Thalheimers Orestie, oder: Über die Wiederermordung von Mythen

Sep 25, 2006 12:12

Ich saß gestern Abend im Deutschen Theater Berlin, und hatte das Vergnügen, Michael Thalheimers Inszenierung der Orestie zu sehen. Nicht daß ich nicht erwartet hätte, Regietheater in Reinform zu sehen. Ich könnte lügen und sagen, daß ein klassischer Philologe aus beruflichen Gründen derlei zur Kenntnis nehmen muß. Aber das weiß ja seit dreißig ( Read more... )

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Comments 18

jainoh September 25 2006, 17:58:23 UTC
Du armer Mensch. Ich muss gestehen, dass ich das Stück, das es vielleicht hätte werden sollen, nicht kenne, aber moderne Inzenierungen mag ich für gewöhnlich auch nicht sonderlich gern. Irgendwas an den Maschinengewehren in einer Mozartoper hat mich schon immer abgeturnt. Ich weiß nur, dass ich damals in der Pause, denn Mozart hatte ja an alles gedacht und vor nix Angst, weggegangen bin.

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seidenstrasse September 25 2006, 19:07:36 UTC
Das hört sich ja fast genauso schön an. In welchem Etablissement?

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zauberhuehnchen September 25 2006, 20:10:24 UTC
Nur: bei Mozart kann man wenigstens noch die Augen schließen. Oder hat damals einer dieser Kretins etwa auch an der Musik rumgepfuscht?

Gestern Abend jedenfalls wußte ich gar nicht, was ich zuerst machen sollte: weghören oder wegsehen.

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jainoh September 27 2006, 15:37:14 UTC
Stimmt. Hinhören könnte man dabei vermutlich noch, aber für richtig gute Sänger und von Husten und Keuchen der ältlichen Nachbarn unbeeindruckten Spaß würde ich mir dann eher die CD zulegen. Ich weiß noch, wie meine Schwester und ich waren mal zur Entführung aus dem Serail oder in den Serail? Zur Zeit hab ich keine Ahnung mehr, wie das richtig heißt. Jedenfalls trug der Chor Jutesäcke als Kostüm, das Bühnenbild bestand aus in sich verschachtelten kleiner werdenden Rahmen aus schwarzlackiertem Holz. Die Enttäuschung ob des fehlenden orientalischen Farbenmeers (wir Idiotinnen hatten tatsächlich auf etwas in Richtung Bollywoodscher Üppigkeit gehofft) überkam uns derart heftig, dass wir die nächsten Aufführungen von Mozart komplett weglassen mussten, obgleich wir eigentlich noch als Studenten von den netten Preisen hätten profitieren können.

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seidenstrasse September 25 2006, 19:06:55 UTC
Das Schlimme ist vor allem, daß es keinen Lichtblick gab. Einfach nichts an der Inszenierung war auch nur annährend gut, so daß man nicht mal sagen konnte: "Das war schon großer Schmus, aber wenigstens war der E-Gitarrist gut."
"Man konnte den Chor gut verstehen, wenn er geflüstert hat.", war ja, wenn ich mich recht erinnere, daß Einzige, zu dem wir überhaupt etwas sagen konnten, das nicht vernichtend war.
Junge, junge. Die knappen 2 Stunden hätte ich sogar lieber Dir beim "Risiko"-Spielen zugehört. Das tut wenigstens nicht so in den Ohren weh.

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superute September 25 2006, 19:24:07 UTC
Ihr armen Hasen!
Da seht Ihr mal wieder, dass Ihr gut daran tut für gewöhnlich gar nicht erst aus dem Haus zu gehen!

Ich habe übrigens heut meine Prüfung gewonnen!

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seidenstrasse September 25 2006, 19:53:46 UTC
UTE! Und ich hab schon wieder nicht angerufen. Ich bin so ein Trottel! Verzeihst Du mir noch mal?

Wie wars, wie wars, wie wars? War ja klar, daß Du das schon wieder schaffst!

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zauberhuehnchen September 25 2006, 20:16:53 UTC
Heute Nacht träumte mir, daß Shakespeare Thalheimer mit einem Strick aus dem DT gepeitscht hat. Anschließend hat er dann noch den Absolutismus wiedereingeführt und das Zeitalter der Vernunft ausgerufen. So gut gelaunt bin ich schon lange nicht mehr aufgewacht.

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kutschis September 25 2006, 19:36:37 UTC
Seid ihr sicher, dass ihr nicht an der Volksbühne wart? ô_Ô

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seidenstrasse September 25 2006, 19:54:59 UTC
Ich hätt's selbst nicht glauben wollen. Aber heutzutage schützt einen ja nicht mal mehr das ehrwürdige DT. Babarische Zeiten.

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zauberhuehnchen September 25 2006, 20:25:59 UTC
Auch die Barbarei, mein Herz, hat einmal ein Ende. Von allen Pflanzen am schnellsten wächst die Vernunft. (Wenn sie denn mal gegossen wird.)

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zauberhuehnchen September 25 2006, 20:22:39 UTC
So groß wie einst sind die Differenzen nicht mehr. Nach Wolfgang Langhoff und Wolfgang Heinz ging es mit dem DT kontinuierlich bergab. Das ist jetzt 37 Jahre her. Ich gebe aber zu, daß der Weg zu Volksbühne weit war, zumal letztere ja nicht eben stillestand. Doch auch Irrsinn hat sein Limit, und so hat das DT die Volksbühne nun (zumindest in der Spitze) erreicht.

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jevgenchik September 27 2006, 13:30:36 UTC
http://www.faz.net/s/Rub28FC768942F34C5B8297CC6E16FFC8B4/Doc~E7CB8196F8402497891958B8BE1C31470~ATpl~Ecommon~Scontent.html

Mozartoper. Wurde abgesetzt wegen einer umstrittenen Szene, in der neben den blutigen Köpfen von Buddha, Neptun und Jesus auch der Kopf von Mohammed auf der Bühne präsentiert wurden.

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jainoh September 27 2006, 15:39:02 UTC
Jahaa! Stand sogar in unserer Dorfklatschzeitung hier in Hannover auf der Titelseite. Ich war voll für das Absetzen, aber eher wegen der unglaublichen Geschmacklosigkeit, die Mozart sicherlich die Gebeine im Grab umgedreht hätte denn wegen irgendwelcher terroristischer Bedenken (mein geheimer Verdacht ist, dass das auch der Hauptgrund war)

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zauberhuehnchen September 28 2006, 00:08:30 UTC
Kurios ist folgendes: Beinahe jeder ist der Meinung, daß, was gegenwärtig in Theater und Oper veranstaltet wird, für unsere Zivilisation so nötig ist wie ein Kropf. Dennoch ist in der Theaterwelt das Bild exakt umgekehrt. Dort gibt es kaum noch einen, der das Regietheater ablehnt. Die Theaterszene hat es geschafft, sich vollkommen vom gesellschaftlichen Leben abzusondern. Daß die vernünftigen Leute dort nicht mehr hingehen, ist nicht nur Resultat sondern auch Bedingung dieses Vorgangs. Das Theaterpublikum von heute besteht zu gleichen Teilen aus Leuten, die dafür bezahlt werden, daß sie dort sitzen, echten Anhängern jener ungewöhbnlichen Art, nichts zu tun, die sich heute Regiekunst nennt, und Leuten, die aus Neugier doch mal wieder vorbeischauen.

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jainoh September 28 2006, 08:27:56 UTC
Das kommt mir auch immer wieder in den Kopf, wenn ich an den Plakaten vor unserem Theater vorüber gehe oder fahre. Die Plakate allein sind derart abschreckend, dass ich nicht mal die Lust hätte, mir eines der Stücke anzusehen, wenn ich zeitlich könnte. Da Luka mich zu oft braucht, fällt Theater momentan eh flach.
Ein Schwank am Rande. Das Geld, das man als 'Theaterarzt' bekommt, als der Arzt, der immer irgendwo im Publikumsraum sitzt für den Fall, dass wer umfällt, das wurde in Hannover für die Oper aufgestockt, weil die Kollegen keine Lust mehr hatten, sich der Folter für die paar Kröten noch auszusetzen. Ich selber weiß aus Erfahrung, dass ich das Ansinnen meiner Kollegin schon zweimal abgelehnt habe, die mich als Theaterarzt an ihrer Statt verpflichten wollte. Schrecklich aber wahr. Nichtmal für das Geld wollte ich mir das antun.

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