Language: German
Title: Amicus Draconis: 2nd Cycle - Cycle of the Snake
Rating: R
Warnings: Het, Slash, Character Death
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Hauptseite Trailer14. Sprung From My Only Hate I:
/Part A/ /Part B/ /Part C/ /Part D /Part E/15. Sprung From My Only Hate II- Prodigius Birth of Love it is to me:
/Part A/ /Part B/ Wednesday, September 2nd, 1993
Lieber Vater,
Ich schreibe Dir, um Dir mitzuteilen, dass ich heute morgen von einem riesigen Monster-Killer-Hippogreifen-Vieh, angefallen, aufgeschlitzt und beinahe in Stücke gehackt wurde. Ich liege schwer verletzt im Krankenflügel und ich bin noch gerade so mit dem Leben davongekommen, sagt Madam Pomfrey.
Falls Du Dich wunderst, warum ich mit der linken Hand schreibe, mein rechter Arm ist im Moment ziemlich unbrauchbar. (siehe oben)
Besitzer besagten Viehs ist dieser gewissenlose Wildhüter Hagrid, der vorgestern aus unerfindlichen Gründen von Dumbledore zum Lehrer für Magische Geschöpfe ernannt wurde. Anstatt sinnvollen Unterricht zu geben, wozu dieser unfähige Einfaltspinsel offenbar nicht in der Lage ist, hat er unsere Klasse in ein Gehege voller Hippogreifen gesperrt.
Und ich bekam es mit einem ganz besonders gefährlichen und bösartigen Tier zu tun. Es fiel über mich her und das Nächste, woran ich mich erinnern konnte, war, dass ich hier im Krankenflügel aufgewacht bin.
Ich bin nur froh, dass ich noch lebe. (Und dass sie mir den Arm nicht abnehmen müssen.)
Sag’ Mutter, dass ich sie liebe und dass ich nicht sterben werde (es sei denn, ich werde an inneren Verletzungen zu Grunde gehen, die Madam Pomfrey übersehen hat) und vielleicht solltest Du besser Riechsalz bereithalten, wenn Du ihr erzählst, was geschehen ist.
In Liebe,
Dein Sohn Draco
P.S. Der Hippogreif heißt Buckbeak.
* * *
Thursday, September 3rd
Draco schwänzte Kräuterkunde; er hatte keine Lust auf Dreck und eklige bissige Pflanzen. Er hatte schlecht geschlafen und noch schlechter geträumt.
Dabei hatte sein Traum so gut angefangen. Sie befanden sich mitten im Quidditch Finale, Slytherin gegen Gryffindor mit Slytherin in Führung, und beinahe wäre es ihm gelungen, Potter den Snitch vor der Nase wegzuschnappen. Doch als er gerade seine Hand ausstreckte, um den kleinen goldenen Ball zu umfassen, hörte er plötzlich Zischlaute hinter sich. Es war Potter und er redete in dieser verfluchten Schlangensprache, die Draco natürlich nicht verstand, die ihm aber trotzdem das Blut in den Adern gefrieren ließ. Seine Nackenhaare stellten sich auf, ein heftiges Zittern fuhr durch seinen Körper und der Snitch entglitt seinen Händen, um auf Nimmerwiedersehen in einem düsteren Nachthimmel zu verschwinden.
Draco schreckte aus dem Schlaf hoch. Ihm war heiß anstatt kalt, das Haar hing ihm verschwitzt ins Gesicht, und die feuchten Schlafroben klebten unangenehm auf der bloßen Haut.
Normalerweise pflegte er an solchen Tagen eine ausgiebige Dusche zu nehmen und es sich dort mit einer seiner Lieblingsphantasien bequem zu machen, wie etwa Potter verprügeln, Potter vom Besen stoßen, oder Potter mit einem Folterfluch belegen und kalt lächelnd dabei zusehen, wie sein Erzfeind sich wimmernd und stöhnend vor ihm am Boden wand. Doch leider blieb ihm dank seines verletzten Armes auch dieses Vergnügen versagt. So war er in extrem schlechter, um nicht zu sagen, frustrierter Stimmung, als er am späten Vormittag in den Zaubertränkeunterricht stolzierte.
Natürlich erst, als die Stunde schon begonnen hatte, um seinem Auftritt auch die angemessene Würde zu verleihen.
“Wie geht’s dir, Draco?” fragte Pansy mitfühlend. “Tut’s noch sehr weh?“
Inzwischen tat es das nicht mehr, aber so ein wenig Mitgefühl war doch Balsam für die Seele. Einen Augenblick lang spielte er sogar mit dem Gedanken, sich auf den Platz neben ihr zu setzen, den sie offenbar für ihn freigehalten hatte. Allerdings hatten auch Vince und Greg ihm einen Platz freigehalten, und sie besaßen zweifelsfrei die älteren Rechte.
Doch im nächsten Moment ignorierte er sowohl das eifrige Winken seiner Freunde als auch Pansy’s hoffnungsvolles Gesicht und setzte sich neben niemand anderen als Harry Potter.
Draco Malfoy neben Harry Potter?
Ein Tuscheln brach unter den verwirrten Schülern aus, gefolgt von ungläubigen und misstrauischen Blicken.
Selbst Professor Snape schien sich zu wundern. Er sagte jedoch nichts dazu, sondern rief die Klasse zur Ordnung und begann die Zutaten für eine Schrumpflösung auf der Tafel erscheinen zu lassen.
Draco war es einerlei. Er hatte schon seine Gründe für diese ungewöhnliche Platzwahl. Grinsend hängte er seinen Kessel in die Vorrichtung über der Feuerstelle und begann, seine Sachen auszupacken. Potter und Weasley rückten vorsichtshalber gleich ein Stück von ihm weg, um einen gebührenden Sicherheitsabstand zwischen ihn und sich zu bringen.
Was ihnen allerdings nicht viel helfen würde. Ohne große Mühe rearrangierte Draco sein Grinsen zu einer unschuldig-hilflosen Jammermiene und hob die linke Hand. “Sir? Sir, ich bräuchte Hilfe, um diese Gänseblümchenwurzeln klein zu schneiden. Wegen meines Arms…”
“Weasley, Sie zerkleinern Malfoy’s Wurzeln.“
Strike! Hämisch blickte Draco in Weasley’s Gesicht, welches sich langsam aber sicher knallrot verfärbte. “Mit deinem Arm ist alles in Ordnung,“ protestierte der Gryffintrottel wütend, nahm aber dann doch die Wurzeln und begann sie in grobe Stücke zu hacken. “Professor,“ jammerte Draco, “Weasley verstümmelt meine Wurzeln, Sir!“
Professor Snape blickte Weasley mit seinem allerbösesten Gesichtsausdruck an, aber trotzdem hätte Draco schwören können, ein verräterisches Zucken in seinen Mundwinkeln zu sehen. “Tauschen Sie ihre Wurzeln mit Malfoy, Weasley.“
Draco biss sich auf die Lippen, um nicht laut loszulachen. Weasley’s wütend-dümmlicher Gesichtsausdruck war einfach nur zum Schreien. Eigentlich schade, dass Potter’s kleine Mistkäferkröte nicht hier war, um diesen Moment auf Celluloid zu bannen.
Potter selbst sagte nichts zu alledem. Vielleicht traute er sich nicht, wenn Snape in der Nähe war, vielleicht fiel ihm einfach nur keine passende Retourkutsche ein. Aber egal, der Narbenkopf würde schon noch sein Fett abkriegen, denn seinetwegen war er schließlich hier. Weasley-Ärgern war nur schmückendes Beiwerk.
“Ach, Sir,“ fügte Draco mit einem Seitenblick auf seinen Erzrivalen hinzu, “jemand müsste mir diese Schrumpelfeige häuten.“
“Potter, häuten Sie Malfoy’s Schrumpelfeige.“
Soweit so gut, aber trotz seiner mörderischen Blicke und seiner vor Wut zitternden Hände behielt Potter die Nerven und sagte nicht ein einziges Wort. Er schien es sich in den Kopf gesetzt zu haben, sich heute nicht von Draco provozieren zu lassen.
Auch wenn dieser es sich immer noch einzureden versuchte, dass es mangelnde Schlagfertigkeit oder gar Feigheit war, die seinem Feind die Sprache verschlagen hatte, war ihm längst klar geworden, dass es sich um etwas ganz anderes handelte. Es war Stärke, die Potter schweigen ließ. Er wollte sich nicht von ihm ärgern lassen; er wollte Draco und seine kleinen Sticheleien einfach beiseite schieben, und sich davon nicht den Tag verderben lassen.
So, du glaubst also, dass du mich ignorieren kannst, Mistkerl? Wollen wir doch mal sehen, wie lange du das durchhältst!“
“Hast du deinen Kumpel Hagrid letztens gesehen?“ fragte Draco mit zuckersüßer Stimme. Potter’s Freunde zu beleidigen, war immer noch die älteste und am meisten bewährte Methode, ihn zu einer Reaktion zu zwingen.
Aber wieder war es nur Weasley, der ihm antwortete. “Geht dich nichts an,“ knurrte er, ohne aufzublicken.
Doch Draco hatte ja gerade erst begonnen. “Ich fürchte, er wird nicht mehr lange unterrichten,“ seufzte er voll des falschen Bedauerns. “Vater war nicht gerade glücklich über meine Verletzung - “
Komm schon, Potter. Immerhin geht es darum, dass dein Wildschweinfreund seine Stelle verliert. Das kann dir doch nicht egal sein.
“Wenn du nicht gleich die Klappe hältst, Malfoy, dann verpass’ ich dir ’ne richtige Verletzung!“
“- er hat sich beim Elternbeirat beschwert. Und natürlich auch beim Ministerium. Vater ist schließlich außerordentlich einflussreich, wie ihr wisst.“
Verdammt, mach’ endlich den Mund auf, du elender Bastard! Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich mich so von dir abschreiben lasse? Ich krieg’ dich und wenn ich deine sämtlichen Freunde und Familienmitglieder vom Großonkel deines Vaters bis zur Cousine dritten Grades deiner Mutter beleidigen muss!
“Und eine langanhaltende Verletzung wie diese...“ Ein tiefer Seufzer unterbrach Draco’s Lamentei. “Wer weiß, ob mein Arm jemals wieder derselbe sein wird.
“Also, deshalb ziehst du hier so eine Show ab. Weil du erreichen willst, dass sie Hagrid rausschmeißen.“
Nein, Potter, sondern weil ich dir eins reinwürgen will. Und wie es scheint, ist mir das gerade gelungen.
Endlich. Er stieß einen weiteren Seufzer aus, aber diesmal einen echten. Erleichterung stieg in ihm hoch und zauberte einen Ausdruck des Triumphes auf sein hämisches Gesicht, als er sich nach vorne lehnte und seinem Erzfeind entgegenzischte: “Nun ja, zum Teil, Potter. Aber da gibt es durchaus noch andere Vorteile. Weasley, einmal Raupen zerkleinern bitte!“
Weasley warf ihm einen Mörderblick zu. Bevor die Situation jedoch ausarten konnte, erregte etwas anderes die Aufmerksamkeit der Schüler. Professor Snape gab seine wöchentliche Darbietung in der hohen Kunst des Gryffindorquälens.
“Orange, Longbottom,“ durchschnitt seine Stimme messergleich die stickige Luft. “Orange. Sag’ mir, Junge, durchdringt auch nur eines meiner Worte deinen einfältigen Dickschädel? Hast du mich nicht deutlich sagen hören, dass nur eine Rattenmilz für den Trank nötig wäre? Habe ich nicht ausführlich erklärt, dass nur ein Spritzer Blutegelsaft ausreichen würde? Was muss ich tun, damit du mich verstehst, Longbottom?”
Draco’s fieses Grinsen wurde noch eine Spur breiter. Es war doch immer wieder bemerkenswert wie es Snape gelang, mit nur wenigen Worten einen Schüler zur Verzweiflung und beinahe zum Heulen zu bringen. Von diesem Sadismus konnte er noch eine Menge lernen und normalerweise hätte er sich auch genüsslich zurückgelehnt und die Vorstellung genossen.
Aber nicht heute. Wer wusste denn schon, wann er wieder die Gelegenheit bekommen würde, sich so ungestört mit Potter zu unterhalten? Das, was er ihm zu sagen hatte, konnte man nicht in die üblichen zwei, drei Beleidigungen zwischen Großer Halle und Quidditchfeld packen.
“Hey, Harry!“ Wie aufs Stichwort lehnte sich ein weiterer Gryffintrottel über den Tisch, um sich Potter’s Pendelwaage zu bemächtigen. “Hast du’s mitgekriegt? Im Prophet sagen sie, Sirius Black wurde gesichtet.“
Wie praktisch, jetzt brauchte er das Thema noch nicht einmal selbst anzuschneiden. Offenbar stand sein Plan wieder mal unter einem guten Stern.
Es war ja auch nicht irgendein Plan. Diesmal war es ein Masterplan.
Während die Gryffintrottel eifrig damit begannen, das Thema Black von vorne bis hinten durchzukauen, überlegte er sich wie er seinen Masterplan am besten in die Tat umsetzen konnte. Schließlich versucht man nicht jeden Tag seinen Feind dazu zu überreden, Jagd auf einen gesuchten Massenmörder zu machen. Vielleicht konnte er...
“Was, Malfoy? Soll ich dir noch was anderes häuten?“
Draco ignorierte Weasley. Seine Aufmerksamkeit war ausschließlich auf Potter gerichtet. Ein gefährliches Glitzern war in seine Augen getreten und sein Mund verzog sich zu einem hintergründigen Lächeln. “Überlegst du dir gerade, wie du Black ohne fremde Hilfe zur Strecke bringen kannst?“
Bei seinen letzten Worten hatte er sich weiter nach vorn gelehnt, so dass ihre Gesichter nur noch wenige Zoll voneinander entfernt waren. Zwar zuckte Potter zusammen wie von der Acromantula gebissen, doch er wich auch nicht zurück. Weil das laut Gryffindoof-Verhaltenscodex wahrscheinlich Schwäche gewesen wäre.
“Aber sicher doch,“ entgegnete er betont gleichmütig. Seine Stimme zitterte nicht einmal dabei. Nur der Blick seiner funkelndgrünen Augen, eine seltsame Mischung aus Verwirrung und Wut, verriet wie aufgewühlt er tatsächlich sein musste.
Draco wagte einen weiteren Vorstoß. “Falls ich in deiner Situation wäre, hätte ich schon längst etwas unternommen,“ höhnte er. “Ich würde mich nicht in der Schule verkriechen und den braven Jungen mimen. Ich würde dort rausgehen und mich ihm stellen.“
“Wovon redest du eigentlich, Malfoy?“
Draco ignorierte Weasley und - oh, süßer Triumph - Potter tat es ebenfalls. Zwar mochte es eine Herausforderung geworden sein, die Aufmerksamkeit seines Erzfeindes zu gewinnen, aber wenn es ihm erst einmal gelungen war, dann war alles noch ganz genauso wie früher. Die Welt um sie herum verschwand, löste sich buchstäblich in Nichts auf. Und es gab nur noch sie beide.
“Weißt du es etwa nicht, Potter?“ Ihre Gesichter waren einander jetzt so nahe, dass sein Atem eine der schwarzen Haarsträhnen zum Erzittern brachte. Sanft wie Federflaum hob und senkte sie sich über eine bebende Wange.
“Was weiß ich nicht?“ Mit einer ungestümen Bewegung strich Potter die Strähne beiseite und lehnte sich seinerseits ein Stück vor, so dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. Jetzt war es Draco, der zusammenzuckte, aber es gelang ihm, seine Verlegenheit mit einem spöttischen Lachen zu überspielen. “Vielleicht willst du lieber nicht deinen Hals riskieren. Willst es lieber den Dementoren überlassen, oder?“
Ein ungläubiger Ausdruck trat in Potter’s Augen, doch er war zu gebannt, um Draco zu unterbrechen, oder sich gar von ihm abzuwenden. Draco fühlte eine tiefe Genugtuung in sich aufsteigen, endlich hatte er seinen Feind genau da, wo er ihn haben wollte.
Eigentlich hätte er jetzt mit der Sprache herausrücken und Potter auf Sirius Black ansetzen können. Doch er genoss es viel zu sehr, etwas zu wissen, das sein Gegner nicht wusste. Zu süß war das Gefühl ihn weiterhin auf die Folter spannen zu können; er wollte jeden Moment davon auskosten. “Wenn es hier um mich ginge, dann würd’ ich Rache nehmen,“ hauchte er Potter ins Ohr. “Ich würde ihn eigenhändig zur Strecke bringen.“
“Wovon redest du überhaupt?“ zischte dieser wütend. Draco lächelte geheimnisvoll, setzte auch schon zu einer undurchsichtigen Antwort an, doch bevor er Gelegenheit bekam, sie auszusprechen, wurde er von Snape unterbrochen, der den Schülern neue Anweisungen bezüglich des Tranks gab.
Obwohl der Zaubertränkemeister nicht übermäßig laut sprach, klang seine Stimme wie Donnerhall in Draco’s Ohren und sie brach den Bann, den er über seinen Erzfeind gelegt hatte. Potter schreckte aus seiner Trance hoch, wandte sich von ihm ab und wieder dem Unterrichtsgeschehen zu.
Einerseits verspürte Draco Enttäuschung, andererseits aber auch einen Hauch von Erleichterung. Noch vor wenigen Augenblicken war die Atmosphäre zwischen ihnen so angespannt gewesen, dass er geradezu ein Knistern in der Luft hatte spüren können. Noch ein paar Augenblicke länger und er hätte vielleicht die Kontrolle verloren und sich zu einer Tat hinreißen lassen, die er später bereute.
Nein, wahrscheinlich hätte Potter als erster die Kontrolle verloren und sich zu einer Tat hinreißen lassen, und Snape hätte Gryffindoof fünfzig Punkte für “Tätlichen Angriff auf einen Mitschüler“ abgezogen. Nicht, dass Draco grundsätzlich etwas dagegen gehabt hätte, aber eine dicke Lippe oder gar gebrochene Nase wären dafür ein zu hoher Preis gewesen.
Mit den Augen folgte er seinem Rivalen, der mit den anderen Schülern zum Händewaschen marschierte. (Draco selbst hatte das nicht nötig; er hatte sich die Hände ja auch nicht schmutzig gemacht.) Potter hatte einen nachdenklichen, um nicht zu sagen, grüblerischen Gesichtsausdruck aufgesetzt. Er unterhielt sich flüsternd mit Weasley, und Draco glaubte zu wissen, worum es bei diesem Gespräch ging.
Hatte sein Plan funktioniert? Würde Potter sich tatsächlich auf den Weg machen und nach Sirius Black suchen? Und würde Black ihn dann finden und umbringen?
Zwar hatte er keine Gelegenheit mehr gehabt, Potter von Black’s Verrat zu erzählen, aber der Grundstein war schon mal gelegt. Vielleicht würde Potter ja auch zu ihm kommen, um weitere Information zu erfahren?
Es musste klappen. Es musste einfach funktionieren, er musste diesen verfluchten Bastard endlich loswerden. Die beiden ersten Schuljahre war es schon schwierig genug gewesen, mit ihm unter einem Dach zu leben, aber mittlerweile war es unerträglich geworden. Jedes Mal wenn er ihm nahe war oder ihn auch nur von weiten sah, nein, jedes Mal wenn er auch nur an ihn dachte, spielte etwas in ihm verrückt. Diese Hitze, die durch seinen Körper jagte... sie war wie ein Feuer, das er nicht kontrollieren konnte, ein rasender, sich unerbittlich ausbreitender Buschbrand. Er hasste Potter. Er hasste ihn so sehr, dass es schon beinahe körperlich weh tat.
Diese Welt war nicht groß genug für sie beide. Und diese Schule war es gleich dreimal nicht.
* * *
Saturday, October, 31st
Nummer sechs, Weasley! Nummer sieben, Granger! Nummer acht - ach, ich weiß nicht, vielleicht nochmal Potter. Nummer neun, die Mistkäferkröte alias Potter’s kleiner Schuhsolenlecker. Nummer zehn ... hm?
Vielleicht sollte ich Sirius Black in die Liste aufnehmen. Immerhin hab’ ich es ihm zu verdanken, dass ich hier auf dem harten Boden liegen muss, anstatt in meinem weichen, bequemen Bett. Ich meine, wenn der Kerl schon bei den Gryffindors auftaucht und versucht, Potter in Stücke zu hexen, hätte er es doch wenigstens richtig machen können. Memo an mich: Alle Gryffintrottel sind unfähig, selbst dann noch, wenn sie Todesser sind.
Hogsmeade ist toll. Flint und die anderen haben echt nicht übertrieben. Wir haben uns in Honeydukes den Bauch vollgeschlagen und uns bei Zonko’s mit lauter netten Sachen eingedeckt, die ich später verwenden kann, um den Kandidaten auf meiner schwarzen Liste das Leben schwer zu machen. Wenn man den Urkunden an den Wänden Glauben schenken kann, dann hat der alte Mr. Zonko sogar noch ein paar Jahrzehnte mehr auf dem Buckel als unser hochgeschätzter Direktor Dumbledoof.
Vielleicht stirbt er bald. Ich sollte Vater überreden, den Laden zu kaufen.
Vince und Greg schnarchen wie die Trolle. Bestimmt werden sie von der Fresserei noch mal zwanzig Pfund zunehmen. Dieses Problem hab’ ich nicht mehr, seit Pansy mich über... hm... gewisse Feinheiten bei der Verwendung des Scourgify aufgeklärt hat.
Saturday, November 7th
Yes!!! Potter hat seinen Nimbus geschrottet! Hah! Ich könnte singen! Seinetwegen, nur seinetwegen haben die Gryffintrottel haushoch gegen die Hufflepfeifen verloren. Gegen Hufflepuff! Von dieser Blamage wird unsere Schule noch in einem Jahrzehnt sprechen.
Wir müssen unbedingt zusehen, dass wir ein paar Dementoren auftreiben, wenn die Gryffintölpel ihr nächstes Match gegen Ravenclaw haben. Potter ist geliefert!
Thursday, November 26th
Man sollte meinen, die Leute hätten inzwischen Besseres zu tun, als wahnsinnige Theorien darüber aufzustellen, wie der wahnsinnige Black ins Schloss gekommen sein könnte. Stattdessen werden die Theorien immer ... na ja, wahnsinniger eben. Tracy Davis behauptet doch tatsächlich, Black wäre in der Lage, sich in einen Besen zu verwandeln und über die Mauern zu fliegen. Und Pike will mir erzählen, dass Cornfoot aus Ravenclaw ihm versichert habe, dass er von Abbot aus Hufflepuff gehört habe, dass Black sich als Hallowe’en Kürbis getarnt hat.
Am besten ist immer noch die Theorie von Blaise. Black hat die Gestalt einer Filzlaus angenommen und sich einfach von Hagrid reintragen lassen.
Vielen Dank, Blaise, heut’ brauch’ ich keinen Scourgify mehr.
Friday, December 18th
Haben unsere Aufsätze in Arithmantik zurückbekommen. War gerade dabei, mich darüber zu freuen, dass ich die volle Punktzahl erreicht habe, da erfahre ich, dass Granger einen Sonderpunkt bekommen hat, weil sie eine Extralösung für das Rätsel des Agathodaimon gefunden hat. Blöde Kuh!
Und der Uhu ist wieder da. Kuchen von Mutter, Brief von Vater. Kuchen ess’ ich ganz allein auf, geb’ keinem was ab. Die sind alle doof!
Brief verbessert doch tatsächlich meine Stimmung. So wie’s aussieht, bekommt diese verdammte Greifentöle endlich, was sie verdient. Vielleicht kann ich bald einen Namen auf meiner schwarzen Liste durchstreichen.
Sunday, December 20
Vince und Greg wollten mir zu Weihnachten maunzende Muffins schenken, aber seltsamerweise sind die Dinger irgendwie abhanden gekommen. Von Pike krieg’ ich einen Pride-of-Portree-Anstecker. Von Pike krieg’ ich jedes Jahr einen Pride-of-Portree-Anstecker. Blaise und Theodore haben mir ein Sneakoscope gekauft. Was will ich mit einem Sneakoscope in Slytherin, wo doch alle Nase lang irgendeiner irgendwelche Lügengeschichten erzählt? Bescheuert!
Friday, December 25
Weihnachten! Wie schön, dass meine Eltern, diesmal geruhen, mich zu Hause zu empfangen, anstatt auf irgendwelche Ego-Trips nach Japan zu pilgern. Scheint sogar, dass sie davon noch ein schlechtes Gewissen haben, denn es liegen mehr Geschenke als sonst unterm Baum. Vielleicht haben sie aber auch nur Angst, dass Sirius Black mich kriegt.
Aber das ist wohl eher nicht der Fall. Warum sollten sie Geld für mich ausgeben, wenn sie davon ausgehen, dass ich das Schuljahr nicht überlebe!
Hm... vielleicht eine Lebensversicherung?
Unser Weihnachtsessen war wie immer lecker, auch wenn Anna schon den ganzen Tag irgendwelche Töpfe fallen lässt und mit Kochlöffeln in der Gegend herum wirft. Gänsebraten in Weißweinsoße und dazu diese feinen runden Karotten. Leider war mir danach so übel, dass ich auf den Pudding verzichten musste. Entweder Anna kocht noch schlechter als Dobby, oder die vielen Sauberzauber tun meinem Magen nicht gut. Aber wie soll ich denn sonst verhindern, dass ich zunehme? Auf meine Süßigkeiten verzichten? Soweit kommt’s noch, dass ich auf irgendwas verzichte!
Vater erzählt irgendwas aus dem Ministerium, aber Mutter hört nur mit halbem Ohr zu. Ihrem Buch nach zu urteilen, plant sie gerade die Dekoration für den Maskenball, den meine Eltern nächsten Monat ausrichten werden.
Sie hat einen seltsam verklärten Blick. Ich kann ja nun überhaupt nicht verstehen, wie man über Vorhänge und Kerzenhalter so ins Schwärmen geraten kann, aber das muss so eine Frauensache sein. Pansy schaut nämlich genauso drein, wenn sie mich ansieht und meint, ich merke es nicht. Oder wenn sie einen neuen Lippenstift bekommen hat.
* * *
February, 1979
Maskenbälle waren ein Mysterium der magischen Welt, vielgestaltiger, facettenreicher, und mannigfaltiger als ein Außenstehender sie sich je hätte erträumen können. Es war nicht nur die Musik, der Tanz, die Vielfalt der Kostüme, das Glitzern der Masken in der feuchtheißen Luft des Ballsaals, das Schillern und Rascheln bunter Stoffe über spiegelblanken Parkettboden. Nein, es war das Spiel mit Realität und Phantasie, mit Identität und Gestalt, mit Wahrheit und Lüge - ein einziges wirbelndes Kaleidoskop aus Eindrücken, das den Geist eines Menschen blenden und ihm die Sinne vernebeln konnte.
Seine Sinne mussten vernebelt sein, sonst hätte er es niemals gewagt, hierher zu kommen. Einer mysteriösen Einladung zu folgen, die ihn ausgerechnet in das Haus seines Erzfeindes führte, war ein nicht unbeträchtliches Risiko. Doch falls er eine Schwäche in seinem geordneten und geregelten Leben zuließ, so war es sein unbezähmbarer Drang, Rätsel zu entschlüsseln und Geheimnissen auf den Grund zu gehen. Im geschäftlichen und politischen Leben hatte ihm diese Eigenschaft bereits gute Dienste erwiesen, denn so ganz ohne Risiko ließ sich eben doch kein Gewinn erzielen.
Er hielt sich bewusst im Hintergrund, beobachtete das bunte Treiben durch seine eigene Maskierung hindurch. Manche Leute waren trotz ihrer aufwendigen Kostümierungen sehr gut zu erkennen, weil sie keinerlei Wert darauf legten, ihre Identität zu verschleiern. Camille Lestrange, älteste Tochter des Hausherrn und Gastgeberin des Balls hatte sich zwar die Mühe gemacht, ihr Gesicht unter einer Medusenmaske zu verbergen, aber trotz ihres archaischen Gewandes und der Masse aus Schlangen, die sich zischend um ihren Kopf ringelten, war sie eindeutig als Camille Lestrange erkennbar. Natürlich besaß sie nicht die Fähigkeit einer echten Gorgo, Menschen durch ihren Blick in Stein zu verwandeln. Aber das machte sie gewiss nicht weniger gefährlich.
Und dort drüben, die Gestalt des schakalköpfigen Anubis, das musste ihr Vater sein. Der Legende nach besaßen die Lestranges einen Stammbaum bis ins alte Ägypten, wo die Familie der Priesterschaft des Totengottes angehört hatte. Daher führten sie auch den Schakal im Wappen.
“Nervös, Lucius?“
Er zuckte zusammen, als er seinen Namen hörte und verschränkte missmutig die Hände - oder besser gesagt, Pfoten - in den weiten Ärmeln seines Kimonos. Welcher Dämon ritt Onkel Dorian, ihn ausgerechnet an einem solchen Ort mit Namen anzusprechen? Wenn sie beide hier erwischt wurden, drohte ihnen weit Schlimmeres als eine Anzeige beim Ministerium.
Unbekümmert griff Dorian nach einem Weinglas und reichte Lucius ein Zweites. “Beruhige dich, Neffe,“ flüsterte er. “Hier sind zu viele Zeugen, sie würden es nicht wagen, uns vor so vielen Augen etwas anzutun.
“Sie würden unsere Anwesenheit trotzdem nicht dulden.“ Die Sorglosigkeit seines Onkels schreckte Lucius, aber vielleicht hatte Dorian recht. Je unauffälliger sie sich verhielten, desto geringer war die Chance entdeckt zu werden. Und auf einem Ball gehörte es nun mal zum guten Ton, fröhlich und sorglos zu sein.
Wer konnte ihm diese Einladung nur geschickt haben? Wer konnte ein Interesse daran haben, ihn ins Haus der Lestranges zu locken?
Lucius wusste sich keinen Rat und auch Dorian hatte ihm keinen geben können. Aber er hatte darauf bestanden, ihn in die Höhle des Schakals zu begleiten und im Grunde genommen war Lucius froh darüber. Sein Onkel hatte schon immer ein Ohr für all die Dinge gehabt, die er seinem Vater, Abraxas Malfoy, niemals hätte anvertrauen können.
Andererseits musste er mit solchen Vertrauensbezeugungen vorsichtig sein, damit Dorian sie nicht irgendwann gegen ihn verwendete. Als zweiter Sohn hatte sein Onkel einen äußerst schweren Stand in der Familie, denn zweite Söhne waren in der Erbfolge der Malfoys eigentlich nicht vorgesehen. Vorgesehen war eine Tochter, die an eine andere der alten reinblütigen Familien hätte verheiratet werden können. So aber war alles ein wenig aus dem Gleichgewicht geraten.
Nur gut, dass Dorian selbst keine weiteren männlichen Nachkommen hatte. Seine einzige Tochter, eine junge Frau in Lucius’ Alter, war schon seit mehreren Jahren verheiratet und hatte auch eine sehr gute Partie gemacht.
Lucius stellte das Weinglas kurz ab und ließ seinen Blick weiter durch den Raum wandern. War seine Cousine vielleicht sogar hier? Lucius konnte es sich nicht vorstellen, denn die Abneigung der Lestranges gegen die Malfoys war kolossal und selbst eine ehemalige Malfoy wäre mit Sicherheit nicht gern gesehen auf diesem Ball.
Die Gestalten, die sich lachend zu den Klängen von Pauken und Flöten drehten, hätten nicht farbenfroher sein können. Einige hatten Tiere als Kostümierung gewählt, andere Götter, und wieder andere berühmte Persönlichkeiten oder magische Wesen. Da tanzte der Fenriswolf mit Morgan Le Fey, ein bocksbeiniger Faun mit der achtarmigen Göttin Kali, und ein überdimensionaler Leprechaun mit einer ägyptischen Skorpiongöttin, deren Namen Lucius einmal gekannt, aber später wieder vergessen hatte. Das vielleicht aufwendigste Kostüm war eine Arachne mit menschlichem Oberkörper und dem Hinterleib einer Spinne. Die Frau, die es trug, musste wohl monatelang mit Tränken und Zaubern experimentiert haben, um die Verwandlung so perfekt aussehen zu lassen.
“Nun... ich denke, ein kleiner Tanz könnte nicht schaden.“ Dorian, der das Kostüm des Roten Todes trug, warf mit einer fließenden Bewegung seinen Umhang zurück, trat auf die Arachne zu und verbeugte sich vor ihr. Sie akzeptierte mit einem Lächeln, welches ein paar spinnenähnliche Kauwerkzeuge zum Vorschein brachte. Dorian schluckte, doch er machte keinen Rückzieher. Einige Augenblicke später drehten sie sich inmitten all der anderen Paare, welche darauf achten mussten, nicht über den gewaltigen Hinterleib der Spinnenfrau zu stolpern.
Lucius blieb allein zurück, was seine Situation natürlich nicht verbesserte. Nervös wandte er den Blick nach links und rechts und fasste unwillkürlich an die Griffe der beiden Schwerter, die er im Gürtel trug. Die Schwerter selbst hätten im Ernstfall natürlich nichts genutzt, aber das kleinere der beiden, Wakizashi genannt, verbarg seinen Zauberstab, den er natürlich für alle Fälle griffbereit haben wollte.
Da er für den Moment nichts weiter tun konnte, als zu warten, griff er wieder nach seinem Weinglas und nahm einen weiteren Schluck. Ob der geheimnisvolle Unbekannte sich endlich zeigen würde? Wie wollte er ihn überhaupt erkennen? Lucius hatte mit voller Absicht ein Kostüm gewählt, welches seine wahre Erscheinung kunstgerecht verschleierte. In dieser Aufmachung erinnerte nichts mehr an einen hageren jungen Mann mit hellem Haar und spitzen Gesichtszügen. Statt der Haare umspielte nun ein silberweißes Fell seine Gestalt und spitz war nur die Fuchsschnauze, welche sein wahres Gesicht verbarg.
Der Fuchsdämon musste zu Lebzeiten Soldat gewesen sein, denn die braune Uniform mit dem Symbol der drei Stockmalvenblätter wies ihn deutlich als Krieger des Fürsten Tokugawa aus. Lucius bewunderte Tokugawa, der sich allein durch seine Kriegslisten und sein politisches Ränkespiel zum mächtigsten Mann seines Landes aufgeschwungen hatte. Natürlich konnte er diese Bewunderung in seinen Kreisen nicht offen aussprechen, er zeigte auch nicht jedem die Schriften von Machiavelli, Sun Tzu, oder Nietzsche, die sich in seiner ganz privaten Bibliothek befanden und er erzählte auch nicht jedem von den Muggle-Aktien in die er einen Teil seines Geldes investiert hatte. Am allerwenigsten Vater.
Er griff in die Innentasche seines Kimonos und zog die Einladung daraus hervor, um sie ein weiteres Mal zu studieren und vielleicht nach einem Hinweis zu suchen. Doch die Schrift verschwamm vor seinen Augen, kaum, dass er den Blick darauf gerichtet hatte. War es Magie? Oder war etwas in dem Wein gewesen?
Einen Moment lang schloss er die Augen, doch außer einem ganz leichten Schwindelgefühl, das vom Wein und von den wirbelnden Buchstaben herrühren mochte, konnte er nichts Ungewöhnliches feststellen, auch keine möglichen Anzeichen einer Vergiftung. Als er die Augen wieder öffnete, hatte sich das Schreiben allerdings grundlegend verändert. Es zeigte jetzt eine grobe Karte des Ballsaales mit einem Pfeil, der auf eine der hinteren Türen gerichtet war. Offenbar wollte der geheimnisvolle Unbekannte, dass er den Hinweisen folgte.
Lucius überlegte, ob er Onkel Dorian Bescheid geben sollte, aber wenn sie zu zweit hier herumschlichen, würde es mit Sicherheit auffallen. Außerdem brannte er darauf, dem Geheimnis auf den Grund zu gehen und wollte nicht noch unnötig Zeit verlieren.
Die Tür führte auf einen schmalen Gang hinaus. In der einen Richtung befanden sich die Gästetoiletten, der Pfeil auf der Karte deutete jedoch in die andere. Lucius horchte, ob in der Nähe Stimmen zu vernehmen waren, doch das nicht endende Geplapper, das aus der Damentoilette zu kommen schien, klang nicht danach, als ob die Unterhaltung innerhalb der nächsten Minuten beendet werden würde. Also wandte er sich ab und folgte dem Pfeil den Gang entlang, durch eine weitere Tür, die allerdings durch ein Passwort geschützt war (Selket, wie ihm die Karte verriet), und schließlich in ein gewaltiges Treppenhaus, in welchem sich eine Wendeltreppe nach oben schlängelte.
Und inmitten dieses Raumes, umrankt von den Windungen der Treppe, vom Boden bis zur Decke etwa drei oder vier Stockwerke hoch, befand sich ein so geheimnisvolles und unergründliches Konstrukt, dass selbst ein Mann wie Lucius, der in der Zaubererwelt schon mancherlei gesehen und erlebt hatte, wie angewurzelt stehen blieb und sich für einige Minuten nicht von der Stelle rührte.
Auf den ersten Blick wirkte es wie eine Art erstarrtes Uhrwerk, mächtige Zahnräder, deren Kreise ineinander griffen, kupferne Hebel, die bestimmte Einstellungen markierten, Federn, Schrauben und rostige Ketten, welche die gesamte Apparatur miteinander verbanden. Daraus erwuchs ein riesiges Pendel, dessen kupferne Scheibe mit seltsamen Schriftzeichen beschrieben war und vollkommen reglos nur wenige Zoll über dem Boden schwebte. Hoch über ihm konnte er auch ein Zifferblatt erkennen, welches die gesamte Decke ausfüllte und nicht nur mit zwei, sondern gar mit sechs Zeigern bestückt war. Noch etwas anderes erschien ihm störend daran, aber er konnte wirklich nicht sagen, was genau es war.
Auf den zweiten Blick war er sich sicher, dass er sich getäuscht hatte und es sich um etwas völlig anderes handelte. Dies war keine Darstellung der Zeit, sondern eine Darstellung des Raumes, ein Modell der Milchstrasse und umliegender Galaxien. Die angeblichen Zahnräder waren die Bahnen von Sternen und Planeten, dazwischen glitzerten Kugelsternhaufen, schwebten erstarrte Supernoven und Kometenschweife. An der Decke über ihm leuchteten statt eines Ziffernblattes die verschiedenen Sternbilder des Zodiac und was er für die Scheibe eines Pendels gehalten hatte, war in Wirklichkeit nichts anderes als ein schwarzes Loch, das alles um sich herum verschlang.
Oder verschlingen würde, falls die stumme Apparatur irgendeine Art von Leben gezeigt hätte.
Auf den dritten Blick schienen ihm seine bisherigen Überlegungen lachhaft. Dies war weder eine Uhr, noch ein Astrolabium um die Bahnen der Sterne zu bestimmen. Es musste irgendeine Form von Lebewesen sein, ein gewaltiges Ungetüm, erschlagen und halb ausgeweidet.
Nein, kein natürliches Lebewesen konnte so aussehen. Es war eine Maschine. Eine Waffe. Ein Seelenfänger. Ein Zeitumkehrer. Eine Möglichkeit in die Gedanken eines anderen Menschen einzudringen. Ein Tor zu einer anderen Welt. Ein Luftschiff. Eine Waagschale für Herz, Feder und Sünde. Nein, es war nichts von alledem und es war das alles und noch viel mehr.
Während sich seine Gedanken ein ums andere Mal im Kreise drehten und sich dabei schreiend überschlugen, lenkten ihn seine Schritte immer näher an das große Pendel heran. Grüngolden schimmerte es vor ihm und die Symbole darauf schienen wie von Feuer durchzogen. Ein seltsamer Glanz ging von ihm aus, als wäre es das Einzige an der bizarren Apparatur, das wirklich lebendig war.
Wie mechanisch hob er seine Fuchspfote und rührte ein wenig mit dem Finger an dem Glanz. Die kupferne Scheibe fühlte sich warm und lebendig an, so als bestünde sie gar nicht aus totem Metall und ein winziger leuchtender Schimmer blieb auf seinem Fell zurück.
“Sie sollten die Große Unruh lieber nicht berühren.“
Lucius zuckte zurück wie von der Acromantula gebissen und schalt sich einen Narren. So schlau hätte er selbst sein müssen, eine magische Apparatur, die er in einem fremden Haus vorfand, nicht so einfach anzufassen. Das gehörte eigentlich mit zu den ersten Lektionen, die ein Kind in der magischen Welt lernen musste und seine Kinderzeit lag nun schon eine Weile zurück. Schande über ihn.
Als er sich umwandte, um die Sprecherin genauer in Augenschein zu nehmen, dachte er dabei nicht an die neun Fuchsschweife, die sich wie ein Rad seinen Rücken entlang fächerten. Einer nach dem anderen schlugen sie gegen das Pendel und ließen dabei dröhnende Gongschläge hören.
Nicht. Schon. Wieder.
Heute Nacht schien er wahrlich ein Talent dafür zu besitzen, sich von einer peinlichen Situation in die nächste zu manövrieren. Hoffentlich hatte er nichts an der Maschine kaputt gemacht oder mit dem Lärm unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Im Geiste sah er schon Lestrange und seine Leute mit gezogenen Zauberstäben in den Raum stürmen.
Seltsamerweise wog der Gedanke, sich blamiert zu haben, noch schwerer als diese Sorge. Er fühlte die Röte in sich aufsteigen, hoffte jedoch, dass diese Gefühlsregung unter seinem Fuchsgesicht unbemerkt bleiben würde. Stattdessen richtete er seinen Blick auf die Gestalt, welche ihn angesprochen hatte.
Es war ein Mädchen. Es war ein Schwan. Es war eine Frau.
Sie war schlank und hochgewachsen, eine natürliche Grazie sprach aus jeder ihrer Bewegungen. Zwar lag der obere Teil ihres Gesichtes unter der Vogelmaske verborgen, doch darunter konnte man ihr zartes Kinn und den sinnlichen Schwung ihres Mundes erkennen. Gemäß ihrer Erscheinung war ihr Kleid lang, fließend, mit Flaum und Federn besetzt, und die weißen Schwingen auf ihrem Rücken wirkten so realistisch, als könne sie diese im nächsten Moment entfalten und damit auf- und davon schweben.
Vermutlich würde sie genau das tun, sobald er nur eine falsche Bewegung machte...
“Aber eigentlich kann nichts passieren. Sie funktioniert nämlich nicht. Sie hat noch nie funktioniert.“
“Was, bitte?“ Lucius überlief es heiß und kalt; er hatte keine Ahnung, wovon sie gesprochen hatte und befürchtete schon, sich zum dritten Mal an diesem Abend zu blamieren. Zum Glück wurde ihm nur kurze Zeit später bewusst, dass das Schwanenwesen noch immer über das seltsame Konstrukt sprach, welches sich über ihnen ausbreitete wie ein gigantisches Schattengeschöpf.
“Genau das,“ entgegnete sie spitz. “Der Herr dieses Hauses hat die Große Unruh vor Jahren nach den Zeichnungen in einem alten, mottenzerfressenen Buch über Schwarze Magie anfertigen lassen. Er dachte wohl, sie würde ihn zum mächtigsten Zauberer aller Zeiten machen, auch wenn er keine Ahnung hatte, wofür sie gut ist.“
Sie lachte kurz und höhnisch auf, einen Hauch von Triumph in ihrer Stimme. “Was für eine Narretei, soviel Mühe und Anstrengung in ein Ding zu stecken, das ohnehin nicht funktioniert.“
Seltsamerweise befiel ihn ein Hauch von Erleichterung, als sie diese Worte aussprach, beinahe so als habe er sich davor gefürchtet, was diese Apparatur anrichten konnte, wenn sie einmal zum Laufen gebracht wurde. Er wollte es nicht herausfinden.
Wer war diese Frau? Kannte sie Lestrange näher? Wusste sie, was hier vorging und wozu diese sogenannte Unruh gut sein sollte? War sie etwa diejenige, die ihn mit der Einladung hierher gelockt hatte? Und falls ja, wozu? Was bezweckte sie?
“Sie tragen ein wirklich faszinierendes Kostüm, Mr. Malfoy.“ Sie trat näher, hob eine blasse weiße Hand und strich vorsichtig über das Fuchsfell auf seiner Wange. Die sanfte Berührung jagte winzige Schauer durch seinen Körper und dort, wo die Hand seine Haut streifte, verschwand das Fuchsgesicht für wenige Sekunden und sein eigenes kam darunter zum Vorschein.
“Vorsicht, spielen Sie keine Spielchen mit mir.“
Lucius trat einen Schritt zurück, zog seinen Zauberstab und hielt ihn der Schwanenjungfrau unters Kinn. “Wer sind Sie? Und warum wollten Sie mich hier treffen? Geht es um dieses Ding da?“
“Ja und nein.“ Sie antwortete nur auf seine letzte Frage, ignorierte geflissentlich die beiden ersten. “Ich habe in Erfahrung gebracht, dass ihre Familie große Fähigkeiten im Bereich der schwarzen Künste erlangt hat und ich hatte gehofft, dass Sie vielleicht etwas über die Große Unruh wissen. Zum Beispiel, was sie antreibt. Eine Unruh muss doch irgendetwas antreiben, nicht wahr?“
“Normalerweise eine Uhr.“ Lucius hob den Kopf und betrachtete die Decke über ihm, die so aussah wie ein Himmelsgewölbe und gleichzeitig ein gewaltiges Zifferblatt. “Aber dieses Konstrukt hat selbst Ähnlichkeit mit einer Uhr. Gewissermaßen.“
Er konnte immer noch nicht ausmachen, was an diesem Zifferblatt nicht stimmte. Es waren nicht mehr die schleichenden Verwandlungen, die ihn verwunderten, daran hatte er sich inzwischen gewöhnt. Mal waren es Zahlen, die dort standen, mal Buchstaben und einen Augenblick später schienen es Elemente oder Sternenkonstellationen zu sein. Aber das war nicht das Problem. Irgendetwas war mit diesem Ding nicht in Ordnung und bei Morgana, er konnte nicht sagen, was. Und es zerrte an seinen Nerven.
“Sie haben sich geirrt.“ Er runzelte die Stirn und wandte den Blick seiner Begleiterin zu. “Ich weiß nichts über diese Unruh. Sie hätten jemand anderen hierher bestellen sollen.“
“Bei jedem anderen aus meinem Bekanntenkreis bestünde Gefahr, dass er dem Hausherrn“ - sie sprach dieses Wort mit einer Spur Verachtung aus - “von meinem Interesse berichtet. Bei Ihnen konnte ich sicher sein, dass es nicht der Fall ist. Schließlich hegen Sie keinerlei freundschaftliche Beziehungen zu ihm, nicht wahr?“
“Sie sind gut informiert,“ entgegnete Lucius knapp und steckte den Zauberstab wieder in das Schwert zurück. Er glaubte nicht, dass eine unmittelbare Gefahr von dieser Dame ausging (zumindest nicht von magischer Art), aber er nahm sich vor, trotzdem auf der Hut zu sein. “Nun, wie Sie vielleicht ebenfalls wissen, besitzt meine Familie eine umfangreiche Bibliothek. Ich könnte versuchen, dort etwas über diese Unruh in Erfahrung zu bringen. Am besten, Sie erzählen mir erst mal, was Sie darüber wissen. Der Titel des alten, mottenzerfressenen Buches wäre natürlich ebenfalls hilfreich.“
“Nun gut.“ Sie beäugte ihn misstrauisch durch ihre hellen Vogelaugen. “Den genauen Titel des Buches kenne ich zwar nicht, aber Istave Lestrange bezeichnet es normalerweise als ’Buch der Geheimnisse’. Es soll sehr alt und sehr mächtig sein.“
“Es heißt nicht zufällig Necronomicon?“ Lucius zog eine Augenbraue hoch.
“Sie können es mir gern glauben, mein Herr, es gibt noch mehr alte Bücher. Darunter auch solche, die nicht von drittklassigen Muggle-Schreibern erfunden wurden.“
Gegen seinen Willen musste er schmunzeln. Der Humor dieser jungen Frau gefiel ihm, ihre ganze Art hatte etwas Faszinierendes an sich, auch wenn er sie kaum kannte und noch nicht viel darüber sagen konnte. Aber sie schien eine Frau mit Zielen zu sein und schreckte dabei nicht vor ungewöhnlichen Methoden zurück.
Mittlerweile war er sich sicher, dass sie eine Slytherin sein musste. Wasser findet immer seinen Weg, egal wie viele Steine sich vor ihm auftürmen.
“Nun, was die Unruh selbst angeht, so kann ich nur aus Beobachtung sprechen. Was immer sie tun sollte, sie tut es nicht. V... früher hat Istave Lestrange viel damit herumexperimentiert, aber inzwischen hat er es längst aufgegeben. Seit Jahren steht sie nur noch hier herum und ist praktisch vergessen. Ich habe sie mir oft angesehen und konnte nie einen wirklichen Sinn in ihr erkennen. Eine Sache ist allerdings bemerkenswert... kommen Sie ein Stück näher, hierher. Und sehen Sie dann nach oben.“
Sie streckte ihre Hand nach ihm aus. Er fürchtete den Moment der Berührung mit diesem verzauberten Geschöpf, ihrem unschuldigen Weiß, ihrem hauchzarten Federflaum, beinahe so, als würde sich durch diese Berührung unwiederbringlich eine Falle schließen. Er glaubte schon das leise ’Klick’ im hintersten Winkel seiner Gedanken zu hören, aber das Geräusch verblasste unter dem sanften Kribbeln seiner Fingerspitzen, kaum dass ihre Hände sich einander genähert hatten.
Hände, ja, es waren Hände. Fuchsfell und Schwanenfedern verschwanden, als sie die Wärme des jeweils anderen spürten.
Er trat zu ihr heran und hob den Blick auf das Kuppelgewölbe über ihnen, folgte mit den Augen ihrem ausgestreckten Finger. Elemente, Sterne, Planeten, Himmelsrichtungen und Galaxien drehten sich in wirbelndem Tanz und ließen ihn gegen den aufsteigenden Schwindel ankämpfen. Es war ein schwirrendes, unangenehmes Gefühl des Schwebens. Ihre andere Hand auf seiner Schulter, kühl und beruhigend, schien der einzige Silberfaden zu sein, der ihn noch an die Erde unter sich band.
“Sieh hin,“ sagte sie ein weiteres Mal, gerade als er geblendet die Augen schließen wollte. Ihre Stimme und ihr Atem erzitterten an seinem Ohr, jagten winzige Schauer durch seinen Körper. Etwas zerbrach darin, ein Harnisch, eine Fessel mit der sein kühler Verstand die Kontrolle über die tieferen Bereiche seiner Seele behielt. Etwas Wildes, etwas Animalisches schien sich aus seinem Inneren freikämpfen zu wollen, ein verborgener Teil seiner selbst, der Leben witterte, Freiheit und den zarten Duft eines Rosenparfums.
“Sieh hin,“ sagte sie; ihre Stimme wurde zu einem süßen Lockruf, ihre Worte zu einem verführerischen Zauber und die schwirrenden Windungen über ihm zu einem undurchdringlichen Labyrinth, dem er nicht entfliehen konnte. In dem Ring aus Zahlen, Farben und Sternen formten sich nun Bilder. Uralte, wohlvertraute Bilder, die vor seinem Geist lebendig wurden und ihn mit ihrem sinnlichen Zauber erfüllten.
Sagittarius, der Schütze. Zeichen der Herbstglut, Symbol des Zweikampfes, Sinnbild der entfesselten männlichen Kraft. Einer Kraft, die Lucius tief unter den Mauern des Verstandes zu begraben pflegte, der er sich aber dennoch nicht entziehen konnte, als sie so unvermittelt und ungebändigt durch seine Adern pulsierte. Sein Herz pochte, die pure Hitze raste unter seiner Haut hindurch, riss seine Sinne in die schwindelerregenden Höhen eines Rausches, der ihm zwar vertraut war, den er aber noch nie auf diese Weise erfahren hatte.
War es Magie? Ein Zauberspruch der geheimnisvollen Schwanenjungfer, die Macht der Großen Unruh, ein magischer Trank in seinem Wein? Oder war es nichts anderes als die bezaubernde Ausstrahlung der mysteriösen Unbekannten, die knisternde Spannung zwischen ihnen beiden?
Capricornus, der Steinbock. Zeichen des Wintersteins, Symbol der gehörnten Götter, Sinnbild der ewig fließenden Zeit. Noch war es nicht zu spät, noch waren seine Gedanken klar und seine Vernunft stark genug, um innezuhalten und sich nicht auf dieses Abenteuer einzulassen. Er könnte sich abwenden und der süßen Verlockung widerstehen, den Aufruhr in seinem Innersten mit harter Hand niederwerfen. Noch gab es ein Entrinnen.
Aber wollte er das wirklich? Oder würde er mit Reue an diesen Tag und diese Frau zurückdenken und sich ewig fragen, wer sie war und warum sie ihn hierher gelockt hatte?
Andererseits, falls er blieb, würde er es ganz sicher bereuen. Wenn er seiner Leidenschaft ihren freien Lauf ließ, wer konnte wissen, wohin dieses Abenteuer ihn führen würde? Er spielte mit dem Feuer und dieses Feuer war gerade dabei, sich in ein Flammeninferno zu verwandeln, welches ihn unaufhaltsam, unabänderlich in seine Gewalt riss.
Aquarius, der Wassermann. Zeichen der Winterstürme, Symbol des Himmels, Sinnbild der Veränderung. Etwas geschah mit ihm, etwas, das sich geschickt seiner Kontrolle entzog. Sanfte Hände, die über seine Haut strichen, ein weicher geschmeidiger Körper, der sich gegen den seinen drängte; jede Berührung löste einen wahren Strudel an Emotionen in ihm aus, ein Feuerwerk der Gefühle. Ihr Duft betörte ihn, ihre Wärme hüllte ihn ein wie ein Mantel, ihre bloße Präsenz erfüllte ihn mit Hitze und Verlangen.
Jeder Blick aus diesen mysteriösen violetten Augen schien sich bis auf den Grund seiner Seele zu bohren. Und doch hielt er ihnen stand, schwankte nicht unter der Macht, die sich ihm entgegenstellte. Ein Teil dieser Kraft befand sich auch in ihm selbst und er würde zulassen, dass sie erwachte und von ihm Besitz ergriff. Er würde sich nicht feige verkriechen, wenn das Schicksal an seine Tür klopfte. Sonst hätte er überhaupt nicht hierher zu kommen brauchen.
Pisces, die Fische. Zeichen des Wintereises, Symbol der Empfindsamkeit, Sinnbild der ewig rätselhaften, weiblichen Tiefe. Jede Frau war ein Ozean an Geheimnissen, sanft und doch unbeugsam, kalt berechnend und leidenschaftlich emotional, voller Widersprüche, die man nicht erklären, noch ergründen konnte. Dieses Wesen in seinen Armen war voller Unschuld in ihrem weißen Kleid, ein Hauch mädchenhafter Röte auf ihren erhitzten Wangen. Und doch war sie ebenso Verführerin, eine lockende Sirene, deren verheißungsvolle Sinnlichkeit nicht unter dem unschuldigen Weiß verborgen bleiben konnte.
Mittlerweile war sie ganz Mensch, ganz Frau geworden, bis auf die Schwanenfedern, die ihr Kleid schmückten und ihr hochgestecktes Haar wie unter einem Krönchen verbargen. Und natürlich die gefalteten Schwingen auf ihrem Rücken, die sie wie einen Engel aussehen ließen. Ein Engel, der noch eine andere, dunklere Seite verbarg.
Aries, der Widder. Zeichen der Frühlingsflamme, Symbol der Leidenschaft, Sinnbild ausbrechender stürmischer Eroberung. Seine Hände gruben sich in ihr Haar, lösten das silberglänzende Federkrönchen, während die Haarnadeln, die ihren Knoten zusammenhielten, in alle Richtungen flogen. Die schwere, Flut ihrer Haare ergoss sich wie ein goldener Strom über ihren Rücken und umspielte ihre schmalen Schultern.
Er sog dieses Bild in sich auf, spürte, dass es Wirklichkeit war, während er die seidige Pracht weiter durch seine Finger gleiten ließ. Sie sträubte sich nicht, als er ihren Kopf zu sich heranzog; ihr wissendes Lächeln verriet ihm, dass sie ebenso wie er auf die Berührung ihrer beider Lippen wartete. Erst im allerletzten Moment zog sie den Kopf zurück, eine stolze, herrische Gebärde, die ihm zu sagen schien: “Wenn du mich willst, musst du mich erobern.“
Mit nichts hätte sie sein Begehren stärker schüren können, als mit dieser winzigen Geste. Er presste seine Lippen auf die ihren, eroberte stürmisch ihren Mund, aber ohne sich dabei zu jener trunkenen Unbeholfenheit hinreißen zu lassen, die ungezügelte Leidenschaft so häufig mit sich brachte. Stattdessen erkundete er ihren Mund mit dem Geschick eines wahren Meisters, schwelgte in der süßen Nachgiebigkeit ihrer Lippen, flüsterte Versprechen um Versprechen mit der Kunstfertigkeit seiner Zunge. Ihr Körper reagierte wie von selbst, bäumte sich ihm entgegen und verlangte nach mehr. Jetzt war er es, der in ihrem Tanz der Kräfte die Kontrolle übernommen hatte, doch wie lange würde dieser Zustand anhalten?
Taurus, der Stier. Zeichen der Frühlingserde, Symbol der Offenbarung, Sinnbild wachsender Ekstase. Er löste sich von ihren Lippen, ließ seine Zunge über ihre bebende Haut gleiten, die sanfte Neigung ihres Halses entlang. Darunter spürte er Atemlosigkeit, Begehren, Verzückung, das Pulsieren ihres Blutes, welches rhythmisch durch ihre Adern pochte.
Noch einmal hob er den Mund, um einen Seufzer von ihren Lippen zu trinken, dann senkte er den Kopf, liebkoste behutsam den Ansatz ihres Ohres und fühlte, wie sich ihre Hände in seinen Rücken krallten. Einen Augenblick später war der Moment ihrer Schwäche bereits vorüber, ihre Finger glitten unter den Stoff seines Kimonos, lösten ohne Zögern den Knoten seines Obi. Er sog heftig die Luft ein - die Hitze, die sich unter ihren Berührungen aufbaute, wuchs mit rasender Geschwindigkeit, erblühte in ein immer stärker werdendes Verlangen. Ein Verlangen, das geradezu nach Erlösung schrie.
Gemini, die Zwillinge. Zeichen der Frühlingslüfte, Symbol der Wanderung, Sinnbild der zwei Gesichter. Licht und Schatten, Unschuld und Sünde, Engel und Dämon verbargen sich gleichermaßen unter dem fließenden Gewand, dessen Haken und Bänder er nun behutsam löste, um endlich die seidenweiche Haut darunter spüren zu können.
Er befreite zunächst die eine, danach auch die andere Schulter aus dem Stoff. Mit den Fingerspitzen fuhr er ihre weißen Arme entlang, fühlte ihre Festigkeit, ihre geschmeidige Stärke. Er streichelte ihre zarten Handgelenke, liebkoste sanft die empfindsame Wölbung unterhalb des Ellenbogens und umfasste danach ihre Hände mit den seinen.
Doch sie entzog sie ihm, um ihrerseits auf Wanderschaft zu gehen. Sie strich über seine Haut, betastete forschend die festen Muskeln, die darunter lagen. Er sah sich versucht, nachzugeben, sich einfach fallen zu lassen, um in der Süße ihrer Gegenwart zu versinken. Doch so einfach wollte er sich ihr nicht unterwerfen.
Cancer, der Krebs. Zeichen der Sommerquelle, Symbol des Mondes, Sinnbild tiefer Emotionen. Von allen Fesseln befreit, glitt der seidige Stoff ihren Körper hinab bis zur Taille, entblößte ihre Brüste, die nun wie zwei alabastern schimmernde Hügel vor ihm lagen. Er umfing sie mit seinen Händen, um sie behutsam zu streicheln und zu kneten. Jetzt war sie es, die vor Wonne aufseufzte und für eine kleine Weile lang wie geblendet die Augen schloss.
Verlangend drückte sie sich gegen seine Handflächen, während seine Hände weiterglitten, seine Finger die Spitzen ihrer Brust umfassten, die sich unter seinen Berührungen verhärteten, zu rosigen Knospen erblühten. Er spielte mit ihnen - rieb sie erst ganz zart und vorsichtig, um dann plötzlich fester zuzudrücken und ihrer Kehle weitere Seufzer zu entlocken. So wurde ihm deutlich bewusst, dass die Glut der Leidenschaft, die wie eine Lanze durch seinen Körper schoss, auch von ihr Besitz ergriffen hatte. Ein köstliches Gefühl, das durch seine Liebkosungen eher verstärkt, denn gelindert wurde.
Es gab jetzt keinen Weg zurück mehr. Die einzige Möglichkeit aus diesem Labyrinth der Sinne hinauszufinden, war die Flucht nach vorne.
Leo, der Löwe. Zeichen des Sommerfeuers, Symbol der Sonne, Sinnbild wilder Entschlossenheit. Er zog eine feurige Spur von Küssen über ihre Haut, schmeckte den Schweiß, das Salz, die blumige Süße ihres Parfums. Ihr Körper erbebte unter seinen Zärtlichkeiten, ergab sich ihm, verlangte nach mehr, um ihn in der nächsten Sekunde wieder von sich zu weisen. Es war, als wolle sie ihm den Triumph nicht gönnen, als könne sie nicht zulassen, dass er eine solche Macht über sie erlangte.
Wusste sie denn gar nicht, wie sehr sie ihn in ihren Bann geschlagen hatte? Er wollte diese Frau, wollte sie besitzen, erobern, ganz und gar zu der Seinen machen. Er wollte - sei es auch nur für diesen Augenblick - ganz in ihren Zauber eintauchen, selbst wenn er darin versinken und umkommen würde. Alles andere erschien ihm in dieser Nacht bedeutungslos.
Virgo, die Jungfrau. Zeichen des Sommerbodens, Symbol der Vernunft und Weisheit, Sinnbild uralten weiblichen Wissens. Sein Geist war gefangen in ihrem Wesen, ebenso wie seine Hände nun gefangen waren, eingeschlossen zwischen ihrem weichen warmen Körper und der harten unnachgiebigen Kälte des Marmorbodens. Ihr Haar lag um sie herum ausgebreitet wie ein goldener Schein, ihr Kleid bauschte sich wie eine Wolke um ihre langen Beine in den weißen Pantalons, ihre Schwanenflügel rahmten ihren Leib wie frisch gefallener Schnee.
Er hielt einen Moment inne, richtete sich auf, um sie in ihrer vollen Schönheit zu betrachten, sog ihr Bild in sich auf, wie den Hauch eines kostbaren Parfums. Doch er verharrte nicht lange in dieser Position, denn ihre schimmernden blassen Arme erhoben sich, umfingen ihn mit süßer Verlockung und zogen ihn zu sich hinunter.
Wieder spürte er den Duft ihrer Nähe, die Hitze ihrer Gegenwart, die elektrisierende Spannung ihrer tastenden Hände, die sich einen Weg über seinen Rücken bahnten, an seinen Hüften verharrten, die restlichen Bänder seiner Hakama lösten und sich nicht eher zufrieden gaben, bis sie nur noch bloße Haut unter ihren Kuppen fühlten. Fieberhaft erforschte sie seinen Körper, ließ ihn unter ihren Berührungen erzittern, jagte abwechselnd heiße und kalte Schauer der Lust durch jede einzelne Pore seiner selbst.
Libra, die Waage. Zeichen der Herbstwinde, Symbol der Ausgleichung, Sinnbild der Harmonie. Er befreite seine Hände aus ihrer verführerischen Gefangenschaft und ihre Beine von den mit kostbarer Spitze verzierten Pantalons.
Sanft glitten seine Fingerspitzen die zarte Haut entlang, streichelten ihre empfindsamen Kniekehlen, teilten mit sachtem Druck ihre bebenden Schenkel. Ihre Hüften hoben sich ihm verlangend entgegen, doch er spielte das Spiel nicht nach ihren Regeln. Stattdessen wanderten seine Hände beinahe spielerisch über die glatte Haut ihres Venushügels bis hin zu den festen Rundungen ihres Bauchs. Unter der samtenen Bauchdecke konnte er deutlich ihre angespannten Muskeln fühlen, hart und biegsam zugleich.
Sie dagegen schien ihn auf ihre ganz eigene Art in den Wahnsinn treiben zu wollen; ihre Liebkosungen brachten sein Blut in Wallung und ließen ihm die Sinne schwinden. Mühsam um Atem ringend, versuchte er die Kontrolle über sich zu behalten, und dennoch sehnte er sich danach, sich von ihren Händen loszureißen, sich fallen zu lassen, sich einfach fallen zu lassen, in diesen warmen, wunderbar weichen Schoß.
Scorpio, der Skorpion. Zeichen der Herbstströme, Symbol der Endgültigkeit, Sinnbild des Unabwendbaren. Ihre Blicke trafen sich, Ihre Lippen vereinigten sich in einem einzigen stürmischen Kuss, fordernd und leidenschaftlich, während er auf sie niedersank und ihr Schoß ihn empfing, ihn voller Begierde in sich aufnahm.
Einen Augenblick verharrte er ungläubig, fühlte die Barriere in ihr, doch bevor er auch nur einen einzigen Gedanken daran verwenden konnte, bäumte sie sich ihm verlangend entgegen, krallte ihre Fingernägel in seine Hüften und raubte ihm dadurch das letzte Bisschen seiner Kontrolle. Ein kraftvoller Stoß durchbrach die Barriere; ihr Leib zuckte zurück, um im nächsten Augenblick dem seinen zu begegnen und sich mit ihm zu verbünden.
Weich, geschmeidig und in vollkommenem Gleichklang bewegten sich ihre Körper, umfingen einander, verschmolzen in rhythmischem Tanz zu einem großen Ganzen. Über ihnen drehten sich die zwölf Sternbilder als stumme Zeugen ihrer Vereinigung, sahen dabei zu wie sie in schwindelerregende Höhen der Ekstase schwebten und in die ozeanischen Tiefen ihrer Passion hinabtauchten. Flammen der Lust, Wogen der Leidenschaft, Fruchtbarkeit der Erde und der flüchtige Lufthauch von Atem auf Atem.
Dreizehn ... es waren dreizehn....
Die Bilder zersprangen vor seinen Augen, als Sterne in seinem Körper explodierten und tief in seinem Inneren verglühten. Zwölf Stunden, zwölf Zahlen, zwölf Zeichen und doch war es ein dreizehntes, ein unbekanntes, welches über ihnen leuchtete, den geheimnisvollen Himmel der großen Unruh regierte und sie beide in seinem Bann hielt. Die kosmische Ordnung war zerstört, zerbrochen, vollkommen aus den Fugen geraten...
“Obliviate!“
Tsuzuku.....
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