Der Cellist - Teil 7

May 28, 2012 15:23

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Bruce verharrt mit Clint auf dem Parkettboden des Musikzimmers, bis seine Knie anfangen zu protestieren, dann ignoriert er den Schmerz schlicht.

Clint hat vor zehn Minuten damit aufgehört, zu schluchzen, aber Bruce geht kein Risiko ein. Er wird so lange auf diesem Fußboden hocken bleiben, bis Clint sich von ihm losmacht.

Zur Not muss Tony ihm eben neue Kniescheiben kaufen. Oder selber welche bauen. Da hätte er vermutlich sogar Vergnügen dran.

Bruce wird von diesem Gedankengang abgelenkt, als Clint sich verhalten in seinen Armen zu rühren beginnt.

Ein schüchternes Nasehochziehen lässt ihn nach seinem Taschentuch suchen und es Clint in die Hand drücken.

„Danke“, sagt Clint, und seine Stimme klingt fürchterlich. Bruce streicht ihm ein weiteres Mal über den Kopf. „Schon gut.“

Clint putzt sich lautstark die Nase.

Bruce lässt ihn zögerlich los, dann wirft Clint ihm einen unsicheren Blick zu, und Bruce legt ihm die Hand auf die Schulter.

„Wie geht‘s dir jetzt?“ erkundigt er sich vorsichtig.

„Ich habe schreckliche Kopfschmerzen“, antwortet Clint dumpf, und Bruce nickt verständnisvoll. „Das war zu erwarten.“

„War es das? Wie unangenehm. Definitiv ein Argument gegen emotionale Zusammenbrüche. Hättest du mir das nicht vorher sagen können?“

Bruce erwidert nichts, drückt lediglich Clints Schulter, und Clint seufzt und kommt mühelos auf die Beine, steckt sich Bruces Taschentuch in die Hosentasche.

Bruce lässt ihn stumm gewähren. Er hat momentan ganz andere Probleme als den Diebstahl seines vollgeschnodderten Eigentums.

„Clint?“

„Ja?“

„Hilf mir doch mal eben hoch.“

Natasha läuft rein zufällig vor Clints Zimmertür vorbei. Zum dritten Mal in genau so vielen Stunden. Rein zufällig.

Diesmal wird sie tatsächlich mit einem Lebenszeichen belohnt.

„Ich habe überhaupt keinen Pyjama“, dringt Clints protestierende Stimme durch die Tür.

Die Aussage ist absurd genug, Natasha dazu zu verleiten, die Tür zu öffnen und einzutreten.

Wenn Sie die Schublade links unten in der Kommode öffnen, werden Sie diverse Pyjamas in Ihrer Größe finden, Agent Barton, meldet JARVIS sich hilfreich zu Wort.

Clint sieht völlig entsetzt aus. Bruce, der direkt neben ihm steht, wirkt weniger entsetzt als hochgradig amüsiert. „Mach nicht so ein Gesicht. Mir hat er auch welche gekauft.“

„Wieso?“ verlangt Clint zu erfahren, und Bruce zuckt mit den Schultern.

Es ist eine Tradition, erklingt ein weiteres Mal JARVIS‘ Stimme, die Mister Stark nicht aufgeben wollte.

Er klingt seltsam … berührt, als sei Tonys Angewohnheit, den Männern in seinem Leben Pyjamas zu kaufen, nicht etwa merkwürdig sondern ganz im Gegenteil herzerwärmend und regelrecht bewundernswert. Vielleicht ist sie das sogar.

Natasha hat keinen Pyjama bekommen, also kann sie dazu nichts sagen. Aber die Nachthemden sind äußerst schön. Provokativ, ja. Aber schön.

Sie öffnet den Mund, um Clint über diesen Umstand in Kenntnis zu setzen - Clint liebt derartige Informationen - und wirft zum ersten Mal, seit sie eingetreten ist, einen Blick auf sein Gesicht.

Er hat geweint.

Natasha macht prompt ihren Mund wieder zu. „Hey“, sagt sie dann leise, und Clint schenkt ihr ein müdes Lächeln.

Bruce geht zu Clints Kommode hinüber und zieht die Schublade unten links auf. „Na bitte. Möchtest du den Lilafarbenen, den Lilafarbenen mit blauen Streifen, oder den Lilafarbenen mit dem Pfeilmotiv?“

Clint ist wie der geölte Blitz an seiner Seite. „Du verscheißerst mich doch.“

„Würde mir nie einfallen. Meine sind übrigens grün. Alle. Tony hat einen widerlichen Sinn für Humor.“

„Guter Gott, die sind ja grässlich.“

„Also den mit dem Pfeilmotiv“, beschließt Bruce gelassen.

„Ich werde das nicht anziehen“, sagt Clint fest.

„Er ist aus Seide“, erwidert Bruce, nimmt den Pyjama aus der Schublade und macht sich gerade. „Und du wirst ihn anziehen.“

„Werde ich n-“

„Du wirst ihn anziehen, und dann wirst du dich ins Bett legen. Und da wirst du bleiben. Ich werde derweil in die Küche gehen und dir einen Kräutertee kochen -“

„Igitt!“

„- den du trinken wirst. Und dann wirst du schlafen.“

„Ach, werde ich das?“

„Ja, du wirst. Natasha, stell sicher, dass er meine Befehle umsetzt.“

Sie kann sich nicht helfen, sie muss salutieren. „Sehr wohl, Sir.“

„Gott, ich hasse euch“, mault Clint.

Niemand glaubt ihm.

Natasha sitzt mit Clint im Bett, als Bruce mit dem versprochenen Tee zurück kommt. Clint trägt tatsächlich den Pyjama. Er lässt ihn aussehen, als sei er zwölf Jahre alt.

Dieser Umstand nimmt Bruce lange genug in Anspruch, dass er mit einer Tasse Kräutertee in der Hand an das Bett heran treten kann, ehe er merkt, dass Natasha ebenfalls einen von Clints Pyjamas trägt - den Lilafarbenen mit den blauen Streifen.

„Ein Kompromiss?“ erkundigt er sich mit leicht gehobenem Mundwinkel bei ihr, und sie nickt flüchtig.

Sein Lächeln vertieft sich. „Er steht dir.“

Sie neigt leicht den Kopf, als sei der Umstand, dass sie in Clints Pyjama nahezu atemberaubend aussieht, eine Selbstverständlichkeit. Bruce reicht Clint die Tasse Tee. „Da, bitteschön.“

„Danke schön. Jetzt hätte ich gern noch ein Kompliment über mein Aussehen.“

„Du siehst entzückend aus“, sagt Bruce prompt. „Trink deinen Tee.“

Clint zieht eine Schnute und kuschelt sich an Natasha. „Ist das hier wirklich notwendig?“

Bruce schiebt beide Hände in die Hosentaschen und blickt ernst auf ihn hinab. Er sagt kein Wort.

Er sagt so lange kein Wort, bis Clint anfängt, sich unter seinem Blick zu winden und aus reiner Verzweiflung damit beginnt, seinen Tee zu trinken.

Natasha legt ihm den Arm um die Schultern. „Wenn du willst, bleib ich heute Nacht hier.“

Clint starrt in seine Tasse und nickt. Dann seufzt er. „Euch ist klar, dass es vier Uhr nachmittags ist?“

Bruce zuckt grinsend mit den Schultern. „Und?“

„Ich kann nicht um vier Uhr nachmittags ins Bett gehen.“

„Die Tatsachen strafen dich Lügen. Es ist vier Uhr nachmittags. Du bist im Bett.“

„Möglich. Aber kaum freiwillig.“

Clint schlürft den Rest seines Tees extra laut. Ein armseliger Versuch der Rebellion, wie Natasha findet. Bruce fängt an, sich mit Zeigefinger und Daumen seiner Rechten die Nasenwurzel zu massieren. „Na gut. Ein Vorschlag zur Güte.“

Clint blickt prompt derartig hoffnungsvoll zu ihm auf, dass Natasha nicht anders kann, als ihm das Haar zu wuscheln. Das wirklich Faszinierende ist, dass Clint sie kommentarlos gewähren lässt. (Stark und Rogers müssen angefangen haben, auf sie abzufärben.)

„Wir gucken einen Film. Ich werde Pizza bestellen. Du wirst dieses Bett nur unter besonderen Umständen verlassen. Und du weißt, welche Umstände ich meine, also komm gar nicht erst auf die Idee, dir irgendwelchen Unsinn auszudenken“, sagt Bruce mit streng erhobenem Zeigefinger. „Solltest du zustimmen, erkläre ich mich bereit, ebenfalls einen der grässlichen Pyjamas anzuziehen, die Tony mir geschenkt hat. Aber erst, nachdem der Pizzamensch da war.“

Clints Augen leuchten, aber er hat trotzdem Widerworte. „Ich sehe nicht ganz ein, dass ein ganzes Sonderkommando auf mich losgelassen wird, bloß weil ich ein paar Nächte lang Cello gespielt, und dir dann die Hemdbrust nass geweint habe! Tony zwing auch niemand, hässliche Pyjamas anzuziehen, widerlichen Tee zu trinken und mit Natasha zu schmusen!“

Natasha rollt mit den Augen. Bruce stemmt beide Hände in die Hüften.

„Tony hat auch weder Cello gespielt noch mir die Hemdbrust nass geweint“, stellt er klar. „Andererseits finde ich es schon recht bedenklich, dass er zwar zum Frühstücken aus seiner Werkstatt kommt, aber nicht, weil er Hunger hat, sondern weil JARVIS ihn auf die Tageszeit aufmerksam macht. Um Tony“, dramatische Kunstpause, „kümmern wir uns dementsprechend morgen.“

„Oh, wunderbar“, erwidert Clint, deutlich aufgeheitert. „Ich will König der Löwen gucken. Scar erinnert mich an Loki.“

Er blickt sich um und macht eine wichtige Feststellung. „Ich hab hier keinen Fernseher.“

Bruce gibt einen leisen Laut von sich, den Natasha nur als spöttisch bezeichnen kann. „JARVIS.“

Master Bruce?

„Gehe ich recht in der Annahme, dass sich die nördliche Wand dieses Zimmers ganz hervorragend als Kinoleinwand eignet?“

In der Tat, Master Bruce. Wünschen Sie Dolby Surround?

„Gott ja!“, sagt Clint begeistert.

„Offenbar tun wir das“, erwidert Bruce amüsiert. „Bestellst du uns Pizza?“

Sehr gern, Master Bruce.

JARVIS hält sich nicht damit auf, sie nach ihren Wünschen zu befragen, und Bruce lässt ihn gewähren. JARVIS wird schon wissen, was er tut.

Der Lieferdienst braucht lediglich 30 Minuten - Tony wird schnippisch, wenn er länger warten muss - und Bruce geht sich wie versprochen umziehen, nachdem er ihre Bestellung entgegen genommen hat.

Clint ist prompt wieder bereit, eine kleine Meuterei zu starten, als Bruce, ganz in Grün und bewaffnet mit mehr Pizza als sie möglicherweise essen könnten, zurück in sein Zimmer kommt. „Wieso stehen euch eure Pyjamas, während ich aussehe wie ein Dreijähriger beim Kindergartenausflug?!“

Bruce blickt an sich hinab und studiert kritisch seinen moosfarbenen Pyjama zuckt mit den Schultern. „Ich schätze, Grün ist eben meine Farbe.“

„Dein Sinn für Humor ist nicht besser als Starks. Ich bin ehrlich entsetzt, Bruce!“

Bruce kommt ans Bett heran, drückt Clint die Pizzakartons in die Hand und lässt sich neben ihm auf die Matratze sinken. „Damit wirst du leben müssen.“

Clint schnaubt, macht eine Bestandsaufnahme. „Was, keine Cola?“

„Du kannst mehr Kräutertee haben.“

„Aber ich will Cola!“

„Als ob er dir Koffein geben würde. JARVIS, start den Film.“

Sehr wohl, Mistress Romanoff.

„Nirghs“, macht Clint und erschaudert übertrieben theatralisch. Natasha ignoriert ihn geübt.

Dann gucken sie den Film. Clint weint ein bisschen, als Mufasa stirbt. Bruce gibt ihm ein neues Taschentuch. Er ist nicht wirklich überrascht, dass Clint prompt zu jubeln anfängt, als Scar besiegt ist und seine Hyänen-Armee über ihn herfällt. Er fragt sich unwillkürlich, wie genau Lokis Strafe in Asgard ausfallen mag. Kaum derartig … karmisch.

Als der Abspann durchläuft, sind Clint und Natasha eingeschlafen, oder tun zumindest so - Clints Kopf ruht auf Bruces Schulter, sein Arm hält Natasha an seine Seite gepresst.

Bruce bittet JARVIS mit ruhiger Stimme, die Vorstellung zu beenden. Er stapelt die Pizzakartons, ohne dass Clint oder Natasha darauf reagieren, dann sitzt er einen Moment lang ein wenig unschlüssig da.

Clint schnuffelt leise, und sein Kopf rutscht von Bruces Schulter. Bruce nutzt die Gelegenheit und rutscht aus dem Bett, streckt sich ein wenig, dann bringt er die Pizza in die Küche, legt sie in den Kühlschrank.

Danach geht er sofort in Clints Zimmer zurück, und wird prompt von einem Paar müder blauer Augen angeblinzelt. „Du bist weggegangen.“

„Ich habe aufgeräumt. Leg dich ordentlich hin.“

„Will nicht schlafen.“

Bruce seufzt und kommt ans Bett heran, setzt sich wieder hin. „Willst du Natasha wecken?“

Clint scheint jetzt erst zu realisieren, mit wem er das Bett teilt. „Hilfe“, flüstert er theatralisch.

„Leg dich ordentlich hin.“

„Sie wird mich im Schlaf abstechen.“

„Sie hat dir angeboten, hier zu schlafen. Du hast Ja gesagt.“

„Du musst mich beschützen.“

Bruce seufzt. Aber es ist ein freundliches Seufzen. „Ich sitze bereits wieder im Bett, oder nicht?“

„Ja, aber du wirst weggehen, sobald ich eingeschlafen bin.“

„Clint.“

„Was?“

„Leg dich ordentlich hin.“

Die Debatte hat ein Ende, als Natasha unzufrieden schnorchelt und Clint mit einem komplizierten Manöver eben auf der Matratze ausstreckt. Mit dem Resultat, dass sie neben Bruce liegt, nicht länger Clint.

Clint robbt prompt über sie und zurück auf seinen alten Platz.

„Und jetzt sei ja ruhig“, murmelt sie ins Kopfkissen.

Clint tut, wie ihm geheißen - etwa fünf Minuten lang.

„Mag das“, nuschelt er dann in seine Bettdecke. „S‘warm.“

Bruce blinzelt auf ihn hinab, aber er erwidert nichts. Clints Hand tastet an seinem Bein entlang und greift schließlich nach dem Stoff seines Pyjamas, hält ihn fest.

Bruce sagt noch immer nichts.

„Danke“, murmelt Clint dann, und Bruce ahnt, dass er halb schläft. Er antwortet trotzdem. „Gern geschehen.“

20 Tage

Bruce wird davon geweckt, dass ihm das Pad aus der Hand gleitet, auf dem er am vorangegangenen Abend gelesen hat, und mit einem dumpfen Laut auf dem Teppich neben Clints Bett landet. (Das Pad war in Clints Nachttisch, eine Tatsache, auf die JARVIS ihn hilfreich wie immer aufmerksam gemacht hat.)

Die ersten Strahlen der Morgensonne fallen durchs Fenster, malen verspielte Muster auf den Teppich.

Bruce ist ganz schrecklich warm.

Er kann sich nicht daran erinnern, sich anständig hingelegt zu haben, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass er liegt … und von Clint als kleines Löffelchen missbraucht wird.

Nicht nur hat Clint einen Arm um seine Mitte geschlungen und sich in wirklich unverschämter Manier an ihn gekuschelt, er hat außerdem sein Gesicht in Bruces Nacken vergraben, und jeder seiner Atemzüge … kitzelt.

Es gibt Probleme, mit denen Bruce an diesem Punkt in seinem Leben schlicht nicht mehr gerechnet hat. Obwohl es nicht wirklich ein Problem ist. Höchstens eine milde Absonderlichkeit.

Er versucht zaghaft, sich aus Clints Umklammerung zu befreien.

Hinter ihm gibt Clint ein unzufriedenes Brummen von sich. Dann nimmt er sein Gesicht aus Bruces Nacken und spricht. „Glaubst du mir, wenn ich dir sage, dass das hier bei weitem nicht die merkwürdigste Situation ist, in der ich je aufgewacht bin?“

Bruce erzittert unter einem mühsam unterdrückten Lachen. „Das klingt wie etwas, das Tony sagen würde. Schläft Natasha noch?“

„Ich bin seit zehn Minuten wach“, ertönt ihre erschreckend muntere Stimme von der anderen Seite des Bettes. „Und habe Photos gemacht.“

Bruce schmunzelt in sich hinein, Clint bricht sofort in maulige Beschwerden aus, in deren Verlauf er Bruce loslässt und sich im Bett aufsetzt.

Bruce tut es ihm gleich und hebt das Pad vom Boden auf, legt es zurück in den Nachttisch. „JARVIS, ich hätte gern ein Tony-Update.“

Mister Stark hat die Nacht in seiner Werkstatt verbracht und gearbeitet, Master Bruce. Sämtliche Vorschläge meinerseits, zu essen oder zu schlafen sind ignoriert worden. Er hat außerdem eine offen gesagt alarmierende Menge an Kaffee konsumiert.

Bruce seufzt. „Ich verstehe.“

Clint sieht ihn von der Seite an. „Tust du? Ich nicht.“

Bruce steht aus dem Bett auf. „Nun, so gut, dass ich es tatsächlich erklären könnte, verstehe ich auch nicht. Aber das soll uns mal nicht aufhalten.“

Sie trennen sich, um zu duschen und sich anzuziehen und treffen sich eine halbe Stunde später in der Küche.

Zehn Minuten später taucht Tony auf - sichtlich übermüdet, mit tiefen Schatten unter den Augen und Maschinenöl in seinem Haar und auf seiner Wange. Sein ehemals weißes Unterhemd sieht aus wie John MacLanes am Ende von Stirb Langsam.

„Tony“, sagt Bruce nur. Tony grinst ihn müde an. „Gott, du klingst wie Pepper.“

„Tut er das? Gut“, sagt Pepper von der Tür her. „Obwohl mir nicht ganz klar ist, wieso es hier offenbar niemand schafft, dich aus deiner Werkstatt herauszuzerren und zwangszuernähren. So schwer ist das nicht, vertraut mir.“

Clint, Bruce, und vor allem Tony wenden sich Pepper mit bestürzt geweiteten Augen zu. Natasha begrüßt sie mit einem freundlichen Winken. Pepper winkt tatsächlich zurück, ehe sie damit fortfährt, Tony anklagend anzustarren.

„Pepper!“ sagt Tony, und er klingt ein wenig hysterisch. Bruce kann es ihm nicht wirklich vorwerfen. Pepper hat die Arme vor der Brust verschränkt und weist erschreckende Ähnlichkeit zu einer nordischen Rachegottheit auf. Thor könnte vermutlich sogar bestimmen, zu welcher. „Ich dachte, du kommst erst morgen wieder!“

„Ich wollte dich überraschen“, erwidert Pepper, und ihr Gesicht verliert an Schärfe. „Wann hast du zuletzt geschlafen?“

Tony versucht, abzuwinken. „Das ist doch nicht w-“

Vor 49 Stunden und 24 Minuten, meldet JARVIS sich zu Wort.

Trügerische Stille tritt ein.

„Tony“, sagt Pepper dann.

„Hah, jetzt klingst du wie Bruce“, erwidert Tony hastig. „Ihr solltet ne Nummer draus machen. Oder besser doch nicht. Und ich war produktiv in den 49 Stunden und 24 Minuten - JARVIS, du alter Pedant, wieso nicht auch gleich noch die Sekunden hinzufügen - die ich nicht geschlafen habe. Nur so nebenbei. Es ist nicht so, als hätte ich gefeiert. Ich habe gearbeitet! Ich habe Natashas Anzug verstärkt und ihr noch mehr unsichtbare Taschen für ihre Messer gegeben! Clint wird unsere Gegner demnächst mit stimmkontrolliert detonierbaren Pfeilköpfen zu überraschen wissen - und Bruce kriegt von mir eine Kollektion praktisch unzerstörbarer Hosen!“

Er stemmt die Hände in die Hüften, und Bruce positioniert sich unauffällig an seiner Seite, als er das leichte Schwanken in Tonys Haltung ausmacht. Er wird Tony auffangen, sollte er vor Erschöpfung umfallen, und das nicht nur, weil Tony ihm eine Kollektion unzerstörbarer Hosen gemacht hat.

„Außerdem“, fährt Tony fort, „habe ich meinen Anzug weltraumtauglicher gemacht - wichtig, wichtig - und eine Fitnessanlage entworfen, die auf all unsere Bedürfnisse ausgerichtet ist. Sogar auf Steves, sollte er jemals wieder hier auftauchen.“

Pepper runzelt leicht die Stirn. „Bitte?“

„Captain Rogers ist gestern überraschend nicht zum Frühstück erschienen und hat sich seitdem nicht gemeldet“, setzt Natasha sie mit einer beinahe perfekten Imitation von JARVIS‘ geölter Hilfsbereitschaft in Kenntnis.

„Ah“, macht Pepper vielsagend.

Tony starrt trotzig zu Boden. „Du klingst nicht überrascht. Naja. Ich bin es auch nicht.“

Ein kollektives Seufzen geht durch die Küche. „Tony.“

„Wenn ihr das alle gleichzeitig macht, krieg ich davon Gänsehaut“, bemerkt Tony fasziniert.

„Schläft er?“ erkundigt Bruce sich leise, als Pepper aus Tonys Zimmer kommt, und sie nickt ihm zu.

„Haben Sie hier auf mich gewartet?“

Er nickt, und sie nimmt seinen Arm, hakt sich bei ihm ein. „Wunderbar. Ich wollte sowieso mit Ihnen reden.“

„Und ich mit Ihnen.“

Sie gehen in die Küche, die offizielle Austragungsstätte wichtiger Privatgespräche in allen bekannten Universen. (Selbst dort, wo maulbeerfarbene Steine sich von rosa Moos ernähren. Die Steine gehen zum Moosen in die Küche.)

„Also“, sagt Pepper, während sie Bruce beim Kaffeekochen beobachtet. „Was ist passiert?“

Bruce hebt vage die linke Schulter. „Nicht das Geringste, soweit ich weiß. Steve ist gestern einfach nicht zum Frühstück gekommen.“

„Und heute auch nicht.“

„Und heute auch nicht“, bestätigt Bruce ruhig.

„Aber er und Tony haben sich nicht gestritten?“

Bruce verneint. „Oder weißt du von irgendwas, JARVIS?“

JARVIS verneint ebenfalls.

Pepper seufzt und stützt ihr Kinn in ihre linke Hand. „Ich verstehe das nicht. Als ich zuletzt hier war, waren die Zwei schon fast unnatürlich … vertraut miteinander. Steve schien wirklich gern hier zu sein.“

Bruce stellt eine Tasse Kaffee vor ihr ab. Doppelter Schuss Espresso mit extra Sirup. Pepper weiß nicht wie, aber dieser Mann ist offenbar ein Kaffeegott. Sie stöhnt ein bisschen in ihre Tasse. Diskret natürlich.

„Ist er auch“, sagt Bruce ernst. „Aber ich muss hinzufügen, dass er in Momenten, in denen er nicht direkt mit Tony agiert, immer ein wenig … unsicher wirkt.“

Pepper legt den Kopf schief. „So als habe er Angst, dass er nicht wirklich willkommen ist?“

Bruce seufzt. „Ja. Genau so.“

Er setzt sich mit einer Tasse Tee ihr gegenüber an den Tisch. Pepper mustert ihn fasziniert. „Sie schenken Ihrer Umgebung eine Menge Aufmerksamkeit, Doktor Banner.“

Sein linker Mundwinkel hebt sich um ein paar Millimeter. „Ich mag keine Überraschungen. Sie neigen dazu, mich aufzuregen. Also bin ich aufmerksam. Immer.“

Sie nickt, trinkt einen weiteren Schluck Kaffee. „Ich hatte eigentlich nicht vor, Tony zu erklären, dass Steve sein Freund sein will.“

Bruce nickt. „Ich weiß.“

„Wenn ich es tue, wird Tony ihm … einen Diner kaufen. Wenn nicht ganz Brooklyn. Und dann wird er es wieder so herrichten, wie es in den 40ern ausgesehen hat. Er wird es übertreiben. Wie er es immer übertreibt.“

Bruce schmunzelt. „Wir könnten ihn stattdessen fragen, warum er Steve nicht eingeladen hat, hier zu wohnen.“

Pepper stöhnt und vergräbt ihr Gesicht in ihren Händen. „Die Erklärung will ich gar nicht hören.“

Als sie wieder aus ihren Händen auftaucht, mustert Bruce sie nachdenklich. „Ehrlich gesagt verstehe ich nicht, wo sein Problem liegt. Mich hat er gar nicht erst gefragt, ob ich einziehen will. Er hat es vorausgesetzt. Ich hatte quasi nicht mitzureden. Wieso die Hemmungen, wenn es um Steve geht?“

Pepper schließt einen Moment lang die Augen und nimmt einen vorbereitenden Atemzug. „In Tonys Augen sind Sie ein durchschnittlicher Normalsterblicher, Doktor Banner.“

Er hebt beide Augenbrauen, und sie kann ein Grinsen nicht unterdrücken. „Nur in Tonys Augen. Er hat gesehen, dass sie einen Platz zum Schlafen und Arbeiten brauchen - und für Tony wird die logische Konsequenz immer sein, sein eigenes Zuhause anzubieten. Immer. Er würde Ihnen sein letztes Hemd geben, wenn Sie es wollten. Hauptsächlich, weil er einfach so großzügig ist - aber leider auch, weil er Angst hat, was passiert, wenn er Nein sagt.“

Bruce sieht plötzlich ein wenig unbehaglich aus. „Ja. Soviel hab ich inzwischen auch schon begriffen.“

Sie nickt. „Für Steve würde er all das und noch viel mehr tun. Aber Steve ist kein durchschnittlicher Normalsterblicher. Steve ist Captain America. Und Tony mag Iron Man sein, aber er ist auch Tony Stark.“

Plötzliches, schmerzvolles Verstehen gleitet über Bruces Gesicht. „Und Tony Stark hat Defizite.“

Pepper nickt ein weiteres Mal. „Tony Stark löst Skandale aus, wo immer er geht und steht. Tony Stark ist unmoralisch. Tony Stark hat so viele Charaktermängel, dass er mit der gebundenen Ausgabe Leute erschlagen könnte.“

Jetzt stöhnt Bruce und vergräbt sein Gesicht in seinen Händen. „Also kann Tony Stark Steve Rogers nicht einladen, bei sich zu wohnen.“

„Weil all seine Charaktermängel auf Captain America abfärben würden.“

„Er hat Angst, Steves Ruf zu verderben?“

Pepper trinkt ihren Kaffee aus. „Können Sie ihm das verdenken? Wenn jemand weiß, was es wirklich bedeutet, einen Ruf zu haben, dann ist das Tony.“

Bruce seufzt. „Also lädt er Steve nicht ein, bei sich zu wohnen. Und Steve weiß nur, dass er alle anderen einlädt, nur nicht ihn. Kann ich anmerken, dass die zwei sich wie Grundschüler aufführen?“

„Kindergarten“, korrigiert Pepper.

„Kindergarten“, stimmt Bruce ihr sofort zu. „Was unternehmen wir also, Miss Potts? Wir können kaum erwarten, dass unsere Jungs plötzlich erwachsen werden.“

Sie grinst plötzlich. „Zunächst einmal fangen Sie damit an, mich Pepper zu nennen, Doktor Banner.“

Er blinzelt sie an. „Bruce“, sagt er dann, leise und ein kleinwenig überrascht.

Pepper nickt. „Sei doch so gut, und mach mir noch so einen fabelhaften Kaffee, Bruce. Ich brauche definitiv noch einen. Sobald das passiert ist, machen wir einen Plan.“

„Das ist kein Plan, das ist ein schlechter Witz“, beschwert Tony sich mürrisch. „Kann ich denn nicht mal für fünf Stunden den Schlaf der Gerechten schlafen, ehe ihr euch miteinander verbrüdert und hanebüchene Hirngespinste ersinnt?“

Bruce stellt kommentarlos eine Schüssel mit Obstsalat vor ihm ab.

Tony übt sich etwa fünf Sekunden lang an stummer Rebellion, dann trifft ihn ein strenger Blick von Pepper und er fängt an zu essen.

Zur Belohnung stellt Bruce ihm eine extra große Tasse Kaffee auf den Tisch. Tony schnauft zufrieden.

Pepper streicht ihm sanft das Haar aus der Stirn. „Was ist so verkehrt daran, Steve zu einem Kinoabend einzuladen?“

„Wenn er hier sein wollte, wäre er gekommen“, erwidert Tony mit vollem Mund und düsterer Miene.

Bruce trinkt einen dringend benötigten Schluck Tee.

„Das weißt du doch gar nicht“, macht Pepper Tony sanft aufmerksam.

„Sicher weiß ich das. Er ist Captain America.“

„Auch Captain America kann Hemmungen haben, hier uneingeladen aufzutauchen, Tony.“

„Pfft. Wieso muss ich ihn einladen? Offenbar ist er bisher bloß vorbei gekommen, um zu sehen, wie es Clint geht. Und jetzt interessiert‘s ihn nicht mehr. Wieso auch. Clint geht’s offenbar prächtig.“

Bruce stellt mit einem ungeduldigen Tok seine Tasse auf den Tisch. „Clint ist gestern zusammengebrochen“, sagt er streng. „Er hat eine halbe Stunde lang nicht aufhören können, zu weinen.“

Tony starrt ihn schockiert an. „Was?“

Bruce zuckt verhalten mit den Schultern. „Er vermisst Coulson.“

Pepper blinzelt verwundert. „Aber ich dachte … Phil und er … sie waren nie -“

„Heißt nicht, dass Clint ihn nicht geliebt hat“, unterbricht Bruce sie ruhig. „Was ich damit sagen will, ist, dass du nicht wissen kannst, was in Steve vor sich geht, Tony. Jeder hat Gefühle, über die er nicht spricht, die er sich nicht anmerken lassen will. Jeder.“

Tony beißt sich auf die Unterlippe, kaut besorgt darauf herum, ehe er fragt: „Geht‘s Clint besser?“

Pepper küsst ihn auf die Schläfe. Bruce lächelt ihm zu. „Ja. Natasha und ich haben uns um ihn gekümmert. Ich schätze, sie kümmert sich auch jetzt. Clint ist auf dem Weg der Besserung. Weswegen wir heute einen Filmabend machen werden. Zu dem du Steve einlädst. Persönlich.“

Tony stöhnt leise. „Aber ich will nicht.“

Pepper macht eine wegwerfende Handbewegung. „Sicher willst du. Du willst sogar sehr. Deswegen hab ich Happy auch Bescheid gesagt, dass er sich bereit machen soll, uns in einer halben Stunde zu fahren. Also zieh dich an.“

„Du kommst hier an“, sagt Tony, und kleine Lachfältchen tauchen in seinen Augenwinkeln auf, „und tust nichts, als mir Befehle erteilen. Zieh die dreckigen Sachen aus, Tony. Geh duschen, Tony. Du musst schlafen Tony. Iss was, Tony. Lad Captain America zu einem Filmabend ein, Tony.“

Pepper hebt beide Augenbrauen. „Und?“

„Du hast mir gefehlt“, erklärt Tony schlicht. Pepper küsst ihn.

Bruce zieht sich lächelnd aus der Küche zurück und macht sich auf die Suche nach Clint und Natasha.

TEIL 8

fandom: avengers, autor: uena

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