Amicus Draconis (German Version) Episode 15 Part E

Sep 21, 2010 19:53

Language: German
Title: Amicus Draconis: 2nd Cycle - Cycle of the Snake
Rating: R
Warnings: Het, Slash, Character Death
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14. Sprung From My Only Hate I:
/Part A/ /Part B/ /Part C/ /Part D /Part E/
15. Sprung From My Only Hate II - Prodigius Birth of Love it is to me: /Part A/ /Part B/ /Part C/ /Part D/



Amicus Draconis - 2nd Cycle: Cycle of the Snake - Part 15: Sprung from my only Hate II - Prodigious Birth of Love it is to me

XII. Der Magier

Der Magier stellt die erste Stufe auf der Reise des Narren dar. Unter dem Schutz des Merkurs steht er für zu erwerbende Künste und Wissenschaften, allesamt nützliche Lehren, die sich der Narr auf seiner Reise aneignen kann. Doch Vorsicht ist geboten - er tritt auch zu gerne als Gaukler oder Scharlatan in Erscheinung.

Meistens unterhält er seine Zuschauer mit Taschenspielertricks; bunten Tüchern und Würfelspiel, doch zuweilen werden seine harmlosen Gegenstände zu Kelch, Schwert, Amulett und Zauberstab. Leider ist der Narr aber noch zu unerfahren, um das Geheimnis dieser Artefakte verstehen und für sich nutzen zu können.

Die Karte entspricht dem zweiten Buchstaben des Alphabets, Beth, welcher übersetzt ’Haus’ bedeutet. Um eine Reise zu beginnen, muss das Haus zunächst einmal verlassen werden. Der Schritt vor die Tür ist der erste und vermutlich auch der schwerste von allen.

Beth, der erste Schritt. Der erste Buchstabe der jüdisch-christlichen heiligen Schrift. Der Beginn der Schöpfung. Die Geburt. Die Straße zwischen Kether und Binah, dem heiligen Geist, dem göttlich-weiblichen Prinzip.

War es denn nicht immer so, dass die Frauen das Leben schufen, damit wir Männer es anschließend vernichten können?

Nun, vielleicht könnte man dies unter dem Begriff Arbeitsteilung verstehen.

Die Geheimnisse des Universums, verborgen im Spiel des Jongleurs. Was für eine Ironie!

Die Wahl für den Magier fiel mir dementsprechend schwer. Ein äußerst passender Kandidat wäre Albus Dumbledore gewesen, doch ich kann es beim besten Willen nicht riskieren, ihn auf diese Weise in meine Pläne mit einzubeziehen.

Also musste ich mich wieder einmal mit einem Ausweichkandidaten zufrieden geben. Aberforth Dumbledore mag vielleicht nicht das Wissen und die Weisheit seines Bruders besitzen, doch verfügt er über einen untrüglichen Sinn, wenn es darum geht, die winzigen Bruchteile wichtiger Informationen zu kombinieren und daraus seine Schlüsse zu ziehen.

Kein Wunder, dass er seinem Bruder in der Rolle des Kneipenwirts so überaus nützlich war.

Amicus Draconis - 2. Zyklus: Zyklus der Schlange - Teil 15: Aus einz’gem Hass entbrannt II - Daß es die Lieb so übel mit mir meint

* * *

August 25th, 1994

You think you can just come here,
A brainless bleating herd
Violate our culture,
Blast into our world.

Schreie, stolpernde Schritte, düster huschende Schatten, aufblitzende und wieder verglimmende Lichter. Dazwischen wieder Schreie, Flammen, aufgeregt durcheinander plappernde Stimmen. Wie ein Fliegenschwarm, eine gackernde Hühnerherde. Trampelnde Stiefel. Dann und wann eine Explosion.

You think you can just do this,
Break us piece by piece.
Tear apart what’s dear to us
Destroy what we achieved.

Verdammt, jetzt kriegten diese Mistkerle endlich mal, was sie verdienten. Sie waren einfach fällig nach diesem Wochenende.

If you think you can get away with this, you’ll find that you’re dead wrong!
From this day forth we’ll make you pay for everything you’ve done.
Send you right back where you belong.
Your time has come, scum, your time has come!

Er lehnte sich zurück, schloss für einen Moment die Augen und versuchte die aufkeimende Wut zu besänftigen, die sich fiebergleich in ihm ausbreitete und erneut das triumphierende Gefühl der Befriedigung zu vergiften drohte. Dieses ganze Quidditch Finale war ein einziger Witz gewesen, Zauberer, die sich in einem Wald verstecken mussten, um Ruhe vor der verdammten Muggle-Brut zu haben. Leise sein, sich unauffällig verhalten, Muggle-Zelte, Muggle-Benehmen, ja sogar Muggle-Klamotten waren ihnen aufgezwungen worden. In den ganzen vierzehn Jahren seines bisherigen Lebens hatte er alle Muggle-Orte gemieden wie die Pest und sich trotz aller Sicherheitsvorschriften nicht ein einziges Mal dazu herabgelassen, die Kleidung dieser verfluchten Affen anzulegen. Aber bei der Weltmeisterschaft kam er den Vorschriften nicht mehr aus. Kuschen oder Fernbleiben hieß die Devise. Etliche Zauberer hatten bereits Verwarnungen vom Ministerium bekommen und diese Blöße wollte sich die Familie Malfoy ganz sicher nicht geben.

Brothers, stand up and fight,
Raise your wands for what you know is right!
The night will fall and it will be
A Pureblood Victory!

Er öffnete die Augen und blickte an sich hinunter. Dieses Hemd war einfach nur lächerlich, es hatte keine anständigen Ärmel und weder Schnürung noch Knöpfe noch Kragen, stattdessen nur einen albernen französischen Schriftzug über der Brust. Eigentlich sah es aus wie ein Stofflappen, den man sich über den Kopf hängte. Und dann erst die Hose. Ein ekeliges schimmeliges Blau, und dabei so hart und eng, dass sie ständig zwischen den Beinen scheuerte. Er hatte diese furchtbaren Hosen schon öfter an mugglegeborenen Zauberern und sogar an Hexen gesehen, auch wenn Goyle ihm immer noch weismachen wollte, dass Muggles solche Hosen trugen, um darin Kühe zu hüten. Aber wie konnte irgendein männliches Wesen diese Dinger überhaupt tragen, ohne davon unfruchtbar zu werden?

Now it’s time for payback
And you will pay in blood.
We’ll strike you down to the ground
And leave you there to rot.

Und warum wurde er, ein Zauberer, dazu gezwungen solche Kleidung anzuziehen, nur weil er sich mit seinesgleichen treffen wollte? Dieses verdammte Ministerium und seine verdammten Sicherheitsbestimmungen! Nun, nach dieser Nacht würden sich zweifellos ein paar Dinge ändern.

No point begging for mercy!
You had none with us.
Your cries are music to our ears,
A symphony of wrath.

Er spähte angestrengt zwischen den Bäumen hindurch. Konnte man schon etwas sehen, außer rennenden Leuten und brennenden Zelten? Es war so unfair, dass er nicht mitmachen durfte! Er hätte es diesen hirnlosen Barbaren schon gegeben. Erst heute morgen hatte Warrington ihm einen Fluch beigebracht, der einen fiesen Juckreiz hervorrief; es wäre zu komisch dabei zuzusehen, wie die Muggles panisch herumrannten und sich überall kratzten. Obwohl so viele Flöhe wie die hatten, mussten sie es eigentlich schon gewohnt sein.

The days we feared your stakes and pyres, that’s a time long gone!
Now it’s you who cringe in pain and fear before wizards proud and strong.
Send you right back where you belong.
Your time has come, scum, your time has come!

Aber wie üblich hatte Vater es ihm nicht erlaubt, dabei zu sein, weil es ja angeblich sooo gefährlich war. Wann würde Vater ihn endlich für voll nehmen? Wann würde er einsehen, dass Draco für die Bruderschaft bereit war? Selbst wenn er noch keine siebzehn war, wieso konnten sie diese Regel nicht einfach ändern und ihn trotzdem aufnehmen? Vater könnte doch dafür sorgen, er hatte jetzt ohnehin das Meiste zu sagen. Der Dunkle Lord war seit über zehn Jahren tot und die Lestranges saßen lebenslang in Azkaban. Wer also sollte ihm noch dreinreden?

Brothers, stand up, unite!
Raise your wands for what you know is right.
The sun will rise and we will see
A Pureblood Victory!
A Pureblood Victory!

Es sei an der Zeit, hatte Vater gesagt. An der Zeit, der alten Bruderschaft der Walpurgisritter zu neuem Glanz zu verhelfen. Sie würden zu ihrem ursprünglichen Namen und ihren ursprünglichen Zielen zurückkehren. Ein Imperium, wie es der Dunkle Lord geplant hatte, konnten sie nicht erschaffen, aber sie konnten zumindest dafür sorgen, dass ihre geistigen Ideen langsam, aber sicher die Zauberergesellschaft durchdrangen und sie vor weiterem Schaden durch die schädlichen Einflüsse von außen bewahrten.

Es hatte bereits begonnen. Eine Reihe kleinerer Anti-Muggle Aktionen hatte in der letzten Zeit für ein wenig Aufmerksamkeit gesorgt und die lässige Art, wie das Ministerium mit solchen Vorfällen umging, zeigte deutlich, dass ihre Ideen schon auf fruchtbaren Boden gefallen waren. Die Zaubererwelt hatte sich schon viel zu lange von den Muggles terrorisieren lassen; es war an der Zeit, das jemand etwas dagegen unternahm. Die heutige Aktion war der erste wirklich große Coup und weitere würden folgen.

Your time has come, scum, your time has come!
Your time has come, scum, your time has come!

Ja, sie hatten bereits begonnen, die großen Veränderungen, aber er, Draco, war gezwungen, als unbeteiligter Zuschauer am Rande zu stehen, weil sein Vater ihn, verdammt noch mal, immer noch nicht ernst nahm. Nun, zumindest hatte er einen guten Platz, um die Vorstellung zu genießen und das würde er auskosten.

Langsam kam zwischen den davonstiebenden Hexen und Zauberern eine Prozession in Sicht. Lange schwarze Roben, spitze Kapuzen, die Gesichter hinter weißen Masken verborgen. Weiß und bleich wie der Tod, der bald auf alle Muggles und Blutsverräter hinabregnen würde. Draco grinste höhnisch, denn offenbar hatten einige hilflos über ihnen schwebende Gestalten bereits mit der Todesangst Bekanntschaft gemacht. Die ganze Gruppe war umringt von anderen, maskenlosen Hexen und Zauberern, die teils entsetzt auf die in der Luft herumzappelnden Muggles starrten, teils hilflos davon stolperten oder mit steinernen Gesichtern mitmarschierten.

Brothers, stand up and fight,
Raise your wands for what you know is right.
The night will fall and it will be
A Pureblood Victory!

Verdammt, sie hatten es nicht anders verdient. Energisch drehte er sein tragbares Wizarding Wireless lauter und drückte den Kopfhörer fester auf die Ohren, um die Schreie der Muggle-Kinder auszublenden.

Immer mehr Flüchtlinge erreichten das Wäldchen und versuchten zwischen den Bäumen Schutz zu suchen. Sie hasteten an ihm vorbei, ohne auf ihn zu achten. Das war ihm ausnahmsweise auch mal ganz recht, denn so wunderte sich niemand über seine Ruhe und den selbstzufriedenen Ausdruck auf seinem Gesicht.

“Was ist passiert?“ fragte plötzlich eine Stimme dicht neben ihm. “Wo bist du, Ron? Oh, das ist so albern - Lumos!“

Brothers, stand up, unite!
Raise your wands for what you know is right.
The sun will rise and we will see
A Pureblood Victory!
A Pureblood Victory!

Na, wenn diese Stimme nicht einer ihm wohlbekannten Mudblood-Göre gehörte. Auch Potter’s Krähennest war nicht fern, nur Weasley’s roten Haarschopf sah er im ersten Moment nicht. Das mochte aber daran liegen, dass der dämliche Flohfänger ihm zu Füßen lag. Genau dort, wo er hingehörte.

“Bin über eine Wurzel gestolpert,” schimpfte er und rappelte sich mühsam auf.

“Bei solchen Riesenfüßen ja auch kein Wunder!“

Potter, Weasley und Granger fuhren herum. Draco schaltete das Wizarding Wireless aus; das Letzte was er jetzt brauchen konnte, war, dass ausgerechnet sein Erzfeind mitbekam, wie er in einer solchen Situation mugglefeindliche Musik hörte. Er lehnte sich gemächlich zurück an den Baum und blickte der Potter-Gang erwartungsvoll entgegen.

“Verpiss dich, Malfoy!“ fauchte Weasley und biss seinen Daumen in Draco’s Richtung.

“Achte auf deine Manieren, Weasley.“ Dass dieser Blödmann sich auch von jeder Kleinigkeit auf die Palme bringen ließ. Es war einfach zu amüsant.

Zeit, noch einen draufzusetzen. “Solltet ihr euch nicht lieber beeilen, hier wegzukommen? Ihr wollt doch nicht, dass man sie hier findet, oder?“

Mit einem Kopfnicken deutete er auf Hermione, erntete aber nur ungläubige Blicke. ”Was soll das heißen?“ entgegnete das Schlammblut eigensinnig, als habe sie keine Ahnung, wovon er sprach.

In der Nähe explodierte irgendetwas und in dem grünen Lichtschein, welcher die Bäume um sie herum erhellte, konnte er deutlich die Gesichter seiner Gegner erkennen. Granger starrte ihn trotzig, Weasley immer noch verständnislos an. Doch es war der Ausdruck kaltblütiger Herablassung in Potter’s Augen, der ihn am meisten aus der Ruhe brachte. Potter hatte ihn nicht so anzusehen. Er hatte Potter so anzusehen.

“Granger, sie jagen Muggles,“ spottete er. “Willst du uns vielleicht dein Unterhöschen vorführen? Falls ja, brauchst du nur zu bleiben... sie kommen in diese Richtung und dann hätten wir alle was zu lachen.“

“Hermione ist eine Hexe!“ fauchte Potter und endlich wich die Kälte aus seinen Augen und verwandelte sich in Wut. Es funktionierte doch immer wieder. Man musste nur etwas gegen seine beiden Speichellecker sagen und er verlor die Kontrolle über sich. Noch ein bisschen mehr, und Potter würde vielleicht sogar versuchen, auf ihn loszugehen. Und in dieser angespannten Situation würde ein tätlicher Angriff gewaltigen Ärger für ihn bedeuten.

“Dein Wort in Merlin’s Ohr, Potter,“ entgegnete Draco betont gelangweilt. “Aber wenn du wirklich glaubst, sie könnten ein Mudblood nicht von einer echten Hexe unterscheiden, dann bleibt doch einfach hier.“

“Pass auf, was du sagst!“ schrie Weasley. Er machte einen Schritt auf Draco zu, aber Granger hielt ihn am Arm fest. “Vergiss es einfach, Ron.“

Sie wollte noch mehr sagen, aber das Krachen einer weiteren Explosion durchbrach das Stimmengewirr um sie herum, noch viel näher und lauter, als die letzte. Erneut brach Panik unter den Flüchtenden aus, man hörte Schreie und Fußgetrappel, und einige Hexen warfen sich mitsamt ihren Kindern ängstlich zu Boden.

Draco lachte leise. “Wie leicht man ihnen Angst einjagen kann,“ amüsierte er sich. “Ich schätze dein Daddy hat ihnen allen gesagt, dass sie sich gut verstecken sollen. Was macht er denn Schönes - versucht er am Ende die Muggles zu retten?“

“Wo sind deine Eltern? Da draußen unter den Masken, stimmt’s?“

Ganz langsam und ohne das Grinsen auf seinem Gesicht einzubüßen, wandte Draco sich Potter zu. Es überraschte ihn kein bisschen, dass der Gryffindor eine solche Vermutung äußerte, aber er hatte schließlich keine Beweise und konnte ihm deshalb auch nichts anhaben. “Tja, wenn es so wäre, dann würd’ ich dir das wohl kaum auf die Nase binden, nicht wahr, Potter?“

Potter machte einen Schritt auf ihn zu, aber Granger, die immer noch Weasley festhielt, schnappte sich nun auch Potter und zog beide Jungen mit sich fort. “Kommt weg hier, wir müssen die anderen finden.“

“Behalt deinen großen buschigen Kopf lieber unten, Granger!“ rief Draco ihnen hinterher.

Potter ließ sich nicht so leicht wegziehen wie Weasley. Immer wieder wandte er sich um und warf Draco böse Blicke zu, welche dieser feixend erwiderte. Erst als sein zerzauster Harrschopf entgültig zwischen den Bäumen verschwunden war, wandte auch Draco sich zum Gehen.

Er hatte keine Eile. Vater würde ohnehin noch nicht wieder zurück sein und Mutter würde ihm höchstens Vorwürfe machen, dass er nicht im Zelt und in Sicherheit geblieben war.

Täuschte er sich oder hatte es Potter’s Wutausbruch heute Abend an dem üblichen Feuer gefehlt? Sicher, er hatte sich provozieren lassen, aber irgendwie war es nicht dasselbe gewesen. Beinahe so, als betrachte er Draco nicht länger als Erzfeind, sondern als ein notwendiges Übel, mit dem man sich eben herumschlagen müsse. So wie Hausaufgaben oder Puffskeins, die einem die Kekse wegfraßen.

Draco wurde beinahe schlecht bei dem Gedanken mit Hausaufgaben und keksfressenden Puffskeins auf einer Stufe zu stehen. So etwas konnte er auf gar keinen Fall zulassen. Sobald die Schule wieder anfing, musste er sich etwas einfallen lassen, um Potter in die Schranken zu weisen. Etwas ganz Besonderes, einen richtigen Masterplan.

Im Moment hatte er zwar keine wirklich produktive Idee, aber mit Sicherheit würde die Erleuchtung noch kommen.

Oder bildete er sich das alles nur ein? War es vielleicht nur diese furchtbare Quidditch-Niederlage, die ihm immer noch nachhing? Wie gerne würde er Potter die Schlappe heimzahlen, aber selbst wenn er wieder ins Team kam, würde er dieses Jahr keine Gelegenheit dazu haben. Das blöde Trimagische Turnier stand an und der Quidditch-Cup würde deshalb überhaupt nicht stattfinden.

Potter war in die Höhe geschossen in diesen wenigen Monaten in denen sie einander nicht gesehen hatten. Und auch seine Stimme war tiefer geworden. Vielleicht würde er bald...

Erst jetzt fiel Draco auf wie still es um ihn herum geworden war. Totenstill. Keine Prozession mehr, keine Schreie, keine umherhastenden Leute. Die wenigen Menschen, die er noch sehen konnte, standen reglos wie Statuen und starrten so ungläubig in den Himmel, als könnten sie ihren Augen nicht trauen.

Draco blickte nach oben.

Hoch über ihm am samtschwarzen Nachthimmel prangte ein neues Sternbild. Nur, dass es überhaupt kein Sternbild war. Grünschillernd und nebelverschlungen, schattenhaft verzerrt wand sich eine mächtige Schlange aus einem gewaltigen Totenschädel.

Das Zeichen des Dunklen Lords. Aber der Dunkle Lord war tot. Wie kam sein verdammtes Zeichen an den verdammten Nachthimmel?

Draco begann zu rennen. Er wollte so schnell wie möglich weg hier, nach Hause, zu Vater und Mutter, damit sie ihm sagen konnten, was hier gespielt wurde. Den ganzen Abend hatte er keine Angst gehabt, aber jetzt schlug ihm das Herz bis zum Hals und er wollte nur noch fort, fort von diesem Zeichen und dieser Bedrohung, die sich wie ein Mantel des Unheils über den ganzen Zeltplatz gelegt hatte.

Vater und die anderen konnten dieses Symbol überhaupt nicht beschworen haben. Sie verwendeten es gar nicht mehr. Sie verwendeten wieder den Ouroboros, das alte Zeichen der Bruderschaft, bevor der Dunkle Lord seinen Siegeszug angetreten hatte.

Stolpernd rannte Draco weiter, sprang über die Reste verbrannter Zelte und macht erst halt, als er vor dem Zelt seiner Eltern stand. Hastig murmelte er die Parole und trat ein.

Vater war bereits zurück, er saß mit Mutter am Tisch. Von Robe und Maske war nichts mehr sehen; er war natürlich nicht so einfältig, sie hier im Zelt aufzubewahren. Mit ihren kostbaren, aber relativ schlichten Hausroben und den ein wenig unordentlichen Haaren erweckten seine Eltern den Eindruck, als ob sie gerade zu Bett gehen wollten oder plötzlich aus dem Schlaf gerissen worden waren.

“Draco!“ Narcissa sprang auf und riss ihn in ihre Arme, um ihn im nächsten Moment wieder fortzustoßen, mit Vorwürfen zu überhäufen und nochmals zu umarmen. “Warum bist du nach draußen gegangen? Hab’ ich dir nicht gesagt, du sollst in Sicherheit bleiben! Warum musstest du dich in Gefahr bringen? Was, wenn dir etwas passiert wäre?“

“Mir ist aber nichts passiert, Mutter.“ Draco entwand sich ihrer Umarmung und wandte sich aufgeregt an Vater: “Da draußen... am Himmel!“

“Irgendwann solltest du lernen, in ganzen Sätzen zu sprechen.“ Lucius runzelte die Stirn und warf einen sorgenvollen Blick Richtung Zelteingang. “Wir wissen bereits, dass jemand das Dunkle Mal an den Himmel geschrieben hat. Es war allerdings niemand von uns und ich habe für den Moment auch noch keinen speziellen Verdacht, wer dafür verantwortlich sein könnte.“

“Lucius, bitte, du musst damit aufhören,“ drängte Narcissa. “Da draußen ist etwas im Gange, ich kann es fühlen. Vorige Woche hatte ich wieder diesen Traum mit dem Blut und dem Kessel und neulich hat sich meine Spiel...“ Sie brach ab und schlug sich die Hand vor den Mund, als ob sie schon zu viel geredet hätte.

“Deine Mutter glaubt, dass unser ehemaliger Gebieter möglicherweise einen Weg gefunden hat, ins Leben zurückzukehren.“ Vater’s Tonfall klang ein wenig spöttisch, doch Draco hätte nicht sagen können, ob er einfach nur Mutter’s Gedanken aussprach, oder ob es ihm darum ging, sie als Närrin bloßzustellen. Vielleicht war es am besten zu schweigen und einfach abzuwarten.

Andererseits brannte er darauf, zu erfahren, was es mit dieser Vermutung auf sich hatte. “Aber wenn es so wäre, Vater,“ fragte er vorsichtig, “dann wäre das doch gut, oder? Ich meine, du hast doch immer davon erzählt, dass der Dunkle Lord Großes mit uns und der Zauberergesellschaft vorhatte. Er wollte eine Welt schaffen, in der wir die Macht besitzen und nicht die Muggles.“

“Es ist bedeutungslos, was er wollte.“ Lucius verschränkte die Finger ineinander und senkte für einen Moment den Blick, bevor er sich wieder Draco zuwandte. “Es gibt keine Möglichkeit für einen Toten in unsere Welt zurückzukehren, jedenfalls nicht in seiner bisherigen Form. Natürlich gibt es Geschöpfe wie Geister oder Untote, jedoch bezweifle ich, dass er von einer solchen Möglichkeit Gebrauch machen würde. Wir brauchen ihn auch überhaupt nicht, denn die Dunkle Bruderschaft der Walpurgisritter hat schon lange existiert, bevor er dazukam und begann, sie nach seinem Willen zu formen.“

“Aber warum hat dann jemand sein Zeichen an den Himmel geschrieben?“ fragte Draco zurück. “Und vor allen Dingen wer? Die Bruderschaft verwendet das Mal doch überhaupt nicht mehr.“

“Wie ich schon sagte, es war keiner von uns und ich habe auch noch keinen speziellen Verdacht. Allerdings besteht kaum ein Zweifel daran, dass diese Person ein ehemaliger Todesser sein muss. Nicht alle von ihnen wurden verhaftet und auch längst nicht alle beteiligen sich an meinem Versuch, die Dunkle Bruderschaft wieder aufzubauen. Es wäre durchaus möglich, dass es jemanden unter ihnen gibt, der unsere Pläne als Verrat empfindet. Immerhin distanzieren wir uns in gewisser Weise vom Dunklen Lord. Anders wäre es uns aber auch überhaupt nicht möglich, unsere Pläne zu verfolgen. Wir brauchen Sympathisanten unter der Zaubererschaft und vor allen Dingen im Ministerium. Es gibt genug Hexen und Zauberer, die es satt haben, vor der Mugglewelt zu kuschen. Sowie man uns aber mit der Schreckensherrschaft des Dunklen Lords in Verbindung bringt, hätten wir auf einen Schlag jegliche Unterstützung verloren. Genau das ist heute Nacht geschehen, deshalb bedeutet dieser Vorfall einen ziemlichen Rückschlag für uns. Wir werden uns in nächster Zeit zurückhalten müssen, bis sich die Aufregung gelegt hat.“

“Also ist es doch Verrat,“ entgegnete Draco kühl. “Anstatt den Willen des Meisters zu befolgen, versuchst du einfach deine eigenen Pläne durchzuziehen.“

Lucius’ Augen verengten sich und noch bevor er zu sprechen begann, wusste Draco, dass er einen unverzeihlichen Fehler begangen hatte.

* * *

June, 1974

Eigentlich war es alles Lily Evans’ Schuld gewesen. Wenn Lily Evans nicht von ihr verlangt hätte, vom eigenen Taschengeld eine neue Kristallkugel für Professor Trelawny zu kaufen, dann hätte sie noch genügend Geld gehabt, um sich für die letzten Wochen des Schuljahres mit Süßigkeiten, Haarspangen und anderen Kleinigkeiten einzudecken. Jetzt musste sie damit bis zum neuen Schuljahr warten, denn während der Ferien gab es kein Taschengeld.

Es ging nicht einmal darum, dass sie selbst nicht ohne Süßigkeiten und neue Haarspangen auskommen konnte, aber sie brauchte die Sachen, um sie anderen Mädchen zu schenken und damit weiterhin bei ihnen beliebt zu sein. Wer die schönsten und teuersten Geschenke machen konnte, hatte eben auch die meisten Freundinnen. Aber so etwas verstand Lily Evans einfach nicht. Lily Evans war das beliebteste Mädchen der Schule (zumindest bei den anderen drei Häusern) und Lily Evans war Head Girl, also konnte sie jeden, den sie nicht mochte, einfach zu einer Strafarbeit verdonnern. Schon allein deshalb würde niemand es wagen, sich mit dieser Musterschülerin anzulegen.

Sie ist nicht wichtig, meine Prinzessin. Alle diese Leute sind nicht wichtig. Sie leben nur in ihrer eigenen kleinen Welt und verstehen gar nichts.

Die Strafarbeit wäre ihr in diesem Fall vielleicht sogar lieber gewesen, aber wenn sie sich geweigert hätte, die neue Kristallkugel zu kaufen, hätte Lily Evans sie bei Professor Slughorn verpetzt und Professor Slughorn hätte ihr zusätzlich zur Strafarbeit noch Punkte abgezogen. Punkte für ihr Haus zu verlieren, hätte sie noch unbeliebter gemacht, als die Sache mit den fehlenden Geschenken. Also erklärte sie sich notgedrungen dazu bereit, sich bei Professor Trelawny zu entschuldigen und ihr per Eulenexpresspost eine neue Kristallkugel zu bestellen. Welche sie jetzt in ein Tuch gehüllt mit sich trug.

Narcissa Lestrange blieb mitten im Gang stehen und blickte durch ein halb geöffnetes Fenster in einen der Höfe hinunter. Draußen plätscherte ein Springbrunnen fröhlich vor sich hin und ein lauer sonniger Juniabend täuschte darüber hinweg, wie spät es bereits war. Es war schon nach acht Uhr und um diese Zeit durfte sich eine Drittklässlerin gar nicht mehr in den Gängen aufhalten. Aber falls sie auf einen Lehrer treffen sollte, würde sie ihm eben erzählen, dass es alles Lily Evans’ Schuld war, weil Lily Evans sie dazu gezwungen hatte, Professor Trelawny eine neue Kristallkugel zu bringen.

Wozu brauchte diese Möchtegern-Seherin überhaupt eine Kristallkugel? Sie konnte sie ohnehin nicht benutzen! Diese Frau hatte nicht das geringste Bisschen an hellseherischen Fähigkeiten; alles was sie tat, war theatralisch mit den Armen herum zu wedeln und dabei jede Menge Unsinn zu plappern. Sicher, sie kannte die Münzen, die Runen und sämtliche Legesysteme des Tarot, aber das allein machte eine Frau noch nicht zu einer Seherin. Sie kannte die Angst nicht und die Verwirrung, etwas zu sehen von dem man nicht wusste, ob es wirklich da war, ob es vielleicht irgendwann einmal da sein würde, oder ob es nur das Hirngespinst eines überreizten Geistes war.

Sie versteht nicht, was es bedeutet, zu Sehen. Nicht so, wie du es vermagst.

Inzwischen war es längst nicht mehr so schlimm, aber als sie klein war, hatte sie überall Dinge gesehen und Stimmen gehört und nichts davon hatte einen Sinn ergeben. Schatten an den Wänden, seltsame Farben, Gestalten, die nicht wirklich da waren. Manchmal, wenn sie durch das Treppenhaus ging, in dem Vater und der Meister an der Großen Unruh bauten, sah sie dort eine Kitsune stehen, einen halb-menschlichen Fuchsdämon mit Schwertern im Gürtel und neun Schweifen, die sich wie ein Rad hinter ihm auffalteten. Seltsamerweise hatte sie vor diesem Dämon keine Angst, sondern fühlte sich auf ganz unerklärliche Weise zu ihm hingezogen. Als ob dieses unbekannte Wesen die Macht besäße, sie fortzuholen und mitzunehmen, fort aus Vater’s Haus.

Was ihr wirklich Angst machte, waren Vater’s Puppen. Manche von ihnen waren nur ausgestopfte Muggles, die einem nichts mehr tun konnten, aber sie starrten sie an, mit ihren stummen, glasigen Augen und manchmal, wenn sie ihnen zu nahe kam, konnte sie ihre Schreie hören. Andere waren lebendig und man konnte sie füttern, frisieren und ankleiden, und diese waren es, die sie am meisten fürchtete, auch wenn sie stumm bleiben und keinerlei Visionen in ihr wachriefen. Anders als Camille, die manchmal bereitwillig beim Versorgen der Puppen half, hielt sich Narcissa stets von ihnen fern. Sie fürchtete ihre Stille beinahe noch mehr als ihre Schreie und ihr Weinen..

Narcissa blickte ein weiteres Mal in den Brunnenhof und sah sich selbst dort sitzen, groß und blass und blond auf den Steinen, eine erwachsene Frau mit blutbefleckten Verbänden, eingehüllt in Schlaf und Morgenroben. Sie sprach sehr intensiv mit jemandem, den sie nicht sehen konnte, aber natürlich wusste sie nicht, worüber. Hoffentlich würde dieses Bild niemals Wirklichkeit werden, denn sie hatte Angst davor, sich so schwer zu verletzen. Schmerzen auszuhalten war nicht schön und sie war auch ganz bestimmt nicht gut darin.

Sie wandte sich ab und ging weiter den Gang entlang. Zukunftsvisionen, so hatte der Prinz ihr erklärt, zeigten immer nur eine mögliche Zukunft von vielen, deshalb sollte man ihnen auch nicht allzu viel an Bedeutung beimessen. Er natürlich hörte ihr geduldig zu, wenn sie von ihnen erzählte; er hörte ihr immer zu, ganz egal, was sie auf dem Herzen hatte. Er war der einzige Mensch auf dieser Welt, der sie wirklich verstand.

Der Gang endete, aber die Strickleiter, die sie normalerweise benutzten, um zu Professor Trelawny’s Räumen zu gelangen, war nicht heruntergelassen. Kein Wunder, woher sollte eine falsche Seherin auch ahnen, dass sie Besuch bekam.

Narcissa verspürte das dringende Bedürfnis, die Kristallkugel zu zerschmettern, so wie sie es schon mit der letzten getan hatte. Wer mit magischen Artefakten nicht umgehen konnte, hatte auch nicht das Recht, solche zu besitzen. Sonst könnte man ja gleich jedem Muggle einen Zauberstab in die Hand drücken oder ihn auf einen Besen setzen.

Apropos Zauberstab. Ein simpler Alohomora! öffnete die Falltür an der Decke und die Strickleiter fiel zu ihr herunter. Sie band das Tuch mit der Kristallkugel darin um ihre Taille und machte sich ans Emporklettern. Konnte die alte Schrulle sich nicht einmal einen einfacheren Weg überlegen, wie man in ihr heiliges Refugium gelangen konnte?

“Professor Trelawny? Professor, sind Sie hier?“

Alles vor ihr schien dunkel und still zu sein. Nur der süße, schwere Geruch von Räucherstäbchen, Duftwässerchen und allerlei schwelenden Kräutern lag in der Luft und stach unangenehm in der Nase.

Eine Weile stand sie unschlüssig herum und horchte auf mögliche Geräusche. Da sie jedoch nicht wagte, die privaten Räumlichkeiten der Lehrerin einfach so zu betreten, griff sie schließlich nach dem Türknauf zum Klassenzimmer und begann, ihn vorsichtig zu drehen.

“Lumos!“

Im schwachen Licht ihres Zauberstabes konnte sie einen dunklen, leeren Raum erkennen. Es war seltsam, ein Zimmer, das sie nur voller gackernder und schwatzender Schüler kannte, plötzlich so verlassen zu sehen. Wie ausgestorben.

Draußen musste inzwischen endlich die Abenddämmerung eingesetzt haben, denn das Licht, das durch die geschlossenen Vorhänge hindurch schimmerte, war spärlich und schien keinerlei Kraft mehr zu besitzen. Narcissa bahnte sich einen Weg durch die verschobenen Sessel und Tischchen und die Unmengen von Kissen, die den Boden vor ihren Füßen bedeckten. Beinahe trat sie auf ein Buch, welches offenbar von Professor Trelawny’s Lehrerpult gefallen war (falls man einen Tisch mit einer Ansammlung von Räucherwerk und einem dunkelvioletten Spitzendeckchen guten Gewissens als Lehrerpult bezeichnen konnte).

Das dreizehnte Sternbild entschlüsselt?

Neugierig beugte sie sich über das Buch, einen typischen Hexen-Esoterik-Schinken in reißerischer Aufmachung. Auf einem buntverzierten Einband tummelten sich die zwölf Sternbilder rund um einen grimmigen Zauberer mit orientalisch anmutendem Spitzbart, der ihr finster entgegen starrte. Um seinen Zauberstab ringelte sich eine zischelnde Schlange.

Im ersten Moment dachte sie, es sei Salazar Slytherin, denn der Stab mit der Schlange war eines seiner charakteristischen Symbole, ebenso wie der Kelch oder Kessel, mit welchem er gerne dargestellt wurde. Aber die Person auf dem Bild war offensichtlich eine mythische Figur wie der Skorpion oder der Löwe und all die anderen, die sich auf dem Einband tummelten.

Sie schlug das Buch auf und warf einen Blick auf den Klappentext.

In der traditionellen westlichen Lehre des Zodiac wird das dreizehnte Sternbild, der Schlangenträger (lat. Ophiuchus) zumeist außen vorgelassen, um die kosmische Einheit der harmonischen Zwölf nicht zu gefährden. Der Schlangenträger, welcher auf den ägyptischen Magier Imhotep zurückgeht, liegt im Sonnenkreis zwischen Skorpion und Schütze, so dass ein Teil der Kinder, die angeblich in einem der beiden Sternzeichen geboren wurden, in Wirklichkeit als Schlangenträger zur Welt kommen.

Imhotep? Über den hatten sie in Zaubereigeschichte schon einiges gehört, er war einer der wichtigsten Magier des Altertums. Damals waren magische Welt und Mugglewelt noch nicht voneinander getrennt gewesen und so bekleideten viele Magier wichtige Ämter als Priester, Gelehrte oder Staatsmänner innerhalb der Gesellschaft der Muggles.

Schlangenträger zeichnen sich vor allen Dingen durch ihren wachen und scharfen Verstand aus. Ihre besonderen Begabungen liegen im Brauen von Zaubertränken, der Heilkunst, der Astronomie und Arithmantik.

Was für ein Schwachsinn. Garantiert würde der nächsten Abschnitt von Liebe und Romantik handeln, dafür waren doch all diese Sternzeichenbücher gut. Um kichernden Mädchen zu erzählen, wer der Held ihrer Träume sein würde und alten einsamen Jungfern die Chance auf ein neues Glück vorzugaukeln.

Da die Schlange aber nicht nur für die Heilung, sondern auch für die Kräfte des Unheils steht, symbolisiert der Schlangenträger den ewigen Kampf zwischen Gut und Böse, ein Kampf, der sich auch in den Herzen jener abspielt, die unter seinem Zeichen zur Welt kommen. Tagtäglich müssen sie sich entscheiden, ob sie sich und ihre Handlungen von Hochmut oder Bescheidenheit, Raffgier oder Mitgefühl, Hass oder Liebe leiten lassen.

Gut und Böse? Was für eine simple und naive Weltanschauung, die Welt einfach in schwarz oder weiß einzuteilen. Meistens war das Leben sehr viel komplizierter.

Andererseits auch wieder nicht. Wenn jeder an sich selbst dachte, so war an alle gedacht.

Narcissa ließ das Buch fallen. Allerdings landete es zunächst nicht auf dem Boden, sondern auf einer Zeitung, welche ebenfalls von irgendwo heruntergefallen sein musste. Konnte die alte Schrulle denn nicht mal Ordnung halten? Erwachsene mussten niemals Ordnung halten Wenn sie selbst ihr Zimmer nicht aufräumte, dann sperrte Vater sie ins Puppenhaus...

Die Zeitung war nicht der Daily Prophet, wie sie zunächst gedacht hatte, sondern eine Ausgabe des Quibblers. Genau das richtige Käseblatt für Leute wie Professor Trelawny.

Angriff der zamonischen Fhernhachenzwerge... Minister Fudge baut geheime Armee auf... Schwarze Annis in der Winkelgasse gesichtet... Die ganze Wahrheit über das geheime Buch Siphra di-zniutha...

Sie hielt inne, als sie die letzte Schlagzeile überflog. Der Name des Buches kam ihr seltsam bekannt vor; sie war sich sicher, ihn nicht zum ersten Mal gehört zu haben. Nicht, dass man sich auf irgendetwas in diesem Schundfetzen verlassen konnte, aber selbst ein blinder Erkling konnte sich ab und zu ein Kind schnappen, wenn das Balg sich dumm anstellte, oder nicht? Also blätterte sie ein paar Seiten weiter und warf einen Blick auf den Artikel.

... enthält eine Sammlung verschiedenster schwarzmagischer Schriften aus Altertum, Mittelalter und Neuzeit. Wer dieses Buch besitzt, kann Dämonen beschwören, Tote wieder zum Leben erwecken und schließlich sogar selbst die Unsterblichkeit erlangen. Schade nur, dass das Buch seit Anfang des Jahrhunderts im pazifischen Ozean verschollen und sein Wissen unrettbar verloren ist. Aber ist es das? Verpassen Sie keinesfalls die nächste Ausgabe, wenn der todesmutige Held Kevin Lockhart zu einer waghalsigen Expedition aufbricht, um...

“Hhhhhhhh!“

Das scharfe Atemgeräusch durchbrach die Stille so plötzlich, dass Narcissa aufschrie und nicht nur die Zeitung, sondern um ein Haar auch die Kristallkugel hätte fallen lassen. Sie fuhr herum, doch zwei zittrige Hände hatte sie bereits bei den Schultern gepackt und im nächsten Moment blickte sie in das verzerrte Gesicht Professor Trelawny’s. Das Gesicht war totenbleich, ihre Augen rollen unkontrolliert in ihren Höhlen umher, der Mund war weit aufgerissen und sie keuchte, als wäre sie zu schnell gelaufen und müsse deshalb um Atem ringen.

“Professor, was ist mit Ihnen?“ Narcissa hatte sich einigermaßen wieder gefasst und versuchte die Hände zu lösen, die sich hilfesuchend in ihren Pullover krallten.

Wenn Professor Trelawny einen Anfall hatte, so musste sie schleunigst Hilfe holen. Gut, vielleicht sollte sie auch ein paar Minuten warten, denn je länger die alte Schrulle nicht mehr Unterricht halten konnte, desto länger hatte sie Ruhe vor ihr.

Narcissa schluckte den gefühllosen Gedanken hinunter und wollte schon nach dem Zauberstab greifen, als sie plötzlich Professor Trelawny’s Stimme vernahm. Nicht ihren üblichen Singsang, aber auch nicht das Zetern und Keifen, wenn sie schlecht gelaunt war. Stattdessen hatte sich ihre Stimme in ein dumpfes, unheimliches Ächzen verwandelt. Gerade so als käme sie gar nicht von ihr selbst, sondern tief aus der Erde unter ihr.

Sonne und Mond, Gold und Silber, Merlin und Morgana,
Seid am heutigen Tage Zeugen meiner Worte:
Der Schatten des geflügelten Todes liegt über uns,
Um unsere Welt in den Abgrund zu stürzen.

Geboren im Zeichen des Löwen, behütet durch die Liebe von Mutter und Vater,
Erblickt ein Kind das Licht dieser Welt.
Ein Funke, ein leuchtendes Schwert,
Das seine dunkle Macht bedroht.

Geschmiedet in den Feuern Merlin’s, geführt vom Drachen Morgana’s
wird es die Macht erlangen, ihn zu vernichten.
Eine Flamme, ein brennendes Schwert,
Das sein dunkles Herz durchstößt.

Der Schatten weicht dem Licht, das Feuer verglüht zu Asche und unsere Welt wird frei sein...

Narcissa stand wie erstarrt. War sie soeben Zeugin einer echten Prophezeiung geworden? Aber wie war das möglich? Professor Trelawny hatte doch noch nie...

Die Lehrerin rang ein letztes Mal nach Atem, dann lösten sich ihre Hände und sie sank in eine tiefe Ohnmacht, allerdings nicht zu Boden. Eine weitere Gestalt war aus dem Dunkel getreten und Narcissa erschrak, als sie ihren Schuldirektor erkannte. Wie war Professor Dumbledore hierher gekommen? Und wie lange stand er schon hier? Hatte er diese seltsamen Worte vernommen und konnte etwas damit anfangen?




Fanart by ebilein

Professor Dumbledore fing Trelawny auf und trug sie zu einem der Sessel, wo er sie behutsam niederlegte und nach einem Fläschchen aus seiner Tasche griff. Er tränkte ein Taschentuch mit ein paar Tropfen des Inhalts und hielt es ihr unter die Nase. “Es besteht kein Grund zur Sorge, Miss Lestrange, Professor Trelawny wird sich bald wieder erholt haben. Ich werde sie allerdings vorsichtshalber in den Krankenflügel bringen. Würden Sie bitte vorauslaufen und Madam Pomfrey Bescheid geben?“

“Wie Sie wünschen, Schuldirektor.“ Narcissa hatte einen Moment gebraucht, um zu erkennen, dass Professor Dumbledore das Wort an sie gerichtet hatte. Jetzt aber lief sie rasch aus dem Raum und machte sich daran, die Strickleiter wieder hinunterzuklettern. Ihr Kopf schwirrte immer noch von all den Dingen, die sie soeben gehört hatte. Feuer? Drachen? Der geflügelte Tod?

Der Meister. Professor Trelawny hatte vom Meister gesprochen. Und von einem Kind, das ihn besiegen würde. Geboren im Zeichen des Löwen. Das Schwert des Lichts...

Sie musste sofort dem Prinzen davon erzählen. Er allein würde wissen, was zu tun war.

* * *

September 1st, 1994

10.52

Hah! Es ist schön, so spät zu kommen und genau zu wissen, dass meine Ische da ist, um mir ein Abteil freizuhalten.

10.53

Einziger Haken an der Sache ist, ich muss sie dafür die ganze Zugfahrt ertragen.

10.56

Ich schlüpfe schnell in den Zug, bevor es Mutter einfallen kann, mich zu küssen, oder irgendeinen ähnlichen Blödsinn zu veranstalten. In meiner Position wäre das nicht mehr nur peinlich, sondern gesellschaftlicher Suizid. Sie nimmt es mir nicht auch nicht übel, denn sie ist viel zu besorgt, dass das verfluchte Mistwetter ihr trotz Schirm die Frisur ruinieren könnte. Vater ist gar nicht erst mitgekommen, er hat angeblich zu tun. In der letzten Woche hat er ohnehin kaum mit mir geredet.

10.57

Vince hat eine neue Frisur.

10.58

Sie sieht genauso dämlich aus, wie seine alte.

10.59

Die Frisur, du Depp, nicht seine Mutter! Oh, Mann, Greg, wenn Blödheit klein machen würde, dann könntest du in Mrs. Norris’ Katzenklo Tiefseetauchen.

11.01

Bin ich hier denn nur von Idioten umgeben? Warum hat Mutter nicht nachgegeben und mich nach Durmstrang gehen lassen, dort hätte ich bestimmt klügere Freunde. Außerdem hätte ich dort die Dunklen Künste lernen können, anstatt des Verteidigungs-Schwachsinns, den wir hier veranstalten. Aber mit Dumbledoof als Schulleiter sind wir ja gestraft für den Rest unseres Lebens.

11.11

Wir Zauberer tun die unterschiedlichsten Dinge, um uns selbst zu beweisen, dass wir die Herren der Welt sind. Einige züchten Teufelsschlingen, von denen sie dann nachts erwürgt werden, andere sprengen sich selbst mit ihrem Kessel in die Luft. Wieder andere werden wahnsinnig, weil sie von ihrem eigenen Fluch getroffen wurden und fangen plötzlich an, mit den Armen zu wedeln und dabei wie ein Crup zu bellen.

Für mich reicht eindeutig eine Zugfahrt mit Pansy Parkinson. Denn wer nach zehn Minuten Zugfahrt in der Gesellschaft von Pansy Parkinson noch nicht wahnsinnig geworden ist, muss sich in Zukunft weder um Flüche, noch um Kessel Gedanken machen. Ich frage mich, wie ein Mensch es fertig bringen kann, in einem fort zu plappern und dabei wirklich nur puren Stumpfsinn von sich zu geben. Man könnte den Quatsch mit Soße in Flaschen abfüllen und auf dem Schwarzmarkt verkloppen, wenn man ein Weasley wäre und Geld bräuchte.




Fanart by ebilein

11.16

Das einzig Gute daran ist nur, dass sie es gar nicht merkt, wenn man ihr nicht zuhört. Ich muss nur ab und zu ein “Mhm“ oder “Aha“ von mir geben, dann ist sie zufrieden.

12.34

Mittagessen. Ich glaub’ ich kauf ihr extra viel Süßkram, damit sie möglichst lange die Klappe hält. Oh, keine Frage, die Frau kann gleichzeitig essen und reden. Aber sie tut’s nicht, weil es undamenhaft wäre.

13.00

Ich wüsste zu gerne, wie es mit den Walpurgisrittern weitergegangen ist, aber Vater redet ja nicht mit mir. Seit dieser Sache beim World Cup hat er entschieden, dass ich noch zu jung bin, um darüber Bescheid zu wissen, und dass er mir erst mal nichts mehr erzählen wird.

13.03

Er war ganz schön sauer auf mich.

13.13

Ische, tu mir doch den Gefallen und zähl einfach mal bis zehn, okay? Warum? Weil ich mal ’ne halbe Stunde Ruhe bräuchte.

13.20

Pansy ist beleidigt abgerauscht. Na, macht nix, die wird sich schon wieder einkriegen. Spätestens, wenn wir beim Schloss sind, klebt sie mir wieder am Robenzipfel.

14.12

Vielleicht könnte ich Vater zeigen wie reif ich bin, indem ich am trimagischen Turnier teilnehme? Aber andererseits, mich dann dafür mit irgendwelchen Monstern herumschlagen und im Dreck landen - nein, das muss nicht sein. Da gibt es sicher einen anderen Weg.

15.00

Allerhöchste Zeit für meinen Rundgang. Kaum neue Reinblüter hier, alles nur Gesocks in diesem Jahr. Bis auf den kleinen Baddock, der auch prompt auf mich zuschreitet und mich höflich begrüßt. Manieren hat er ja, das muss man ihm lassen. Dem kleinen Schlammblut im nächsten Abteil dagegen mach’ ich so die Hölle heiß, dass sie heulend ins Klo rennt, auf ihren hässlichen knallroten Muggle-Schicksen-Schuhen. Solche Dinger gehören verboten!

15.21

Na, wen haben wir denn da? Warrington, Montague und Pucey, und die ganze Quidditch-Brigade. Wie reizend, euch zu sehen, meine ehemaligen Teamgefährten. Ist das ein Strategiebrett, das ihr da stehen habt? Mit tollen neuen unbesiegbaren Taktiken, die ihr dieses Jahr auf den Besen anwenden wollt, die mein Vater euch geschenkt hat? Oh, und da ist ja auch Higgs, der wahrscheinlich den ganzen Sommer lang trainiert und sich in den Schlamm geschmissen hat, um dieses Jahr meinen Platz als Seeker einzunehmen.

Hm, soll ich ihm die Wahrheit sagen, oder ihn noch ein wenig phantasieren lassen? Ich bring’s irgendwie nicht über’s Herz, ihm all seine Träume zu zerschlagen. Soll das doch lieber mal der olle Dumbledore machen, der ist gut in sowas. Bis später, Leute und frohes Planen.

17.00

Das Bonbon hab’ ich mir natürlich für den Schluss aufgehoben. Potter und Anhang lümmeln wie die letzten Idioten in ihrem Abteil herum und sabbern eine Viktor Krum Figur an, die Weasley auf seiner Hand spazieren trägt. “Wow, wir haben ihn von ganz nahe gesehen, wir saßen in der Loge!“ Ja, zum ersten und letzten Mal in deinem Leben, Weasley!

Ich fasse es nicht, dass Potter so ruhig bleibt. Er flippt noch nicht einmal aus, als ich Sprüche über Weasley’s Fetzen von einer Ballrobe mache. Selbst, als ich über Weasley’s gesamte Familie herziehe, weil er keine Ahnung vom trimagischen Turnier hat, was daran liegt, dass sein Vater und Bruder total unfähig sind, macht er keinen einzigen Versuch, um mir Einhalt zu gebieten. Ich bin fassungslos; er verhält sich, als ob es ihn nicht im Geringsten was anginge. Will er nicht mehr für seine Freunde in die Bresche springen, oder hat er mich am Ende durchschaut?

Nein, er kann mich nicht durchschaut haben, er ist viel zu blöd dazu. Vielleicht sollte ich beim nächsten Mal wieder das Schlammblut beleidigen. Oder die Weaseline. Oder das Wildschwein. Irgendwann wird er nicht mehr so ruhig sitzen bleiben.

18.06

Als wir aussteigen, warten die Kutschen schon auf uns. In meiner sitzt schon eine fröhlich winkende Ische, die mir entgegenspringt, als wäre nichts gewesen.

Wusst ich’s doch. Pansy ist ja so leicht zu durchschauen...

* * *

September 2nd, 1994

Schon am ersten Schultag hatte Draco Malfoy das Gefühl, dass sein viertes Schuljahr ganz und gar nicht wie die anderen werden würde.

Zunächst schien sich nichts Wesentliches geändert zu haben. Alle wuselten aufgeregt durcheinander und beschwerten sich über die neuen Stundenpläne. Pünktlich zum Frühstück kam dann auch der Uhu mit einem Päckchen voller Naschereien angeflogen, aber Draco merkte schon bald, dass es eher die jüngeren Jahrgänge waren, die sich danach die Hälse verrenkten. Gut, Crabbe und Goyle konnte man wie die Hündchen mit Leckerlies bestechen, aber Pansy aß keine mehr wegen der schlanken Linie. Blaise und Pike, die normalerweise immer nach Draco’s Süßigkeiten schielten, schienen sich jetzt zu erwachsen für solchen Kinderkram, und Theo macht gar eine gehässige Bemerkung über seine Figur.

Draco tat die ganze Sache mit einem blöden Spruch ab - und wetzte bei der nächsten Gelegenheit in Richtung Klo, um sich dort der Süßigkeiten, des Frühstücks und seiner Panik zu entledigen. Erst nachdem er sich wieder beruhigt hatte, wurde ihm bewusst, dass Theo ihn wohl nach Strich und Faden verarscht hatte. Er hatte über die Sommerferien kaum zugenommen, und das, obwohl er ein ganzes Stück gewachsen war.

Verwandlung begann mit der üblichen Ansprache von Professor McGonagall, dass das neue Schuljahr ja sooo viel anspruchsvoller und anstrengender werden würde, als alle bisherigen. Draco hörte nicht zu, er hatte Magenschmerzen. Am liebsten hätte er laut gejammert, wie er es daheim bei Mutter tat, aber wenn irgendjemand seiner Hauskameraden mitbekommen hätte, dass er nicht imstande war, ein bisschen Bauchweh auszuhalten, hätte dies seinem ohnehin schon angekratzten Ego den Rest gegeben. Also mal wieder Augen zu und durch.

Wenn es doch wenigstens eine dramatische Verletzung vom Quidditch gewesen wäre. Oder wieder ein noch dramatischerer Hippogreif-Biss. Oder nein, kein Hippogreif-Biss, der hatte scheußlich weh getan, so etwas wollte er nicht noch einmal erleben.

Die Chancen standen allerdings gut, dass er genau das tun würde, denn Hagrid wartete in der nächsten Geschöpfe-Stunde mit Kreaturen auf, gegen die sich ein Hippogreif wie das reinste Kuscheltier ausnahm. Sie sahen aus wie eine Mischung aus Hummern, Tausendfüsslern und Skorpionen und konnten dazu noch beißen, stechen und einem die Finger verbrennen. Der Gipfel von allem war, dass das Wildschwein wieder mal nicht die geringste Ahnung hatte, wozu das Viechzeug überhaupt gut sein sollte. Es schien, als habe der zu groß geratene Zottelzwerg in seiner kurzen Zeit als Lehrer eine sadistische Freude daran entwickelt, Schüler zu quälen.

Noch nicht einmal die unvermeidliche Konfrontation mit Potter entschädigte Draco für den missratenen Vormittag, denn das Schlammblut war so sehr damit beschäftigt, dem Klugscheißertum zu frönen, dass sie beide überhaupt nicht dazu kamen, sich richtig zu streiten. Jedes Mal, wenn er Potter angriff, sprang Granger für ihn in die Bresche, als ob sie es sich in den Kopf gesetzt hätte, ihr armes kleines Löwenjunges vor dem großen bösen Drachen zu beschützen. Nach einer Weile gab er es auf und wartete auf eine bessere Gelegenheit.

Mittagessen. Oder besser gesagt, kein Mittagessen, denn sein Magen hatte sich endlich wieder beruhigt, und mehr als alles andere wünschte er sich einen schmerzfreien Nachmittag. Arithmantik war dann auch ganz in Ordnung, sie diskutierten über die Unterschiede zwischen dem griechischen und dem hebräischen Alphabet, und Draco bekam fünf Punkte für Slytherin, weil er Interessantes über die nachträglich eingefügten Buchstaben Stigma, Koppa und Sampsi zu berichten wusste. Keine Frage, dass die blöde Granger den Schwachsinn auch gewusst hätte, aber die wurde eben nicht aufgerufen.

Was für ein Pech aber auch. Zum Trost widmete Draco ihr die Zeichnung eines langzahnigen buschigen Eichhörnchens, über das Theo und Blaise Tränen lachten. Wie es schien hatte er seinen Status als Prinz von Slytherin mal wieder erfolgreich verteidigt und so war er endlich wieder besserer Laune, als er sich in Richtung Abendessen begab. Hinzu kam noch, dass er es im Laufe des Nachmittagsunterrichts geschafft hatte, seinen Daily Prophet zu lesen und nun darauf brannte, die Potter-Gang mit einem äußerst interessanten Artikel über die Unfähigkeit eines gewissen “Arnold Weasley“ zu konfrontieren.

Der Abend hätte so schön werden können. Weasley schimpfte und fluchte und tobte, und hätte sich gleich auf Draco gestürzt, wenn Potter ihn nicht an die Leine gelegt hätte. Potter selbst schimpfte mit - und beging dann auch noch den unverzeihlichen Fehler, Draco den Rücken zuzukehren, so dass der Gryffintrottel ein optimales Ziel für die Hasenzahn-Verwünschung bot, die er schon seit den Sommerferien an jemandem ausprobieren wollte.

Wie gesagt, der Abend hätte so schön werden können. Aber der neue Verteidigungs-Lehrer musste ausgerechnet in diesem Moment auftauchen und ihm einen Strich durch die Rechnung machen. Erst ein Blitz, dann ein Knall und dann löste sich die ganze Welt in strahlendem weißen Licht auf. An die folgenden fünf bis zehn Minuten hatte Draco nur eine sehr vage Erinnerung, die etwas mit Fressen, Weglaufen und dem Schweißgeruch von Goyle’s Füßen zu tun hatte, allerdings war er sich auch nicht sicher, ob er sich überhaupt daran erinnern wollte. Der Rest der Schule würde jedenfalls mit Freuden dafür sorgen, dass er diesen Tag nicht so schnell vergaß. Und nein, das bezog sich nicht nur auf die feindlichen Häuser, sondern durchaus auch auf sein eigenes.

Aber auch der Schlimmste aller Tage nimmt irgendwann einmal ein Ende. Draußen senkte sich die Sonne, drinnen leerten sich die Gänge, und allmählich kehrte die allabendliche Ruhe ins Schloss ein.

Was den Gemeinschaftsraum anging, war es allerdings noch ein wenig früh für abendliche Ruhe, und er hatte nicht wirklich Lust darauf, einer Horde von lachenden und feixenden Slytherins entgegenzutreten. Deshalb entschied er sich dafür, seinen Besen zu holen und noch eine Runde zu fliegen, bevor er sich dem Unvermeidlichen stellte. Aber nicht einmal dieses Vergnügen schien ihm noch vergönnt, denn als er die Eingangshalle durchquerte, stellte sich ihm ein wütender Filch in den Weg und informierte ihn feixend darüber, dass es Schülern nicht gestattet sei, um diese Uhrzeit noch die Schule zu verlassen.

Draco zog die Augenbrauen hoch - schließlich fanden um diese Zeit die meisten Quidditch-Trainings statt - aber nach den Geschehnissen in der Halle (und dem anschließenden Ärger mit Snape) erschien es ihm klüger, sich nicht mit dem Hausmeister anzulegen. Der wurde dann auch eine Spur freundlicher und erkundigte sich eingehend nach dem Herrn Vater. Draco verkniff sich eine Bemerkung darüber, dass sein Vater Besseres zu tun hatte, als sich um die Belange von Squibs zu kümmern und gab bereitwillig Auskunft über die neuesten Projekte und Ausschüsse des Ministeriums an denen der ehrenwerte Lucius Malfoy beteiligt war.

Bis er es schaffte, sich von dem aufdringlichen Kerl loszueisen, waren gute zehn Minuten vergangen. Immer noch zu früh für den Gemeinschaftsraum, deshalb entschuldigte er sich, er müsse in die Bibliothek und stapfte die breite Mitteltreppe hinauf, vorbei an einer Ritterrüstung und einem Gryffindor, der ihm grinsend den Mittelfinger zeigte. Das war, soviel hatte er inzwischen herausgefunden, eine rüde Geste der Muggles, die in etwa einem Daumenbiss entsprach. Da er Crabbe und Goyle nicht bei sich hatte, und der Gryffindor ein ganzes Stück älter war, entschied er sich, die Sache (zumindest vorerst) auf sich beruhen zu lassen und seinen Weg fortzusetzen.

Eigentlich hatte er keine Ahnung, wohin er wollte. Er schlenderte vorbei an Unterrichtsräumen, Statuen, Schränken und diversen Wandnischen und folgte einer weiteren Treppe nach oben. Gerade noch rechtzeitig bemerkte er, dass seine Schritte ihn gefährlich nahe an Gryffindor-Gebiet gelenkt hatten und schlug eine andere Richtung ein. Vielleicht hatte er insgeheim gehofft, Potter zu begegnen, und dabei völlig vergessen, dass er in seiner momentanen Situation gar nicht in der Lage war, dem blöden Mistkerl eins reinzuwürgen. Das musste er sich, wie schon so oft, für einen anderen Tag aufheben.

Aber dieser Tag würde kommen, soviel war sicher.

Vor ihm erstreckte sich eine breite Front aus hohen, geschwungenen Fenstern, welche ihm einen weiten Ausblick nach Westen gab. Die Wiesen und das Quidditchfeld lagen friedlich und verlassen unter ihm, dahinter schlängelte sich die hohe Mauer, welche das Burggelände zur Straße hin abschloss. Das Haupttor im Norden, durch welches sie gestern mit den Kutschen gefahren waren, konnte man von hier aus nicht mehr sehen, ebenso wenig wie die Straße selbst, die vollkommen von der Mauer verdeckt wurde. Im Nordwesten, hinter der ersten Hügelkette lag Hogsmeade, im Südwesten konnte er gerade noch ein Stückchen vom See erkennen, wenn er seinen Kopf gegen die Scheibe lehnte und scharf nach links blickte.

Eine Bewegung ließ ihn zusammenzucken. Er hatte geglaubt, allein zu sein, doch auf einem der Fensterbretter hockte ein Mädchen, welches offenbar so regungslos dagesessen hatte, dass es kaum möglich gewesen war, sie zu bemerken. Er kannte sie nicht, deshalb musterte er sie kritisch und fast schon automatisch fiel sein Blick auf ihre Füße. An den Schuhen konnte man immer sofort erkennen, ob jemand mugglestämmig war, denn nur Reinblüter legten Wert auf ordentliche Zaubererschuhe, die man mit Schnallen verschloss und nicht mit Bändern. Bänder waren etwas für Dienstboten und somit für Schlammblüter genau richtig. Bei diesem Mädchen funktionierte die alte Weisheit allerdings nicht, denn sie war barfüßig.

“Bist du gekommen, um dir den Sonnenuntergang anzusehen?“ fragte sie. Sie hatte eine hohe melodiöse Stimme, die ein wenig verträumt klang, so als habe sie den ganzen Tag nichts Besseres zu tun, als der Sonne beim Auf- und Untergehen und den Blümchen beim Wachsen zuzusehen. Ihm lag schon eine höhnische Bemerkung auf der Zunge, aber gerade noch rechtzeitig erinnerte er sich daran, dass er eigentlich seine Ruhe wollte, und ein verbales Duell mit diesem seltsamen Geschöpf gehörte ganz sicher nicht dazu. So beschränkte er sich auf ein kurz angebundenes Nicken in Richtung des bewölkten Himmels und ein spöttisches: “Welchen Sonnenuntergang?“

Sie schien durch seinen Tonfall nicht im Geringsten verletzt, sondern betrachtete ihn aus großen Augen, als habe sie noch nie einen Slytherin gesehen. “Wir müssen noch ein bisschen warten, bis die Wolken weggehen und der Himmel wieder klarer wird,“ sagte sie anschließend in ihrem ätherischen Singsang und wandte sich wieder ihrer Fensterscheibe zu.

Draco zuckte die Achseln und wandte ebenfalls den Blick ab. Schließlich hatte er seine eigene Fensterscheibe zum Durchgucken, und die war ohnehin viel besser als die von diesem Mädchen, egal ob mit oder ohne Sonnenuntergang. Eigentlich wollte er auch überhaupt keinen Sonnenuntergang, sondern lediglich seinen Besen, um eine Runde über dem Quidditch-Feld zu drehen. So wie die kleine Gestalt dort draußen, die es offenbar geschafft hatte, an Filch vorbeizukommen, wie auch immer sie das gemacht hatte.

Potter?

Potter. Der Flugstil und diese Haare waren unverkennbar. Wieso flog der blöde Penner da draußen herum, wenn er eigentlich hier im Schloss sein sollte. War es mal wieder an der Zeit, sich über die bevorzugte Behandlung von Dumbledore’s kleinem Liebling aufzuregen? Natürlich war es das. Immer bekam dieser verfluchte Mistkerl eine Sonderbehandlung und jetzt durfte er da draußen den Abendwind genießen, während er selbst in diesem Schloss eingepfercht war, wie ein Vogel im goldenen Käfig.

Ganz genau wie zu Hause...

Und wie Potter das Fliegen genoss. Er stieg hoch auf, um anschließend im Sturzflug nach unten zu preschen, schlug Capriolen, sauste im Zickzack hin und her, jagte einen imaginären Snitch. Draco war einen Moment lang seltsam berührt, er verstand das Gefühl nur zu gut, die ganze Welt hinter sich zu lassen und nur die reine, unschuldige Freude am Fliegen zu verspüren. Aber dann erinnerte er sich wieder daran, dass dies sein Erzfeind war, dort draußen, und dass er geschworen hatte, ihn zu besiegen. Egal auf welche Weise.

Die Wolkendecke brach auf und das Farbenspiel eines geradezu apokalyptischen Sonnenuntergangs flutete den Himmel. Lichtstrahlen schossen wie Pfeile durch die Luft, Wolkenränder schienen plötzlich in Flammen zu stehen und am Horizont, wo die Sonnenscheibe bereits hinter den Hügeln verschwunden war, loderte ein mächtiges, tiefrotes Feuer. Der Anblick war nicht schön, nicht romantisch, sondern auf eine faszinierende Weise düster und bedrohlich, ebenso wie das Inferno, welches in den tiefen Schatten seiner Seele lauerte. Eines Tages würde es ebenso herausbrechen und dann würde kein Freund, kein Gott und kein Schicksal Harry Potter davor beschützen können.

Potter hatte im Flug innegehalten, um sich ebenfalls den Sonnenuntergang anzusehen. Gegen die rote Glut war nur noch seine Silhouette erkennbar, eine dunkle flatternde Gestalt auf einem Besen und so winzig, dass sie in Draco’s Handfläche passte, als dieser seine Hand gegen das Fensterglas presste. Seine Finger krallten sich um Harry Potter wie um einen gefangenen Schmetterling, und dann schloss er langsam die Hand zu einer Faust.

Tsuzuku.....

Weiter zu Teil F

fanfic, amicus draconis

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