ff25 - Antwort, Themen #17, #11, #22

Jun 27, 2006 22:42

Titel: Das Medaillon, Teil 4
Autor: Sinaida
Fandom: Sentinel
Themen: #17 - Katze, #11 - Karneval, #22 Rätsel (freie Wahl)
Rating: ab 12
Personen: Blair Sandburg, Simon Banks, Jim Ellison
Kategorie: AU
Disclaimer: Jim, Blair und andere Charaktere aus der Serie "The Sentinel" gehören nicht mir, sondern Pet Fly Productions und Paramount Pictures.

Inhaltsangabe und Anmerkungen sind in Teil 1
Teil 3 ist hier.



Das Medaillon
Teil 4

Katze

Als sein Bewusstsein aus den Tiefen wirrer Träume wieder einmal an die Oberfläche driftete, was das Erste, das Blair wahrnahm, ein dumpfer, pochender Schmerz in seinen Schläfen. Sein Kopf dröhnte, als wolle er jeden Moment zerspringen. Gegen das Vergessen ankämpfend, das mit lockenden Schattenfingern nach ihm griff, zwang sich Blair dazu, diesmal wach zu bleiben.

Kurz aufflackernde, diffuse Eindrücke erschienen wie Dunstschleier, drifteten durch seinen noch vernebelten Geist und lösten sich wieder auf bevor sie einen Sinn ergeben konnten. Vage Gedanken an Kälte, Schnee, Schmerzen und dann Dunkelheit. Jetzt war ihm angenehm warm, vor allem seine rechte Körperhälfte.

Ein Feuer?

Wären da nicht die Kopfschmerzen und das Brennen im linken Bein gewesen ...

Der Pfeil … Kincaids Männer…das Medaillon … meine Stiefel …

Bilder und Erinnerungen überschwemmten ihn schlagartig wie eine Flut. Blair riss die Augen auf. Flackerndes Licht traf seine Pupillen wie Dolchstiche. Er unterdrückte ein Stöhnen und wandte den Kopf vom Feuerschein weg. Das gerade erst aufkeimende Wohlbehagen und das selten gewordene Gefühl der Sicherheit machten Panik Platz. Sein Herz klopfte bis zum Halse. Der Schweiß brach ihm aus. All seine Instinkte schalteten auf Flucht.

Ruhig! Bleib ruhig!

Rote Kreise tanzten vor seinen Augen. Verschwommene Konturen und verzerrte Doppelbilder ließen ihn keine Einzelheiten ausmachen.

Verfluchtes Pfeilgift!

Blair bemühte sich dennoch, so viel wie möglich von seiner Umgebung zu erkennen, ohne mehr als den Kopf zu bewegen. Es war immer besser zuerst herauszufinden wo man sich befand und sie dann erst wissen zu lassen, dass man wach war. Wichtige Sekunden, die oft ausreichten, um einen neuen Plan zu schmieden.

Aber wer sind ‚sie’? Kincaids Leute? Wohl kaum. Dann hätte ich jetzt noch ganz andere Probleme als Kopfschmerzen, die Folgen des Pfeilgifts und die Frage, was mit meinen Stiefeln passiert ist.

Entschlossen unterdrückte Blair diese Gedanken. Darum würde er sich später kümmern. Jetzt musste er herausfinden wo er sich befand und was geschehen war. Das Pochen in seinem Schädel ließ etwas nach. Auch sein Sehvermögen wurde langsam besser, aber seine Augen schmerzten von dem konzentrierten Bemühen, etwas zu erkennen.
Frustriert schloss er die Lider.

Seine Hände glitten behutsam tastend über den Untergrund, auf dem er lag. Weich, nachgiebig und trocken. Blair spürte das Kratzen einer Decke auf seinem nackten Körper. Ihm war warm. Der leicht modrige Geruch von feuchtem Holz, das strenge Schafsaroma nasser Wolle, Feuerrauch und der würzige Duft getrockneter Kräuter ergaben eine angenehme Mischung. Es ging kein Wind und die Luft war warm und trocken. Zu seiner Rechten knisterte ein Feuer.

Offensichtlich befand er sich in einer Hütte oder zumindest in einem Unterschlupf. Blair entspannte sich etwas, dehnte und streckte vorsichtig Arme und Beine. Jeder Muskel in seinem Körper schmerzte, seine Lippen waren trocken und spröde vor Durst und er spürte nagenden Hunger. Trotzdem fühlte er sich - wohl. Geborgen.

Durch das langsam nachlassende Rauschen in seinen Ohren drang der Klang zweier Stimmen.

Zwei Männer.

Blair öffnete die Augen, wagte diesmal aber nicht, auch nur den Kopf zu bewegen. Er hielt den Blick auf die rußgeschwärzten Holzbalken der Decke gerichtet und lauschte angestrengt.

„ … eine Erklärung schuldig, Jim.“

„Ja, ja ich weiß, Simon.“

„Also? Ich höre.“

„Ich ... ich hatte einen Traum. Seit einer Woche jede Nacht denselben. Manchmal auch tagsüber. Wie, ich weiß nicht, wie eine Vision. Ich war dieses … dieses …Tier, eine riesige schwarze Katze … und bin durch den Wald gelaufen, als würde ich etwas suchen. Oder jemanden. Aber ich konnte nie sehen *was*. Bis heute.“

Blair stockte der Atem.

Bei Looscha! Ist das möglich? Eine riesige schwarze Katze. Ein …ein … Panther. Er ist der Panther.

Gerade noch unterdrückte er den Impuls sich hastig aufzurichten. Stattdessen drehte er langsam, vorsichtig den Kopf in Richtung der Stimmen und versuchte, einen Blick auf die Männer zu erhaschen.

Der flackernde Schein des Feuers sorgte für eine unruhige Beleuchtung und tauchte den Raum abwechselnd in warmes, gelbes Licht und tiefe Schatten. Ein Fenster auf der anderen Seite der Hütte ließ nur wenig graues Tageslicht herein. Direkt darunter saßen zwei Männer an einem grob gezimmerten Tisch. Ihre Gesichter waren im Profil zu sehen. Das Zwielicht ließ gerade so erkennen, dass einer der beiden von dunkler Hautfarbe und gut gekleidet war. Der andere trug eine schlichte Kutte. Ihrer Kleidung nach gehörten sie eindeutig nicht zu Kincaids Leuten.

Erleichtert ließ Blair den angehaltenen Atem wieder entweichen. Er hielt den Blick auf die beiden gerichtet und lauschte weiter, das harte, schnelle Klopfens seines eigenen Herzens in den Ohren.

Der dunkelhäutige Mann schüttelte den Kopf und bemerkte mit einem Seufzen: „Warum nur ahnte ich, dass mir deine Erklärung nicht besonders gefallen würde, Jim?“

„Du hast gefragt“, erwiderte der andere Mann - Jim - trocken.

„Ja, leider.“ Eine auffordernde Handbewegung folgte dem lakonischen Kommentar. „Erzähl weiter.“

Jim rieb sich mit der rechten Hand die Stirn und fuhr zögernd fort. „Heute früh habe ich im Traum die Grenze gesehen und - einen Mann, der von Reitern und Hunden gejagt wurde. Und … und dann, später, habe ich sie tatsächlich kommen hören.“

Sein Gegenüber beugte sich etwas vor und musterte Jim ungläubig. „Du hast sie gehört? Von hier aus? Das ist unmöglich. Es ist viel zu weit.“

Die einzige Antwort darauf war ein nonchalantes Schulterzucken.

Er hat die Reiter gehört. Er hat sie *gehört*, trotz der Entfernung.

Blair zog scharf die Luft ein und richtete sich, jetzt alle Vorsicht vergessend, abrupt auf. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er Jim an. Der wandte im selben Moment den Kopf, als würde er Blairs Blick auf sich spüren. Endlos scheinende Sekunden lang sahen sie sich über die Distanz des Raumes hinweg an.

Karneval

„So, so, es war also alles nur eine Verwechslung, Will von Devon?“ Breitbeinig stand Simon Banks vor dem Lager des jungen Mannes, die Arme vor der Brust verschränkt, und sah auf den vor ihm Sitzenden herab.

Jim grinste still in sich hinein, während er die Kleidungsstücke des Fremden von der provisorischen Wäscheleine nahe beim Feuer holte. Simons beste Verhörtaktik - grollende Stimme, stechender Blick, einschüchternde Haltung - zeigte bei Will von Devon offensichtlich nicht die gewünschte Wirkung. Er ignorierte sowohl den vor ihm stehenden Mann als auch die Frage.

Ist der Junge tatsächlich so von sich und seiner Stellung überzeugt, dass es ihm egal ist, wer da vor ihm steht?

Wortlos legte Jim die Kleidung des Fremden neben ihn auf das Bett und nahm ihm im Gegenzug den Wasserbecher ab. Er stellte ihn neben den Krug auf den Tisch. Will nickte herablassend, warf nur einen kurzen Blick auf seine Sachen und fragte in herrischem Ton, der Simon veranlasste, finster die Augenbrauen zusammenzuziehen: „Meine Stiefel?“

Jim wies wortlos auf einen steinernen Absatz neben dem Feuer.

„Gut. Hast du sie geputzt?“

Wills Herzschlag beschleunigte sich etwas bei diesen Worten und er hielt für den Bruchteil einer Sekunde den Atem an. Eine unwillkürliche Reaktion, die ihm selber womöglich gar nicht bewusst war. Jim hingegen nahm sie wahr.

„Nein. Sollte ich?“

Der junge Mann warf einen Blick gen Himmel. „Was für ein Frage. Es wäre nur angemessen, normalerweise. Aber diese Stiefel sind aus einem ganz besonderen Leder, das einer speziellen Reinigung bedarf. Keine grobe Wurzelbürste, mit der kurz vorher noch die Kuh gestriegelt wurde.“ Er nickte Jim zu. „Insofern - gut, dass du sie in Ruhe gelassen hast. Gib sie her.“

Seine Erleichterung darüber, dass Jim den Stiefeln keine besondere Beachtung geschenkt hatte, war gut verborgen, aber nicht gut genug.

Interessant. Und was will er ausgerechnet jetzt, halbnackt wie er ist, mit den nassen Dingern?

Wortlos holte Jim die Stiefel und ließ sie neben Will auf das Bett fallen, direkt neben seine Kleidung. Ohne sich über den Schmutz zu beschweren, den Hemd und Hose durch Jims Aktion abbekommen hatten, schnappte Will sich sein Schuhwerk und stellte es sorgsam neben seine Füße auf den Boden.

Jim hob die Augenbrauen.

Wirklich, sehr interessant.

Mit verschränkten Armen lehnte er sich gegen die Holzwand der Hütte. Von seiner Position aus, die Schmalseite des Bettes vor sich, konnte er den Fremden, seine Körpersprache und sein Minenspiel, sehr gut im Auge behalten. Unwillkürlich und ohne es abgesprochen zu haben, waren er und Simon in das alte Muster zurückgefallen. Der eine leitete das Verhör, der andere hielt sich zurück und beobachtete.

Banks räusperte sich und bemerkte mit erzwungener Geduld: „Ich habe Euch eine Frage gestellt.“

Mit spitzen Fingern zupfte Will ein paar Flusen von seinem Hemd, bevor er hineinschlüpfte. Irritiert sah er auf. „Wie? Ach ja, genau, eine Verwechslung. Das passiert mir andauernd. Langsam befürchte ich, dass es dieser …“ Er runzelte die Stirn und blickte Simon fragend an. „Wie war sein Name?“

„Bryan Summerwind.“

„Danke.“ Will nickte huldvoll, was Simon mit seinem besten eisigen Starren quittierte, das normalerweise hart gesottene Verbrecher auch die Sünden gestehen ließ, die gar nicht auf ihr Konto gingen. Will von Devon hingegen schien auch dagegen immun zu sein. Gänzlich unbeeindruckt fuhr er fort. „Nun, ich denke, dass es dieser Ganove darauf anlegt mit mir verwechselt zu werden, um mir seine Diebereien in die Schuhe schieben zu können.“

Aufgeräumt bedachte er Simon mit einem strahlenden Lächeln, das aber nicht seine Augen erreichte. „Lächerlich, aber welcher Mensch von niederer Herkunft träumt nicht davon ein Adliger zu sein.“

Statt einer Antwort schnaubte Banks entrüstet und murmelte an Jim gewandt: „Jetzt brauche ich einen Schluck Wasser. Ich habe auf einmal so einen üblen Geschmack im Mund.“ Er ging zum Tisch und schenkte sich aus dem Krug ein.

Will wandte sich Schulter zuckend wieder seiner Garderobe zu, als gäbe es nichts Wichtigeres auf der Welt.

Jim dachte an den gehetzten, zutiefst verwirrten und doch grenzenlos neugierigen Ausdruck mit dem der junge Mann ihn, vor wenigen Minuten noch, aus weit aufgerissenen Augen angestarrt hatte. Nichts davon stand jetzt noch in seinem Gesicht. Vor ihnen saß eine komplett andere Person. Die Wandlung hatte sich innerhalb von Sekunden vollzogen. Der Moment, den Jim und Simon benötigt hatten, um vom Tisch zum provisorischen Bett vor dem Feuer zu gelangen, hatte dem jungen Mann genügt, um sich in einen versnobten Adeligen zu verwandeln. Selbstsicher bis zur Überheblichkeit, hatte er für die arbeitende Bevölkerung nur Verachtung übrig. Es war, als hätte er eine Maske übergestreift.

Jim fühlte sich an die Teilnehmer der Karnevalszüge erinnert, die er als Kind heimlich durch den Spalt seines halbgeöffneten Fensters beobachtet hatte. Für einen Tag verwandelten sich die Straßen seiner Stadt in ein buntes Treiben aus Feen, Zauberern, Hexen und Dämonen. Maskierte Menschen, die sich als Märchenfiguren ausgaben, um die Mächte des Dunklen durch Tanz, Musik und Illusionen Glauben zu machen, sie würden sie nicht fürchten.

Und Will - welche Mächte versuchst du zu täuschen? Und wer steckt wirklich hinter deiner Maske?

Rätsel

Der Fremde, seine wahre Identität und die Frage, warum er seit Tagen in seinen Träumen auftauchte, waren nicht die einzigen Rätsel, die Jim beschäftigten.

Er zuckte zusammen, als plötzlich eine Flut unerwarteter Geräusche überlaut an seine Ohren drang. Der schnelle Herzschlag des Fremden, das Rascheln, Knistern und Kratzen jeder seiner noch so leichten Bewegungen, das Dröhnen von Simons Schritten, das fauchende Zischen mit dem die Feuchtigkeit im Feuerholz verdampfte. Eine Kaskade von Tönen und Lauten schien von den Wänden der kleinen Hütte zurückgeworfen und auf ein unerträgliches Maß verstärkt zu werden.

Gepeinigt aufstöhnend presste Jim die Hände auf die schmerzenden Ohren.

Doch genauso schnell wie dieser Anfall gekommen war, war er auch vorbei. Erleichtert und verlegen ließ Jim die Hände wieder sinken und atmete tief durch. Er kam sich wie ein kompletter Narr vor. Besonders, als er aus dem Augenwinkel wahrnahm, wie der Fremde ihm einen raschen, neugierigen Blick zuwarf, sich dann aber sofort wieder abwandte.

Simon stand plötzlich direkt vor ihm, musterte ihn mit einer Mischung aus ehrlicher Besorgnis und Mitgefühl und flüsterte: „Alles in Ordnung?“

Jim presste die Lippen zusammen und winkte ungeduldig ab.

Er wollte kein Mitleid. Er wollte nur diese seltsame Krankheit loswerden.

Auch wenn er sich langsam an seinen Zustand gewöhnte und einigermaßen gelernt hatte damit zu leben, waren es doch diese erschreckenden Anfälle, die ihm immer wieder in aller Deutlichkeit klar machten, dass er noch nicht geheilt war. An einem Tag nahm er schmerzhaft laut das Zirpen einer Grille am anderen Ende des Waldes wahr und am nächsten Tag wurde er fast von einem Keiler aufgespießt, weil er ihn nicht durchs Unterholz hatte brechen hören. Und wenn es nicht gerade sein Gehör war, das verrückt spielte, dann war es einer seiner anderen Sinne.

Das muss aufhören! Bei den Göttern, ich will mein Leben zurück.

Ihm wurde bewusst, dass Simon immer noch vor ihm stand und gab ihm mit einer Kopfbewegung zu verstehen, dass er mit der Befragung des Fremden weiter machen sollte.

Vielleicht finde ich durch ihn ein paar Hinweise darauf, was mit mir los ist. So weit bin ich schon, dass ich auf vage Träume hoffe.

Banks wandte sich dem jungen Mann zu, der jetzt, sichtlich pikiert über den Zustand seiner Kleidung, gerade seine zerknitterte, noch leicht feuchte und schmutzige Hose inspizierte. Angewidert zog er sie an.

Mit gefährlich sanfter Stimme nahm Simon den Gesprächsfaden wieder auf. „Woher sollte Summerwind denn wissen, wie Ihr ausseht?“

„Womöglich hat er irgendwo einmal ein Portrait von mir gesehen. Der berühmte Maler Baltasar Saheli hat mich mehrmals zeichnen dürfen. Ihr habt doch sicher schon von Baltasar Saheli gehört, nicht wahr?“ Sein Blick zeigte deutlich, was er von Personen hielt, die noch nichts von diesem Künstler gehört hatten.

„Nein.“ Simons Geduld war sichtlich am Ende.

„Oh, das ist zu bedauerlich.“ Will schüttelte den Kopf. „Nun ja, was hätte einen Mann wie ihn auch hier in diese - diese Wildnis treiben sollen, nicht wahr? Außerdem“, er lachte kurz und affektiert auf, „was könnte ein Haufen Bauern auch mit seinen Gemälden anfangen, nicht wahr?“

Simon fixierte ihn und erwiderte sarkastisch: „Verbrennen. Leinwand brennt ganz ausgezeichnet. Nicht wahr?“

Jim unterdrückte ein Schmunzeln. Wie lange wird sich Simon dieses Verhör wohl noch antun?

Angelegentlich betrachtete Will seine Fingernägel und zuckte gleichgültig mit den Schultern. „Wenn Ihr das sagt. Ich habe damit nur wenig Erfahrung. Meine Lakaien erledigen für gewöhnlich Arbeiten wie Feuer machen für mich.“

Tatsächlich? Mit zweifelndem Blick musterte Jim die Kleidung des Fremden.
Sie war von guter Qualität, sicher nicht billig, elegant und wirkte bequem. Der gute Sitz deutete darauf hin, dass sie für ihren Träger angefertigt worden war.
Ihr fehlte jedoch ganz eindeutig der Firlefanz mit dem sich der Adel gerne schmückte, wie aufwändige Stickereien, Perlen oder Edelsteine.
Wills lederne Umhängetasche, die am Kopfende des Bettes lag, wirkte sogar fast schon schäbig, wenn auch zweckmäßig.

Also, Will von Devon - falls das überhaupt dein richtiger Name ist - deine Aufmachung passt nicht so ganz zu deinem Auftritt hier. Du trägst etwas sehr dick auf, Freundchen. Zu dick um noch glaubwürdig zu sein.

Will sah auf und musterte Simon. „Deshalb werde ich Euch wohl kaum von Nutzen sein. Ich weiß, ich weiß, Ihr habt mich ausgelöst, ich muss Euch für gewisse Zeit zu Diensten sein, aber seht selbst.“ In einer theatralischen Geste hielt er Simon seine Hände unter die Nase. „Soll ich etwa hiermit schwere Arbeiten verrichten? Holz hacken? Den Boden pflügen? Bäume fällen?“

Unwillkürlich fiel Jims Blick auf die Finger des Mannes. Tatsächlich, keine schwieligen Arbeiterhände, aber auch nicht wirklich so fein manikürt, wie man es von einem Will von Devon erwarten würde. Jim bemerkte winzige Risse in der Haut rund um die Nägel und Narben, wie von kleinen oberflächlichen Schnitten, an den Kuppen einiger Finger. Er konzentrierte sich etwas stärker und sah plötzlich ganz deutlich eine dunkle Substanz in den feinen Rillen an den Fingerspitzen von Daumen, Zeige- und Mittelfinger der rechten Hand. Eine Verfärbung, so tief, dass selbst intensivstes Schrubben sie nicht hatte entfernen können. Jim hatte das beunruhigende Gefühl, dass diese Hände für jeden anderen völlig glatt und sauber aussehen würden. Mit einem innerlichen Seufzen rieb er sich versuchsweise über die Augen und die überscharfe Wahrnehmung verschwand in der Tat.

Wo nur, habe ich solch eine Verfärbung schon einmal gesehen? Jedenfalls benutzt dieser Will seine Hände nicht nur um zu probieren, ob ihm die neueste Handschuhmode steht, das ist sicher. Niemals ist er ein adeliger Nichtstuer.

Will ließ die Hände wieder sinken. „Glaubt mir, Ihr hättet keine Freude an einem Dienstboten wie mir. Ganz abgesehen davon, dass ich völlig unschuldig bin nicht wahr? Man hätte nicht einmal nach mir suchen dürfen. Diese ganze ...“, er wedelte mit den Fingern, „diese ganze Auslösegeschichte hätte gar nicht passieren dürfen. Deshalb würde ich sagen, Ihr lasst mich gehen und konzentriert Euch darauf, diesen Bryan zu finden. Ich stelle Euch ein Papier aus, das Euch berechtigt …“

Banks unterbrach ihn mit einer Geste. „Schluss damit! Ihr bestreitet also, Bryan Summerwind zu sein und Lord Kincaid bestohlen zu haben?“

Will klatschte entzückt in die Hände. „Bravo! Er hat es verstanden.“

„Das war auch nicht schwer.“ Simons Lächeln verhieß nichts Gutes. „Was ich aber keineswegs verstehe ist, wie ein Schmuckstück, das ganz eindeutig Lord Kincaid gehört, dann in Euren Besitz kommt.“

„Ein … Schmuckstück?“ Aus Wills Gesicht wich jede Farbe. Er schluckte hart und sein Blick huschte zu seinen Stiefeln. Sein Herz raste. Die Angst des Fremden war echt.

„Ja.“ Simon lächelte triumphierend. „Kincaids Siegelring. Ich war dabei, als seine Männer ihn aus dem Versteck im Innenfutter Eurer Tasche geschnitten haben.“

„Oh. Kincaids … Siegelring … das ist …“ Nur mühsam fand der junge Mann die Sprache wieder.

Jim behielt ihn scharf im Auge, beobachtete, wie sich in Sekundenbruchteilen die unterschiedlichsten Emotionen auf Wills bisher so blasierter Miene spiegelten. Entsetzen, Überraschung, Erleichterung. Offensichtlich wurde er sich selbst im gleichen Moment bewusst, wie verräterisch sein Mienenspiel war, denn er ließ, Ellenbogen auf die Knie gestützt, den Kopf in die Hände sinken. Seine Finger gruben sich in die langen lockigen Haare, die sein Gesicht einem Vorhang gleich verbargen. So verharrte er einen Augenblick.

Simon warf Jim einen raschen, triumphierenden Blick zu, den er mit einem nachdenklichen Schulterzucken beantwortete.

Tief durchatmend ließ der Fremde die Hände wieder sinken und blickte auf. Plötzlich wirkte er so erschöpft wie er sicherlich war. Müde strich er sich eine Haarsträhne hinters Ohr und bemerkte: „Dann können wir das Theater ja lassen. Ich bin Bryan Summerwind.“

Weiter in Teil 5

autor: sinaida 1-100, fanfic, ff25, fandom: sentinel 1-100

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