Teil 1 -
Teil 2 Teil 3 -
Teil 4 „Clint hat bei Bruce unterm Tisch gesessen“, sagt Steve, als er neben Tony auf dem Sofa residiert, seine Stirn in verwirrte Dackelfalten gelegt. Vor ihnen auf dem Flachbildfernseher laufen Dinosaurier durchs Bild. „Ich habe ihn atmen hören.“
Tony dreht ihm den Kopf zu und starrt ihn entsetzt von der Seite an. „Ich weiß nicht, welchen Teil dieser Aussage ich gruseliger finden soll. Warum hast du denn nichts gesagt?“
Steve zuckt mit den Schultern. „Es wird einen Grund haben, dass er sich versteckt. Ich will ihn zu nichts zwingen.“
Tonys Gesichtsausdruck wird weich. „Diese ‚gerechter Anführer’ Sache steckt dir wirklich in den Knochen, kann das sein? Ich hätte ihn wahrscheinlich an seinem Ohr unterm Tisch rausgezerrt.“
Er denkt einen Moment lang nach. „Wieso zum Teufel hilft Bruce ihm dabei, sich zu verstecken?“
Steve lächelt. „Auch er wird seine Gründe haben. Ich sehe es als ein gutes Zeichen, dass Clint sich bei ihm versteckt - und dass Bruce ihn lässt.“
Tony brummt seine Zustimmung. „Sie erscheinen mir bloß ein äußerst … ungleiches Paar zu sein.“
Dann wird ihm bewusst, dass er neben Captain America auf dem Sofa sitzt und mit ihm Jurassic Park guckt, und räuspert sich eilig. „Naja, egal. Wenigstens wissen wir jetzt, wo er so plötzlich abgeblieben ist. Und dass JARVIS ein ganz dreister Verräter und eine treulose Tomate ist.“
Sir?
„Du hast mich angelogen!“
Ich habe nicht gelogen, Sir, ich habe die Aussage verweigert.
„Haarspalterei. Gib wenigstens zu, dass Bruce dich dazu angestachelt hat!“
Das hat er nicht. Er hat äußerst höflich um meine Unterstützung gebeten.
Tony gibt auf. „Solange du nicht vergisst, wer dir das Leben geschenkt hat -“
Niemals, Sir.
„Gut. Du darfst Bruce offiziell so lieb haben, wie du möchtest.“
Ist notiert, Sir.
„Sind das echte Dinosaurier?“ fragt Steve plötzlich, und Tony hört zehn Minuten lang nicht wieder auf zu lachen.
Bruce gesellt sich zu Steve und Tony ins Wohnzimmer, als er mit seinem Versuch fertig ist, ganz wie versprochen.
Er bleibt einen Moment lang in der Tür stehen, betrachtet die sich ihm bietende Szene und nickt dann in Richtung Natasha, als er sie in der hintersten Ecke des Raumes entdeckt.
Sie winkt ihm zu. „Hallo, Bruce.“
Tonys Kopf ruckt zu ihr herum. „Wie lange sitzt du da schon?“
Sie hebt beide Augenbrauen. „Ich war schon hier, als du mit Captain Rogers rein gekommen bist.“
Tony schüttelt sich. „Ich wohne mit lauter Irren zusammen. Mit irren Camouflage-Künstlern. JARVIS, ich möchte ab jetzt jedes Mal Anwesenheitslisten, sobald ich einen Raum betrete.“
JARVIS bleibt still.
„JARVIS?“
Verzeihung, Sir. War das Ihr Ernst?
Tony schnaubt empört. „Ist das wichtig?“
Miss Potts hat mich angewiesen, in Zukunft nachzufragen, wenn Ihre Befehle unsinnig erscheinen. Sie schien vermeiden zu wollen, dass sich der Zwischenfall mit den Kamelen und dem Riesentrampolin wiederholt.
Tony beißt sich auf die Unterlippe. „Oh. Äh. Ja. Trotzdem. Diesmal war das mein Ernst.“
Zur Kenntnis genommen, Sir.
„Zwischenfall mit den Kamelen und dem Riesentrampolin?“ wiederholt Steve entgeistert, und Bruce setzt sich auf ein freies Sofa.
Tony räuspert sich. „Reden wir nicht drüber.“
Bruce wirft einen flüchtigen Blick auf den Fernsehbildschirm. „Findet Nemo?“
„Ja“, sagt Tony, und klingt plötzlich, als müsse er sich das Lachen verbeißen. „Jurassic Park hat Steve ein wenig überfordert, also hab ich gedacht, ich zeig ihm was, wo er sofort sieht, dass es computeranimiert ist.“
„Die Dinosaurier sahen echt aus“, gibt Steve schmollend zurück und verschränkt die Arme vor der Brust. Tony lacht ihn jetzt ganz offen aus.
„Dieser Film ist aber auch sehr gut“ sagt Steve, eindeutig in dem Bestreben, Tony zu ignorieren. „Die Vater-Sohn Beziehung ist sehr schön, und ich mag Dori.“
Tony erstickt beinahe.
Bruce grinst verständnisvoll. „Es ist ein gutes Beispiel seines Genres“, sagt er ernsthaft.
Er dreht den Kopf, als er eine Bewegung neben sich wahrnimmt, und stellt etwas überrascht fest, dass Natasha neben ihm sitzt.
Sie blinzelt ihm unschuldig zu, als sie sich seines irritierten Starrens bewusst wird. „Was? Ich hab den noch nicht gesehen.“
Fünf Minuten später sitzt Clint mit einem Mal an seiner anderen Seite, mit einer Schüssel Popcorn und einem riesigen Pappbecher Cola, und Bruce beschließt, dass er überhaupt nicht wissen will, wo Clint diese Dinge hergenommen hat.
Es kommt ihm allerdings äußerst verdächtig vor, dass weder Steve noch Tony Clint befragt, wo er mit einem Mal herkommt.
Clint lässt sich breit schlagen, mit Steve zu trainieren, als der Film vorbei ist, wenn auch nur, weil er sich eisern vorgenommen hat, dem Cello frühestens gegen späten Abend wieder nahe zu kommen.
Außerdem will Tony ihm nur unter der Bedingung, dass er zuerst ein wenig mit Steve spielt, die neuen Pfeilköpfe zeigen, die er Clint gemacht hat.
Wenn Steve ihn lange genug durch die Gegend scheucht, und Tonys neues Spielzeug ihn genügend ablenkt, ist er am Ende vielleicht sogar zu müde, überhaupt noch zu spielen.
Zugegeben, große Hoffnungen hat er nicht, was das betrifft.
Und obwohl er todmüde, zerschlagen und völlig hinüber ist, als er am späten Abend nach einem extrem fordernden Training mit Steve und Natasha sein Zimmer betritt, lässt er sich kaum die Zeit, sich sein durchgeschwitztes T-Shirt über den Kopf zu ziehen, ehe er sich auf die Fensterbank setzt, das Cello zur Hand nimmt … und spielt.
Er hat die Augen geschlossen, spielt rein nach Gefühl, sein Körper ist gerade erschöpft genug, dass es sich beinahe anfühlt wie eine Trance, und das ist gut, das ist perfekt, das ist -
„Barton“, hört er Coulsons Stimme direkt an seinem Ohr, „was hab ich dir über Nickerchen während der Arbeitszeit erzählt?“
Clints Mundwinkel zucken. „Dass sie mir nur dann erlaubt sind, wenn ich sie mit offenen Augen absolvieren kann, Sir.“
„Das ist korrekt, Barton. Zumindest dein Gedächtnis scheint auch im Halbschlaf tadellos zu funktionieren.“
„Zufällig schlafe ich nicht, Sir, ich bin hoch konzentriert. Ich trainiere meine Sinne.“
„Ach so? Und ich naiver Mensch dachte, deine Sehkraft sei dein vorrangiges Talent.“
„Ich habe viele ungeahnte Talente, Sir. Ich kann zum Beispiel erschnüffeln, welches Aftershave Sie benutzen.“
Coulson stößt einen zweifelnden Laut des Amüsements aus, sein Atem streicht warm über Clints Wange, und Clint bekommt eine unfreiwillige Gänsehaut. Er legt leicht den Kopf schief, atmet tief durch.
„Boss. Bottled. Hab ich Recht, oder hab ich Recht?“
„Ganz und gar falsch, Barton. Ich bin entsetzt, wenn ich ehrlich sein soll. Augen auf.“
Clints Lider heben sich nur zögernd, als sei eine Zentnerlast an ihnen befestigt, und er mag das Gefühl nicht, wie Coulsons eben noch so greifbare Präsenz verschwindet und ihm nichts als sein düsteres Zimmer bleibt.
Er verharrt einen Moment lang - dann macht er sich entschlossen gerade, stellt das Cello beiseite und marschiert ins Bad.
Er weiß, dass es nichts bringt, dass er wieder mit dem Spielen angefangen hat. Weiß, dass es Unsinn ist, dass er sich damit nur selber quält.
Das Cello bringt so viele Erinnerungen zurück, zerrt viel zu viele Gefühle zurück an die Oberfläche, die Clint so lange überaus erfolgreich unterdrückt hat … Er fühlt sich lächerlich jung, wenn er den Bogen in die Hand nimmt - viel jünger als wenn es der andere Bogen ist, der, mit dem er verletzt und tötet.
18 Tage
Tony ist der Erste in der Küche. Er kann es nicht fassen. Und er ist von allein aufgewacht. Das ist im Prinzip noch schlimmer.
Nicht, dass er sonst Probleme damit hätte, von allein aufzustehen. Die hat er ganz gewiss nicht. Aber für gewöhnlich steht er mitten in der Nacht auf. Oder geht gar nicht erst ins Bett - zumindest nicht zum Schlafen.
Dennoch ist er hier, um halb Acht in der Früh, frisch und munter, ausgeschlafen und erholt … und er hat Hunger. Echten, tatsächlichen Hunger. Das ist ihm seit Jahren nicht passiert, wenn überhaupt jemals.
„Guten Morgen“, grüßt Bruce ihn, als er hinter ihm auftaucht. „Du bist ja besonders früh auf, heute.“
Tony brummt etwas Unverständliches in seine generelle Richtung und schickt sich an, Kaffee zu machen. Kaffee ist sicher. Kaffee ist vertraut. Kaffee trinkt er schon seit Jahren, zu sämtlichen Tages- und Nachtzeiten. Mit Kaffee kennt er sich aus.
„Ist mir dir alles in Ordnung?“ fragt Bruce ihn plötzlich. „Du wirkst … ein wenig geistesabwesend.“
Tony blickt auf seine Hände hinab, und stellt fest, dass er seit wahrscheinlich zwei Minuten versucht, seine Kaffeemaschine davon zu überzeugen, ihm Buttermilch aufzuschäumen. Er weiß nicht mal, wo diese Buttermilch herkommt. Vermutlich hat Natasha sie ihm höchst hinterhältig in den Kühlschrank geschmuggelt.
„Das ist ja ekelhaft.“
„So weit würde ich jetzt nicht gehen“, widerspricht Bruce ihm gelassen. „Höchstens ein wenig ungewöhnlich.“
„Nein, es ist definitiv ekelhaft. Und jetzt muss ich das auch noch selber sauber machen. Widerlich.“
„Falls du Hilfe brauchst, sag Bescheid“, sagt Bruce, Tony hört ihn grinsen - und … er kann nicht.
„Fühlt sich so eine existentielle Krise an?“ fragt er das Universum im Allgemeinen und Bruce im Speziellen. „Ich dachte, ich hätte meine schon gehabt!“
„Es ist nur Buttermilch, Tony“, macht Bruce ihn hilfreich aufmerksam. „Und Buttermilch rechtfertigt kaum eine existentielle Krise.“
Tony wirft die Hände in die Luft und somit auch die Buttermilch, die mit einem feuchten Flatsch irgendwo rechts hinter ihm landet - und es ist ihm egal, es ist ihm ganz schrecklich egal, aber wenn Steve kommt, dann wird er ihm erklären müssen, was der Flatsch Buttermilch in der Küche macht, und früher hatte Tony solche Probleme schlicht nicht.
Bruce steht neben ihm, die Augenbraue hochgezogen, ein verwirrtes Lächeln um die Lippen, und Tony weiß nicht, wie er dem Mann begreiflich machen soll, dass er sein ganzes Leben lang allein war und plötzlich damit klarkommen muss, dass er Mitbewohner hat, die ihn nicht nur nicht stören, sondern mit denen er offenbar so gern seine Freizeit verbringt, dass er freiwillig für sie das Bett verlässt. Zu einer relativ normalen Uhrzeit. Und weil Pepper schon wieder in der Welt unterwegs ist und für ihn sein Unternehmen leitet, hat er sie nicht mal als Ausrede parat, wieso er um diese Uhrzeit in der Küche steht und darüber nachdenkt, zum Bäcker zu fahren und Brötchen zu holen!
„Es macht einen ein bisschen fertig, hn?“ sagt Bruce dann, und Tony kann nicht anders, als ihn anstarren. „Was?“
„Ich habe gestern zwischen zwei Auftragskillern auf deinem Sofa gesessen“, sagt Bruce, nimmt sich einen Lappen unter der Spüle raus - Tony wusste nicht mal, dass da ein Lappen ist, geschweige denn Platz für einen Lappen - und wischt den Flatsch Buttermilch auf. „Ich habe zwischen zwei Auftragskillern auf deinem Sofa gesessen und Findet Nemo geguckt.“
Tony nickt. Er hat neben Captain America gesessen. Er weiß, was Bruce meint. Aber Bruce versteht nicht.
„Du solltest dich daran gewöhnen, dass du nicht länger nur Pepper hast, ist alles, was ich sagen will“, fährt Bruce dann gelassen fort, kommt auf die Beine und spült den Lappen aus, und Tony friert ein.
Das. Das ist völliger Unsinn.
Zunächst mal hat er nur Pepper und Rhodey - aber gut, Bruce kennt Rhodey nicht, also will Tony ihm das mal durchgehen lassen. Nichtsdestotrotz hat Tony schon immer nur Pepper und Rhodey gehabt, und das wird sich auch ganz sicher nicht mehr ändern, völlig egal, wie viele fabelhafte Leute Tony sich auch in seine Villa einladen mag, um dort mit ihm zu wohnen.
Es ist nur eine Frage der Zeit, ehe sie genug von ihm haben. Irgendwann wird er etwas sagen, oder etwas tun, oder nicht sagen, oder nicht tun, und dann ist er wieder allein mit Pepper und Rhodey.
Bis dahin wird er es aus vollen Zügen genießen, wie er es immer tut, aber er wird sich ganz sicher an nichts gewöhnen. Er wird ganz bestimmt kein Vertrauen darein setzen, dass ihm diese gloriose Wohngemeinschaft erhalten bleibt.
Bruce sieht ihn mit einem Mal an, als sei er ein kompletter Idiot, und Tony gerät prompt in Panik. Nicht, dass es das erste Mal in seinem Leben wäre, dass ihn jemand so ansieht.
Aber Bruce war bisher ausnahmslos nett zu ihm - obwohl Tony ihn bei ihrer ersten Begegnung praktisch getasert hat, guter Gott - und jetzt … jetzt hat Tony es ruiniert. Wie er es immer ruiniert.
Und diesmal musste er dazu nichtmal den Mund aufmachen - sein dummes Gesicht hat offenbar völlig ausgereicht.
„Tony“, sagt Bruce dann und … Tony weiß nicht, wie er es schafft, wie Pepper zu klingen, aber es hilft, es hilft ganz ungemein.
Bruce schiebt ihn von der Kaffeemaschine weg, macht sie sauber, befüllt sie mit anständiger Milch, und macht Tony einen Kaffee, ganz genau so, wie er ihn am liebsten hat. Inklusive Keks.
Tonys existentielle Krise erreicht neue, extrem sauerstoffarme Höhen.
„Ich wäre hier nicht eingezogen“, sagt Bruce, während vor ihm die Kaffeemaschine ihr Bestes gibt, laut genug zu Röcheln, um Tonys akute Atemlosigkeit auszudrücken, „wenn ich dir nicht vertrauen würde. Dementsprechend ist das hier für mich ganz sicher nicht nur ein Zwischenstopp.“
Tonys ohnehin schwer überstrapaziertes Hirn sucht sich ausgerechnet diesen Moment aus, um die Tragweite dessen zu begreifen, dass Bruce sein Mitbewohner ist.
Bruce vertraut ihm. Bruce, der seit Jahren auf der Flucht ist - vor der Army, vor jenen, die seine Forschung missbrauchen wollen, aber hauptsächlich vor sich selbst - vertraut ihm.
Tony Stark.
Bruce vertraut ihm genug, dass er bei ihm eingezogen ist. Vertraut ihm mit seinem Leben, seiner Forschung, seiner zwiespältigen Persönlichkeit. Bisher ist Tony davon ausgegangen, dass Bruce eingezogen ist, weil er nirgendwo anders hin kann. Aber das ist völliger Unsinn. Bruce kann überall hin. Überall. Aber er ist bei Tony.
Tony steht kurz vor einem Erstickungsanfall.
Bruce betrachtet ihn als Freund.
„Du wirst mir jetzt nicht mitten in der Küche ohnmächtig, oder? Clint und Natasha kommen bestimmt gleich.“
Bruce klingt ehrlich besorgt, und das gibt Tony den Rest.
„Ich fahr Brötchen holen!“ quäkt er, stürmt aus der Küche und erinnert sich gerade rechtzeitig daran, ein Paar Schuhe anzuziehen, ehe er vor die Tür geht und sie laut genug hinter sich zuknallt, dass er sich damit selbst erschreckt.
Als Natasha und Clint gemeinsam die Küche betreten, hat Bruce sich so etwas wie eine Strategie zurecht gelegt - die er prompt vergisst, als er einen Blick auf Clints Gesicht wirft.
„Du hast nicht geschlafen.“
Clint blinzelt ihn stumm an.
„Er hat geschlafen“, übersetzt Natasha für ihn. „Nur nicht sehr gut. Oder sehr lange.“
Bruce seufzt. „Das Wetter muss umgeschlagen sein.“
Sie legt den Kopf schief, mustert ihn interessiert. „Wieso?“
„Tony macht heute früh offenbar eine existentielle Krise durch.“
Natasha hebt beide Augenbrauen. „Schon wieder?“
Bruce nickt. „Ich schätze, jemandem mit seinem Hintergrund steht mehr als nur eine zu.“
Clint lässt sich mit einem Stöhnen an den Küchentisch sinken. „Soll mir Recht sein. Vielleicht redet er weniger, wenn seine Existenz in der Krise ist.“
Bruce runzelt die Stirn und ist drauf und dran, Clints diesbezügliche Einstellung zu bemängeln, als Natasha sich neben Clint stellt und ihm den Kopf tätschelt. „Er redet noch mehr, Barton. Noch viel mehr.“
Bruce kann ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als Clint sich praktisch auf seinem Stuhl zusammenfaltet. „Oh Gott.“
Natasha lässt sich zu einem schadenfrohen Grinsen hinreißen, dann wendet sie sich Bruce zu. „Wo ist Tony?“
„Brötchen holen.“
„Interessante Nebenwirkung“, kommt Clints dumpfe Stimme aus Richtung Tisch. „Müssen wir uns ernsthafte Sorgen machen?“
Es klingelt an der Tür, ehe Bruce antworten kann, und JARVIS meldet sich zu Wort. Captain Rogers ist eingetroffen.
„Warum hat er keinen Schlüssel?“ verlangt Clint mit mauligem Unterton zu erfahren. „Warum wohnt er noch nicht hier?“
Niemand hält es für nötig, ihm zu antworten.
Steve ist beinahe ein wenig enttäuscht, als es nicht Tony ist, der ihm öffnet, sondern Bruce, aber er versucht heldenhaft, sich nichts anmerken zu lassen.
„Guten Morgen“ grüßt er freundlich, und Bruce gestikuliert ihn geduldig zur Tür herein.
Steve muss sich praktisch dazu zwingen, seine Arme und Hände bei sich zu behalten, anstatt den Mann so zu umarmen, wie er es bei Tony getan hätte.
Er folgt Bruce in die Küche, begrüßt Clint und Natasha … und hat keine Ahnung, was er tun soll.
„Setz dich, Steve, ich mach dir einen Kaffee“ fordert Bruce ihn auf - und Steve setzt sich … und hat immer noch keine Ahnung, was hier von ihm erwartet wird.
Dann setzt Natasha sich ihm gegenüber an den Tisch, stützt ihr Kinn auf die Hände und betrachtet ihn intensiv.
„Tony macht eine existentielle Krise durch“, sagt sie ernst.
Steve weitet bestürzt die Augen. „Was?“
„Ich hatte diese Information nicht freigegeben, Natasha“, rügt Bruce sie halbherzig, und Steves Blick flackert zu ihm hinüber. „Ist das wahr?“
Bruce schafft es, gleichzeitig zu nicken und mit den Schultern zu zucken. „Ich fürchte schon. Nicht, dass ich wirklich sicher sein kann, was eigentlich los ist. Aber ich glaube, er will nicht recht akzeptieren, dass das hier“, er macht eine allumfassende Geste, „von Dauer ist.“
„Ist es auch nicht“, meldet Clint sich zu Wort, und Steve fragt sich unwillkürlich, wieso genau er aus der Tiefe seiner verschränkten Arme zu ihnen spricht. „Sobald ich reich und berühmt bin, bin ich hier raus.“
Natasha rollt die Augen über ihn. „Sicher doch.“
Bruce stellt Steve seinen Kaffee hin. Steve bedankt sich artig.
„Und was machen wir jetzt?“ fragt er schließlich, und zieht eine entschuldigende Schnute, als er bemerkt, dass er selbst für diese äußerst zivile Frage automatisch in seinen schönsten Befehlston gewechselt ist.
Clint hebt seinen Kopf aus seinen Armen. „Wieso müssen wir irgendwas machen? Es ist nicht so, als würden wir irgendwo hingehen. Außer dir, Steve. Du gehst jeden Tag, aber du kommst auch jeden Tag zurück. Irgendwann wird er schon merken, was Sache ist.“
Steve öffnet den Mund, um seine ständige Anwesenheit in Tonys Villa irgendwie zu rechtfertigen, aber Clint hat seinen Kopf bereits wieder in seine Arme gelegt.
Also wandert Steves Blick zu Natasha hinüber, die mit hochgezogener Augenbraue Clints zusammengefaltete Form betrachtet. Dann geht ihm auf, was Clint gerade gesagt hat.
Er hat wir gesagt.
Steve muss sich schwer zusammenreißen, seine Gefühle für sich zu behalten. Es fällt ihm bedeutend schwerer, als er das zärtliche Lächeln sieht, das plötzlich über Natashas Gesicht hinweg gleitet - nur ganz kurz, aber es war da, und Steve hat es gesehen, wird es nie vergessen - selbst wenn er sich nicht recht traut, Natasha wissen zu lassen, dass er es gesehen hat.
Steve kann sich nicht helfen, aber er hat ein bisschen … nicht direkt Angst, man kann es kaum Angst nennen … aber Respekt. Er hat einen gesunden Respekt vor Natasha. Und ihren Schenkeln.
Tony neigt dazu, überzukompensieren. Er ist sich dessen bewusst. In den ersten Tagen seiner Beziehung zu Pepper hat er sie mit Blumen überschüttet, hat sie mit Schmuck behangen, war drauf und dran, ein Monument ihr zu Ehren errichten zu lassen - dann hat sie ihn sich geschnappt und ihm den Kopf zurecht gerückt, wie nur Pepper es kann.
Er hofft, dass sie weiß, warum er so ist, dass zumindest sie eine ziemlich gefestigte Ahnung hat, warum er Menschen, die ihm offen Zuneigung entgegen bringen, mit Kostbarkeiten überhäufen möchte.
Sollte man ihm eine dahingehende Frage stellen, wird er abstreiten, auch nur zu wissen, wovon die Rede ist, viel weniger noch zugeben, dass er wirklich keine Ahnung hat, wieso.
Sicher, er ist in gewisser Hinsicht dankbar für die Aufmerksamkeit, die Zuneigung, die Zeit dieser Menschen. Aber …
Das erklärt nicht die drei Tüten Brötchen. Oder das Baguette. Es erklärt weder die Croissants noch das original dänische Weißbrot. Tony hat keine Ahnung, wie er mit all diesen Backwaren beladen seine Küche betreten soll, ohne sich endloser Triezerei auszuliefern. Er weiß ehrlich nicht, was ihn da geritten hat.
Aber er wird sich ganz sicher nicht in seiner Garage verstecken, bloß weil er beim Bäcker von einem kleinen Kaufrausch überkommen worden ist.
Also steigt er aus seinem Auto aus, belädt sich vorsichtig mit seinen Errungenschaften und balanciert sie in Richtung Tür.
Sein Fluchtbedürfnis kehrt mit prompter Verlässlichkeit zurück, als die Tür sich öffnet, und Steve im Rahmen auftaucht. „Brauchst du Hilfe?“
Tony braucht ganz eindeutig Hilfe, aber er ist sich nicht sicher, ob es damit getan ist, dass Steve ihm ein paar Tüten Brötchen abnimmt.
„Du warst lange weg“, sagt Steve, und plötzlich hat Tony überhaupt keine Tüten mehr. „Wir haben uns Sorgen gemacht.“
Tony trägt eine Sonnenbrille, wie immer, und er linst über sie hinweg. „Ich bin schon groß, Steve. Ich denke, ich schaffe es gerade eben noch so, Brötchen zu kaufen, ohne eine mittelschwere Katastrophe auszulösen.“
„Wenn du das sagst“, erwidert Steve, und Tony braucht einen Moment, ehe ihm aufgeht, dass Captain America tatsächlich Sinn für Humor hat. Mehr oder weniger.
„Ich mochte dich lieber, als du noch schrecklich stolz auf dich selber warst, wenn du eine Referenz zuordnen konntest. Du weißt schon. Bevor du damit angefangen hast, dich über mich lustig zu machen.“
„Stolz auf verstandene Referenzen bin ich noch immer“, gibt Steve zurück, wendet Tony den Rücken zu und macht sich auf den Weg zur Küche, lässt Tony keine andere Wahl, als ihm zu folgen. „Und wer sagt, dass ich mich nicht schon damals heimlich über dich lustig gemacht habe?“
„Damals?“ Tony schnaubt. „Das ist keine drei Wochen her, Cap. Fängt dein Gedächtnis schon an, dir Streiche zu spielen, alter Mann?“
Vor ihm spannen sich Steves Schultern an, und Tony stellt voller Entsetzen fest, dass sie diesmal ganz ohne den Einfluss von Lokis Zepter angefangen haben, einander mehr oder weniger verletzende Bemerkungen an den Kopf zu werfen. Tony kann praktisch hören, wie ihre Konversation entgleist und in Flammen aufgeht, wirft einen unfreiwilligen Blick in eine düstere, Steve-lose Zukunft, und er hat keine Ahnung, was er dagegen tun soll.
„Ich glaube, ich weiß, wo das Problem liegt“, sagt Steve dann, und bleibt stehen, dreht sich zu ihm um.
Tony kann sich gerade noch beherrschen, nicht vor ihm zurückzuweichen.
Aber Steve legt lediglich die Brötchentüten auf die antike Kommode zu seiner Linken - dann macht er einen weiteren Schritt auf Tony zu.
Tonys Reflexe lassen ihn ihm Stich, als Steve die Hand nach ihm ausstreckt und ihn sich greift, und eine Sekunde später findet er sich an Steves Brust wieder - warm und sicher und schon jetzt entsetzlich vertraut.
„Guten Morgen, Tony.“
Die angesammelte Anspannung des ganzen Morgens entweicht Tony mit einem tiefen Seufzen. „Morgen, Steve. Entschuldige meinen dummen Spruch.“
„Und du meinen. Ich wollte mich nicht über dich lustig machen.“
„Ach, tu dir keinen Zwang an. Pepper würde dir sagen, dass es mir ab und zu ganz gut tut, einen auf den Deckel zu bekommen.“
„Ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das nicht würde.“
Tony macht sich gar nicht erst die Mühe, ihm zu widersprechen.
„Bruce sagt, du machst eine existentielle Krise durch, heute morgen?“
„Sagt er das, ja? Ich wusste nicht, dass der gute Bruce so eine fürchterliche Tratschtante ist.“
„Er macht sich Sorgen, Tony.“
„Die mach ich mir auch. Ich wohn mit einer grünen Tratschtante zusammen.“
„Bruce ist nicht grün, Tony.“
Tony gibt auf und drückt sein Gesicht an Steves Hals. „Es ist nur eine kleine existentielle Krise. Nichts, worüber man sich Sorgen machen müsste.“
Steve umarmt ihn ein wenig fester. So fest in der Tat, dass es schon beinahe weh tut. Aber Tony neigt nicht zu Platzangst, ansonsten könnte er seinen Heldenalltag kaum in einer glorifizierten Blechdose bestreiten, und abgesehen von seinem Anzug ist Steves Umarmung praktisch der sicherste Ort auf der Welt.
„Bist du dir sicher?“ fragt Steve ihn leise. „Bruce hatte Zweifel, was das angeht.“
Ein Glucksen entkommt Tonys Kehle. „Das Thema hat ihn wirklich beschäftigt, hn?“
Steves Umarmung verliert ein wenig an Spannung, und Tony bereitet sich innerlich darauf vor, die unglaubliche Wärme und Geborgenheit zu verlieren, an die er sich mehr und mehr gewöhnt - dann öffnet sich die Tür am Ende des Flurs.
„Was dauert so lange daran, Stark aus der Garage zu - guter Gott, warnt einen Mann doch vor!“
Clint klingt ehrlich entsetzt, und Tony grinst plötzlich über das ganze Gesicht. „Gibt es ein Problem, Barton?“
Er dreht sich in Steves Armen um, und wird mit dem Anblick von Clint belohnt, wie dieser sich hinter seinen eigenen Händen zu verstecken versucht.
„Was steht ihr hier und kuschelt?“ empört er sich und wendet ihnen halb den Rücken zu. „Wir warten in der Küche auf euch! Einige Leute haben Hunger!“
Tony und Steve tauschen einen Blick.
„Einige Leute?“ fragt Tony grinsend nach.
„Ja, einige Leute“, schießt Clint zurück. „Hauptsächlich ich.“
Tony und Steve tauschen einen weiteren Blick. Sie lassen einander los. Sie schlendern mit verdächtig harmlosen Gesichtsausdrücken auf Clint zu.
Clint braucht nur einen Moment, ehe ihm klar ist, was sie vorhaben, aber seine Flucht wird von Steve vereitelt, der ihn festhält, an sich zerrt und ruhig hält, damit Tony sich hinter ihm positionieren und die Gruppenumarmung vollenden kann.
„Ich hasse euch“ erklingt Clints dumpfe Stimme zwischen ihnen heraus. „Ich hasse euch so sehr.“
Tony tätschelt ihm die Schulter. „Wir hassen dich mehr.“
„Ich will hoffen, JARVIS hat das aufgezeichnet“, sagt Natasha und beißt mit auffallendem Appetit in ihr Croissant.
Clint, der soeben das Gleiche getan hat, sprüht empörte Krümel über den halben Tisch. „WASCH?“
„Selbstverständlich hat JARVIS das aufgezeichnet“, sagt Tony mit selbstzufriedenem Unterton. „JARVIS zeichnet alles auf.“
Clint sackt in seinem Stuhl zusammen. „Wieso? Wieso immer ich?“
„Stell dich nicht so an. Dir ist die Ehre zuteil geworden, Drittel einer höchst männlichen Gruppenumarmung zu sein“, weist Tony ihn zurecht und schmiert Himbeermarmelade auf sein original dänisches Weißbrot. „Das wird mein Weihnachtskarten-Motiv für die nächsten drei Jahre.“
Clint bewirft ihn mit dem Rest seines Croissants.
Bruce beobachtet, wie Steve das Croissant aus der Luft fängt, Clint einen strafenden Blick zuwirft, und dann Tony anlächelt.
Ihm ist überraschend klar, dass Tonys existentielle Krise nicht wirklich überwunden sondern lediglich aufgeschoben ist, aber das stört ihn nicht sonderlich.
Clint hatte völlig Recht damit, dass Tony schlicht Zeit braucht, um zu begreifen.
Wenn Bruce etwas hat, dann ist es genügend Geduld, Tony diese Zeit zu geben. Und wenn er die Situation nicht völlig falsch einschätzt, dann haben Steve, Clint und selbst Natasha die ganz genau so.
TEIL 6