draco wird an einem Mittwoch verletzt und kommt am Donnerstag wieder zum Unterricht.
Warnings: Yaoi. Ganz genau. In diesem Kapitel. Alle Erotikszenen in CotS werden ab sechzehn sein, wie der Rest der Geschichte. Es wird keine einzelnen, auf Animexx gesperrten und auf FFnet nicht erlaubten FSK-18 Kapitel geben. Diesen Stress tu ich mir ganz sicher nicht an. *lach*
Und für alle Yaoi Fans noch zusätzlich eine Hetero Warnung. Mädels, ihr werdet’s überleben.
Background: Alle Episodenguides und weiteren Backgroundinfos zur Story sowie Infos über Updates gibt’s in der
Yahoo!Group zu Amicus Draconis Zwischendrin gab es auch einen
Animexx-Zirkel, der aber mittlerweile nicht mehr existiert.
*
*
Oh, nie sollst Du mich falsch von Herzen heißen,
Schien schwach auch, da ich fern war, meine Glut.
So leicht könnt ich vom eignen Selbst mich reißen,
Als von der Seele, die in deiner ruht.
Dort ist der Liebe Heim. Irrt ich auch weit,
Getrieben hat mich’s doch, zurückzueilen
Zu rechter Zeit, nicht anders durch die Zeit;
Selbst bring ich Tropfen, die mein Arges heilen.
Beherrschen alle Fehler auch mein Ich,
In deren Bann jedwedes Menschenblut,
Doch für so urteilslos nicht halte mich,
Für Nichts zu opfern dich, das höchste Gut.
Nichts ist dies weite Weltall meinem Sinn,
Du, meine Rose, bist mein Alles drin.
*
*
Amicus Draconis
*
Second Cycle: Cycle of the Snake
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Part 15: Sprung from my only Hate II - Prodigious Birth of Love it is to me
Malfoy Manor, August 1st, 1993
Erschöpft, zerzaust, und über und über mit Schlamm bespritzt, ließ Draco sich auf der obersten Stufe der breiten Marmortreppe nieder, damit ihm ein eifrig herbeieilender Hauself die Stiefel ausziehen konnte, bevor er das Haus betrat. Eine weitere Elfe wollte ihm seinen Nimbus abnehmen, doch das ließ er nicht zu; um seinen Besen wollte er sich schon selbst kümmern.
Strumpfsockig und schlammtropfend schlich er durch die Eingangshalle, hoffte dass seine Eltern ihn nicht in diesem Aufzug erwischten und tapste über das Mosaik, wo sich einer von Tiamat’s fünf Drachenköpfen fauchend erhob, als ihm ein wenig Schlamm auf die Nase spritzte. Diensteifrig rannte die Hauselfe hinterher, um sofort wieder sauber zu machen, sprang jedoch mit einem Quieken zurück, als die gewaltigen Kiefer angriffslustig nach ihr schnappten.
Sollte sie doch später saubermachen! Jetzt wollte er schließlich ein heißes Bad, nicht zu heiß, da er immer noch vom Quidditch schwitzte, aber doch warm genug, damit er seine schmerzenden Muskeln ein wenig entspannen konnte. In den letzten Wochen hatte er nahezu jede freie Minute auf dem Besen verbracht, sehr zum Unwillen seiner Eltern, welche diese Entwicklung mit Misstrauen verfolgten. Mutter bedauerte zutiefst, dass ihr Sohn seine Fähigkeiten nicht an die schönen Künste ver(sch)wendete und Vater ließ keine Gelegenheit aus, ihn mit zynischen Bemerkungen daran zu erinnern, dass er auch weiterhin im Schatten von Schlammblütlern stehen würde, wenn er sich nicht endlich auf seine Schularbeiten konzentrierte.
Dabei waren seine Noten eigentlich nicht besonders schlecht. Aber andere waren eben besser und das allein zählte.
Leise tapste er durch die Gänge, aber offenbar nicht leise genug, denn zwei Vorhänge sausten plötzlich auseinander und gaben den Blick auf das Gemälde einer aufgetakelten alten Frau in sündteurer schwarzer Robe und mit einem ebenso schwarzen Häubchen frei.
“Oh, mein Liebling, mein süßer kleiner Dray!“ plärrte das lauteste Organ, das man sich bei einem Gemälde je erträumt hätte. “Mein edler, schöner reinblütiger Neffe! Komm doch und gib’ Großtante Walburga einen Kuss. Komm zur lieben Tante, sie hat ihr Drakey-Poo ja schon so vermisst...“
Draco rollte die Augen und ergriff die Flucht. Offenbar konnte noch nicht einmal die Tatsache, dass er mit seinen dreckigen Klamotten und zerzausten Haaren absolut unmöglich aussah, Tante Walburga davon abhalten, vor lauter Entzücken in allerhöchste Quietschtöne auszubrechen. Kein Wunder, dass Mutter ihr Portrait in die hinterste Ecke der Galerie verbannt hatte.
Die Blacks hatten ohnehin alle einen an der Waffel, aber niemand mehr als Großtante Walburga, deren Geplärre selbst einen kaltblütigen Malfoy hoffnungslos in den Wahnsinn treiben konnte. Mit Schrecken dachte Draco daran, dass sie um ein Haar seinen Großvater Abraxas geheiratet hätte, doch glücklicherweise war es diesem gelungen, die Heirat zu verhindern und stattdessen Walburga’s jüngere, ruhigere (und etwas weniger nervenaufreibende) Schwester heimzuführen. Großmama Mira hatte zwar auch einen an der Waffel, aber zumindest sah sie davon ab, ihn mit albernen Spitznamen zu beglücken.
Bei diesen ganzen Familienstammbäumen war es ohnehin schwer, den Überblick zu behalten. Wenn man den Familienlegenden Glauben schenken durften, so waren die Vorfahren der Malfoys zu einer Zeit, da die magische Welt noch nicht vollständig von der Mugglewelt getrennt war, aus Skandinavien in die Normandie eingewandert, wo sie auch den französischen Namen Malfoi angenommen hatten, welcher später zu Malfoy anglisiert wurde. Im elften Jahrhundert hatte der Siegeszug von William, dem Eroberer, der sich teilweise auf magische Hilfe begründete, die Malfoys gemeinsam mit so manchen anderen der alten Zaubererfamilien nach Großbritannien geführt. Die Normannen ersetzten die Angelsachsen als herrschende Klasse und während sich die Völker immer weiter vermengten, zogen sich die Zauberer aus der Gesellschaft der Muggles zurück, um ihre eigene zu gründen.
Jetzt, Jahrhunderte später, zierten Generationen von Malfoys, Blacks, Lestranges, Crabbes, Goyles, Bulstrodes, Bones und Potters die Ahnengalerien der prächtigen Anwesen, nebst weiteren Familien, die im Laufe der Zeit ausgestorben waren. An Alter und Ansehen konnten es jedoch nur die Lestranges mit den Malfoys aufnehmen, was dazu führte, dass der Konkurrenzkampf zwischen diesen beiden Zauberergeschlechtern geradezu in einen Krieg ausartete. Bis dann eines Tages...
Als Draco sein Badezimmer betrat, war die Wanne bereits zur Hälfte gefüllt. Er streifte seine Roben über den Kopf, ließ sie liegen, wohin sie gerade fielen, warf die Socken ins eine Eck und die Unterwäsche in ein anderes, und ließ sich schließlich mit einem Seufzer in das dampfende Wasser gleiten.
Ah, tat das gut... Die letzten Wochen waren anstrengend gewesen, doch er war sicher, dass sich das harte Training gelohnt hatte. Er flog jetzt schneller, wendiger und zielstrebiger; vermochte sich besser in die Kurven zu legen, ohne dabei vom Kurs abzukommen. Ganz zu schweigen davon, dass sich seine Reaktionszeiten um ein Vielfaches verbessert hatten.
Er schloss die Augen und lehnte sich gemächlich in der wohligen Wärme zurück, genoss die sanften Berührungen des Wassers auf der bloßen Haut. Potter würde Augen machen, wenn er ihm beim nächsten Mal den Snitch direkt vor der Nase wegschnappte. Draco würde an ihm vorbeizischen wie ein Blitz. Er würde ihn beiseite stoßen, die begehrte Trophäe an sich reißen und ihm dabei gleich noch am besten einen Ellenbogen in die Magengrube rammen. Potter würde vor Wut und Schmerz schreien, sein geschundener Körper sich rasend aufbäumen, ein wildes hilfloses Zittern durch seine Glieder fahren, während er einem abgeschossenem Vogel gleich, zu Boden taumelte.
Rettungslos verloren stürzte er in den Abgrund, den Blick unverwandt auf seinen Erzfeind gerichtet...
Draco konnte ihn genau vor sich sehen, diesen Blick, so als wäre Potter’s Gesicht nur wenige Zoll von seinem eigenen entfernt. Seine Brauen waren zornig geschwungen, die Lippen leicht geöffnet, sie bebten im Rhythmus seines heftigen Atems. Hass loderte in seinen Serpentinaugen wie ein Wirbelsturm, wie ein alles verschlingendes Feuer. Tief, so tief darin lag die Verzweiflung, die Gram über seine Niederlage, besiegt, zerstört ... gebrochen ... zu Fall gebracht ... niedergestreckt in Qual und Agonie...
Als sein Atem wieder ruhiger ging, und die Hitze in seinem Leib verklungen war, säuberte Draco sich die Hände und kletterte, immer noch ein wenig benommen, aus der Wanne.
Seine Abendgarderobe lag schon bereit; es blieb ihm nicht mehr viel Zeit bis zum Dinner. Hastig warf er die dunkelblauen Roben über und breitete seine neuen Schulbücher auf dem Schreibtisch aus, damit es wenigstens so aussah, als habe er darin gelesen. Mutter war entzückt gewesen, dass er sich nun doch für Sphärenharmonie entschieden hatte, sie hatte sogar widerstrebend eingewilligt, dass er dafür die Mianostunden erstmal auf Eis legen durfte. Im Unterricht würden sie noch oft genug auf Instrumenten herumklimpern müssen, um herauszufinden, ob zwischen Merkur und Venus jetzt ein Ganz- oder ein Halbtonschritt lag. Laangweilig!
Arithmantik, sein zweites neues Fach, hörte sich gleich noch viel kniffliger an. Er hatte das Buch nur einmal durchgeblättert; es war voller Tabellen und vertrackter Zahlenquadrate. Warum siebenmal Sieben eine Venus ergab und ein Omega eine 800 sein sollte, war ihm im Augenblick noch ebenso schleierhaft wie die Sache mit den Tonleitern und Planeten. Aber zumindest würde es ihm dabei helfen, wenn er eines Tages selbst neue Zaubersprüche entwickeln wollte. Also nahm er sich vor, aufzupassen.
In das Buch für sein drittes neues Fach, Pflege magischer Geschöpfe, hatte er noch nicht einen einzigen Blick hineingeworfen. Wie denn auch? Die Hauselfen hatten jetzt noch zerbissene Hände von dem Versuch, die schnappende Felleule wieder zuzubinden, da ließ er lieber mal die Finger davon. Außerdem interessierte ihn das Fach sowieso kein Stück. Eigentlich hatte er es nur aus einem einzigen Grund gewählt und der hatte bestimmt nichts mit nervigen Viechern zu tun.
Oder doch, in gewisser Weise schon. Ein fieses Grinsen huschte über sein Gesicht.
Schon als er den Speisesaal betrat, wusste Draco dass etwas nicht in Ordnung sein konnte. Mutter schien tief in Gedanken versunken, und Vater hatte sich in eine Sonderausgabe des Evening Prophet vergraben. Normalerweise war es bei ihnen nicht üblich, beim Essen Zeitung zu lesen, also musste etwas vorgefallen sein. Hoffentlich etwas Wichtiges, dann würden sie ihm keine neuen Vorhaltungen wegen des Quidditchs machen.
“Gibt es denn wenigstens einen Hinweis darauf, wie er es geschafft hat, zu entkommen? Lucius, ich rede mit dir.“
Entkommen? Wer? Von wo? Draco zuckte zusammen, während Vater die Zeitung mit einem ungehaltenen Seufzer senkte. “Nein, gibt es nicht. Fudge und Scrimgeour halten zwar schlaue Reden, aber sie haben wieder mal nicht die geringste Ahnung. Sie wissen weder, wo er sich befindet, noch was er vorhat.“
“Wer hat was vor?“ konnte Draco sich nicht länger beherrschen. “Was ist passiert?“
Seine Eltern ignorierten ihn. “Was denkst du denn, was er plant?“ fragte Mutter. “Müssen wir uns vor ihm in Acht nehmen? Ehrlich gesagt, weiß ich gar nicht, wie ich ihn einschätzen soll.“
“Das ist bei einem Wahnsinnigen auch nicht so leicht.“ Vater lehnte sich in seinem Stuhl zurück und betrachtete seine ineinander verschränkten Hände. “Und wenn Sirius Black eines ist, dann wahnsinnig. Es sei denn natürlich, es ist alles nur Theater, um seine wahren Absichten zu verbergen. Auch das wäre ihm zuzutrauen.“
Sirius Black? Das war doch einer der beiden Söhne von Großtante Walburga. Allerdings konnte er sich auch irren, denn über diese Söhne wurde zu Hause nicht viel gesprochen. Einer war ein Blutsverräter und außerdem tot, wie sich das für einen Blutsverräter gehörte. Der andere war verrückt und hockte seit Jahren im Gefängnis.
“Ist Sirius Black aus Azkaban ausgebrochen?“ Draco sah auf das Titelblatt der Zeitung, welches einen wild aussehenden Mann mit klappernden Zähnen und langen verfilzten Haaren zeigte, die ihm bis weit über die Schultern reichten.
“Ja, allerdings. Lies es nach, damit du informiert bist.“ Vater reichte ihm die Zeitung und wandte sich wieder an Mutter. “Ich werde noch heute Abend die Sicherheitsvorkehrungen um unser Anwesen verstärken. Aber sorge dich nicht, meine Liebe. In Malfoy Manor einzubrechen, ist weitaus schwieriger, als aus Azkaban herauszukommen.“
“Aber warum sollte er denn überhaupt bei uns einbrechen wollen?“ Mutter schien kein bisschen beruhigt. “Was haben wir mit der ganzen Sache zu tun?“
“Wenn du mich so direkt fragst, nichts, aber wir müssen trotzdem auf der Hut sein.“ Vater erhob sich, und ging einige Schritte Richtung Fenster. “Es gibt doch nur zwei Möglichkeiten. Entweder das Ministerium hat Recht, und Black ist tatsächlich ein Gefolgsmann des Lords, auch wenn wir nichts davon wussten. Seine Freundschaft mit den Potters, die Patenschaft für den kleinen Harry - das alles war möglicherweise nichts als Theater, um an Informationen zu kommen...“
Freundschaft mit den Potters? Draco horchte auf.
“... es würde bedeuten, Black hat zwölf Jahre für den Meister in Azkaban verbracht. Dann können wir davon ausgehen, dass er nicht besonders gut auf diejenigen zu sprechen ist, denen es gelungen ist, das Gefängnis ... nun, sagen wir mal ... zu vermeiden.“
Patenschaft für Harry? Sirius Black war Harry Potter’s Pate?
“Aber du bist dir nicht sicher, ob es so ist, nicht wahr?“ hakte Mutter nach.
Vater wandte sich zu ihr um. “Es wäre möglich, wenn auch unwahrscheinlich, dass Black die Potters nicht verraten hat und stattdessen ein anderer dafür verantwortlich ist. In dem Versuch den wahren Schuldigen zu finden, könnte sich Blacks Zorn gegen mögliche ehemalige Gefolgsleute des Lords richten. Aber das ist reine Spekulation. Natürlich sollten wir auf der Hut sein, aber wie es scheint, hat Black ein ganz anderes Ziel.“
“Und das wäre?“
“Der Minister verriet mir im Vertrauen, dass Black während der letzten beiden Wochen vor seinem Ausbruch im Schlaf immer wieder dieselben Worte stammelte: ’Er ist in Hogwarts, er ist in Hogwarts!’ Und mit diesen Worten kann eigentlich nur der junge Harry Potter gemeint sein. Es passt alles zusammen. Egal ob schuldig oder unschuldig, Black macht den Jungen für seine Gefangennahme verantwortlich und will Rache.“
Ein süffisantes Lächeln umspielte Vater’s Lippen. “Schade nur, dass es noch schwerer ist, in Hogwarts einzubrechen als in Malfoy Manor. Vielleicht sollte jemand...“
“Lucius!“ Diesmal schwang eine deutliche Warnung in Mutter’s Stimme mit.
“Beruhige dich, Narcissa, ich habe nicht vor, mich in den Rachefeldzug eines Verrückten einzumischen. Ob Potter lebt oder stirbt, ist für mich ohne Bedeutung. Den Dunklen Lord würde es ohnehin nicht zurückbringen und selbst wenn - ich wäre mir nicht einmal sicher, ob ich das jetzt überhaupt noch wollte...“
Gut, für Vater mochte Potter’s Leben oder Tod bedeutungslos sein. Er musste sich ja nicht Tag für Tag mit diesem verdammten Mistkerl herumärgern.
Für ihn selbst allerdings waren dies ungeahnte Möglichkeiten, die sich da vor ihm auftaten. Es schien zu gut, um wahr zu sein; ein Irrer rannte da draußen herum und trachtete Potter nach dem Leben. Mit Sicherheit ließe sich da etwas arrangieren.
Und dieser Irre war niemand anderes als Potter’s eigener Pate. Hatte er selbst eigentlich auch einen Paten? Soweit er sich erinnern konnte, hatten Vater und Mutter noch nie einen erwähnt.
Es war an der Zeit, wieder Pläne zu schmieden. Mit etwas Glück und einer heimtückischen kleinen Intrige würde er seinen Erzfeind bald endgültig los sein...
* * *
Dezember 21, 1979
“Keine Sorge, meine Liebe, es wird sich alles zum Guten wenden. Selbst Ihm sind Grenzen gesetzt. Glaubst du etwa, er hätte noch eine rege Anhängerschaft, wenn er leichtfertig unsere Kinder ermorden würde?“
Wie hohl und leer klangen Lucius’ Worte in ihren Gedanken, sie fand keinen Trost mehr darin. Hatte sie überhaupt jemals welchen empfunden? Zwar wusste ihr Verstand, dass ihr Mann Recht behalten würde, dass dies nur ein harmloses Fragment eines viel älteren Rituals war, ein Relikt, eine Routine, die sie durchlaufen mussten, wie schon so viele Familien vor ihnen. Sie selbst und ihre Schwestern hatten es auch über sich ergehen lassen, damals als die Gemeinschaft des Lords noch klein war und im Verborgenen agierte. Sie hatten es alle drei unbeschadet überstanden und nun war ihr eigenes Kind an der Reihe. Trotzdem hätte sie am liebsten kehrtgemacht und wäre mit dem kleinen Draco auf dem Arm davongerannt, weit weg von diesem Ritual, weit weg von Ihm und seiner Finsternis.
“Aber er würde es tun, nicht wahr? Er verlangt von jedem seiner Anhänger bedingungslose Loyalität. Also könnte er auch von uns verlangen, die eigenen Kinder zu opfern.“
Doch sie krallte die Fingernägel in die Handflächen und blieb. Reglos wie eine Statue stand sie in den Gewölben ihres Hauses, ein Haus, das ihr in den acht Monaten, die sie darin verbracht hatte, schon mehr zu einem Heim geworden war, als jenes, in dem sie aufgewachsen war. Das letzte Dreivierteljahr war ihr wie ein Traum erschienen, fort von Vater und den Schwestern, fern von all den Kränkungen und Familienkriegen. Stattdessen ein eigenes Heim, wo sie die Herrin war und ein Ehemann, der sie wie eine Dame behandelte. Auch wenn es ihr noch nicht geglückt war, hinter seine kühle glatte Fassade zu blicken, so hatte sie doch gar keine Eile damit. Zum ersten Mal hatten Ruhe und Harmonie in ihr Leben Einzug gehalten und sie war nicht bereit, diese kampflos wieder aufzugeben.
“Er könnte es tun, ja. Wenn es seinen Plänen dienlich wäre. Also ist es meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass jeder Plan, der den Tod unseres Sohnes zur Folge hätte, ihm von vornherein keinen Gewinn einbrächte. Dafür aber jede Menge Schwierigkeiten.“
Jetzt jedoch, wirkte ihr Heim kahl und feindlich, von Grauen und Düsternis durchdrungen und sie war keine Herrin mehr, sondern wieder das verängstigte kleine Mädchen von damals. Schwarz und namenlos standen die Gestalten der Todesser vor ihr. Nein, nicht namenlos - unter den Roben konnte sie Vater’s verachtungsvollen Blick ebenso spüren wie das süße, giftige Lächeln ihrer Schwester. Sie alle warteten nur darauf, dass sie sich schwach zeigte, dass sie versagte und ihre Pflichten nicht erfüllte.
“Und ich verspreche dir, Narcissa, dass ich diese Aufgabe sehr sehr ernst nehme. Unserem Sohn wird nichts geschehen. Vertrau mir.“
“Meine Diener.“ Wie ein Geist trat der Dunkle Lord aus dem Schatten in das Dämmerlicht der Fackeln; eine schemenhafte Spukgestalt, nicht fassbar und doch so real. Einen Augenblick lang schien es, als seien die Lichter erloschen, als zöge die eisige Kälte der Dementoren durch die Gewölbe um alles Leben in frostklirrender Erstarrung einzuschließen und nie wieder freizugeben.
“Ich bin nicht zufrieden mit euch, meine Diener.“
Nicht einmal die Todesser selbst waren vor ihrer Furcht gefeit; ein Zittern lief durch ihre Körper, als sie auf die Knie sanken und demütig die Augen niederschlugen. Auch sie selbst kniete, ihren winzigen Sohn an ihre Brust gedrückt; sie näherte sich jedoch dem Meister nicht, um den Saum seiner Roben zu küssen. Dieses Privileg stand ihr nicht zu, denn sie war nicht eine seiner Gezeichneten.
“Ihr habt mich enttäuscht und das ist bitter, sehr bitter. Ich hätte Besseres von euch erwartet.“
Die Angst im Raum verdichtete sich wie eine zähflüssige, ekelerregende Brühe. Der Geruch von Schweiß legte sich hauchdünn über das gedrückte Schweigen; die flackernden Schatten an den Wänden fuhren ruhelos umher und zuckten über den alten Stein.
“Eure Unfähigkeit, meine Diener, zwingt mich dazu, meine Pläne zu ändern. Und so etwas tue ich nicht gern.“
Furcht kroch in ihr hoch und das Pochen ihres Herzschlages vertrieb jeden klaren Gedanken aus ihrem Geist. Seine Pläne ändern? Was meinte er damit? Ging es um Draco und seinen Initiationsritus? Was hatte der Dunkle Lord mit ihm vor?
Ihre Blicke suchten nach Lucius, doch da er sein Gesicht hinter der Maske verborgen hielt, war es ihr nicht möglich, Augenkontakt mit ihm herzustellen. Er hielt den Kopf gesenkt; vermutlich arbeiteten seine Gedanken fieberhaft, um herauszufinden, was geschehen sein mochte; wie er sich und seine Familie vor der Wut seines Meisters schützen konnte. Es war nicht gut, ihn jetzt zu stören; sie musste ihm vertrauen. Doch es fiel ihr schwer; sie kannte diesen Mann ja kaum. Was, wenn er nicht in der Lage war, Draco zu beschützen? Und was, wenn es ihm nicht wichtig genug war?
Als der Dunkle Lord seine Arme hob, blieb ihr schier das Herz stehen.
Doch er machte keinen Versuch, sich ihr zu nähern oder Draco an sich zu nehmen, ja er blickte nicht einmal in ihre Richtung. Seine Robenärmel begannen zu flattern, seine Hände zogen seltsame Schlangenlinien durch die Luft, seine langen dürren Finger schienen etwas aus dem Nichts zu formen. Grelle Lichtspiralen glommen zwischen ihnen auf, Rostrot, Kobaltblau, Schwefelgelb; ein funkelndes Farbenspiel, welches ihre Augen blendete.
Sie schirmte Draco’s Gesichtchen mit ihrer Hand ab, um sein Augenlicht vor der gleißenden Helle zu bewahren. Doch ihre eigene Wachsamkeit ließ nicht nach, sie zwang sich hinzusehen, während sich die Lichtgarben zu strahlendem Weiß vermengten, allmählich verblassten und stattdessen die Seiten eines Buchs durch die Luft wirbelten. Die Seiten fügten sich aneinander, und das Buch fiel dem Dunklen Lord in die Hände.
“Einer unter euch ist ein Verräter,“ sagte der Lord kalt. “Einer unter euch hat versucht, mir das Buch der Geheimnisse zu stehlen, und ihr anderen seid mitschuldig, da ihr zugelassen habt, dass sich ein solcher Abschaum in unserer Mitte eingenistet hat.“
“Ich kenne den Namen dieses Verräters.“ Sein Blick wanderte durch die Menge, schien jeden einzelnen von ihnen zu durchbohren. “Er wird beizeiten seine Strafe erhalten und bis dahin - “ Lord Voldemort hielt das Buch in die Höhe, so dass alle Anwesenden es betrachten konnten - “werde ich dafür sorgen, dass diese wertvolle Schrift an einem sicheren Ort aufbewahrt wird, solange bis ich sie wieder benötige.“
Zehn kreisförmige Sphären befanden sich auf dem schwarzen Einband des Buches, verbunden durch die zweiundzwanzig Pfade des Tarots, umringt von den vier Symbolen der Elemente. Das Schwert für das Feuer, der Zauberstab für die Luft, der Kessel für das Wasser, und das Amulett für die Erde. Die Sphären schoben sich auseinander, die Pfade blitzten wie Lichtstrahlen in alle Richtungen, und die Elemente schienen sich zu vervielfachen. Statt eines einzigen Buches hielt der Dunkle Lord nun derer drei in den Händen, die einander glichen wie ein Ei dem anderen und unmöglich zu unterscheiden waren.
Schweigen breitete sich aus, und doch wusste sie, dass der Lord nicht schwieg, sondern sprach, seine Worte waren nur nicht hörbar für sie. Schon lange hatte sie vermutet, dass durch das Dunkle Mal eine Art telepatischer Verbindung zwischen Meister und Diener entstand, die es ihm ermöglichte, in den Geist seiner Gefolgsleute vorzudringen und ihnen auf diese Weise Befehle zu erteilen. Und sie glaubte nicht, dass sich diese Macht nur auf Worte beschränkte.
Drei Gestalten traten vor, um die drei Exemplare des Buches in Empfang zu nehmen. Für viele der Todesser mochte es unmöglich sein, unter den Masken und Roben Gesichter zu erkennen, doch Narcissa brauchte kein Gesicht zu sehen, um zu wissen, wer die drei waren. Zwei von ihnen hatte sie ihr Leben lang gekannt, mit dem dritten würde sie, wenn alles gut lief, den Rest dieses Lebens verbringen. Sie fragte sich, ob es wirklich klug war, ein so wichtiges Buch aus der Hand zu geben, aber vermutlich steckte irgendein Plan dahinter, dessen Ausmaß sie im Augenblick nicht absehen konnte.
“Eure Treue bezweifle ich nicht, doch ich will euch eine Warnung aussprechen.“ Die Wut war aus der Stimme des Dunklen Lords verschwunden; er klang nun gelassen, beinahe heiter. “Nur das echte Buch besitzt die wahre Macht. Die beiden Kopien sind ein wenig verändert worden und darum wertlos. Solltet ihr auf den Gedanken kommen, mit den Zaubern darin herumzuspielen, so gewinnt ihr nichts, aber ihr setzt mehr als nur euer Leben aufs Spiel.“
Er lachte leise vor sich hin. “Und wer von euch hält nun das wahre Buch in seinen Händen?“
Keiner der drei wagte es zu antworten, doch eine Antwort schien der Lord auch nicht zu erwarten. Er warf seinen drei auserwählten Dienern einen letzten undurchdringlichen Blick zu, bevor er sich abwandte und seinen Zauberstab zog. “Kommen wir nun zu dem eigentlichen und weitaus erfreulicherem Zweck unserer Zusammenkunft. Lucius und Narcissa, ich hoffe für euch, dass ihr nicht vergessen habt, was ihr mir vor acht Monaten, am Tage eurer Vermählung geschworen habt.“
Ehrerbietend traten die Maskierten auseinander, als ihr Meister in die Mitte des Raumes schritt. Der erhobene Zauberstab zog drei flackernde Kreise über den Boden, welche sich an ihren Seiten überlappten und sich alle drei in einem Dreieck mit gebogenen Seitenlinien schnitten. In die Zentren der Kreise zeichnete der Dunkle Lord drei weitere Dreiecke, jeweils ein schwarzes und ein weißes mit der Spitze nach oben, und ein weiteres schwarzes mit der Spitze nach unten. Die Getreuen versammelten sich um die seltsame Figur und harrten der Dinge, die da kommen sollten.
“Aleph, die erste Mutter. Sie regiert über die Luft.“
Ein Strom feinen Sandes schoss aus der Spitze des Stabes und malte einen Buchstaben in die Schnittmenge zweier Kreise. Einen Buchstaben, der aus drei Zeichen bestand, einem Schrägstrich in der Mitte und zwei kleinen Tupfen jeweils darüber und darunter. Aus der Ferne hätte man ihn fälschlicherweise für ein X halten können.
In gleichem Maße wie der Buchstabe Gestalt annahm, leuchtete der gegenüberliegende Kreis in gelbem Licht auf, und ein leichter Wind begann sich darin zu regen. Er durchwirbelte sacht das schwarze Dreieck, welches die Spitze nach oben trug, verließ dieses jedoch nicht.
“Mem, die zweite Mutter. Sie beherrscht das Wasser und die Erde.“
Der Sand formte einen zweiten Buchstaben in der nächsten Schnittmenge, ein Zeichen ähnlich einem D, denn es bestand aus einem Strich, einem Bogen daran und einem Tupfen links darüber. Der gegenüberliegende Kreis verfärbte sich blau und feiner Erdenstaub bedeckte das schwarze Dreieck mit der Spitze nach unten. Ebenso füllte das mittlere Dreieck, das die Schnittmenge aller drei Kreise bildete, sich mit Wasser.
“Shin, die dritte Mutter. Sie gebietet über das Feuer.“
Während der dritte Kreis in rotem Licht zu schimmern begann und feine Flämmchen in dem weißen Dreieck züngelten, schrieb der Dunkle Lord einen dritten Buchstaben, der ein wenig an einen dreiarmigen Leuchter erinnerte. Er bestand aus drei Strichen, die an der der Wurzel durch einen vierten, waagrechten verbunden waren und aus drei Tupfen darüber, die wie Blütenköpfe auf ihren Stängeln ruhten.
Narcissa erschauerte, als Voldemort zurück trat und in unverhohlener Selbstbewunderung sein Werk betrachtete. Die uralten Buchstaben schimmerten in den bunten Farben der drei Kreise; mächtige und heilige Buchstaben, noch lange bevor ein Dunkler Lord sie für seine schwarze Magie korrumpiert hatte. Der Legende nach stammten sie noch aus den Anfängen des Universums, als alle Seelen miteinander eins waren und es keinen Unterschied zwischen Geist und Materie gab. Doch diese Legenden waren unwichtig, jetzt zählte nur die Gegenwart und die verzweifelte Frage, wie sie diese Nacht überstehen würde, ohne vor Angst um ihr Kind zu vergehen.
Allein wäre sie nicht in der Lage gewesen, auf ihren Herrn zuzugehen, doch Lucius trat an ihre Seite und ging den Weg mit ihr. Er machte keinerlei Versuche, auf sie einzureden oder gar Draco an sich zu nehmen, er legte nur eine Hand auf ihre Schulter und diese Geste hatte etwas überaus Beruhigendes an sich. Was auch immer sie tat, sie musste einen kühlen Kopf bewahren und durfte nicht die Nerven verlieren. Gemeinsam würden sie die Nacht überstehen und am nächsten Morgen würde all dies nicht mehr als ein Alptraum sein.
Reglos stand sie da; widerstand jeder Versuchung zu schreien oder wegzulaufen. Sie hielt den Kopf gesenkt; wagte es nicht, in diese seelenlose roten Augen zu blicken. “Sieh’ ihm nie in die Augen,“ hatte Lucius sie gewarnt, “er liest sonst in deinen Gedanken. Und deine Kräfte werden nicht ausreichen, ihn zurückzuhalten. Dazu ist er zu mächtig.“
’Er ist weitaus mächtiger, als du glaubst,’ hatte sie bei sich gedacht, doch sie hatte geschwiegen. So wie der Meister es ihr aufgetragen hatte. Lucius durfte nicht erfahren wie oft und auf welche Weise sich der Dunkle Lord bereits Zugang zu ihren Gedanken verschafft hatte. Immer und immer wieder...
Ein leichter Druck auf ihrer Schulter erinnerte sie daran, niederzuknien. Gehorsam sank sie an Lucius’ Seite zu Boden und drückte Draco ein letztes Mal an ihre Brust. Da sie wusste, dass sie nicht in der Lage sein würde, ihren Sohn an dieses Ungeheuer zu geben, legte sie ihn ihrem Ehemann in die Arme und hoffte von ganzem Herzen, dass dieser mit seinen Worten Recht behalten würde.
Und hoffte, dass es bald vorüber war...
Kein Zittern der Hände, kein nervöses Flackern der Augen, kein heftiger Atemzug verriet Lucius, als er die Arme hob und seinen Erstgeborenen dem Dunklen Lord entgegenhielt. Narcissa sah wie die langen spinnenartigen Finger sich um den winzigen Körper des Babys schlossen und es mit sich fort nahmen.
“Nun sag’ mir, Lucius, wen hast du zum Paten deines Sohnes bestimmt?“
“Mein Lord, als euer treuester Diener würde ich Euch darum bitten, dass Ihr mir diese Ehre erweist...“
Wie konnte Lucius so etwas wagen? Hatte er vollkommen den Verstand verloren? Draco war schließlich auch ihr Sohn, und sie hatte nicht die Absicht ihn diesem ... diesem Geisteskranken zu überlassen, diesem größenwahnsinnigen, von Komplexen zerfressenen Halbblut. Ruhig bleiben, ermahnte sie sich, wenn sie sich jetzt verriet, würde Draco dafür büßen müssen. Sie durfte ihn nicht in Gefahr bringen.
“Eine weise Bitte, mein ehrgeiziger Freund. Schließlich haben wir beide Großes mit diesem Kind vor, nicht wahr? Nun, wir werden sehen, ob dein Sohn sich der Ehre würdig erweist, welche ihm heute zuteil wird.“
Ein Raunen der Verblüffung lief durch die Menge als Voldemort auf die Form der drei Kreise zutrat und Narcissa konnte die wütenden Blicke einiger Todesser auf sich ruhen fühlen, die sich von dieser Entscheidung zurückgesetzt fühlten. Es war nicht üblich, dass der Lord selbst die Patenschaft für ein Kind übernahm. Das hatte er bisher nur zwei- oder dreimal getan, unter anderem bei ihrer Schwester Camille, die es nie müde geworden war, diese Tatsache immer wieder zur Sprache zu bringen und sich als auserwählte Vertraute des Lords zu betrachten.
Wahrscheinlich war Camille deshalb die einzige Tochter, die bei Vater zumindest noch einen Hauch von Ansehen genoss. Sie selbst war ja wie ein Unterpfand verscherbelt worden und das war noch nicht das Schlimmste.
Alte Geschichten ... vollkommen bedeutungslos.
“Lucius, Narcissa. Seit ihr dazu bereit, die Schwüre zu erneuern, die ihr mir, eurem Herrn gegeben habt?“
“Das sind wir, mein Lord.“
Sie fragte sich, wie es Lucius gelang, so selbstbewusst und frei von Furcht aufzutreten. Innerlich bebte er vor Entsetzen, genau wie sie; nur ein blinder Fanatiker würde ohne Skrupel seinem Kind eine solche Bürde auferlegen. Lucius war kein Fanatiker, er war keiner von denen, die dem Lord in blindem Gehorsam folgten. Lucius war Taktiker, er tat nie etwas ohne Grund und er besaß ein schier unglaubliches Maß an Selbstdisziplin, besonders was seine Gefühle anging. Das wusste sie trotz seiner Verschlossenheit, denn in den letzten Monaten...
Ihre Gedanken zerrissen wie Nebelstreifen als der Dunkle Lord in den gelben Kreis trat, seine Arme ausstreckte und Draco über das schwarze Dreieck der Luft hielt. Ein leichter Wind stieg empor und brachte Draco’s Robe und den hellen Flaum auf seinem Köpfchen zum Flattern.
“Werdet ihr euren Sohn in meinen Lehren erziehen, werdet ihr ihn zu einem stolzen, pflichtgetreuen und unerbittlichen Magier ausbilden und ihn sorgfältig darauf vorbereiten in meine Dienste zu treten, sobald er das Mannesalter erreicht hat?“
Während Voldemort sprach, zuckte ein Blitz aus seinen Fingern und zerstörte den Buchstaben Aleph. Jetzt war das Element nicht länger unter Kontrolle; der Wind brach aus dem Dreieck heraus und verstärkte sich zum unerbittlichen Orkan. Zwar war er noch immer an das Innere des Kreises gebannt, doch in diesem Zirkel gab es nun kein Halten mehr; die rauschenden Luftwogen umwirbelten den Lord und das Kind in seinem Armen. Draco begann zu schreien, doch das wilde Zischen und Brausen übertönte seine Stimme, brachte sie zum Verstummen, und dann konnte sie den Kleinen nicht mehr sehen, zwischen all den Wirbeln und Wogen und den flatternden Robenärmeln, und...
“Ja, mein Lord.“ Mit bebender Stimme fiel sie in Lucius’ Worte ein und suchte nach seinem Arm, nur um etwas zu spüren, in das sie ihre Finger hineinkrallen konnte. Eine Ewigkeit schien es, bis der Sturm sich beruhigte und ihren Sohn wieder freigab; in Panik suchten ihre Augen nach irgendeiner Verletzung, doch sie konnten nichts finden. ’Ruhig, Narcissa, ruhig,’ ermahnte sie sich, als der Lord in den zweiten, den blauen Kreis eintrat.
“Werdet ihr euren Sohn von den schändlichen Einflüssen der Muggles und aller anderen Kreaturen fernhalten, die unreinen Blutes sind und nicht zulassen, dass sie seinen Geist mit Mitleid, Erbarmen und Schwäche vergiften?“
Sie nahm sich vor, schnell zu antworten, schnell damit es vorüber war, doch der Meister hatte den Buchstaben Mem bereits zerstört, kaum dass er zu Sprechen begonnen hatte. Seine Stimme donnerte durch die entfesselten Erdmassen, die auf ihn und Draco hernieder stürzten, bereit sie unter sich zu begraben ... in Tiefe und Finsternis und Tod, und in diesem Moment bereute sie, sich jemals auf dies alles eingelassen zu haben; sie wollte schreien und fliehen und ihre Fingernägel hinterließen blutige Spuren in Lucius’ Arm...
“Ja, mein Lord.“ Ihre eigene Stimme brach irgendwo zwischen den Worten, brach wie die Erdbrocken, die ihren Sohn wieder freigaben, doch Lucius’ Stimme klang genauso fest und sicher wie zuvor.
“Wie überzeugend eure Worte doch klingen, meine Diener. Und dennoch wagt ihr es nicht, mir in die Augen zu sehen. Was habt ihr zu verbergen? Seht mich an, wenn ihr eure Schwüre leistet! Ich befehle es euch!“
Mit dem Fuß zerstörte Voldemort den Buchstaben Shin, noch bevor er den dritten Kreis betreten hatte. Sofort loderten Flammen auf, Feuergarben umflackerten den roten Zirkel und leckten gierig nach Opfern, und dann war der Lord schon eingetreten in dieses Inferno und der Rauch und die Hitze erstickten Draco’s weitere Schreie.
“Werdet ihr nicht zögern, das Leben eures Sohnes zu opfern, wann immer es mir, eurem Herrn und Meister dienlich ist? Und sollte euer Sohn wider Erwarten Verrat begehen, werdet ihr nicht davor zurückschrecken, mit eigener Hand sein Blut zu vergießen?“
’Nein, darauf kann ich nicht antworten’, schrie alles in ihr, ’doch ich muss, ich muss lügen und er wird es erkennen und er wird uns alle dafür büßen lassen. Ich muss ihn anblicken, muss in diese gnadenlosen roten Augen blicken, und genau davor hat Lucius mich gewarnt. Kann er wirklich bis auf den Grund meiner Seele schauen?’
Höher und höher züngelten die Flammen, gebärdeten sich wie wild, umschlangen die beiden Gestalten in ihrer Mitte mit rasender Wut und Zerstörungskraft. Funken stiegen zur Decke empor, der Feuerschein übergoss die dunklen Gewölbe in hundert tödlichen Farben und ihr Herz hämmerte in ihrer Brust, als wolle ihre Seele sich einen Weg aus ihrem Körper bahnen.
“Ja, mein Lord.“ Sie hob als erste den Blick, versuchte die Augen, die wie zwei glühende Kohlen aus dem Schatten seiner Gestalt hervorglommen auf sich zu ziehen. Ja, er würde in ihren Geist eindringen, er würde ihre Angst und ihr Entsetzen spüren, und er würde wissen, dass sie nicht die Wahrheit sagte. Aber es wäre ihm gleich, denn solange sie ihn fürchtete und seinen Befehlen gehorchte, würde er zufrieden sein. Sie war für ihn kein Risiko, keine Gefahr, nur eine schwache Frau, die er nach Belieben benutzen und nach seinem Willen formen konnte.
Und sie würde ihn auch weiterhin in diesem Glauben lassen. Er war kein allmächtiger Meister, er war nur ein blinder Fanatiker vom selben Schlag wie Vater und Camille und Marie, und Lucius hatte Recht, solchen Leuten konnte man nur Paroli bieten, indem man sie austrickste. Und in all den Jahren in denen Lord Voldemort in ihrem Geist ein und ausspazierte, hatte sie gelernt, sich ihre sicheren Nischen zu schaffen. Es waren nur kleine Nischen und sie lagen in den hintersten Winkeln ihrer Seele, doch sie würden genügen.
Dieses Wissen brannte tief in ihr, doch während die Flammen verloschen und die Glut in der Asche verglomm, verließen sie ihre Kräfte. Von Schluchzen geschüttelt sank sie in sich zusammen, klammerte sich hilfesuchend an ihrem Ehemann fest. Lucius legte beschützend einen Arm um sie, hielt jedoch den Blick weiterhin auf seinen Meister gerichtet und verzog keine Miene.
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ebilein “Schwachheit, dein Name ist Weib.“ Ein süffisantes Lächeln umspielte Voldemort’s Mundwinkel, als er mit dem unversehrten Baby auf dem Arm in die Mitte der drei Kreise trat. “Nun, so lasst uns hoffen, dass dieses Kind nach seinem Vater und nicht nach der Mutter gerät.“
Er schenkte Lucius ein anerkennendes Kopfnicken und streckte dann seine Hand in Richtung Boden aus, in Richtung des vierten und letzten Dreiecks, welches mit Wasser gefühlt war. Kleine Tropfen stiegen daraus empor, sammelten sich der offenen Handfläche des Lords.
“Draco Lucius Malfoy,“ sprach der Lord mit feierlicher Stimme und ließ das Wasser über den Scheitel des Kindes rinnen. “Mit dem Wasser, dem Element Salazar Slytherins, nehme ich dich in unsere Gemeinschaft auf. Mögest du mir zu einem treuen Diener heranwachsen und in meinem Namen große Taten vollbringen.“
In all den Jahren in denen Lord Voldemort in ihrem Geist ein und ausspazierte, hatte Narcissa gelernt, sich ihre sicheren Nischen zu schaffen. Es waren nur kleine Nischen und sie lagen in den hintersten Winkeln ihrer Seele, doch sie würden genügen. Genügen, um dieses Ungeheuer vom Thron zu stoßen.
Oder aber, um sich jemanden heranzuziehen, der dies zu tun vermochte.
* * *
September 1st, 1993
10.39
Warum müssen wir nur so früh da sein? Jede Minute, die wir dumm rumstehend auf diesem Bahnsteig verplempern, riskieren wir doch von einem wahnsinnigen Killer in Stücke gehext zu werden. Und noch nicht mal Aurori haben sie zu unserer Sicherheit abgestellt. Vater hat Recht, wenn er sagt, mit dem Ministerium geht’s hoffnungslos bergab.
10.45
Ja, Mutter, ich werd’ auf mich aufpassen. Nein, Mutter, ich werd’ nichts Unvorsichtiges tun. Ja, ist gut, Mutter, ich dich auch.
10.55
Bessere Noten schreiben? Ich soll bessere Noten schreiben? Man sollte doch meinen, so ein wahnsinniger Killer wäre ein Grund, sich mal anständig von seinem Sohn zu verabschieden. Wenn Sirius Black mich in Stücke hext, dann wird es Vater noch Leid tun, dass das Letzte, was er zu mir gesagt hat, war, ich soll bessere Noten schreiben.
11.00
Wir fahren. Ich sitze.
11.01
Und bin immer noch fürchterlich genervt.
11.02
Ich geh’ Potter ärgern!
11.06
Ich geh’ doch nicht Potter ärgern, weil Pansy Parkinson, Tracey Davis und Daphne Greengrass mir im Weg rumstehen. Ob ich denn sehr beschäftigt sei und ob ich viel zu tun hätte und Pansy hätte eine verdächtige Gestalt an ihrem Abteilfenster gesehen und ob ich nicht mal nachsehen könne und sie wären mir unendlich dankbar.
11.22
In Pansy’s Abteil ist nichts. Überhaupt nichts. Kein wahnsinniger Killer im Gepäcknetz, kein wahnsinniger Killer unter den Sitzen und es hängt nicht mal ein wahnsinniger Killer unterm Dach.
11.36
Wer geht mir denn jetzt schon wieder auf den Geist? Irgendsoein nerviger Erstklässler, der von mir wissen will, wie man nach Slytherin kommt, damit man sich nicht mit irgendwelchem Muggledreck das Haus teilen muss. Der sollte sich mal reden hören, der Blödmann. Elf Jahre alt und will hier den arroganten Reinblütler mimen. Schleimer! Verzieh’ dich, oder du machst Bekanntschaft mit dem Innenleben der Toilette!
11.37
Falls sich Pansy und ihr Hühnerhaufen nicht grad dort eingeschlossen haben, weil sie wieder irgendwo einen wahnsinnigen Killer gesehen haben.
11.48
Ich sitze. In meinem verdammten Abteil, an diesem verdammten Scheiß-Tag und ich geh’ hier nie wieder weg. Ich warte jetzt auf die Mittagessen Tante und wenn ich satt bin, dann überleg’ ich mir in aller Ruhe, wie ich Sirius Black dabei helfen kann, Potter umzubringen.
13.23
Hallo Sirius, ich bin’s, dein Cousin Draco. Oder Neffe zweiten Grades. Ist ja auch egal. Nein, bring’ mich bitte nicht um, bring’ Potter um. Pass auf, wir machen das so: du wartest jetzt hier im Quidditch-Umkleideraum und ich bring’ Potter hierher. Ich erzähl’ ihm, das Schlammblut wär’ vom Besen gefallen oder ein großer böser Basilisk will seine heißgeliebte Weaseline fressen. Nein, nicht mich umbringen, Potter sollst du umbringen ... *würg* ... *röchel* ... *blutspuck*
13.27
Schlechter Plan. Ganz schlechter Plan.
13.28
Ich brauch’ einen besseren!
13.44
Mir fällt im Moment aber kein besserer ein. Ich geh’ Potter ärgern!
14.45
Ich geh’ doch nicht Potter ärgern, denn bei denen im Abteil sitzt ein Lehrer. Ein einziger Lehrer im ganzen Zug und er sitzt ausgerechnet bei Potter. Warum nur hat sich heute alle Welt gegen mich verschworen?
15.45
Ich hasse mein Leben!
16.57
Draußen regnet es wie verrückt. Crabbe und Goyle starren die Wassermassen an, die an den Scheiben runterrinnen. Mit sowas kann man sie stundenlang beschäftigen. Wahrscheinlich sind sie überhaupt nur deshalb in Slytherin gelandet, damit sie auch immer genügend Wassermassen zum Anstarren haben.
17.10
Das war glatte Absicht, das mit dem Lehrer. Er hat genau gewusst, dass ich ihn fertigmachen will und hat sich zu dem Lehrer ins Abteil gesetzt, damit er mir entkommen kann. Aber auf solch’ billige Gryffintrotteltricks fall’ ich ganz sicher nicht herein.
17.21
Bin ich denn bis in alle Ewigkeit dazu verdammt, mir mein Leben von diesem Mistkerl zur Hölle machen zu lassen? Immer ist er mir einen Sprung voraus, immer demütigt er mich. Sei es beim Quidditch, sei es in der Schule, sei es im Unterricht, wenn seine blöde Schlammblutschlampe bessere Noten schreibt als ich. Seine bloße Gegenwart ist eine einzige Demütigung. Er hat meine Freundschaft ausgeschlagen. Und er hat noch immer nicht dafür bezahlt.
Ich war ihm nicht gut genug. Genauso wenig wie ich Vater jemals für irgendetwas gut genug bin. Oh, natürlich bin ich sein Thronerbe, den er herumzeigt wie ein Paradepferd, aber tief drinnen weiß ich, dass er mich für einen Versager hält. Er lässt es mich oft genug merken, wenn er seine bissigen Kommentare über meine schulischen Leistungen abgibt, über meine Freunde, über Quidditch, über die Art wie ich gehe, stehe und sitze, über alles was ich sage oder tue. Mit nichts ist er zufrieden. Wenn er könnte, würde er mich wahrscheinlich im nächsten Krämerladen umtauschen und sein Geld zurück verlangen.
Selbst wenn er gar nichts sagt, so sehe ich es doch an seinen Augen. Dieser Blick, den er mir zuwirft, wenn er glaubt, dass ich es nicht bemerke. Es ist derselbe prüfende Blick, mit dem er unsere neugeborenen Crups mustert, wenn er entscheidet, welche wir behalten und welche nicht. Kann aus dem Welpen noch was Anständiges werden, oder erlösen wir ihn lieber gleich von seinem jämmerlichen Dasein? Ich bin für ihn nichts weiter als Besitz, ebenso wie unsere Hunde oder Pferde oder diese verdammten Bücher, die er sammelt, und wenn ich nicht aufs Wort gehorche, dann bin ich sogar noch weniger wert als die.
Und wenn er es so will, dann bin ich für ihn überhaupt nichts. Dann spricht er nicht mit mir, hört nichts von dem, was ich sage, und sein Blick geht durch mich hindurch, als sei ich überhaupt nicht vorhanden. Am liebsten will ich mich dann vor ihn hinstellen und schreien, auch wenn ich weiß, dass es vollkommen sinnlos ist. Ich blicke in seine kalten grauen Augen, aber sie sehen mich nicht. Ich murmele eine leise Entschuldigung, aber es kommt keine Reaktion.
Ich weiß, dass es meine Schuld ist. Ich darf ihn nicht stören, wenn er arbeitet und an seine Bücher gehen darf ich gleich dreimal nicht. Ich hätte meine Finger von dem Buch mit den seltsamen Kreisen lassen sollen, genauso wie er es befohlen hat.
Es tut mir leid, Vater. Es ist alles meine Schuld. Ich will’s auch nie wieder tun. Ich verspreche es.
Ich blicke in diese kalten grauen Augen, die mich nicht sehen und fühle wie die Kälte auch in mir hochkriecht, starr, frostig, gnadenlos, unaufhaltsam. Eine Mauer aus Eis liegt zwischen Vater und mir, und ich kann sie nicht durchdringen, auch wenn ich dagegen trete und mit den Fäusten dagegen schlage, hörst du mich, Vater? Ich hab’ alles falsch gemacht, aber ich will alles anders machen. Ich werde auf alles hören, was du sagst und dir ein viel besserer Sohn sein! Bitte verzeih mir, bitte! Gib’ mir noch eine allerletzte Chance! Sprich wieder mit mir!
Oder sieh’ mich doch wenigstens an... sieh mich wenigstens einmal an...
Ich habe keine Kraft mehr, um gegen die Mauer zu schlagen, es ist so kalt und ich bin so müde und die Stimme versagt mir und ich kann nicht mehr stehen. Ich will nur noch, dass die Dunkelheit kommt und mich umfängt, und ich nichts mehr sehen, nichts mehr fühlen muss.
Ich will nur noch, dass es vorbei ist...
Hilf mir, Vater! Lass mich nicht allein... warum kommst du nicht und hilfst mir?
Warum lässt du mich hier in der Dunkelheit zurück?
Eine Hand stützt mich, etwas Warmes rinnt durch meine Kehle, mein zitternder Körper gehorcht mir wieder und lässt sich bewegen. Es wird heller um mich herum, als ich die Hände vom Gesicht nehme. Ich bin wieder im Zug, aber es ist nicht mein Abteil.
Nein! Geht weg von mir! Ich brauch’ euch nicht!
Soweit kommt’s noch, dass ich mir von Weasleys helfen lasse! Ihr seid schmutzig und ihr seid Blutsverräter. Vater würde...
Vater würde auf mich böse sein, wenn er wüsste, dass ich hier bin und mich so gehen lasse. Ich muss Haltung bewahren. Ich darf keine Angst haben, ich darf nicht weinen. Sonst hält er mich für einen Schwächling und ich bin nicht schwach! Ich bin nicht schwach!
Ich werfe den Weasley-Zwillingen einen hochnäsigen Blick zu, dann drehe ich mich auf dem Absatz herum und marschiere aus dem Abteil.
Tsuzuku...
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